Der Mensch ein Impuls – Reiz – Reaktion Wesen?!

Behaviorismus (abgeleitet vom amerikanisch-englischen Wort behavior „Verhalten“) benennt das wissenschaftstheoretische Konzept, Verhalten von Menschen und Tieren mit naturwissenschaftlichen Methoden – also ohne Introspektion oder Einfühlung – zu untersuchen und zu erklären. Der Behaviorismus wurde nach wichtigen Vorarbeiten von Edward Lee Thorndike durch John B. Watson zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründet und in den 1950er-Jahren primär von Burrhus Frederic Skinner gleichermaßen popularisiert, wie radikalisiert. Wichtige Pionierarbeit leistete außerdem Iwan Petrowitsch Pawlow mit seinen Experimenten zur klassischen Konditionierung von Verhalten. Im Behaviorismus wurden technoide Sozial- und Kulturtechniken entwickelt, doch bietet er nicht nur klassische oder operante Konditionierung, sondern auch eine positiv gemeinte gesellschaftliche Utopie, wie sie beispielsweise von Skinner im Roman Walden Two ausgearbeitet wurde.

In den USA waren die Verfechter des Behaviorismus jahrzehntelang die einflussreichsten Verhaltensforscher an den Universitäten und entschiedene Gegner der gleichzeitig aufkommenden psychoanalytischen Richtungen. Auch die seit den 1930er-Jahren in Europa aus der Tierpsychologie entstehende vergleichende Verhaltensforschung konnte in den USA wegen der dortigen Vorherrschaft des Behaviorismus nicht Fuß fassen. Auf die Erkenntnisse der behavioristischen Forschung stützen sich diverse verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen, u. a. die sogenannte systematische Desensibilisierung von Patienten mit einer Phobie und die Behandlung von frühkindlichem Autismus, aber auch die moderne Abrichtung von Hunden und Zirkustieren. Auch das Programmierte Lernen, Sprachlabors und die heute gängigen PC-Programme zum Selbststudium von Fremdsprachen sind eine Nutzanwendung der behavioristischen Theorie.

Die Initialzündung des Behaviorismus stellt John B. Watsons berühmter Artikel „Psychology as the Behaviorist views it“ (1913) dar, in dem er sich vehement gegen die damals in der Psychologie gebräuchliche Methode der Introspektion aussprach. Watsons Ziel war es, die Psychologie als eine Naturwissenschaft gleichsam neu zu begründen. Er setzte ausschließlich auf die sogenannte „objektive Methode“, indem er alles Verhalten in Reiz und Reaktion zerlegte (englisch: stimulus–response); man bezeichnet diese Form des Behaviorismus daher auch als „molekularen“ Behaviorismus. Als Reiz fasste Watson jede Veränderung in der äußeren Umwelt oder im Inneren des Individuums auf, die auf physiologischen Vorgängen beruht, also zum Beispiel auch einen „Mangel an Nahrung“, sprich: Hunger; als Reaktion fasste er jegliche Aktivität auf, sei es das Hinwenden zu oder das Wegwenden von einer Lichtquelle oder das Schreiben von Büchern. Die von Watson begründete Form des Behaviorismus wird auch als „Klassischer“ oder „methodologischer“ Behaviorismus bezeichnet.

Die dem beobachtbaren Verhalten zugrunde liegenden physiologischen Vorgänge gelten dem Behavioristen als uninteressant; aus seiner Sicht gehören sie zum Aufgabengebiet der Physiologen. Der Behaviorist konzentriert sich ausschließlich auf Prozesse, die sich zwischen Organismus und Umwelt abspielen. Der Organismus selbst wird vom klassischen Behavioristen als Black Box betrachtet.

Skinners Hauptwerk Science and Human Behavior (deutsch: Wissenschaft und menschliches Verhalten) erschien 1953 in den USA. Im Gegensatz zu Watson und dem methodologischen Behaviorismus schloss Skinner im sogenannten „radikalen“ Behaviorismus innerpsychische Prozesse bei der Erforschung von Verhalten nicht aus. Aussagen über „mentale“ oder „psychische“ Vorgänge könnten jedoch nie von Außenstehenden, also unabhängigen Beobachtern getroffen werden, sondern allenfalls vom sich selbst beobachtenden Individuum. Reagiere beispielsweise ein Schüler auf die Frage des Lehrers unabsichtlich mit einer völlig unpassenden Antwort, so werde der „innere Zustand“ des Schülers häufig als geistesabwesend bezeichnet. Diese Zuschreibung erkläre in Wirklichkeit aber keineswegs die Zustände im Inneren des Gehirns; sie sei in Wirklichkeit bloß eine zusätzliche, bildhafte Beschreibung für die fehlerhafte Äußerung des Schülers, also für die dem Beobachter ohnehin schon bekannte Reaktion des Schülers.

Die Vertreter einer behavioristischen Wissenschaft vom Verhalten forderten daher, dass auch alle Vorgänge, die in einem Experiment auf einen Organismus einwirken (also die Ursachen von Verhalten), mit streng naturwissenschaftlichen Begriffen zu beschreiben seien; die Psychologie müsse eine „exakte Wissenschaft“ im Sinne einer Naturwissenschaft werden (wobei sich Skinner eher am Wissenschaftsbegriff der Biologie als an dem der Physik orientierte). Dies hatte unter anderem zur Folge, dass nicht naturwissenschaftliche Einflüsse auf das Verhalten (zum Beispiel von „sozialen Strukturen“ oder von „Kultur und Tradition“) in den Studien der Behavioristen keine Rolle spielten, sofern sie nicht auf der Ebene von Umwelteinflüssen und Verhalten definiert werden. Zum wichtigsten Mittel ihrer Forschung wurden Laborstudien, da nur dort eine sehr weitgehende Kontrolle aller Einflussfaktoren auf das Verhalten der Testtiere und Testpersonen möglich ist, und speziell die eigens für behavioristische Experimente entwickelte Skinner-Box. Überdies können Laborstudien wesentlich leichter wiederholt werden als die von Ethologen bevorzugten Freilandstudien. Die auf Skinners Radikalem Behaviorismus als Wissenschaftstheorie aufbauende Forschungstradition ist die Experimentelle Verhaltensanalyse.

Gefährliche Ausblendung des Innenlebens.

Der Verzicht auf die Heranziehung innerpsychischer Vorgänge zur Erklärung von Verhalten, die mit naturwissenschaftlichen Begriffen nicht zu beschreiben sind, hat dem Behaviorismus anhaltende heftige Kritik eingebracht. Dieser betrachte das Gehirn als bloße Black Box, die auf einen einwirkenden Reiz automatisch mit einer Reaktion antwortet. Das ausschließliche Analysieren des Zusammenhangs zwischen Eingabe und Ausgabe verkenne aber, dass es innere, veränderliche, zentralnervös gesteuerte Antriebe für Verhaltensweisen gibt, die sich beispielsweise als sexuelle Lust und als Hunger­gefühl bemerkbar machen. Skinner lehnt die „Black Box“-Metapher ab. Mentalistische Aussagen in der Art „Er isst, weil er hungrig ist“ sind nach ihm aber keine Erklärungen für Verhalten. In Wissenschaft und menschliches Verhalten schreibt er: „Er isst und er ist hungrig beschreiben ein und dieselbe Tatsache. (…) Die Gewohnheit, eine Feststellung durch eine andere zu erklären, ist insofern gefährlich, als sie den Eindruck erweckt, dass wir der Ursache auf die Spur gekommen sind und deshalb nicht weiterzusuchen brauchen.“ Skinner lehnt die Vorstellung eines cartesianischen Steuermannes ab, der gewissermaßen im Innern des Kopfes sitzend den Menschen steuert; der Mensch als Ganzes Individuum („Organism as a whole“) verhält sich auf eine bestimmte Weise („molarer Behaviorismus“), aufgrund der Umwelteinflüsse, denen er in seiner aktuellen und vergangenen Umwelt unterworfen war sowie aufgrund der Umwelteinflüsse, denen seine Vorfahren in der Phylogenese unterworfen waren.

Fort-Schritt in eine „Neue Welt”.

Ab den 1960er und 1970er-Jahren wurde der Behaviorismus zunehmend vom Kognitivismus als vorherrschendem Forschungsparadigma in der Psychologie abgelöst. Dazu trugen u. a. die Entwicklung des Digitalcomputers und seine Verwendung als Modell für das menschliche Gehirn sowie Erkenntnisse aus der Ethologie bei, denen zufolge Vererbung doch einen größeren Erklärungswert für gegenwärtiges Verhalten hat. Die Studien Harry Harlows wiesen überdies nach, dass reine Futterdressuren nicht auf sämtliche höheren Lebewesen übertragen werden können (wobei dies nicht im Widerspruch zum Radikalen Behaviorismus steht). Auch die verheerende Rezension von Skinners Buch Verbal Behavior durch Noam Chomsky, in dem Skinner den radikal-behavioristischen Ansatz auf das Sprechverhalten angewandt hatte, steht für den damals (unter Psychologen und Linguisten) beginnenden Zweifel an der Tragfähigkeit des Behaviorismus und die Wende zum Kognitivismus (vgl. Kognitive Wende). Der aufkommende Kognitivismus beschreibt in seiner einfachsten Form innerpsychische Vorgänge als Kette von internen Reizen und Reaktionen, ohne zu fordern, dass alle diese Vorgänge direkt beobachtbar sein müssen. Interessanterweise hatte es bereits während der Blütezeit des Behaviorismus unter seinen Anhängern Vertreter einer kognitiv orientierten Schule gegeben. Diese kognitiv-neobehavioristische Schule ist primär mit dem Namen Edward C. Tolman verbunden.

Auch heute gibt es noch behavioristisch orientierte Strömungen innerhalb der Psychologie. Neben dem Radikalen Behaviorismus der Skinnerschen Prägung existieren mehrere neue Ansätze, die auch verschiedene Aspekte älterer behavioristischer Richtungen aufgegriffen haben, so z. B. Howard C. Rachlins Teleologischer Behaviorismus und John E. R. Staddons Theoretischer Behaviorismus. Dagegen ging der methodologische Behaviorismus im Forschungsprogramm der wissenschaftlichen Psychologie auf: Psychologen erforschen noch immer fast ausschließlich das objektiv beobachtbare Verhalten anderer (das größtenteils jedoch im Antwortverhalten beim Ausfüllen von Fragebogen und Tests besteht) und schließen auf dieser Basis auf nicht beobachtbare hypothetische Konstrukte wie z. B. Extraversion oder Neurotizismus (aus der Persönlichkeitstheorie von Eysenck). Zudem wenden viele Teile der modernen Psychologie und Psychotherapie, speziell die Verhaltenstherapie, Erkenntnisse aus der behavioristischen Forschung an.