Die Tradition nimmt an, die Prinzipien des I Ging seien auf den „Berufenen“ (sheng ren, 圣人), d. i. die Ahnengottheit, aus dem Klan Fu Xi bzw. den legendären ersten Kaiser Fu Xi (伏羲, Fú Xī, ca. 3. Jahrtausend v. Chr.), zurückzuführen; dieser habe die acht Grundzeichen entdeckt. Ji Chang (姬昌, Jī Chāng), der später den Namen König Wen erhielt (Zhōu Wén wáng, 周文王, 11. Jahrhundert v. Chr.), und sein Sohn Zhou (Zhōu Gōngdàn; 周公旦) sollen die zwischenzeitlich auf 64 angewachsene Zahl der Zeichen mit Handlungsanweisungen versehen haben. Vor der Zhou-Dynastie soll es neben dem Zhou Yi noch andere schriftliche Überlieferungen der Hexagramme gegeben haben, das Lian Shan Yi (連山易, Lián Shān Yì) und das Gui Cang Yi (歸藏易, Gūi Cáng Yì), die aber verloren gegangen sind.
Seit der Entdeckung der Orakelknochen der Shang-Zeit (2. Jahrtausend v. Chr.) geht die Forschung davon aus, dass das I Ging aus dieser Orakelpraxis hervorgegangen ist. Diese Umwertung fand in China schon in den letzten Jahren der Qing-Zeit (Ende 19. Jahrhundert) statt, wurde in Europa aber erst seit ca. 1980 wahrgenommen. Die heute vorliegende Textredaktion des I Ging ist im siebten Jahrhundert n. Chr. erstellt und unter dem Titel Zhouyi zhengyi (周易正義, Zhōuyì zhèngyì) publiziert worden; diese Ausgabe war jahrhundertelang der maßgebliche Text.
Das I Ging enthält 64 verschiedene Figuren (Hexagramme). Ein Hexagramm besteht aus sechs Linien, die jeweils in zwei verschiedenen Arten vorkommen können: Als durchgezogene waagerechte Linie (hart) und als in der Mitte unterbrochene waagerechte Linie (weich). Aus diesen beiden Linienarten werden alle 64 Hexagramme gebildet.
Die Zeichen werden aus 2 × 3 Linien, also aus zwei „Trigrammen“, hergeleitet. Die durchgehenden Linien gelten als die festen und lichten, die unterbrochenen Linien gelten als die weichen und dunklen. Die Linien haben nach ihrem Platz innerhalb des Hexagramms (von unten nach oben gesehen) unterschiedlichen Rang und Bedeutung. Die betonten Linien des unteren Halbzeichens treten in das Zeichen ein, sind „kommend“, die betonten Linien im oberen Halbzeichen sind „gehend“. Die unterste und die oberste Linie eines Zeichens stehen immer in Verbindung zu anderen Zeichen und gehören nicht zu den Kernzeichen.
Die 64 Bilder oder Grundzeichen (identisch mit dem Ausdruck Hexagramm) beschreiben Kräfte (1 + 2), Situationen oder Aufgaben (3 + 5 + 6 + 10 …), Familie (31 + 37 + 54), persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten (4 + 8 + 9 + 14…), konkrete Tätigkeiten (Wanderer, 56), politische Phasen (11 + 12 + 18 + 21…) – meist enthalten sie abstrakte Begriffe mit mehreren Deutungsmöglichkeiten.
Alle 64 Bilder können jeweils 6 Zusatzhinweise haben, je nachdem, ob bei der Ermittlung des Zeichens (je nach der Form des Orakels) eine Linie als wandelnd („dynamisch“) oder nicht („stabil“) identifiziert wurde. Die 64 Bilder beschreiben also schon 384 Situationen oder geben entsprechende Verhaltensratschläge. Da jedes der 64 Zeichen durch Wandel einer oder mehrerer Linien in alle anderen übergehen kann, gibt es 64 × 64 = 4.096 verschiedene implizite Übergänge oder Möglichkeiten des Umschlagens einer Situation. Diese große Anzahl von verschiedenen möglichen Kombinationen veranlasste die Autoren des I Ging anzunehmen, die möglichen Kombinationen von Symbolen könnten alle Möglichkeiten der Veränderungen und Wandlungen in der Welt darstellen. Die beim Erheben der Zahlenwerte notwendigen umfangreichen Rechenoperationen wurden daher Grundlage einer sich auf dem I Ging aufbauenden Zahlensymbolik.
Die zwei Linien.
Historisch ist das I Ging viel älter als die Yin-Yang-Lehre (陰陽 / 阴阳, Yīn Yáng), folgende Zuordnungen für die zwei „Linien“ (兩儀, Liǎng Yí) sind jedoch mit der Zeit üblich geworden:
- Die durchgezogene Linie steht für das yáng (陽): Ausdehnung, maskuliner Aspekt, Licht, Leben, ungerade Zahlen, Durchdringung, Berge; in Indien der Lingam. Symbol ist der Drache.
- Die unterbrochene Linie steht für das yīn (陰): Zusammenziehung, femininer Aspekt, Dunkelheit, Nacht, Tod, gerade Zahlen, Widerstand, Wasserläufe; in Indien die Yoni. Symbol ist der Tiger.
Unterschiedliche Sichtweisen (I):
0 | 1 | 00 | 01 | 10 | 11 | 000 | 001 | 010 | 011 | 100 | 101 | 110 | 111 |
Die beiden Linien können als Elemente eines Dualsystems gesehen werden. Bei der (in der unteren Zeile gezeigten) Repräsentierung der Symbole in Unicode entspricht allerdings der durchgezogenen Linie die Binärzahl 0 und der unterbrochenen Linie die Binärzahl 1, komplementär zur eben erwähnten Zuordnung zur Parität.
In seinem erstmals 1925 veröffentlichten Kommentar ‚Die Lehren des Laotse‘ beschreibt Richard Wilhelm den philosophischen Hintergrund wie folgt, wobei mit dem Ausdruck ‚Urzeichen‘ die Trigramme gemeint sind (Richard Wilhelm, ‚Laotse. Tao te king. Das Buch vom Weg des Lebens‘, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 2. Auflage: Januar 2003; Orig. Eugen Diederichs Verlag, 1910):
„Die Welt ist in stetem Wechsel und Wandel begriffen. Alles was ist, ist eben deshalb dem Tode verfallen: denn Geburt und Tod sind zwar Gegensätze, aber sie sind notwendig aneinander geknüpft. Aber indem alles vergeht, was gewesen ist, ist dennoch kein Grund da zu sagen: »es ist alles ganz eitel«; denn dasselbe Buch der Wandlungen zeigt auch, daß alle Wandlungen nach festen Gesetzen sich vollziehen. Das Buch der Wandlungen enthält die Anschauung, daß die ganze Welt der Erscheinungen auf einem polaren Gegensatz von Kräften beruht; das Schöpferische und das Empfangende, die Eins und die Zwei, das Licht und der Schatten, das Positive und das Negative, das Männliche und das Weibliche, alles sind Erscheinungen der polaren Kräfte, die allen Wechsel und Wandel hervorbringen. Denn diese Kräfte darf man sich nicht als ruhende Urprinzipien vorstellen. Die Anschauung des Buchs der Wandlungen ist weit entfernt von jedem kosmischen Dualismus. Vielmehr sind diese Kräfte selbst in dauerndem Wandel begriffen. Das Eine trennt sich und wird Zwei, die Zwei schließt sich zusammen und wird Eins. Das Schöpferische und das Empfangende vereinigen sich und erzeugen die Welt. So sagt auch Laotse, daß die Eins die Zwei erzeugt, die Zwei erzeugt die Drei, und die Drei erzeugt alle Dinge. Im Buch der Wandlungen ist das dadurch dargestellt, daß die ungeteilte Linie des Schöpferischen und die geteilte Linie des Empfangenden zusammentreten zu den dreistufigen acht Urzeichen, aus deren Kombinationen die ganze Welt der möglichen Zeitkonstellationen sich aufbaut“ – Richard Wilhelm: Laotse Tao te king
Die vier Bilder.
Aus den zwei Linien lassen sich vier verschiedene „Bilder“ („Die vier Xiàng“, 四像, Sì Xiàng) zusammensetzen. Luft (bzw. Himmel) und Erde sind oben (altes Yang) und unten (altes Yin). Feuer und Wasser befinden sich dazwischen. Feuer hat das Bestreben nach oben zu lodern, deshalb wird es „junges Yang“ genannt. Wasser fließt dagegen nach unten und wird als „junges Yin“ bezeichnet. Die Wandlung erfolgt in einem ewigen Kreislauf: Vom alten Yang (oben) zum jungen Yin (nach unten), zum alten Yin (unten), zum jungen Yang (nach oben), wieder zum alten Yang (oben) und so weiter: → → → → →:/:
(U+268C) | Luft | altes Yang | (太陽, tài yáng) | ||
(U+268D) | Feuer | junges Yang | (少陽, shào yáng) | siehe „Unterschiedliche Sichtweisen“ | |
(U+268E) | Wasser | junges Yin | (少陰, shào yīn) | -„- | |
(U+268F) | Erde | altes Yin | (太陰, tài yīn) |
Die acht Trigramme Hauptartikel: Acht Trigramme.
Durch Hinzufügen jeweils eines Yáng oder Yīn entstehen aus den vier Xiàng acht Trigramme oder „Orakelzeichen“ (八卦, Bā Guà). Diese geben allerdings nur ein statisches Bild. Erst die Erweiterung zu den 64 Hexagrammen erlaubt es, ein dynamisches Geschehen darzustellen, da hier die Trigramme in Wechselwirkung zueinander stehen. Die Hexagramme werden also jeweils aus zwei Trigrammen zusammengesetzt aufgefasst. Die acht Trigramme sind:
Das erste oder untere Trigramm eines Hexagramms wird als der innere Aspekt der ablaufenden Veränderung angesehen; das zweite oder obere Trigramm heißt der äußere Aspekt. Der beschriebene Wechsel verbindet somit den inneren Aspekt (Person) mit der äußeren Situation. Jedem Trigramm ist, entsprechend den männlichen (durchgezogenen) bzw. weiblichen (unterbrochenen) Linien, eine Position in der Familie zugeordnet. Der Strich, der nur einmal im Trigramm enthalten ist, ist maßgeblich für die Geschlechtszuordnung, die Zuordnung zum Alter erfolgt von unten nach oben. Himmel (Vater) und Erde (Mutter) haben eine Sonderstellung. Gelesen werden die Hexagramme von unten nach oben, wobei jeweils die sog. Ränge 1–4, 2–5, 3–6 der beiden Trigramme in Verbindung gesehen werden müssen.
Historische Reihenfolgen
1. Gruppe: | ||||||||
2. Gruppe: | ||||||||
3. Gruppe: | ||||||||
4. Gruppe: | ||||||||
5. Gruppe: | ||||||||
6. Gruppe: | ||||||||
7. Gruppe: | ||||||||
8. Gruppe: |
Historisch sind mehrere Reihenfolgen der Zeichen aufgetreten. Die älteste Reihenfolge ist die „König Wen-“ oder die „konventionelle“ Reihenfolge, die auf König Wen zurückgeführt wird. Eine andere Reihenfolge wird nach dem mythischen Helden Fu Xi (伏羲, Fú Xī) benannt, geht aber auf Shao Yong (aus der Zeit der Song-Dynastie) zurück; sie ist so geordnet, dass sich die Zeichen als eine Folge binärer Zahlen ansehen lassen.
Eine dritte Anordnung ist die des Mawangdui-Textes: Es fehlt die Paarbildung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Hexagrammen, außerdem ist die Reihenfolge der Hexagramme völlig anders. Sie sind im Mawangdui I-Ging systematisch geordnet:
In den Hexagrammen jeder Gruppe sind alle acht Trigramme vertreten. Jeweils ein Hexagramm, das aus zwei gleichen Trigrammen besteht – ein sogenanntes Doppelzeichen – führt eine Achtergruppe von Hexagrammen an, wobei das obere Trigramm innerhalb einer Gruppe das Gleiche bleibt und das untere Trigramm nach einer bestimmten Abfolge wechselt. Die Abfolge der unteren Trigramme bleibt in allen acht Gruppen bestehen, ist aber von jener der oberen Trigramme verschieden:
- Reihenfolge der oberen Trigramme (die Anführer der 8 Hexagramm-Gruppen):
- Himmel, Berg, Wasser, Donner, Erde, See, Feuer, Wind
- Reihenfolge der unteren Trigramme (zyklisch versetzter Beginn):
- Himmel, Erde, Berg, See, Wasser, Feuer, Donner, Wind
Das ergibt als Abfolge:
- Gruppe: 1. Himmel/Himmel, 2. Erde/Himmel, 3. Berg/Himmel usw.;
- Gruppe: 9. Berg/Berg; 10. See/Berg, und so fort.
Duale Anordnung nach Gegensatzpaaren.
Die I-Ging-Hexagramme sind in einer fest vorgegebenen Reihenfolge von 1 bis 64 abgezählt, was sich auch in der Abfolge der Codepoints im Unicodeblock der I-Ging-Hexagramme zeigt. Die Erklärung der Reihenfolge ist nur in Xugua (序卦, ‚Lehre der Anordnung‘) spekulativ angegeben. Es handelt sich um eine Anordnung nach Gegensatzpaaren in Bezug auf die Striche oder Trigramme, aus denen die Hexagramme gebildet werden. Es lässt sich erkennen, dass jedes Hexagramm (zum Beispiel 3. 屯 ) mit seinem Umgekehrt-Bild ein Paar bildet, deren einzelne Bilder nacheinander stehen (zum Beispiel 4. 蒙 ). Wenn ein Bild mit seinem Umgekehrt-Bild gleich ist (zum Beispiel 61. 中孚 ), folgt das komplementäre Bild (zum Beispiel 62. 小過 ). Allerdings lässt sich in den verschiedenen Anordnungsmatrizen keine Regel für die Hexagrammnummern im Ganzen erkennen, völlig unabhängig vom System, nach dem die beteiligten Trigramme sortiert sind.
Hier ist nochmals zusammengestellt, welche Hexagramme sich aus der Kombination von jeweils zwei Trigrammen ergeben. Das Nummerierungssystem für die Trigramme ist dasselbe wie oben angeführt, nach dem dualen Aufbau.
Konventionelle Reihung.
Auch bei der konventionellen Reihung der Trigramme, nach den vier Gegensatzpaaren, lässt sich in der Nummerierungsfolge der Hexagramm-Matrix kein System erkennen.
1 | ||||||||
2 | ||||||||
3 | ||||||||
4 | ||||||||
5 | ||||||||
6 | ||||||||
7 | ||||||||
8 |
Reihung nach der Mawangdui-Redaktion.
Das Mawangdui (chinesisch 馬王堆 / 马王堆, Pinyin Mǎwángduī) I Ging hat eine abweichende Reihenfolge (siehe I Ging#Historische Reihenfolgen). Hier wird diese gruppenorientierte Anordnung sowohl nach Hexagrammnummern, als auch in Bildern gezeigt. Das obere Trigramm innerhalb einer Gruppe bleibt dasselbe, das untere Trigramm wechselt nach einer bestimmten Abfolge zyklisch immer so, dass jede Gruppe mit einem „Doppelbild“ aus zweimal demselben Trigramm beginnt.
1) | 01 | 12 | 33 | 10 | 06 | 13 | 25 | 44 |
2) | 52 | 41 | 04 | 22 | 27 | 18 | 26 | 23 |
3) | 29 | 63 | 03 | 48 | 05 | 08 | 39 | 60 |
4) | 51 | 32 | 34 | 16 | 62 | 54 | 40 | 55 |
5) | 02 | 15 | 19 | 07 | 36 | 24 | 46 | 11 |
6) | 58 | 47 | 49 | 17 | 28 | 43 | 45 | 31 |
7) | 30 | 21 | 50 | 14 | 35 | 56 | 38 | 64 |
8) | 57 | 09 | 20 | 53 | 61 | 59 | 37 | 42 |
1. Gruppe: | ||||||||
2. Gruppe: | ||||||||
3. Gruppe: | ||||||||
4. Gruppe: | ||||||||
5. Gruppe: | ||||||||
6. Gruppe: | ||||||||
7. Gruppe: | ||||||||
8. Gruppe: |