Aristoteles‘ Physik – Über Zufall und Fügung.
In seinen Ausführungen zur Physik behandelt Aristoteles unter anderem den Zufall und die Fügung. Zwei Begriffe, die es zu definieren und zu unterscheiden gilt. Mit seinen Untersuchungen will Aristoteles verdeutlichen, welche Ursachen diese Ereignisse aufweisen und wie sie zu verstehen sind. Es gilt zu erläutern, was sich fügt und was als Zufall zu bezeichnen ist. In welchem Verhältnis beides zueinander steht, hat der Autor durchdacht dargebracht und in der Philosophie des Aristoteles finden sich Sichtweisen, die man so vielleicht noch gar nicht wahrgenommen hat. Diese Arbeit wird sich mit den Argumenten und Theorien zum Zufall und zur Fügung bei Aristoteles befassen, wobei natürlich auch eigene Denkansätze mit einfließen werden. Es soll aufgezeigt werden wie Aristoteles Fügung und Zufall darlegt, wie er sie versteht und welchen Unterschied es zwischen ihnen zu sehen gibt. Allerdings werden auch einige Punkte in seinen Ausführungen kritisch betrachtet, weil schließlich nicht alles immer vollste Zustimmung finden kann, da jeder Mensch die Welt sowie diverse Geschehen anders betrachtet.
2. Fügung und Zufall.
„Es werden aber auch die (undurchschaubare Schicksalsfügung und der Zufall zu den Ursachen gezählt, und von vielem sagt man, es sei oder ergebe sich »aus Schicksal« oder »aus Zufall«.“ So beginnt das vierte Kapitel des zweiten Buches, in dem Aristoteles die Exposition des Problems anführt. Es gilt zu unterscheiden, was nun Zufall ist und was aus Fügung oder Schicksal geschieht, ob Zufall und Schicksal gar dasselbe sind und was Schicksalsfügung und Zufall eigentlich ist.
197a: „Es ist mithin klar, daß die Fügung eine Ursache im nebensächlichen Sinn ist, im Bereich der Ereignisse wegen etwas (und hier besonders) unter denen, die nach einem Vorsatz erfolgen.“ Es fügen sich also jene Ereignisse, die nicht vorsätzlich herbeigeführt werden, sondern, die sich ergeben. Wie das Beispiel mit dem Gang zum Marktplatz. Jemand ist auf den Markt gegangen und trifft dort jemanden, den er nicht erwartet hatte. Das Treffen der anderen Person war nicht die primäre Absicht bei dem Vorsatz zum Markt zu gehen, aber es hat sich eben zufällig ergeben.
Es fügt sich etwas aus einer anderen Handlung heraus. Der Gang zum Marktplatz war beabsichtigt und die Ursache für das Treffen des Anderen, aber da das Treffen an sich nicht angedacht war, kann man hier von Fügung sprechen. Mit der Absicht irgendwo hinzugehen, hat es sich dann so gefügt, dass aus diesem Tun eine glückliche, wenn auch nicht vorausgesehene Situation ergeben hat. Im Kommentar heißt es, dass sich die Übersetzung Fügung in diesem Fall dem aristotelischen Gedanken viel gerechter wird, als die Übersetzung Glück, denn „es fügt sich, daß einer etwas erreicht, was er (sich wohl wünschte, aber eben) mit der momentanen Handlung oder dem momentanen Verhalten nicht bezweckte. Die Fügung verleiht der Handlung (dem Verhalten) einen zusätzlichen, mit dem Zweck der Handlung nicht gegebenen Erfolg.“
Die Fügung ist also hier auch eine Ursache im nebensächlichen Sinn, denn der hauptsächliche Sinn besteht ja in dem Gang zum Marktplatz und erst daraus kommt es dann zum Treffen der anderen Person, was aber nicht im Vordergrund stand. Es wird also erklärt, dass die Fügung an sich nichts ist, was man bewusst herbeigeführt hat, sondern was sich aus einer bewusst herbei geführten Ursache heraus bildet. Wäre dieser jemand jetzt mit dem Vorsatz auf den Markt gegangen, jemand anderes dort anzutreffen und hätte ihn gar getroffen, dann spräche man hier nicht mehr von Fügung, da die Absicht des Treffens bereits gegeben gewesen wäre. Dann spräche man höchstens von Zufall, dass man denjenigen, den man zu treffen gedachte, auch zur selben Zeit am selben Ort angetroffen hätte. Denn diese Situation hätte sich nicht mehr fügen können, da man mit seiner Absicht, dass sich etwas ergibt, die Möglichkeit der Fügung bereits ausgeschlossen hat. Es fügt sich also nur das, bei dem man selbst nicht die Absicht hat, daß es sich fügt, sondern, dass man eine anderes Ziel verfolgt, aus dem sich dann etwas Gewünschtes, aber nicht Beabsichtigtes ergeben kann, also die Fügung entsteht. Die Ursache der Fügung liegt in einer Absicht, die sich nicht auf das Gefügte bezieht, aber es entsteht aus dieser heraus.
Wenn nun aber jemand den Vorsatz hat etwas zu tun, woraufhin ein etwas eintritt, was man aber vorher nicht wusste, dann spricht Aristoteles von Zufall.
Beispiel: „Wegen der Rückerstattung des Geldes wäre wohl einer (zum Markt) hingegangen, zur Zeit, als der Schuldner selbst gerade seine Ausstände einzog, – wenn er dies gewusst hätte! Inzwischen aber ging er nicht deswegen hin, sondern es ergab sich für ihn eben so, gleichzeitig zu gehen und dies wegen des Geldeinzugs zu tun.[…]“ (196b, 197a). Hier sagt Aristoteles, dass man in diesem Falle sagt, er sei zufällig hingegangen. Wobei zufällig zum Markt gegangen ist er eigentlich nicht, denn das zum Markt gehen, um die Schulden einzuziehen war ja schon beabsichtigt. Nur, dass er eben den Schuldner auf dem Markt trifft, also, dass dieser zeitgleich anwesend ist, das ist dann Zufall.
2.1 Über den Unterschied von Zufall und Fügung.
„Ihr Unterschied liegt darin, daß» Zufall « sich über einen weiteren Bereich erstreckt. Ereignisse aufgrund von Fügung sind alle auch zufällig; (umgekehrt) diese sind nicht alle aufgrund von Fügung.“ (196b). Im Unterschied zur Fügung ist der Zufall präsenter, weil er auch im Bereich der Fügung eine Rolle spielt. Aristoteles sagt, dass alles, was aus Fügung geschieht auch zufällig ist. Warum genau, daß der Fall ist, wird nicht explizit ausgeführt. Beide sind Ursachen in nebensächlicher Bedeutung, und sie treten wegen etwas ein (197a), wobei der Zufall aber auch immer dort eintritt, wo die Fügung ist. Im Unterschied dazu erstreckt sich Fügung auf nicht solch einem weiten Feld, schon allein deswegen, weil sie für Unbelebtes, Tiere und kleine Kinder nicht in Betracht kommt. Aristoteles sagt, dass diese nicht in der Lage sind etwas aus Fügung zu tun, weil sie alle keinen freien Willen zur Entscheidung haben. „Alles, was nicht handeln kann, kann auch nicht etwas aus Fügung tun.“ (197b).
Deshalb ist das Pferd, dass hinausrennt, und damit seinem Unglück entgeht, auch nur zufällig herausgekommen. Und es wird auch nur gesagt, dass es Zufall war, wenn das Pferd einfach des Herauskommens wegen herauskommt und nicht, weil es einem Unglück entgehen wollte. Wenn das Pferd aber davon liefe, mit der Absicht einem Unglück, beispielsweise einem Feuer zu entgehen, dann könnte man sagen, dass Pferde einen Instinkt haben, der sie dazu bewegt sich vor einem Brand oder Ähnlichem in Sicherheit zu bringen¹. Von Fügung kann hier ja laut Aristoteles nicht gesprochen werden, da Pferde zu den Tieren gehören, daher keinen freien Willen zur Entscheidung besitzen und es für sie höchstens möglich ist zufällig oder instinktiv zu handeln. Zufälle geschehen wie Fügung außerhalb der Regel (vgl. 197a), das heißt, es wird nur dann von Zufall gesprochen, wenn das Pferd nicht aus Instinkt, der ja eine Regelmäßigkeit aufweisen würde, gehandelt hat und sich einfach so vor Unglück gerettet hat. Zufall kann also im Gegensatz zur Fügung auch auf Tiere, kleine Kinder oder Unbelebtes zutreffen, weil der Fügung, ein freier Entschluss vorausgeht, der bei diesen dreien nicht gegeben sein kann.
2.2 Über Zufalls- und Naturereignis.
Am deutlichsten erkennt man den Unterschied zwischen Zufall und Fügung im Bereich der Naturereignisse. Tritt ein Ereignis ein, dass der Natur zuwider ist, dann sagt man es sei zufällig und nicht, es sei aus Fügung passiert (197b). Ist es der Natur zuwider, so geschieht es außerhalb der Regel, was ja für den Zufall charakteristisch ist, wenn sich etwas entgegen der Norm ereignet. Doch auch hier sagt Aristoteles, dass es noch einen weiteren Unterschied gibt, und zwar den zwischen dem Zufallsereignis und dem Naturereignis. Das Zufallsereignis hat seine Ursache nämlich außerhalb sich selbst, während das Naturereignis seine Ursache in sich hat. Also, wenn ein Apfelbaum eben so wächst, wie das Apfelbäume für gewöhnlich tun, dann hätte man hier eine natürliche Entwicklung des Baumes, wie es in der Regel der Fall ist. Damit hat das Naturereignis, das Wachsen des Apfelbaumes, seine Ursache in sich selbst, nämlich in der Natur. Geht der Baum aus irgendeinem Grund jedoch ein, im Gegensatz zu den anderen, so wäre von Zufall zu sprechen, da dies außerhalb der Regel passiert. Die Ursache des Eingehens des Baumes, liegt aber nicht in seinem Verderben, ergo, liegt sie nicht in sich selbst, sondern sie liegt außerhalb, sei es auf Grund eines schlechten Samens, Schädlingen oder Ähnlichem und da die allermeisten Bäume wachsen und gedeihen und nicht sterben, wäre das Ereignis also entgegen die Norm eingetreten. Wird dieser Ausnahmefall aber nicht als der Natur zu wider gewertet, da so etwas zwar nicht die Regel ist aber häufiger vorkommt als andere naturwidrige Ereignisse, könnte man auch auf Mutationen oder Fehlbildungen eingehen. Was Aristoteles nun genau als Zufallsereignis und was als Naturereignis klassifiziert, wird leider nicht explizit ausgeführt.
Aber es ist auch klar, dass die Nebenbei-Ursache nicht dem eigentlichen vorgeordnet sein kann, denn Zufall und Schicksalsfügung seien der Vernunft und der Natur nachgeordnet (198a). Ich verstehe die Ausführungen des Aristoteles hier so, dass er sagt, dass man erst die Vernunft und die Natur braucht, bevor sich Zufall oder Schicksalsfügung ergeben können. Vernünftige und Ereignisse in der Natur sind Regelmäßigkeiten, wohingegen Zufall und Fügung ja außerhalb dieser geschehen. Aber, damit sich überhaupt Raum für ungewöhnliche Geschehnisse bietet, braucht es zunächst die gewöhnlichen, um Zufall und Fügung überhaupt als solche werten zu können.
2.3 Kritische Betrachtung zu Aristoteles‘ Ausführungen zu jenem, was nicht in der Lage ist etwas aus Fügung zu tun.
„Alles, was nicht handeln kann, kann auch nicht etwas aus Fügung tun. Deswegen tut nichts Unbelebtes, kein Tier und auch kein kleines Kind etwas aus Fügung, weil sie alle freien Willen zur Entscheidung nämlich nicht haben; auch »Glückhaben« oder »Pechhaben« trifft auf sie nicht zu […].“
Warum hat ein kleines Kind nicht den freien Willen der Entscheidung?
Angenommen, ein Kind weigert sich eine Banane zu essen, weil es allein den Geruch schon nicht ausstehen kann. Was niemand weiß, das Kind ist allergisch gegen diese Frucht und würde sich vergiften, wenn es diese isst. Ist es dann keine Fügung, dass das Kind etwas, was für es schädlich ist ablehnt, dies aber nicht tut, weil es weiß, dass es sich vergiften würde, sondern aus dem Motiv heraus, dass es die Banane einfach nicht leiden kann?