Das Gehirn ein Beziehungsorgan mit drei Hirnlappen!
100 Billionen Synapsen.
Das Gehirn besteht größenordnungsmäßig aus 100 Milliarden bis einer Billion Nervenzellen. Aber die Information steckt ja nicht in den einzelnen Zellen, sondern in den Synapsen, d.h. in den Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Man sagt, dass jede einzelne Gehirnzelle im Schnitt 1.000 bis 10.000 Verbindungen zu anderen Nervenzellen hat. So kommt man auf mindestens 100 Billionen Synapsen. Anders als bei Computerschaltkreisen gilt hier nicht das Prinzip: Strom fließt oder fließt nicht bzw. Nervenzelle feuert oder feuert nicht. Vielmehr ist hier die Aktivität abgestuft; die Nervenzellen können in verschiedenen Intensitäten feuern. Man kann das also nicht so einfach in „Nullen“ und „Einsen“ umrechnen.
Filtern, verarbeiten, speichern.
Das nächste Problem ist, dass nicht jede Aktivität im Gehirn bedeutet, das Information gespeichert wird – ein Großteil der Aktivität dient ja einfach nur dazu, Reize zu filtern, zu verarbeiten. Technisch gesprochen kann man sagen: Anders als beim Computer ist beim Gehirn nicht so klar, wie viel Leistung in den „Prozessor“ geht – also in die Verarbeitung von Information – und wie viel wirklich in die Informationsspeicherung. Schließlich verarbeiten wir eine Menge Information, die wir gleich wieder vergessen, die also nicht mal ins Kurzzeitgedächtnis geht.
Wie viele Gigabyte hat unser Gehirn?
Hirnforschung hat noch viele offene Fragen.
Ganz abgesehen davon können die Hirnforscher immer noch nicht sagen, wie das Gedächtnis genau arbeitet, was genau im Gehirn passiert, wenn ich ein Gesicht erkenne oder mir wieder einfällt, wie die Hauptstadt von Botswana heißt. Werden da einfach eine bestimmte Menge an Synapsen aktiv oder liegen Gedächtnisinhalte auch in Form chemischer Verbindungen vor? Und auf wie viel Informationen greife ich wirklich zurück, wenn mir die Antwort auf eine Frage einfällt?
Das Gehirn verarbeitet Informationen deutlich anders als ein Computer.
Erster Unterschied: Computer und Festplatten werden von Menschen gebaut, die einen Plan haben und wissen, wie viele Schaltkreise sie verbauen und entsprechend, wie viel Speicherkapazität das Gerät am Ende hat. Gehirne dagegen werden nicht gebaut, sondern sie wachsen organisch.
Zweiter Unterschied: Die Computer funktionieren streng digital und die Elementarbausteine arbeiten binär, d.h. nach dem Prinzip 0 oder 1: Strom fließt oder Strom fließt nicht. Beim Gehirn ist das viel komplizierter. Das alles ist noch so wenig erforscht, dass es vermessen wäre, dem Gehirn eine bestimmte Speicherkapazität zuzuschreiben. Da nicht jede Aktivität im Gehirn bedeutet, das Information gespeichert werden – ein Großteil der Aktivität dient einfach nur dazu, Reize zu filtern, zu verarbeiten.
Technisch gesprochen könnte man sagen: Anders als beim Computer ist beim Gehirn nicht so klar, wie viel Leistung in den „Prozessor“ geht – also in die Verarbeitung von Information – und wie viel wirklich in die Informationsspeicherung. Schließlich verarbeiten wir eine Menge Information, die wir gleich wieder vergessen, die also nicht mal ins Kurzzeitgedächtnis geht – mehr erfahren.
Das Gehirn – ein Beziehungsorgan – Thomas Fuchs.
Einleitung:
Das neurowissenschaftliche Projekt der „Naturalisierung des Geistes“ ist verbunden mit dem Versuch, menschliches Bewusstsein, Subjektivität und Handeln auf neuronale Prozesse zu reduzieren. Im gegenwärtig dominieren-den Paradigma erscheint das Gehirn als Produzent der erlebten Welt ebenso wie als Konstrukteur des erlebenden und handelnden Subjekts. Populäre Schlagworte wie „Kosmos im Kopf“, „Ich als Konstrukt“ oder „Freiheit als Illusion“ zeichnen das Bild eines biologischen Apparates, der in seinen Windungen und Netzwerken eine monadische Welt und ein in Täuschungen befangenes Subjekt konstruiert. Zugleich belehrt uns eine Flut von populär-wissenschaftlichen Artikeln über die neuronalen oder hormonellen Ursachen unseres Erlebens und Verhaltens, über die Neurobiologie der Sprache, der Liebe, der Trauer, des Glücks oder der Religion. Seele und Geist scheinen sich mit bildgebenden Techniken im Gehirn lokalisieren, ja materialisieren zu lassen. Dies führt in der Psychiatrie häufig zu dem Glauben, in abweichenden Hirnaktivitäten die Ursache eines psychischen Leidens oder dieses Leiden selbst lokalisiert zu haben.
Ich möchte solchen Auffassungen mit drei einfachen Thesen widersprechen: Die Welt ist nicht im Kopf. Das Subjekt ist nicht im Gehirn. Im Gehirn gibt es keine Gedanken.
Diese Aussagen werden vielfach auf Skepsis treffen. Ist denn nicht längst erwiesen, dass alles, war wir erleben, und alles was uns als Subjekte, ja als Personen ausmacht, in den Strukturen und Funktionen des Gehirns besteht? Werden die Welt, das Subjekt, das Ich nicht vom Gehirn hervorgebracht? Ja, ist das Ich nicht das Gehirn? Gerhard Roth jedenfalls meint:
„Unser Ich, das wir als das unmittelbarste und konkreteste, nämlich als uns selbst, empfinden, ist – wenn man es etwas poetisch ausdrücken will – eine Fiktion, ein Traum des Gehirns, von dem wir, die Fiktion, der Traum nichts wissen können“ (Roth 1994, S. 253).
Und Manfred Spitzer drückt es gerne noch etwas pointierter aus:
„Sie haben Ihr Gehirn nicht, Sie sind Ihr Gehirn.“1
Stimmt das? – Nun, was mich selbst betrifft, so habe ich mein Gehirn zwar noch nicht persönlich kennengelernt, aber jedenfalls ist es nicht 1,82 Meter groß, es ist kein Deutscher und kein Psychiater; es ist auch nicht verheiratet und hat keine Kinder. Das stellt meine Bereitschaft zur Identifikation mit diesem Organ schon auf eine harte Probe. Aber es wird noch bedenklicher: Mein Gehirn sieht, hört und weiß auch nichts, es kann nicht lesen, nicht schreiben, tanzen oder Klavier spielen. Eigentlich kann es überhaupt nur wenig – es moduliert komplexe physiologische Prozesse. Bei Licht besehen, bin ich doch ziemlich froh, nicht mein Gehirn zu sein, sondern es nur zu haben.
Aber beruht diese Redeweise nicht auf einer irrtümlichen Redeweise? Wir sehen ja nun einmal keine Gehirne, sondern nur die Körper, die sie beherbergen, und daher, so könnte man denken, ist es kein Wunder, dass wir personale Eigenschaften eben gewohnheitsmäßig dem ganzen Menschen zuschreiben statt des Organs, das sie eigentlich hat. Liest man neurowissenschaftliche Literatur, kann man zu der Überzeugung gelangen, dass das Gehirn tatsächlich rechnet, denkt, fühlt, erkennt und entscheidet. Doch was wäre dann von einem Satz zu halten wie diesem:
„Peters Gehirn überlegte angestrengt, was es nun tun sollte. Als es keine überzeugende Lösung fand, entschied es sich, erst einmal abzuwarten.“
Wären Denken, Fühlen, Entscheiden und Handeln tatsächlich Tätigkeiten des Gehirns, dann wäre dies kein lächerlicher, sondern ein durchaus sinnvoller Satz. Aber wir schreiben solche Tätigkeiten Peter und nicht seinem Gehirn zu, weil sie eben nicht „Kognitionen“ oder „mentale Zustände“ sind, in denen Peter ist, sondern Lebensvollzüge, die sich nur von Peter als einem Wesen aus Fleisch und Blut und nur im Zusammenhang mit seiner Lebenssituation aussagen lassen – M. Spitzer, Kulturinterview in Deutschlandradio Kultur, 24.11.2006.
Das Gehirn mag viele bemerkenswerte Eigenschaften haben, es mag auch der zentrale Ort bewusstseinstragender Prozesse sein, aber Bewusstsein hat es nicht. Denn es nimmt nicht wahr, es überlegt oder grübelt, es ärgert oder freut sich nicht, es bewegt sich nicht – das alles sind Tätigkeiten von Lebewesen, die bei Bewusstsein sind. Von einem denkenden, fühlen-den oder wahrnehmenden Hirn zu sprechen, ist ein begrifflicher Unsinn. Erwin Straus formulierte dies kurz und treffend:
„Der Mensch denkt, nicht das Gehirn“ (Straus 1956).
Daraus ergibt sich meine These:
Menschliche Subjektivität ist verkörperte oder leibliche Subjektivität.
Diese These hat einen überraschenden Kronzeugen, den man hier nicht erwarten würde, nämlich René Descartes, der nicht immer der radikale Dualist war, den man in ihm sieht:
„Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz-, Hunger-, Durst-Empfindungen usw., dass ich meinem Körper nicht nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern dass ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so dass ich mit ihm eine Einheit bilde“ (René Descartes, Meditationen, VI, 13).
Daran gemessen, ist das bislang dominierende Paradigma der kognitiven Neurowissenschaften geradezu dualistisch: Bewusstsein gilt darin als eine subjektive Repräsentation der Außenwelt, die ebenso wie das Subjekt selbst im Gehirn konstruiert wird. Der Körper bleibt in dieser Sicht eine physiologische Trägermaschine für das Gehirn, in dem die unkörperliche Innenwelt des Bewusstseins entsteht. Dieser Ansatz vermag zwar erfolgreich bestimmte neuronale Mechanismen immer weiter zu entschlüsseln, vernachlässigt aber in seinem Zentralismus die Wechselbeziehungen und Kreisläufe, in denen das Gehirn steht, so wie wenn man das Herz ohne den Kreislauf betrachten würde oder die Lungen ohne den Atemzyklus.
Damit geht die Hirnforschung, ebenso wie die meisten gegenwärtigen Leib-Seele-Theorien, von zwei konzeptuell und phänomenal voneinander verschiedenen Ebenen, Bereichen oder Entitäten aus, nämlich von „Körper“ und „Geist“, also von physiologischen bzw. physikalischen und von mentalen Vorgängen. Die einen sind danach aus der Außenperspektive (3. Person-Perspektive), die anderen nur aus der Innenperspektive (1.-Person-Perspektive) zugänglich. Diese als grundlegend verschieden angesetzten Wirklichkeitsbereiche müssen nun durch verschiedene theoretische Konstruktionen miteinander verknüpft werden, wobei sich die physiologische Basis des Mentalen in der Regel auf bestimmte Hirnprozesse reduziert. Die mentalen Vorgänge müssen dann je nachdem als mit den neuronalen Prozessen identisch, als zu ihnen epiphänomenal, supervenient, emergent oder aber als gänzlich eigenständig im dualistischen Sinne angesehen werden. Entscheidend ist: Das Lebewesen tritt in all diesen Theorien nicht als eigene Entität auf. Mentale Prozesse werden nicht als Funktionen eines lebendigen Organismus angesehen. Daher können mentale Prozesse und Gehirnprozesse nur direkt aufeinander bezogen bzw. miteinander „kurzgeschlossen“ werden. Was hier fehlt, hat schon der Materialist Ludwig Feuerbach klar erkannt – nämlich der Leib und das Leben.
„Weder die Seele denkt und empfindet, noch das Hirn denkt und empfindet; denn das Hirn ist eine physiologische Abstraktion, ein aus der Totalität herausgerissenes, vom Schädel, vom Gesicht, vom Leibe überhaupt abgesondertes, für sich selbst fixiertes Organ. Das Hirn ist aber nur solange Denkorgan, als es mit einem menschlichen Kopf und Leibe verbunden ist“ (Ludwig Feuerbach 1985).
Dem Dualismus von Mentalem und Psychischem will ich daher eine Konzeption gegenüberstellen, in der das Lebewesen oder der lebendige Organismus die primäre Entität darstellt, an der sich von einer Seite her bewusste (seelische, geistige) Lebensäußerungen, von der anderen Seite her physiologische Prozesse in beliebiger Detailliertheit feststellen lassen. Das Lebewesen er-scheint also unter einem Doppelaspekt – der allerdings nicht mit dem Dualismus von Mentalem und Physischem zusammenfällt, da die bewussten Lebensäußerungen als Funktionen eines lebendigen Organismus durchaus physischer Natur sind und zudem nicht nur in der Perspektive der 1. Person, sondern auch in der Perspektive der 2. Person wahrgenommen werden können, etwa wenn Sie mich jetzt sprechen sehen und hören.
Das Lebewesen, der lebendige Organismus ist also die Mitte, die wir zwischen mentalen und physischen Prozessen wieder einsetzen müssen, damit wir das Gehirn angemessen begreifen können, nämlich als Organ eines Lebewesens in seiner Umwelt. Es erscheint dann nicht mehr als isoliertes Organ, das die Welt oder das Subjekt konstruiert, sondern in erster Linie als Vermittlungsorgan für die Beziehungen des Lebewesens zu seiner Umwelt. Zweifellos ist es dabei auch das Zentralorgan geistiger Prozesse, keineswegs aber ihr einziger Ort. Bewusstsein ist intentionaler Natur, gerichtet auf Gegenstände und Situationen, es überschreitet ständig die Grenzen des Gehirns und des Körpers. Es entsteht nicht in einem isoliert betrachtbaren Gehirn, sondern nur in einem lebendigen, mit der Umwelt vernetzten Organismus. Grundlage des Psychischen ist daher nicht das anatomische, isolierte Gehirn, sondern das Gehirn-im-Lebensvollzug, in Verbindung mit dem Körper, mit den Sinnen und Handlungen, und vor allem mit anderen Menschen.
In den letzten 2 Jahrzehnten hat sich auch in den Kognitionswissenschaften eine neue Richtung entwickelt, die diese Zusammenhänge in den Vordergrund zu rücken beginnt, die „embodied cognitive science“. Sie betrachtet Subjektivität als verkörpert in der sensomotorischen Aktivität des Organismus und als eingebettet in die Umwelt – „embodied“ und „embedded“, wie es im Englischen heißt. Nicht zuletzt die Erforschung von Robotern, aber auch von Tieren in ihrem Umweltkontext hat den Fokus von internen Modellen und Repräsentationen auf dynamische Operationen von Organismen in ihrer Umwelt verlagert.
Das Gehirn fungiert in diesen Interaktionen als eine Vermittlungs- und Kontrollinstanz, nicht als Speicher kompletter Bewegungs- und Verhaltensprogramme. Es moduliert die Bewegung in Abhängigkeit vom ständigen Feedback des Organismus im Bewegungsfeld, von Muskelspannung, Schwerkraft, Widerstand usw. Aber nicht nur Bewegung und Handlung, auch die für das Bewusstsein überhaupt konstitutiven Trägerprozesse sind aus dieser Sicht nicht ausschließlich im Gehirn lokalisierbar, sondern erfordern die dynamische Interaktion von Gehirn, Körper und Umwelt. Für das menschliche Bewusstsein konstitutiv sind dabei insbesondere die Beziehungen zu anderen Menschen.
Im Folgenden will ich nun eine, wie ich es nenne, ökologische Sichtweise des Gehirns skizzieren, die ihm die Rolle eines Vermittlungs- und Transformationsorgans für die Interaktionen des Organismus mit seiner Umwelt zuweist:
(1) Interaktion von Gehirn und Organismus,
(2) Interaktion von Organismus und Umwelt,
(3) Interaktion von Personen.
Eine ökologische Sicht des Gehirns
(1) Körperliches Hintergrunderleben
Phänomenologische und neurobiologische Bewusstseinstheorien wie die Damasios stimmen darüber ein, dass jedem Bewusstseinszustand ein primäres oder Kernbewusstsein zugrunde liegt, ein leibliches, affektiv getöntes Selbsterleben, das man am ehesten mit dem Begriff von Lebendigkeit oder Lebensgefühl umschreiben kann. Neurologisch entspricht ihm z.B. Damasios Konzeption des somatischen Hintergrunderlebens, das auf der Grundlage ständiger propriozeptiver, viszeraler, endokriner u.a. Afferenzen des Körpers in subkortikalen und somatosensorischen Arealen des Gehirns erzeugt wird. Bewusstes Erleben beruht danach auf der ständigen Interaktion des Gehirns mit dem Organismus, vermittelt vor allem über die vegetativen Zentren des Hirnstamms und Zwischenhirns. Diese Interaktion wird, so die These Damasios, in höheren Hirnzentren – Gyrus cinguli, Thalamus, Colliculi superiores – fortlaufend repräsentiert und bildet so die Basis für das elementare Lebensgefühl oder Kernbewusstsein, auf dem das erweiterte bewusste Erleben beruht: Kein Bewusstsein ohne leibliches Hintergrundempfinden.
In gleicher Weise sind die Affekte als Kern unseres subjektiven Erlebens an die ständige Interaktion von Gehirn und Körper gebunden. Stimmungen und Gefühle sind, biologisch betrachtet, prototypische gesamtorganismische Zustände, die nahezu alle Subsysteme des Körpers einbeziehen: Gehirn, autonomes Nervensystem, endokrines und Immunsystem, Herz, Kreislauf, Atmung, Eingeweide und Ausdrucksmuskulatur (Mimik, Gestik und Haltung). Jedes Gefühlserlebnis ist untrennbar verknüpft mit physiologischen Veränderungen dieser Körperlandschaft. Erst wenn diese an somatosensible Areale des Gehirns weitergeleitet werden, können Gefühle auftreten.
Damit wird bereits deutlich, dass die auf der vegetativen Ebene bestehende Einheit von Gehirn und Organismus auch die höheren Hirnfunktionen umfasst. Alle Bewusstseinstätigkeiten wie Wahrnehmen, Denken oder Handeln beruhen keineswegs nur auf neuronalen Verrechnungen im Neokortex, sondern ebenso auf den kontinuierlichen vitalen und affektiven Regulationsprozessen, die den ganzen Organismus und seinen aktuellen Zustand miteinbeziehen. Auch der anspruchsloseste Empfindungszustand ist damit weit davon entfernt, einem bestimmten Gehirnareal zuschreibbar zu sein. Als bewusster Zustand ist er eine komplexe Leistung des gesamten Hirns und des gesamten Organismus. Der traditionelle „Zerebrozentrismus“ der kognitiven Neurowissenschaften beruht insofern auf einem latenten Cartesianismus, einer Trennung von Bewusstsein und Körper, die einer systemisch-biologischen Betrachtung des Organismus nicht Stand hält. Weder der Gehirn noch das Bewusstsein lassen sich vom lebendigen Körper insgesamt trennen.
(2) Gehirn und Umwelt
Das Gehirn ist also eingebettet in den Organismus. Ebenso aber ist es abhängig von der sensomotorischen Interaktion mit der Umwelt, von Sinneseindrücken, Stimulation und Kommunikation. Um tasten, hören, sehen, sprechen zu können, bedarf es nicht nur eines Gehirns, sondern eines tastenden, hörenden, sehenden und sprechenden Körpers. Besonders offenkundig wird die systemische Einheit von Gehirn, Organismus und Umwelt bei allen instrumentellen Handlungen. Schreibe ich einen Brief, so wäre es sinnlos, diese Tätigkeit dualistisch aufzuteilen und sie entweder meiner Hand, meinem Gehirn, oder aber meinem „Ich“ oder Bewusstsein zuzuschreiben. Papier, Stift, Hand und Gehirn bilden eine Einheit, ebenso wie sich auf der bewussten Ebene meine gedachten Worte unmittelbar in die leiblich gespürte Bewegung umsetzen. Es ist nicht möglich, hier eine Grenze zwischen „Innen“ und „Außen“, „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ zu ziehen – es wäre so sinnlos wie zu fragen, ob die eingeatmete Luft noch der Außenwelt oder schon dem Organismus zugehört.
Das bedeutet: Der Körper ist immer das Bindeglied der Interaktionen, und diese Vermittlung wird verfehlt, wenn man Gehirn und Umwelt oder Geist und Welt einander gegenüberstellt und dann in direkten Bezug zueinander bringen will. Das läuft in der Regel auf ein Abbildungs- oder Repräsentationsverhältnis hinaus, wie es in den Kognitionswissenschaften üblich ist. Doch erst über den Körper, also über den Organismus insgesamt, entsteht die dynamische Beziehung von Gehirn und Umwelt. In diesen Interaktionen, also im Funktionskreis von Gehirn und Körper und von Organismus und Umwelt wirkt das Gehirn aber in erster Linie als Organ der Vermittlung, der Modulation und der Transformation, etwa der Umwandlung von Wahrnehmung in Bewegung. Wir haben es nicht mit linearer (physikalischer), sondern mit zirkulärer, rückgekoppelter Kausalität zu tun, sowohl innerhalb des Organismus als auch im Verhältnis von Organismus und Umwelt.
Bewusste Zustände sind somit immer Zustände eines in seiner Umwelt aktionsfähigen organischen Gesamtsystems. Subjektivität beruht auf körperlicher Praxis: „Ich“ bin das Wesen, das sich an diesem Ort befindet, in dieser besonderen Tätigkeit engagiert ist, das entsprechende Vermögen entfaltet und sich darin als wirksam erfährt. Das Subjekt ebenso wie das Gehirn sind also verkörpert und eingebettet in die Umwelt. Verkörpertes Bewusstsein ist an den sensomotorischen Gestaltkreis geknüpft, es ist ein Selbst-in-der-Umwelt, ein „ökologisches Selbst“. Diese Dimension der Subjektivität ist so eng verbunden mit der interaktiven Umweltbeziehung, dass ihre Grenzen nicht einmal notwendig mit denen des Körpers zusammenfallen: Beim geschickten Werkzeuggebrauch, etwa beim Klavierspielen oder Autofahren verleibt sich der Körper die Instrumente ein; der Blinde spürt den Boden an der Spitze seines Stocks, der Amputierte integriert die Prothese in sein Körperschema.
(3) Gehirn und Sozialität
Für die Entwicklung der spezifisch menschlichen Subjektivität bedarf es freilich nicht nur der Interaktion von Gehirn und Körper bzw. von Körper und Umwelt, sondern vor allem der Interaktion mit anderen. Auch sie bedeutet primär verkörperte Intersubjektivität oder, mit einem Begriff Merleau-Ponty (2003), „Zwischenleiblichkeit“. So legen die Forschungen der letzten 1-2 Jahrzehnte nahe, dass die Fähigkeit des menschlichen Säuglings zur spontanen und genauen Imitation von intentionalen und expressiven Handlungen essenziell für das Verstehen anderer ebenso wie für die Entstehung von Selbstbewusstsein ist. Säuglinge sind von Geburt an in der Lage, Gesten von Erwachsenen wie Zunge zeigen, Mundöffnen, Stirnrunzeln u.a. zuverlässig nachzuahmen. Sie verfügen demnach über ein angeborenes intersubjektives Körperschema, so dass sich der eigene Körper mit der Wahrnehmung des
anderen assoziiert. Sein Körper wird von vorneherein als verwandt zum eigenen erfahren.
Diese Zwischenleiblichkeit ist auch die Basis für die weitere Entwicklung des Gehirns. Das Gehirn kommt ja nicht als fertiger Apparat auf die Welt, um sie zu erkennen, sondern es bildet sich erst in und an ihr. Mittels der neuronalen Plastizität, der Ausbildung der Synapsenstruktur vor allem in der frühen Kindheit, entwickelt sich das Gehirn zu einem Organ, das komplementär zu seiner Umwelt passt wie der Schlüssel zum Schloss. Das gilt nun, insbesondere für die soziale Umwelt. Ohne Kommunikation, ohne das Angesprochen-Werden und die Spiegelung im Anderen würde das Kleinkind nicht zu einem Selbstbewusstsein gelangen. Das personale Selbst entwickelt sich erst im Durchgang durch die Perspektive der Anderen, also mit der Fähigkeit, aus dem eigenen Zentrum gleichsam herauszutreten und die Sichtweise anderer nachzuvollziehen. All dies beruht auf den ursprünglichen, leiblich-zwischenleiblichen Erfahrungen der frühen Kindheit, die fortwährend die Gehirnstrukturen des Kindes prägen und damit seine künftigen Beziehungsmuster. Das heißt: Der Geist ebenso wie die ihm zugrundeliegenden Hirnstrukturen sind wesentlich soziale und kulturelle Phänomene. Das menschliche Gehirn ist ein wesentlich sozial und geschichtlich konstituiertes Organ.
Ich fasse vorläufig zusammen:
Subjektivität und Bewusstsein sind nicht in einem isoliert gedachten Gehirn lokalisierbar; sie entstehen nur auf der Basis des Gesamtorganismus in seiner ständigen Interaktion mit der natürlichen und sozialen Umwelt, nämlich auf der Grundlage der Interaktionen
(1) von Gehirn und Körper,
(2) von Körper und Umwelt, und schließlich
(3) der Person mit anderen Personen. Das menschliche Selbst ebenso wie das Gehirn entwickeln sich vor allem in der Beziehung zu anderen. Der Mensch ist im Sinne des Wortes ein „zoon politikon“, ein Lebewesen, dessen Organismus bis in das Gehirn hinein durch seine Sozialität geformt wird.
Das Gehirn als Transformationsorgan. Auf dieser systemischen Grundlage können wir die Rolle des Gehirns für bewusste Prozesse näher zu erfassen versuchen. Dazu müssen wir uns klarmachen, welchen Vorteil denn eigentlich die Entwicklung von Subjektivität und Bewusstsein für das Leben darstellte. Die Aufgabe des Nerven-Sinnes-Systems ist es ja zunächst, Verknüpfungen von wiederkehrenden Reizen mit Reaktionen herzustellen. Das ZNS fungiert also in der Evolution primär als Transformationsinstanz zwischen sensorischen und motorischen, oder afferenten und efferenten Prozessen.
Der entscheidende Vorteil des Bewusstseins ist es nun, dass es:
(1) komplexe Gruppierungen von Reizen zu immer umfassenderen Einheiten zu integrieren vermag, also ganzheitliche Wahrnehmungsgestalten erzeugt, und dass es
(2) die Beziehung des Organismus zur Umwelt selbst darzustellen vermag, nämlich in Form von Bedeutungen – sei es zum Beispiel in Gefühlen, die eine gegebene Situation insgesamt bewerten, sei es in Bildern, Vorstellungen, Begriffen oder schließlich im Selbst-erleben des Lebewesens. Was ist nun die Rolle des Gehirns für das Bewusstsein? –
Das Gehirn lässt sich als ein Organ der Transformation auffassen, das die Beziehungen zwischen einzelnen Reizen in höherstufige Systemzustände umwandelt, d.h. in komplexe, synchronisierte neuronale Erregungsmuster, die den von uns erlebten ganzheitlichen Schemata oder Gestalten entsprechen. Dies sei an einem Wahrnehmungsbeispiel veranschaulicht:
Nach einigen Augenblicken erkennen wir in der Ansammlung von Flecken einen Dalmatiner, d.h. wir sehen sie nicht mehr einzeln, sondern in ihrer Konfiguration zueinander als Dalmatiner. Das Gehirn hat also aus dem „Rauschen“ von Flecken oder Signalen ein Muster herausgefiltert, das unserem Erleben einer ganzheitlichen Gestalt entspricht. – Ein weiteres Beispiel: Apfel
Diese schwarzen Linien sehen wir mit einem Blick als das Wort und den Begriff „Apfel“. Als Kinder lernten wir zunächst aus den einzelnen Buchstaben das Wort zusammenzusetzen („A-p-f-e-l“); schließlich hatte unser Gehirn die Verknüpfungen gebildet, und heute übersetzt es automatisch die schwarzen Linien in das Wort „Apfel“. Es transformiert eine Folge von Einzelelementen in eine einheitliche, höherstufige Gestalt. Wir sehen schwarze Linien als das Wort „Apfel“; wir sehen gewissermaßen durch die Linien hindurch unmittelbar das Wort. – In umgekehrter Richtung gilt das Analoge: Das Gehirn transformiert auch unser bewusstes Erleben in körperliche Reaktionen, in Bewegungsimpulse für die Muskeln, d.h. in Handlungen. Wenn ich in einem Brief das Wort „Apfel“ schreiben will, setzt es die dem gedachten Wort zugrundeliegenden Aktivitätsmuster automatisch in die entsprechenden motorischen Muster um.
Transformation bedeutet also: Das Gehirn ist in der Lage, Konfigurationen von Einzelelementen zu höherstufigen Ganzheiten, und das heißt zu Mustern neuronaler Erregungen zu integrieren, die wahrgenommenen Gestalten entsprechen. Wir finden hier in gewissem Sinn eine Parallele zur Transformation, die der Organismus im Metabolismus leistet: Die Nahrung muss erst in Bestandteile zerlegt werden, bevor sie neu synthetisiert und in den lebendigen Stoff des Organismus umgewandelt werden kann. Indem der Organismus dem Material seine eigene Form aufprägt, eignet er sich die Welt an. Dementsprechend ist auch eine eigene Syntheseleistung des Organismus erforderlich, da-mit Wahrnehmung möglich wird – sie ist keine direkte Übertragung von Bildern, sondern ein Zerlegungs-, Verarbeitungs- und Aufbauprozess, dessen Resultat die wahrnehmende Beziehung von Organismus und Umwelt ergibt. Das Gehirn ist also ein Organ der Transformation von einzelnen Elementen und ihren Beziehungen in höherstufige neuronale Aktivitätsmuster, die den Gestalten und Ganzheiten unserer Wahrnehmung bzw. die unseren integralen Handlungen entsprechen. Damit wird das Gehirn zum Organ der Vermittlung zwischen der mikroskopischen Welt materiell-physiologischer Prozesse einerseits und der makroskopischen Welt von Lebewesen andererseits. Indem es die Elementarprozesse zu Ordnungsmustern integriert, eröffnet es dem Lebewesen den wahrnehmenden und handelnden Zugang zur Welt.
Das Bewusstsein als Integral der Organismus-Umwelt-Beziehung
Systemtheoretisch lässt sich die Transformation als Stabilisierung von Erregungsmustern auffassen, die sich selbstorganisierend in den grundsätzlich chaotischen Prozessen des ZNS bilden. Wiederkehrende Reizmuster werden mit der Ausbildung und Verstärkung entsprechender neuronaler Netze beantwortet. So entstehen im System „Attraktoren“, d.h. vorgebahnte Muster hoch-komplexer und synchronisierter neuronaler Aktivität, die jederzeit reaktivier-bar sind. Sie müssen nicht auf ein umgrenztes Areal beschränkt bleiben, sondern können sich auch über weit entfernte Gehirnregionen erstrecken. Solche hochgeordneten Zustände können als die Grundlage von Gestaltbildungen im Bewusstsein betrachtet werden.
Bewusstes Erleben entspräche dann der höchsten Integrationsstufe der Hirnprozesse, lässt sich aber dennoch nicht auf sie begrenzen. Denn Bewusst-sein ist die Beziehung des Lebewesens zu seiner Welt; es entsteht daher nur im übergreifenden System von Organismus und Umwelt, auf der Basis des Zusammenspiels vieler Komponenten, zu denen das Gehirn und der gesamte Körper mit seinen Sinnen und Gliedern ebenso gehören wie die passenden „Gegenstücke“ der Umgebung. Wahrnehmen und Handeln kommen nicht ohne ihre zugehörigen Objekte zustande; Gedanken, Gefühle, Wünsche erhalten ihren Sinn nur durch die Beziehung zu möglichen Gegenständen und anderen Personen. Grundlage des Psychischen ist daher nicht das Gehirn allein, sondern vielmehr ein übergreifender Lebensprozess, in den das Gehirn freilich an zentraler Stelle einbezogen ist – nämlich als das vermittelnde Organ für die dynamischen Beziehungen des Organismus zu seiner natürlichen und sozialen Umwelt.
Insofern enthält das Gehirn als solches tatsächlich nicht mehr Bewusstsein als etwa die Hände oder die Füße, auch wenn seine Funktionen dafür in besonderem Maß erforderlich sind. Nur das Lebewesen als ganzes aber ist bewusst, nimmt wahr oder handelt. Zentral notwendig für die Entstehung von Bewusst-sein ist das Gehirn, weil in ihm alle Kreisprozesse zusammenlaufen und verknüpft werden, so wie die Gleise in einem Hauptbahnhof. Wird dieser zerstört, dann bricht der Zugverkehr freilich zusammen, während einzelne Strecken in der Peripherie stillgelegt werden können, ohne dass der Hauptverkehr betroffen ist. Doch, um den Vergleich fortzuführen, der Zugverkehr wird weder vom Bahnhof erzeugt noch ist er dort zu lokalisieren. Er bedient sich vielmehr umgekehrt des Gleissystems mit seinen vielfältigen Weichen, Kreuzungen und natürlich seiner zentralen Koordinationsstelle im Hauptbahnhof, damit die Transportprozesse möglichst reibungslos ablaufen. Auch wenn sich also im Hauptbahnhof zweifellos eine hochgradige Gleisvernetzung und Zugdichte feststellen lässt (dies entspräche den im Gehirn messbaren neuronalen Aktivierungen bei bestimmten Tätigkeiten) – der Zugverkehr bleibt an das gesamte Streckensystem gebunden. Analog stellt die Bewusstseinstätigkeit das „Integral“ der gesamten, je aktuellen Beziehungen zwischen Gehirn, Organismus und Umwelt dar.
Kausalität
Ich will nun noch kurz andeuten, welche Bedeutung die skizzierte Sicht des Gehirns für den Begriff der Kausalität hat.
Wenn das Gehirn als ein Transformationsorgan in systemischen Kreisprozessen aufzufassen ist, dann greifen herkömmliche Kausalitätsbegriffe zu kurz, die das Leib-Seele-Problem traditionell verhext haben. Weder wirkt der Geist auf Hirnprozesse ein, noch bringen Hirnprozesse Geist hervor. Vielmehr transformiert das Gehirn elementar in höherstufige Prozesse und umgekehrt; es lässt sich auf verschiedenen Integrationsebenen ansprechen und wandelt sie ineinander um. Demnach wären neurobiologische Prozesse einerseits und psychologische Erlebnisse und Motive andererseits als Aspekte eines letztlich einheitlichen Geschehens zu betrachten, das wir allerdings nur unter zwei verschiedenen, zueinander komplementären Aspekten betrachten können – dem physiologischen Aspekt und dem personalen. Die beiden Aspekte beziehen sich auf ganz verschiedene Stufen von Komplexität, die daher nicht einfach identisch zu setzen sind. Betrachten wir dies an einem Beispiel:
Psycho- Subjektives Erleben – Therapie (Wahrnehmung, Motive – Konflikte, Sinndeutungen …) – Transformation – Psycho- Neuronales Substrat – Pharmaka (Netzwerke, Rezeptorbindungen, …)
Ein Psychopharmakon wirkt z.B. „angstlösend“. Genau genommen wirkt es natürlich nur auf biochemische Zustände des Gehirns ein, die mit der Erfahrung von Angst korreliert sind. Angsterleben taucht erst auf einer hochstufigen Integrationsebene auf, die von Psychopharmaka als solchen gar nicht er-reicht wird. Umgekehrt würden wir nach einem beruhigenden Gespräch mit einem ängstlichen Patienten auch nicht sagen, unsere Worte hätten auf Synapsen in seinem limbischen System eingewirkt. Wir haben mit ihm gesprochen, nicht mit seinen Synapsen. Das Gehirn hat jedoch sein intentionales Erleben von menschlicher Nähe und bestimmten Wortbedeutungen, entsprechend einem hochstufigen neuronalen Systemzustand in kortikalen Zentren, „nach unten“ transformiert, nämlich z.B. in veränderte Rezeptorbindungen im limbischen System.
Dementsprechend ist inzwischen längst nachgewiesen, dass eine erfolgreiche Psychotherapie die Mikrostruktur des Gehirns verändert und ähnliche neurobiochemische Veränderungen hervorruft wie Psychopharmaka. Das ist an sich nicht überraschend – auch psychische Wirkungen müssen sich freilich verkörpert, also vermittelt über physiologische Prozesse vollziehen. Die Transformation verläuft nur bei der Psychotherapie „top-down“, sozusagen vom Verstehen zur Biochemie, beim Psychopharmakon hingegen „bottom-up“. Transformation bedeutet aber keinesfalls äußerliche Kausalität oder dualistische Interaktion zweier Welten. Von einer Verursachung im strengen Sinne können wir nur jeweils innerhalb eines Aspektes sprechen (waagrechte Pfeile): von einer psychologischen Verursachung bezogen auf die Verknüpfung von Erlebnissen, Motiven und Handlungen, und von einer biologischen Verursachung bezogen auf die beteiligten neuronalen Mechanismen. Auch wenn wir die Einheit beider Aspekte im Lebewesen, in der lebendigen Person annehmen
müssen, bleiben sie doch voneinander geschieden wie die zwei Münzen einer Medaille, von denen keine auf die andere wirkt.
Resümee:
Das Resümee will ich in Antworten auf vier Fragen formulieren:
1. Ist das Subjekt im Gehirn?
Die Antwort lautet nein. Denn Bewusstsein ist keine Innenwelt, die sich mit Hirnzuständen identifizieren ließe. Es entsteht nur im dynamischen Zusammenspiel von Gehirn, Organismus und Umwelt und überschreitet fortwährend die Grenzen des Gehirns ebenso wie des Körpers. Subjektivität ist das In-der-Welt-Sein eines verkörperten Wesens. Das von Philosophen vieldiskutierte Gehirn-im-Tank, das ohne einen Körper nur mit geeigneter Stimulation ein solipsistisches Bewusstsein erzeugt, ist eine unsinnige Vorstellung. Ein solches Gehirn würde allenfalls eine völlig inkohärente neuronale Aktivität aufweisen, denn nur durch seine ständige Interaktion mit dem Körper und der Umwelt entstehen und stabilisieren sich die Ordnungsstrukturen des Bewusst-seins ebenso wie die entsprechenden neuronalen Strukturen des Gehirns. Das Gehirn ist das Organ, das unsere Beziehung zur Welt, zu anderen Menschen und zu uns selbst vermittelt – ein Beziehungsorgan.
2. Ist die Welt im Gehirn?
Nein. Die erlebte Welt ist immer die gemeinsame Welt verkörperter Subjekte – Subjekte, die konkret, leiblich miteinander interagieren, die sich über die gemeinsame Welt verständigen können; die also zum Beispiel wissen, dass das Buch, das sie einem Anderen geben, nicht ein Scheingebilde, sondern das gleiche Buch ist, das auch der Andere wahrnimmt und entgegennimmt.
Gehirne konstruieren also keine virtuellen oder rein subjektiven Welten, sondern vermitteln die Wahrnehmung der Welt und der Anderen.
Bei all seinen faszinierenden Leistungen ist das Gehirn doch kein Weltschöpfer, sondern in erster Linie ein Organ der Vermittlung, der Transformation und der Modulation. Es ist eingebettet in die Beziehungen des Organismus zu seiner Umwelt und in die Beziehungen des Menschen zu anderen Menschen.
Es nimmt sie auf und ermöglicht sie, ohne sie jedoch hervorzubringen. Durch seine hochgradige Plastizität wird es zur Matrize für die Erfahrungen des Menschen, die sich in den neuronalen Strukturen als Grundlage seiner Ver-mögen niederschlagen. Somit ist das Gehirn das „Organ der Möglichkeiten“ – doch realisieren kann diese Möglichkeiten nur das Lebewesen, die Person als ganze.
3. Lässt sich Subjektivität vollständig naturalisieren?
Auch diese Antwort lautet nein. Wenn Subjektivität nicht ein abstrakter Innenraum ist, sondern nur verkörpert, lebendig und in die Welt eingebunden existiert, so kann ich sie nicht erfassen, indem ich bestimmte physiologische Trägerprozesse im Gehirn erfasse. Ein bestimmter Hirnzustand ist die notwendige Bedingung dafür, in einem bewussten Zustand zu sein, aber welchem Zustand dieser Hirnzustand entspricht, ist nicht hinreichend durch seine Mikrostruktur bestimmt, sondern darüber hinaus durch seine konkreten Beziehungen zur Umwelt. Erst durch diese Beziehung von Subjekt und Umwelt können Hirnzustände zu Trägern von Bedeutung werden. – Daraus folgt übrigens auch für psychisches Kranksein, dass es sich nicht vollständig in Hirnzuständen beschreiben lässt. Wie alle subjektiven Erlebnisformen ist es nicht im Kopf lokalisierbar, sondern nur aus dem „Zwischen“ von Subjekt und Welt, oder von Gehirn, Körper und Umwelt zu begreifen.
4. Wenn das Subjekt nicht im Gehirn ist, wo dann?
Ich, das bewusste, erlebende und handelnde Subjekt befinde mich nicht im Gehirn, sondern immer genau dort, wo auch mein lebendiger Körper mit all seinen biologischen Funktionen ist, die meine bewussten Zustände und Handlungen ermöglichen und hervorbringen. Ich bin ein lebendiges, verkörpertes Wesen, das heißt aber zugleich, ich bin auch immer über meinen Körper hinaus, in Beziehung zur Welt. Ich bin nicht an einem umgrenzten Ort, nicht in einem messbaren Raum, sondern ich bin der, der jetzt spricht, den Sie vor sich sehen, und dessen Stimme Sie hören.
Die Länge aller Nervenbahnen des Gehirns eines erwachsenen Menschen beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer, das entspricht dem 145-fachen Erdumfang. Das Volumen eines menschlichen Gehirns liegt bei einem Mann bei durchschnittlich etwa 1,27 Litern, bei einer Frau bei etwa 1,13 Litern.
Aufbau.
Es lassen sich vereinfacht vier Hauptbereiche unterscheiden.
1. Großhirn.
Das Großhirn ist in der Mitte durch einen Einschnitt in zwei Halbkugeln (Hemisphären) geteilt. Zwischen diesen gibt es eine breite Verbindung aus einem dicken Nervenstrang, Corpus callosum oder Balken genannt, und weitere kleinere Verbindungen. Seine 2–4 mm dicke Oberflächenschicht (Großhirnrinde, Cortex) ist stark gefaltet und fast einen viertel Quadratmeter groß. Sie enthält etwa 16 Milliarden Nervenzellen, was etwa einem Fünftel der Nervenzellen des gesamten Gehirns entspricht. Unter der Rinde verlaufen Nervenfasern. Ansammlungen von Neuronen sind rosa, die myelinhaltigen Fasern weiß. Im toten Gehirn färben sich die Neuronen grau. Deshalb heißen sie, obwohl sie während des Lebens rosa sind, graue Substanz.
Auf der Rinde lassen sich die sogenannten Rindenfelder lokalisieren, unterschieden zwischen primären Feldern und Assoziationsfeldern. Die primären Felder verarbeiten nur Informationen einer bestimmten Qualität, solche über Wahrnehmungen (Empfindung, zum Beispiel Sehen, Riechen, Berührung) oder über einfache Bewegungen. Die Assoziationsfelder stimmen verschiedene Funktionen aufeinander ab. Die Zuweisung eines Rindenfeldes zu einer bestimmten Funktion wird immer wieder definiert und relativiert. Erst das korrekte Zusammenspiel verschiedener Felder ermöglicht eine Funktion. Zu den primären Feldern zählen zum Beispiel der visuelle Cortex, der am hinteren Pol des Gehirns liegt und auf dem die Projektionen der Sehbahn münden, und der auditorische Cortex, der der Verarbeitung akustischer Reize dient und seitlich im Schläfenlappen liegt.
Assoziative Felder finden sich unter anderem im vorderen Teil des Gehirns. Ihre Aufgaben sind zum Beispiel Gedächtnis und höhere Denkvorgänge. Die Rindenfelder und ihre Funktionen können voneinander abgegrenzt werden, indem nach deren Ausfall (zum Beispiel durch Schlaganfall) die Tätigkeit des Patienten oder durch elektrische Stimulation, mikroskopische und andere Techniken das gesunde Gehirn untersucht wird. Neben der Großhirnrinde sind meist andere Hirnregionen an einer bestimmten Funktion beteiligt.
2. Zwischenhirn.
Zum Zwischenhirn gehören vier Teile:
- Thalamus (oberer Teil)
- Hypothalamus, der mit der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) verbunden ist
- Subthalamus
- Epithalamus
Der Thalamus ist der Vermittler sensorischer und motorischer Signale zum und vom Großhirn. Bei ihm laufen alle Informationen der Sinnesorgane zusammen und werden weiter vermittelt. Er besteht hauptsächlich aus grauer Substanz. Der Hypothalamus steuert zahlreiche körperliche und psychische Lebensvorgänge und wird selbst teils neuronal über das vegetative Nervensystem, teils hormonell über den Blutweg gesteuert. Hypothalamus und Hypophyse (wichtige Hormondrüse des Körpers, die über den Hypophysenstiel mit dem Hypothalamus verbunden ist) sind das zentrale Bindeglied zwischen dem Hormon- und dem Nervensystem. Das Zwischenhirn ist beteiligt an der Schlaf-Wach-Steuerung (siehe ARAS, Schmerzempfindung, Temperaturregulation).
3. Kleinhirn.
Am Kleinhirn lassen sich ebenfalls zwei Hemisphären unterscheiden. Zusätzlich werden weitere Teile abgegrenzt. Es ist zum Beispiel für Gleichgewicht und Bewegungen und deren Koordination verantwortlich. Bei Tieren ist es – im Vergleich zum Großhirn – oft stärker entwickelt als beim Menschen, insbesondere bei Arten mit Flugvermögen oder bei schnellen Räubern. Außerdem wird dem Kleinhirn eine Funktion beim unbewussten Lernen zugeschrieben. Neuere Forschungen (2005) lassen darauf schließen, dass es am Spracherwerb und dem sozialen Lernen beteiligt ist.
4. Hirnstamm.
Der Hirnstamm ist der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns. Er bildet den untersten Gehirnabschnitt und besteht aus auf- und absteigenden Nervenfasern (Weiße Substanz) und Ansammlungen von Neuronen beziehungsweise von Somata (Graue Substanz), morphologisch aus dem Mittelhirn, der Brücke (Pons) und dem Nachhirn (auch verlängertes Mark = Medulla oblongata genannt, da zwischen Rückenmark und Brücke gelegen). Der Hirnstamm verschaltet und verarbeitet eingehende Sinneseindrücke und ausgehende motorische Informationen und ist zudem für elementare und reflexartige Steuermechanismen zuständig. Im Nachhirn kreuzen sich die Nervenbahnen der beiden Körperhälften. Außerdem werden hier viele automatisch ablaufende Vorgänge wie Herzschlag, Atmung oder Stoffwechsel gesteuert. Ebenso befinden sich hier wichtige Reflexzentren, die zum Beispiel Lidschluss-, Schluck-, Husten– und andere Reflexe auslösen. Das untere Ende des Nachhirns schließt an das Rückenmark an – weitere Informationen.