Die Überlebenskunst des Universums heißt Diversität und die Mischung macht’s.
Die Elemente: Wasserstoff; Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff – Elemente des Lebens, zeigen die dahinterstehende Methodik. Für Vision Leitbild, Mission und den Unternehmer- und Unternehmens-Alltag sehen wir diese Überlebenskunst ähnlich.
Über Lebenskunst:Die Mischung macht’s in Corona-Zeiten.
Mit Prognosen, wie sich das soziale Leben in den kommenden Wochen und Monaten entwickelt, sollten wir aktuell eher vorsichtig sein. Zu vage sind die Aussichten, auf welche Zukunft wir gegenwärtig zusteuern. Eines ist jedoch einigermaßen gewiss: In keinem Jahresrückblick werden Bilder fehlen, in denen Menschen mit einigem Sicherheitsabstand zueinander Schlange stehen, um nach etwas Wartezeit Lebensmittelläden, Baumärkte oder Möbelhäuser betreten zu können. Ebenso sicher können wir sein, dass die Retroperspektiven Stadtbevölkerungen auf ihren Balkonen zeigen, wie sie gleichzeitig den zahllosen Personen applaudieren, die dafür sorgen, die öffentliche Infrastruktur am Laufen zu halten. Und vielleicht finden sich in der ein oder anderen Bilderstrecke die auf städtischen Plätzen aufgestellten Stühle, mit denen Restaurantbetreibende auf ihre prekäre Situation hinweisen. Die Bilder sind emblematisch für elementare räumliche Erfahrungen, die für viele bis dato unbekannt waren oder für sie in eine andere Zeit, zu einem anderen Land gehörten. Sie können Geschäfte nicht einfach so betreten. Sie können ihre Wohnungen nicht einfach so verlassen. Sie können die Orte, an denen sie Bekannte treffen, nicht einfach so aufsuchen.
Sicher, der November dieses Jahres hat gezeigt, dass räumliche Gewohnheiten schnell schwinden können.
Für die amerikanischen Soziologen Stanford M. Lyman und Marvin B. Scott waren Erfahrungen dieser Art, Erfahrungen des Zugangs, seiner Beschränkungen und seiner Kontrolle, ein zentraler Ausgangspunkt für ein Forschungsprogramm, das sie „eine Soziologie des Absurden“ nannten. „Die Welt ist von sich aus ohne Sinn“, schrieben sie zuspitzend – und fassten Ende der 1960er, Anfang der 1970er den tollkühnen Plan, all diejenigen Forschungsrichtungen unter einem Dach zu vereinigen, die darauf aus waren zu verstehen, wie Menschen den Dingen, die sie umgeben, und den Vorgängen, an denen sie mitwirken, überhaupt erst ihre Bedeutung verleihen.
Wie wir heute wissen, konnten sich die beiden nicht mit ihrem Vorschlag durchsetzen. Eine Soziologie des Absurden sucht man in soziologischen Lehrbüchern vergebens. Ihre Gedanken zur räumlichen Qualität menschlichen Zusammenlebens sind dagegen aktueller denn je. Das liegt an ihrem unkonventionellen Zugriff. Die beiden interessieren sich nicht einfach nur für Räume, in denen sich Menschen aufhalten, sondern für „Territorialität“. Diese begreifen sie als eine fundamentale menschliche Aktivität, bei der die Beteiligten mit- und gegeneinander daran arbeiten, Räumen überhaupt erst ihre Bedeutung zu geben und sie dadurch für sich zu nutzen. Territorialität heißt, Kontrolle über einen bestimmten Raum zu haben, wodurch dieser Raum letztlich erst seine konkrete Gestalt gewinnt. Lyman und Scott interessieren sich dabei nur am Rande für souveräne Staaten, mit denen das Thema Territorialität üblicherweise verknüpft ist. Sie sind vielmehr Soziologen des Alltags.
Unkonventionell ist dabei vordergründig die Grundannahme der beiden. Sie gehen davon aus, dass die ständig im gesellschaftlichen Alltag gestalteten Räume generell fragil sind, nicht von sich aus stabil. Folglich sind auch Verfügungsrechte über ein Gebiet nichts per se Gegebenes, sondern etwas immer wieder zu Verhandelndes. Wie steht es um den Abstand in der Warteschlange? Ab wie vielen Personen gewinnt oder verliert ein Balkon seine Aufenthaltsqualität? Zu welchen Zeiten dürfen Gäste ein Lokal betreten?
Fragil ist aktuell wohl primär diese Freiheitlichkeit, die öffentliche, private, situative und körperliche Territorien in gleichem Maße benötigt
Während öffentliche Territorien dadurch gekennzeichnet sind, dass sie zwar prinzipiell frei zugänglich sind, man aber nicht notwendigerweise frei darin ist, so zu handeln, wie man möchte, erlauben private Territorien den Anwesenden ein relativ hohes Maß an Handlungsfreiheit, das sich aus ihrer weitgehenden Kontrolle über dieses Gebiet ergibt. Man denke an die eigene Wohnung. Mit dem etwas sperrigen Begriff des Interaktionsterritoriums bezeichnen Lyman und Scott demgegenüber Gebiete, die nur von kurzer Dauer sind. Diese Areale sind daran gebunden, dass sich Leute versammeln und miteinander in Kontakt treten. Gehen sie wieder auseinander, zerfällt auch der situativ durch ihre Interaktion entstandene Raum. Körperliche Territorien schließlich sind ein vierter Typ. Es handelt sich dabei einerseits um den physischen Ort, den menschliche Körper durch ihre jeweilige Anwesenheit beanspruchen – Stichwort: Warteschlange -, andererseits diese Körper selbst.
Die Mischung macht’s:
Freiheitliche Gesellschaften sind in dieser Perspektive dadurch geprägt, dass alle skizzierten Formen sozialer Räume möglichst unversehrt funktionieren und sich wechselseitig stützen, nicht gefährden. Damit eng verbunden durchzieht Lymans und Scotts Überlegungen ein starker emanzipatorischer Impetus. Ihr besonderes Augenmerk liegt darauf, dass möglichst kein Gesellschaftsmitglied „territorial benachteiligt“ ist, wie sie insbesondere mit Blick auf Afroamerikaner, Frauen, Jugendliche und Häftlinge in den USA der Sechzigerjahre schreiben.
Fragil ist aktuell wohl primär diese Freiheitlichkeit, die öffentliche, private, situative und körperliche Territorien in gleichem Maße benötigt. In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Coronavirus verschieben sich die Gewichte. Körperliche Unversehrtheit gewinnt aus guten Gründen an Bedeutung, private Territorien dienen dabei als Schutzräume. Klar, als Überlebenskunst leuchtet das ein. Lebenskunst braucht dagegen auch die Pflege öffentlicher Räume und eine hohe situative Begegnungsqualität. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob uns eine gute Mischung gelingt. Ja: uns. Territorialität ist keine nur administrative oder eine schier rechtliche Frage, sondern eine alltägliche, die sich jeden Tag aufs Neue stellt – Quelle: Süddeutsche Zeitung.