Exoterik (von ἐξωτερικός „äußerlich“, „ausländisch“) bezeichnet die nach außen gewandten oder von außen zugänglichen Aspekte einer Philosophie oder Religion, im Gegensatz zu nur einem inneren Kreis zugänglichen esoterischen Aspekten. Ursprünglich bezeichnete der Begriff populäre, sich an die Allgemeinheit richtende philosophische Schriften, insbesondere die in Dialogform verfassten Schriften des Aristoteles (ἐξωτερικά). Die Unterscheidung erscheint erstmals bei Cicero, der bei der Beschreibung der Schriften der Peripatetiker kritisiert, dass sie über ein und dasselbe Thema (nämlich hier das Wesen des Guten an sich) Verschiedenes zu sagen haben, je nachdem, ob man die exoterischen Schriften zurate zieht (die laut ihm von den Peripatetikern selbst so genannt werden; es handelt sich also zumindest indirekt um eine authentische Bezeichnung) oder sich an die „verfeinerten“ („limatius“) Abhandlungen wendet, die nur in Kommentaren enthalten sind.

Diese Klassifizierung wurde dann in der Satire Die Versteigerung der philosophischen Orden von Lukian von Samosata übernommen. Als ein Peripatetiker zur Versteigerung kommt, heißt es da:

Merkur: Er ist ein Mann von geregelten Wesen, billigdenkend, weiß sich in’s Leben zu schicken, und, was das Außerordentlichste, er ist doppelt.
Käufer: Wie so?
Merkur: Ein Anderer erscheint er von außen, ein Anderer ist er von innen. Wenn du ihn also kaufen willst, so vergiß nicht, daß dieser der esoterische, jener der exoterische heißt.

Aristoteles selbst gebraucht den Begriff zur Bezeichnung von oberflächlichen Formen des Diskurses, wobei der Gegensatz nicht die esoterische, sondern die philosophische, die genaue und in die Tiefe gehende Behandlung eines Themas ist. Im 20. Jahrhundert wurde die esoterisch-exoterische Unterscheidung insbesondere von dem deutsch-amerikanischen Philosophen Leo Strauss für die philosophiegeschichtliche Forschung wieder prominent gemacht.

In der Religionswissenschaft und Theologie bezeichnet Exoterik die Aspekte einer Religion, die offen zugänglich sind, also auch in öffentlichen Büchern zu lesen sind. Demgegenüber stehen die esoterischen religiösen Lehren und Praktiken, die – meist über geheime Einweihungen oder mündliche Überlieferungen – nur einem begrenzten Teilnehmerkreis bekannt sind. In nahezu jeder Religion bzw. religiösen Strömung gibt es nicht nur einen exoterischen, sondern auch einen esoterischen Teil wie im Judentum die Kabbala und im Islam den Sufismus.

Weil nicht nur Anhänger des Aristoteles, sondern der bedeutende Platon-Schüler selbst im Dienst der Veranschaulichung oder weitläufigeren Erklärung des von ihm jeweils aktuell behandelten Themas auf exoterische Schriften – vermutlich eigene – verweist.16 So etwa in der Nikomachischen Ethik (1102a), der Metaphysik (1076a) und der Politik (1323a). Das heißt, Aristoteles verstand diese drei Werke offenbar, im Gegensatz zu denjenigen, auf die er als exoterische verweist, als Esoterika, als esoterische Schriften. Sieht man sich die Passagen näher an, in denen er die Hinweise auf exoterische Schriften gibt, dann wird deutlich, woran Aristoteles die funktionale Differenz zwischen beiden festmacht. Das in den exoterischen Schriften Verhandelte beurteilt er als etwas, das leicht „jedermanns Zustimmung findet“. Das philosophisch gründlich Durchdachte erschließen die exoterischen Schriften dagegen nicht. Dieses ist der esoterischen Erörterung der Themen, etwa in den oben genannten Lehrschriften des Philosophen, vorbehalten.

Neben der funktionalen Differenz zwischen ‚für Jedermann zustimmungsfähig‘ und ‚den Lehrschriften vorbehalten‘ spielt eine zweite, wertfunktionale Differenz in der aristotelischen Esoterik-Exoterik-Unterscheidung eine Rolle. Das Esoterische als die fachwissenschaftliche, philosophisch gründlich durchdachte Lehre ist bei Aristoteles positiv konnotiert. Die aristotelische Wertschätzung des Esoterischen gegenüber dem Exoterischen gilt, wie sich der philosophischen Forschung entnehmen lässt, ebenso für Platon oder die Pythagoreische Schule und andere mehr. Wenn etwa der Neuplatoniker Jamblichos von Chalkis im 3. Jahrhundert die Mitglieder der Pythagoreischen Schule „‚Esoteriker‘ nennt, dann ist das – von Philosoph zu Philosoph – positiv gemeint“. Und für Platon gilt, dass der bei Aristoteles erhobene „Befund […] auffallend ähnlich“ ist. „Auch Platon [produzierte] unterschiedlich geartete Texte für zwei Arten von Rezipienten.“ Aus welchen Gründen und mit welcher wertenden Abstufung, das werden wir noch hören.

Was besagt dieser erste Befund für die gegenwärtig geführte Esoterik-Diskussion? Er besagt:

Die inhaltliche, methodologische oder diskurstheoretische Auseinandersetzung mit ‚der Esoterik‘ beruht in ihrem philosophiegeschichtlichen Ursprung auf der konstitutiven und funktionalen Komplementarität von Esoterik und Exoterik. Das heißt, eine reflektierte Verwendung des Begriffes ‚Esoterik‘ impliziert das, wovon er sich, nach welchen Kriterien auch immer, als dem Exoterischen unterscheidet und das, als solches, ein komplementär stets Mit-zu-Denkendes ist.
Die europäische Geistes- und Weltanschauungsgeschichte hat mit dem Topos einer philosophischen Esoterik einen Typus des Esoterischen entwickelt, der im gegenwärtig religionsgeschichtlich dominierten Schema der Esoterik als ‚verdrängte Wissensform‘ keine Berücksichtigung findet. Gleichwohl aber verweist er auf ein wesentliches, nämlich positiv konnotiertes Verständnis des Esoterischen. Hierzu ein kurzer Blick in die Philosophie- und Ideengeschichte.

Der an Platon und Aristoteles festgemachte, positiv konnotierte Esoteriktypus, der strukturfunktional, das heißt bei diesen Denkern didaktisch-methodologisch differenzierend, gleichwohl dialektisch, zwischen einem exoterischen Wissensgebrauch für Jedermann und dem begründeten esoterischen Wissen unterscheidet, beschränkt sich nicht allein auf die griechische Antike. Er zeigt seinen prägenden Einfluss zum Beispiel auch in der Epoche der klassischen deutschen Philosophie des Idealismus, wenn etwa Hegel feststellt: „Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches.“24 Als positiv konnotierter Typus des Esoterischen setzt er sich, sozusagen subkutan, auch populär bis in die Gegenwart in der Unterscheidung zwischen Expertenwissen (Expertise) und dem laienhaften Verständnis wissenschaftlicher Sachverhalte fort.

Ein vergleichbarer Bedeutungswandel von positiver zu kritischer Konnotation gilt nach den Analysen von Jens Lemanski auch für den Mystikbegriff, bzw. für die Transformation des Adjektivs ‚mystisch‘. Als Adjektiv hatte ‚mystisch‘, so Lemanski, im Ausgang von Clemens von Alexandria (ca. 150–215 n. Chr.) zunächst eine positive Konnotation. Es stand „für eine tiefgreifende hermeneutische Auslegungsart […] dunkler oder wörtlich verschlossener Stellen [biblischer Texte]“. Als in dieser Weise bestimmte „mystische Theologie“ bezeichnet sie, ganz im analogen Sinne der antiken Philosophie, „eine positive Theologie, […] weil sie das Wort Gottes gut kennt, es kommentiert und auslegt“. Dagegen, so Lemanski, veränderte die explizit als Spätwerk des Dionysius Areopagita (um 500 n. Chr.) betitelte Mystische Theologie die positiv konnotierte „exegetisch-dechiffrierende Mystik“ in die Bedeutung von ‚mystisch‘ im Sinne einer Theologie, „die nicht über Gott sprechen, aber zu ihm hinführen kann. […] Die mystische Theologie des Dionysius steht also im Gegensatz zur Theologie des Clemens im Verdacht, eine nur negative Theologie […] zu sein“.

Ob, und wenn ja, in welchem Sinne und durch wen, eine vergleichbare Transformation innerhalb der Ideengeschichte der Philosophie angestoßen wurde, wäre näher zu untersuchen. Darauf, dass ein Bedeutungswandel der Wertschätzung des Esoterischen und Exoterischen auch in der Geschichte der Philosophie stattgefunden hat, verweist die spätere wechselseitige Polemik gegen die ‚Hirngespinste‘ der scholastisch-spekulativen Philosophie einerseits und gegen die als ‚irrationale Schwärmerei‘ abgewertete Mystik andererseits.

In diesem Sinne gilt es die umgekehrte Wertschätzungsdialektik zwischen esoterischem und exoterischem Wissen, wie sie bei Platon und Aristoteles, ebenso bei Hegel und Steiner vorliegt, festzuhalten, die der gängigen Zuordnung von ‚verdrängter‘, negativ konnotierter Esoterik gegenüber positiv bewertetem exoterischen Mainstream widerspricht. Wenn Hanegraaff seine Untersuchung zur Geschichte der Esoterik mit dem Titel Esotericism and the Academy als einen disjunktiven Antagonismus zwischen esoterischem und akademischem Wissen anlegt, dann zeigt sich am Esoterikverständnis von Pythagoras, Aristoteles und Platon, dass deren Wissensbegriff das Verhältnis von Akademie und Esoterik als funktional integrales und nicht als gegensätzliches, und schon gar nicht als exklusives bestimmt. Über die Unterscheidung zwischen einer Lehre ‚für Wenige‘ und einer Lehre ‚für Jedermann‘ hinausverweist der hellenistisch-philosophische Esoterik-Exoterik-Typus auf die Entwicklung einer keineswegs dominant polemischen oder gegenabhängigen Diskurskultur innerhalb der Philosophie- und Kulturgeschichte.

Eine der bedeutendsten Niederschläge des philosophischen Modells der komplementären Dualität von Esoterik und Exoterik findet sich in der Aufklärungsdebatte über die Grenzen und Möglichkeiten einer ‚wissenschaftlichen und populären Philosophie‘ im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Diese Diskussion ist zugleich ein systematisch geführter Streit, in dem es kontrovers um das Spannungsverhältnis zwischen Esoterik und Exoterik, insbesondere methodologisch um die Frage nach der Funktionalität und den Spezifika populärer und wissenschaftlicher Philosophie ging. An dieser bedeutenden Debatte der Aufklärung hat sich eine Vielzahl namhafter und weniger namhafter Geister lebhaft beteiligt. Neben Hegel, auf den schon verwiesen wurde, sind es Kant, Fichte, Schelling, Schiller, Mendelssohn, Ernesti, Nicolai, Grave – die Kette und die in der Diskussion vertretenen Positionen füllen Bände.

Mit der Unterscheidung zwischen esoterischer und exoterischer – respektive wissenschaftlicher (spekulativer) und populärer – Lehre sind schon bei Platon und Aristoteles, später dann auch in der Aufklärung, spezifizierende und vorwiegend methodologische Fragen nach Bedeutung, Grenzen und Merkmalen einer esoterischen oder exoterischen, einer spekulativen oder populären Lehre verbunden. Die Vertiefung dieser Fragedimension führt auf eine doppelte Dialektik, deren Struktur die Möglichkeit bietet, die religionshistorisch bzw. religionssoziologisch zentrierte Esoterikforschung in Richtung auf eine systematische Esoterologie zu erweitern, wodurch sich Problemaspekte esoterischen Denkens eröffnen, die ohne diese Sichtweise verschlossen bleiben – Quelle.