Von Rebekka Reinhard und Thomas Vašek – ZEIT:
Viele halten Esoterik für irrational, Aberglauben, Mumpitz. Doch zugleich boomt der Markt: Unzählige suchen Rat bei Energie-Coaches, Reiki-Meistern und Wahrsagern. Es war ein ungewohnt polemischer Ton, den Immanuel Kant (1724–1804) da anschlug. Wer Geister sehe, der sei wohl ein „Kandidat fürs Hospital“. Einschlägige Visionen beruhten offenbar auf einem „hypochondrischen Wind in den Eingeweiden“, der bloß die falsche Richtung genommen hätte, nämlich aufwärts statt abwärts. Die Zielscheibe von Kants Spott war ein gewisser Emanuel Swedenborg (1688–1772), ein schwedischer Wissenschaftler und Theosoph, einer der berühmtesten Esoteriker seiner Zeit.
Für das „Wunderbare“ hatte der nüchterne Kant nie viel übrig. Weder habe er je an Geister geglaubt noch sich auf Friedhöfen gefürchtet, schrieb er einmal in einem Brief; stets sei er der gesunden Vernunft gefolgt. Und doch beeindruckten auch ihn Swedenborgs Berichte aus einer anderen, höheren Welt. Schließlich hatte dieser Mann, der von sich behauptete, persönlichen Umgang mit Geistern und Engeln zu pflegen, ein erstaunliches Wissen.
So konnte Swedenborg angeblich in allen Einzelheiten von einem Brand in Stockholm berichten, obwohl er sich selbst zu dieser Zeit viele Kilometer entfernt aufhielt. Auch in seiner Schrift Träume eines Geistersehers (1766) konnte Kant Swedenborgs Visionen nicht widerlegen, das schien ihm aber auch gar nicht notwendig. Vermutlich leide Swedenborg einfach an einer „täuschenden Einbildung“, also an Wahnvorstellungen. Eine wissenschaftliche Kenntnis der anderen Welt sei nicht nur unmöglich, weil sie die Grenzen der Vernunft überstiege, sondern auch schlicht entbehrlich. Die Vernunft solle sich lieber mit dem Diesseits beschäftigen, statt einem ominösen Schattenreich nachzujagen. Und jene „Halbbürger der andern Welt“, die sich wie Swedenborg in höheren Sphären heimisch fühlten, gehörten eben besser ins Irrenhaus.
Das griechische Wort esoterikos bedeutet eigentlich „nach innen gerichtet, der Öffentlichkeit nicht zugänglich“, im Gegensatz zu exoterikos (auswärtig, für Laien verständlich). Esoterik – von griechisch esoteros für „weiter innen (gelegen)“. Heute gibt es weder im wissenschaftlichen noch im populären Sprachgebrauch eine allgemein anerkannte Definition von Esoterik beziehungsweise esoterisch. In der Wissenschaft haben sich zwei grundlegend verschiedene Verwendungen dieser Bezeichnungen etabliert:
Die Religionswissenschaft beschreibt und klassifiziert verschiedene Formen religiöser Aktivität, die sie als Esoterik zusammenfasst. Die Geschichtswissenschaft befasst sich hingegen mit bestimmten Strömungen der westlichen Kultur, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen und historisch miteinander verbunden sind. Im populären Sprachgebrauch versteht man unter Esoterik vielfach „Geheimlehren“. Ebenfalls sehr gebräuchlich ist der Bezug auf „höhere“ Erkenntnis und auf Wege, welche zu dieser führen sollen. Des Weiteren wird das Adjektiv „esoterisch“ häufig abwertend im Sinne von „unverständlich“ oder „versponnen“ verwendet. Dies bildet ab, dass „esoterisches Wissen“ nur von einem ausgewählten inneren Kreis verstanden wird, während das „exoterische Wissen“ allgemein zugänglich, also „von außen“ zugänglich ist.
Das altgriechische Adjektiv esoterikos ist erstmals im 2. Jahrhundert bezeugt: bei Galen, der bestimmte stoische Lehren so bezeichnete, und in einer Satire des Lukian von Samosata, wo sich „esoterisch“ und „exoterisch“ auf zwei Aspekte der Lehren des Aristoteles beziehen (von innen oder von außen betrachtet). Weit älter ist der Gegenbegriff „exoterisch“: Schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) nennt seine propädeutischen, für Fachfremde und Anfänger geeigneten Kurse „exoterisch“ (nach außen hin gerichtet) und grenzt sie so vom streng wissenschaftlichen philosophischen Unterricht ab. Erst Cicero (106–43 v. Chr.) bezieht den Begriff „exoterisch“ auf eine bestimmte Gattung von Schriften des Aristoteles und der Peripatetiker, nämlich die „volkstümlich geschriebenen“, für die Öffentlichkeit bestimmten Werke (literarische Dialoge) im Gegensatz zu den nur für internen Gebrauch in der Schule geeigneten Fachschriften; die letzteren nennt er aber nicht „esoterisch“. Im Sinne dieser von Cicero getroffenen, nicht auf Aristoteles selbst zurückgehenden Einteilung des Schrifttums werden noch heute in der Altertumswissenschaft die „exoterischen“ von den „esoterischen“ Schriften des Aristoteles unterschieden. Die „esoterischen“ Schriften enthalten keine Geheimlehren, sondern nur Darlegungen, deren Verständnis philosophische Vorbildung voraussetzt. Schon Aristoteles’ Lehrer Platon war überzeugt, ein Teil seiner Lehren sei nicht zur Veröffentlichung geeignet (ungeschriebene Lehre). Daher ist in der modernen Forschungsliteratur von Platons „Esoterik“ oder „esoterischer Philosophie“ die Rede, womit die ungeschriebene Lehre gemeint ist.
Im Sinne von „geheim“ benutzte den Begriff esoterikos erstmals der Kirchenvater Clemens von Alexandria. In einem ähnlichen Sinn unterschieden Hippolyt von Rom und Iamblichos von Chalkis zwischen exoterischen und esoterischen Schülern des Pythagoras, wobei letztere einen inneren Kreis bildeten und bestimmte Lehren exklusiv empfingen. Ins Lateinische wurde das griechische Wort erst in der Spätantike übernommen; der einzige antike Beleg für das lateinische Adjektiv esotericus ist eine Stelle in einem Brief des Kirchenvaters Augustinus, der an Ciceros Angaben anknüpfend mit Bezug auf Aristoteles von „esoterischer Philosophie“ schrieb – weiterlesen im Wikipedia.