Die Humoralpathologie (zu lateinisch humor: ‚Feuchtigkeit‘, ‚Körpersaft‘, ‚Leibessaft‘), genannt auch Humorallehre und Humoralbiologie, war eine in der Antike ausgebildete und bis ins 19. Jahrhundert allgemein anerkannte Krankheitslehre von den Körpersäften, deren richtige Mischung bzw. Zusammensetzung Voraussetzung für Gesundheit ist, deren Ungleichgewicht bzw. fehlerhafte Zusammensetzung oder Schädigung hingegen Krankheiten verursachen kann.
Grundlage dafür ist die (Vier-)Säftelehre (auch: Vier-Säfte-Lehre, Viererschema), eine von der Antike bis ins 18. Jahrhundert allgemein anerkannte medizinische Konzeption, die erstmals im Corpus Hippocraticum (u. a. in De aeribus […] und De natura hominis, griechisch περί φύσιος ἀνθρώπον, „Über die Natur des Menschen“; um 400 v. Chr.) zur Erklärung allgemeiner Körpervorgänge und als Krankheitskonzept zur Erklärung vieler Krankheitszustände entwickelt wurde. Sie war nach Begründung der Zellularpathologie durch Rudolf Virchow im 19. Jahrhundert in den ätiologischen und therapeutischen Vorstellungen in Physiologie und Medizin wissenschaftlich überholt.
Ursprünge der Viersäftelehre sind vermutlich schon im Alten Ägypten zu finden, doch sicher in der Elementenlehre des Empedokles (490–430 v. Chr.). Den vier empedokleischen Grundelementen Feuer, Erde, Wasser und Luft ordnete Zenon von Elea im 5. Jahrhundert dann die Primärqualitäten heiß, kalt, feucht und trocken zu, auf deren gegensätzliche Wirkungen sich auch Alkmaion bezogen hat. Als Begründer der Humoralpathologie gilt Polybos, der angebliche Schwiegersohn des Hippokrates. Weiterentwickelt und mit antiken Vorstellungen zusammengebracht wurde die medizinische Theorie der Säftelehre durch Galen, der sie mit der Temperamentenlehre verband. Er unterteilte die Primärqualitäten, deren übermäßige bzw. zu geringe Ausprägung krankheitsverursachend sein kann (etwa bei zu viel „Kälte“ oder großer „Hitze“), weiter (zum Beispiel „feucht im dritten Grade“ oder – etwa in Bezug auf die Rose – „kalt im ersten Grad“). Die Anwendung der Heilmittel beruhte ebenfalls auf den seit Galen bis in die Neuzeit in der Heilkunde gültigen Primärqualitäten („warm/kalt“, „trocken/feucht“). So gibt es im System der Humoralpathologie solche, die erwärmen, kühlen, trocknen oder befeuchten und somit den entgegengesetzt ausgeprägten Krankheiten entgegenwirken sollten. Galen schrieb das gesamte Konzept in seiner endgültigen Form nieder. Verfeinert wurden Galens Lehren noch einmal im 11. Jahrhundert durch Avicenna in seinem Kanon der Medizin.
Als Lebensträger im Körper wurden gemäß dem humoralpathologischen Konzept Gelbe Galle (cholera, colera, dem Elemente Feuer entsprechend), Schwarze Galle (melancholia, melancolia, dem Element Erde entsprechend), Blut im engeren Sinne (sanguis oder griechisch haima, dem Element Luft entsprechend) und Schleim (phlegma, flegma, dem Element Wasser entsprechend) angenommen. Diese vier Säfte (Leibessäfte, auch Leibesfeuchten, lateinische humores) würden demnach über das Blut und auch über die Nerven im Körper verbreitet. Der Bereich der Verdauung wurde von der Digestionslehre näher behandelt.
Element | Körpersaft | Primärqualität | Farbe | Geschmack | Organ | Jahreszeit | Lebensalter | Fieberart | Geschlecht |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Luft | Blut | warm und feucht | rot | süß | Herz | Frühling | Jugend | kontinuierliche Fieber | |
Feuer | Gelbgalle | warm und trocken | gelb | bitter | Leber | Sommer | junger Mann | Tertiana | männlich |
Erde | Schwarzgalle | kalt und trocken | schwarz | scharf und sauer | Milz | Herbst | alter Mann | Quartana | |
Wasser | Weißschleim | kalt und feucht | weiß | salzig | Gehirn | Winter | Greis | Quotidiana | weiblich |
Die Bedeutung der Farben und Geschmäcker im galenischen Viererschema wird später durch Avicenna (im 3. Kapitel des 1. Traktats des 2. Buches seines Kanons der Medizin) weiter differenziert.
Die vier Säfte und Astrologie:
Im Mittelalter wurde die Humoralpathologie durch astrologische Spekulationen ergänzt.
- Blut (griechisch αἷμα haima, lateinisch sanguis), das in der Leber (Plasma) aus dem rohen Pneuma der Atemluft gebildet würde, sei der konstituierende Saft der Sanguiniker und dem Element Luft, dem Morgen, dem Osten, dem Frühling und der Kindheit anverwandt. Einen bestimmenden Einfluss übe neben den Sternzeichen der Waage, des Wassermanns und des Zwillinges auch der Jupiter aus.
- Gelbe Galle (griechisch χολή cholé, lateinisch cholera citrina oder cholera vitellina), die aus der Leber stamme, wird unter anderem den Cholerikern sowie dem Element Feuer, dem Sommer, dem Süden, der Jugend, dem Mittag und den Sternzeichen Löwe, Widder und Schütze sowie dem Planeten Mars zugeordnet.
- Schwarze Galle (griechisch μέλαινα χολή mélaina cholé, lateinisch melancholia und cholera nigra), die in der Milz produziert werde, bestimme den Charakter der Melancholiker und habe Bezug zum Element Erde, zum Abend, zum Westen, zum Herbst und zum höheren Erwachsenenalter sowie zu den Sternzeichen Jungfrau, Steinbock und Stier sowie zum Saturn.
- Schleim (griechisch φλέγμα phlégma, lateinisch auch phleuma und fleuma), der im Gehirn produziert werde, bestimme das Wesen der Phlegmatiker und wurde dem Element Wasser, dem Winter, dem Norden, dem Greisenalter, dem Nachmittag und den Sternzeichen Krebs, Fische und Skorpion sowie dem Mond zugeordnet.
Siehe auch:
- Medizin des Altertums
- Medizin des Mittelalters
- Persönlichkeitspsychologie
- Signaturenlehre
- Wikipedia – alles lesen.
- Dosha (Konstitutionenlehre nach der indischen Ayurveda-Heilkunst).
Auch Ayurveda und chinesische Medizin empfehlen Vorbeugung und Harmonie.
Von einer ähnlichen Typologie gehen auch die alten Inder aus. Im Ayurveda haben sie um 500 v. Chr., also etwa zur gleichen Zeit wie Hippokrates, ihr Wissen vom Leben festgehalten. Sie unterscheiden drei Energieprinzipien, sogenannte Doshas, die entsprechende Persönlichkeitstypen prägen:
Als Vata bezeichnen sie, salopp formuliert, die Quirligen, als Kapha die Gemütlichen und als Pitta den Mitteltyp der Ehrgeizigen und Jähzornigen. Die jeweiligen Merkmale, die diese Grundtypen auszeichnen, haben alle ihre Vor- und Nachteile. Mit geeigneten Nahrungsmitteln können wir hier steuernd eingreifen. Ayurveda geht als Heilkunde vom Speisezettel aus. Er sieht für jeden anders aus. Von der nahrungszentrierten Heilkunde der alten Inder sind Hippokrates und Galen weniger weit entfernt, als wir meinen könnten. Auf dem Weg zur gesunden Lebensführung empfehlen uns die beiden griechischen Ärzte die Diätetik: Zu ihr gehören nebst ausgewogener, leicht bekömmlicher Nahrung auch die Körperpflege und die sportliche Betätigung – Quelle.
Die Diät trägt auch bei den alten Chinesen dazu bei, dass wir gesund bleiben und lange leben. In China bedeutet das, Yin und Yang stehen im Gleichgewicht. Die medizinischen Grundkonzepte der alten Hochkulturen unterscheiden sich im Grunde kaum. Sie setzten darauf, Krankheiten vorzubeugen und die Lebenskräfte in Harmonie zu halten.
Paracelsus setzt auf Chemie
In der Renaissance schlug das westliche Abendland mit dem Einsatz chemischer Heilmittel einen neuen Weg ein. Sie schützen nicht vor Krankheitserregern, sondern bekämpfen sie, vergiften sie im besten Falle. Der Schweizer Arzt und Alchemist Paracelsus (1493–1541) trug wesentlich dazu bei, dass sich dieser Ansatz bei uns allmählich durchsetzen konnte.