„Das letzte Wort der Ästhetik ist die menschliche Freiheit“
Christoph Menke lehrt zurzeit im Institut für Philosophie an der Universität Potsdam im Bereich Ethik und Ästhetik. In zahlreichen Veröffentlichungen verknüpft Menke die Disziplinen Ethik und Ästhetik miteinander – fast in der Tradition antiken Denkens, in dem das Schöne und das Gute zusammengedacht wurden – DLF: Besprechung von Werner Köhne | 11.05.2009.

In Goethes „Faust“ erleben wir den Titelhelden über die biblische Genesis gebeugt. In launiger Stimmung sinniert er über die Frage nach dem Urquell allen Seins. Ist es das Wort, der Sinn, die Kraft oder die Tat ? – Für den Philosophen Christoph Menke wäre die Antwort klar: Dem Wort müsste man zu viel Denkstrukturen vorschalten, dem Sinn wiederum die Sprache und der Tat stünde ein Subjekt voran, das vielleicht nur ein anmaßendes Konstrukt ist. Anders stünde es da mit der Kraft. Sie eignet sich nach Menke zum Fundament einer wahren Anthropologie – zumal wenn nicht länger Gott als unbewegter Beweger die Fäden zieht.

„Kraft -Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie“: Der Titel ist zu Recht gewählt, wenn er auch zum Teil statisch und deklamierend daher kommt. In einer Diktion, die von einem rasch vorwärtsschreitenden Systematiker zeugt, breitet Menke das Thema vor uns aus, rekonstruiert dazu vierhundert Jahre Philosophiegeschichte in Form einer stetig sich verifizierenden These: Wer die Menschen im Allgemeinen und ihre ästhetische Natur im Besonderen verstehen will, muss „die Kraft“ als Bewegungsinstanz ansetzen. Menke beginnt – natürlich – mit Descartes. Dessen Gesetz „Cogito, ergo sum“ gilt als Initiation des modernen Subjekts. Dieses Subjekt zeigt sich als eine aus dem Zweifel sich herauswindende reflexive Instanz, die Sicherheit, Souveränität und grundsätzliche Fähigkeiten ermöglicht. Welt, Körper und Gefühle hinken dieser Gewissheit durch Grade unterschiedlicher Undeutlichkeit hinterher. Legionen von Philosophen haben dieses Spiel um die Bedingungen der Möglichkeiten von Erkenntnis aufgegriffen und durchgespielt, was später Legionen von Kritikern – von Nietzsche bis Foucault – auf den Plan rief.

Immerhin hatte uns schon Descartes in Faktoren wie Einbildungskraft und sinnliche Vermögen einige Phänomene der Unbestimmbarkeit zurückgelassen, was vor allem jene Geister nicht ruhen ließ, die dem Schönen und seiner Wahrnehmung und Gestaltung verpflichtet waren. Es war zuerst Alexander Gottlieb Baumgarten, der aus der Wahrnehmungsphilosophie von Leibniz eine andere Instanz herauslas als das reflexive Subjekt. Es ist ihm zufolge in weitestem Sinne die Seele, die sinnliche Ausdrucksformen auf den Weg bringt – und diese Bewegungsform öffnet uns den Horizont für die Erfahrung des Schönen. Herder geht dann noch einen Schritt weiter und stößt auf die Kraft. Sie wird nicht aus subjektiven Vermögen abgeleitet, sondern gründet in einem Dunkel, einem Abgrund, der nicht länger das Subjekt, sondern den Menschen und seine Geschichte in den Focus rückt. Die Wissenschaft vom Menschen wird so zur Leitwissenschaft. Christoph Menke schließt die erste Hälfte seiner Betrachtungen mit einer negativen Definition jener Kraft ab.

Die dunkle Kraft der Seele ist nicht subjektiv. Sie hat keinen normativen Gehalt. 2) Die dunkle Kraft der Seele ist nicht mechanisch. Sie unterliegt keinem mechanischen Gesetz. 3) Die dunkle Kraft der Seele ist nicht biologisch. Sie verwirklicht keinen organischen Zweck.. Die dunkle Kraft der Seele ist – nicht subjektiv, nicht mechanisch, nicht biologisch, sondern – ästhetisch.

Ästhetisch:
Das Wort – durch Gedankenstrich hervorgehoben – ist ein Versprechen, das noch einzulösen ist, während die negativen Definitionen Menkes zuvor auf eine Diskussion Bezug nehmen, die heute vornehmlich in der Hirnforschung und Genetik geführt wird: Wie entstehen Gefühle, Gedanken und Handlungen ? Was hat es mit der menschlichen Freiheit auf sich ?
Menke will diese Fragen mit Blick auf den Menschen als einem ästhetischen Wesen beantworten. Dabei kümmert er sich kaum um die klassische Diskussion über ästhetische Theorien, in denen der Gehalt von Kunstwerken und deren gesellschaftliche Relevanz verhandelt wird. Menke geht es um die Prozesse, in denen der Mensch sich als Mensch wirklich entfalten kann.
Bezeichnend ist, dass er sein letztes Kapitel mit dem Titel „Ethik“ versieht und darunter „Die Freiheit der Selbsterschaffung“ fasst. Ganz im Sinne vormodernen Denkens geht er von der Frage aus, wie ein menschliches Leben gelingt und wie man dieses eu zän, dieses gute Leben, verfehlen kann – nämlich dann, wenn man dieses Gute allein auf die Praxis des gesellschaftlich politischen Handelns bezieht. Ethik ist mehr, als zu anderen lieb zu sein. Es geht beim Guten auch um die überschüssigen Kräfte, die in der Natur des Menschen gründen, im freien und reflexiven Spiel aber erst zum ästhetischen Selbstgenuss führen lassen. Das ist dann schön und – gut. Natürlich zeichnet sich hier der verzweifelt schöne Satz Nietzsches ab: Nur als ästhetisches Phänomen ist die Welt gerechtfertigt.“

„Nietzsches „Eine Kunst für Künstler“ wiederholt nicht nur das autonomieästhetische Programm, sondern fügt ihm eine wesentliche Bedeutung hinzu. Diese Einsicht besagt: Die ästhetisch autonome Kunst gewinnt ihre ethisch politische Bedeutung nur über die Figur des Künstlers. Genauer: Die einzige Weise, in der die ästhetisch autonome Kunst ethisch politische Bedeutung gewinnen kann, liegt im Lernen von dem Künstler.“ Vor diesem Hintergrund scheinen alle Fragen gelöst: Wir alle müssen Künstler werden, unsere Kräfte entfalten und so der Ethik des richtigen Handelns eine komplementäre Ethik zugesellen, die in der Freiheit gründet.

Das anregende Buch von Christoph Menke hätte man 1972 nach einem „Documenta“-Besuch in Kassel als sinnvolle Ergänzung zum dortigen Geschehen goutieren können: Joseph Beuys und seine Jünger setzten damals ihre Losung „Jeder ist ein Künstler“ in ihrer Aktionskunst praktisch um. In den Zeiten allerdings, in denen wir zu leben verdammt sind, wirkt der letzte Satz des Buches wie ein verzweifelter Weckruf, dem Galeristen und Trendscouts nur ein müdes Lächeln entgegensetzen:

„Das letzte Wort der Ästhetik ist die menschliche Freiheit“ – Christoph Menke, Kraft – Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie: Suhrkamp 2008, 155 Seiten.


Gemälde einer Frau – Pino Daeni

Ästhetik (von altgriechisch αἴσθησις aísthēsis „Wahrnehmung, Empfindung“) war bis zum 19. Jahrhundert vor allem die Lehre von der Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in der Natur und Kunst. Ästhetik bedeutet wörtlich: Lehre von der Wahrnehmung bzw. vom sinnlichen Anschauen. Ästhetisch ist demnach alles, was unsere Sinne bewegt, wenn wir es betrachten: Schönes, Hässliches, Angenehmes und Unangenehmes. Eine Lehre, die sich nur mit schönen Dingen beschäftigt, heißt Kallistik.

Alltagssprachlich wird der Ausdruck ästhetisch heute häufig als Synonym für schön, geschmackvoll oder ansprechend verwendet. Jemand, der auf schöne und schöngeistige Dinge besonderen Wert legt, wird als Ästhet oder Feingeist bezeichnet.

In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff in einem engeren Sinne die Eigenschaften, die einen Einfluss darauf haben, wie Menschen etwas unter Schönheitsgesichtspunkten bewerten. In einem weiteren Sinn bezeichnet ästhetisch die Eigenschaften, die beeinflussen, wie etwas auf uns wirkt.

In der Philosophie wird das Wort oft abweichend gebraucht. Ästhetik bezeichnet dort entweder die Theorie der sinnlichen Wahrnehmung allgemein (nicht nur von Kunst) oder aber eine philosophische (oder etwa soziologische) Theorie von Kunst bzw. Design. Nach einigen (insbesondere Immanuel Kant folgenden) Auffassungen entscheiden über ästhetische Bewertungen nicht einfach rein subjektive Kategorien wie „schön“ und „hässlich“, die wegen bestimmter Eigenschaften dem Gegenstand beigelegt werden. Entscheidend sei vielmehr die Art und Weise der Sinnlichkeit oder Sinnhaftigkeit. Andere (semiotische) ästhetische Theorien betonen, dass gerade Letztere nur im Rahmen spezifischer Zeichensysteme verstehbar sei. Besonders in empirischen Studien (etwa in der experimentellen Ästhetik), aber auch in einigen philosophischen Theorien spricht man, wie im Alltagssprachgebrauch, von Ästhetik als Wissenschaft oder Theorie der Schönheit (und infolgedessen Hässlichkeit), die untersucht, wie ästhetische Urteile zustande kommen. Im angelsächsischen Raum wird aesthetics teilweise stärker in diesem Sinne verstanden. Einige, besonders jüngere, Ansätze versuchen auch, beide Aspekte zusammenzuführen.

Mit seinen Meditationes (1735) begründete Alexander Gottlieb Baumgarten die Ästhetik in Deutschland als eigenständige philosophische Disziplin. In seiner Aesthetica von 1750/58 definiert Baumgarten die Ästhetik als „die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“ (§ 1).

Als Wissenschaft unterscheidet Baumgarten die Ästhetik von der natürlichen Ästhetik, die den „natürlichen Zustand“ beschreibt, „in dem sich die unteren Erkenntnisvermögen ohne jede methodische Ausbildung durch bloße Ausübung entwickeln“ (Baumgarten 1983, § 2). Zu den „unteren Erkenntnisvermögen“ gehören sensus (Gefühl, Empfindung), imaginatio (Einbildung, Phantasie, Vorstellung), facultas fingendi (Dichtkunst, Vermögen zu dichten) und memoria (Gedächtnis, Erinnerungskraft).

Als methodisch entwickelte „Kunstlehre“ schreibt Baumgarten (Hamburg 1983) der Ästhetik folgenden „Nutzen“ zu. Er besteht vor allem darin, „dass sie

  1. den Wissenschaften, die hauptsächlich auf Verstandeserkenntnis beruhen, geeignete Materialien bereitstellt,
  2. das wissenschaftlich Erkannte dem Fassungsvermögen jedes beliebigen Menschen anpaßt,
  3. die Verbesserung der Erkenntnis auch über die Grenzen des deutlich Erkennbaren hinaus vorantreibt,
  4. gute Grundlagen legt für alle kontemplativen geistigen Betätigungen und für die freien Künste,
  5. in der Praxis des täglichen Lebens unter gleichen Voraussetzungen allen anderen Menschen gegenüber eine bestimmte Überlegenheit verleiht“. (§ 3)

Die traditionelle Ästhetik nimmt an, dass universelle und zeitlose Kriterien für die geschmackliche Bewertung von Kunstwerken existieren.

Die metaphysische Ästhetik der deutschen Idealismen (Romantik, Genie-Begriff) wurde kritisiert als eine verordnete Ästhetik, die der Zeit nicht mehr gerecht wird. Aus dieser kritischen Grundhaltung entwickelten sich zwei Strömungen: die psychologische Ästhetik und die Kunstwissenschaft Konrad Fiedlers.

Ästhetische (sinnliche) Erkenntnis wurde auch lange Zeit als Gegensatz zu rationaler Erkenntnis gesehen.

Der Mediziner Gustav Theodor Fechner unterschied im 19. Jahrhundert zwischen einer Ästhetik von unten und einer Ästhetik von oben. Die Ästhetik von oben ist die „schöngeistige“ Ästhetik der traditionellen Philosophie und Literaturwissenschaft, die Ästhetik fast ausschließlich im Zusammenhang mit Kunst betrachtet. Die Schönheit von Landschaften, Gebrauchsgegenständen oder wissenschaftlichen Theorien wurde ausgeklammert oder bestenfalls als Randaspekt abgetan. Die Ästhetik von unten bemüht sich demgegenüber um eine empirische Grundlage. Sie reduzierte Ästhetik nicht auf die Kunst, sondern betrachtete Schönheitserleben als ein alltägliches psychologisches Phänomen, das man in Experimenten (sogenannte experimentelle Ästhetik) untersuchen kann. Neuere Ansätze versuchen, beide Strömungen zu integrieren – Quelle: Wikipedia.