Infantilität steht für kindisches, unreifes Benehmen. Infans heißt auf Lateinisch Kind. Die Infantilität erstreckt sich auf das Handeln, das Gewissen, das Denken und die Gefühle. Infantile Haltungen können bis ins hohe Alter fortbestehen. Zur Infantilität zählen weiter gespielte Hilflosigkeit, eine übertriebene Äußerung von Gefühlen, Schüchternheit. Der Infantile ist rasch beeinflußbar. Dem Infantilen fehlen eine feste Zielsetzung und Struktur. Ihm mangelt es nicht selten an Zuverlässigkeit, an Umsicht und Verantwortung. Entweder ist er unfähig, feste Bindungen einzugehen, oder er gibt sich suchend-anklammernd.
Infantile bevorzugen ein phantasiegetragenes Weltverständnis mit mangelndem Wirklichkeitsbezug. Sie leben weitgehend unbewußt, ihre symbiotisch-infantile Problematik betreffend. Infantile verdrängen ihre Sexualität oder erleben diese übersteigert. Die Ich-Bezogenheit des Infantilen ist ungezügelt wie die eines Kindes. Manchmal quälen Angst, Niedergeschlagenheit, Eifersucht oder andere Symptome den Infantilen so sehr, daß er bereit ist, innezuhalten und sich weiterzuentwickeln.
Schuld und Angst blockieren das Denken und die Entwicklung des Infantilen. Freiwillig streift der Infantile seine kindliche Haltung selten ab. Zumeist treiben ihn Ängste, Versagen in Prüfungen und depressive Stimmungen zur Verhaltensänderung. Die oft unbewußte Ausbruchsschuld vom Elternhaus verhindert die Reifung. Die Schuld hält den Betroffenen in der Infantilität zurück. Schuldgefühle verursachen auch Angst, Depression und zahlreiche körperliche Symptome. Ein großer Teil unserer Gesellschaft ist unter dem Blickwinkel der Reifung als infantil zu bezeichnen.

Der Medienwissenschaftler Neil Postman begriff infantiles Verhalten als Gegensatz zu dem von „normalen“ Erwachsenen, denen er insbesondere folgende Merkmale zuschrieb: „Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und zum Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung, ein differenziertes Vermögen, begrifflich und logisch zu denken, ein besonderes Interesse sowohl für die historische Kontinuität als auch für die Zukunft, die Wertschätzung von Vernunft und gesellschaftlicher Gliederung“. Auf dieses Begriffsverständnis beziehen sich weitere Wissenschaftler, etwa der US-amerikanische Politologe Benjamin R. Barber, der deutsche Schulpädagoge und Schriftsteller Horst Hensel und der österreichische Literaturwissenschaftler Thomas Rothschild. Als Vorläufer dieser Perspektive kann Herbert Marcuse gelten, der den von Wilhelm Reich geprägten sexualpsychologischen Begriff der repressiven Entsublimierung auf die moderne westliche Kultur übertrug. Diese sei durch eine repressive Toleranz ihrer herrschenden Institutionen geprägt, lasse aber immer mehr Grenzüberschreitungen zu und mache Privates in skandalöser Form öffentlich.

Als Merkmale der Infantilisierungstendenz von Erwachsenen werden u. a. genannt: „Mitteilungsdrang gegenüber Fremden, Indiskretion; ein gewisser Zeigestolz; der Hang, seinen Spiel- und Zerstreuungsbedürfnissen zu fast jederzeit und ohne Rücksicht auf die Umgebung nachzugehen“ sowie die „fortlaufende Preisgabe des Privaten, Persönlichen“.

Einfluss von Medien und Werbung

Während Postman angesichts der Verbreitung des steigenden Fernsehkonsums in den frühen 1980er-Jahren argumentierte, dass durch das Medium Fernsehen Kinder und Erwachsene eine viel größere Schnittmenge aus Informationen und Erlebnissen besäßen und Kindheit nichts Spezifisches mehr sei, sondern verschwinde, reißt heute die Werbe- und Unterhaltungsindustrie die altersspezifischen Schranken gänzlich ein und sieht als wichtigste „Werberelevante Zielgruppe“ die Menschen zwischen 14 und 49.

Durch diese Ausdehnung des Jugendgefühls („One age“) wird die Infantilisierung strukturell im Markt verankert: Kinder- und Jugendbücher und -filme oder Comics werden heute vielfach von Erwachsenen konsumiert. Über 19 Prozent der in der Sinus-Milieustudie als „Moderne Performer“ und damit als gesellschaftliches „Leitmilieu“ definierten Zielgruppe, also die gebildeten „Selbstverwirklicher“, kaufen Kinder- und Jugendbücher für sich selbst (im Bundesdurchschnitt sind es immerhin über 16 Prozent aller Menschen.)

Die Schottin Johanna Basford hat 1,4 Millionen Exemplare ihres Malbuchs für Erwachsene Mein verzauberter Garten verkauft. 30 Millionen Deutsche spielen am Computer, davon fast 13,5 Millionen täglich. Sieben Millionen Gamer sind über 50 Jahre alt. Auch Designer entwerfen immer mehr All-age-Produkte, die die Baby-Boomer an ihre Kindheit erinnern. Der Slogan der Popkultur: Die Young, Stay Pretty lässt das Altern als kognitiven Verfall (senility) und Fluch erscheinen.

Einflüsse der Pädagogik und des Wohlfahrtsstaates.

Matthias Heitmann sieht in der scheinbaren „Aufwertung der Belange und Potenziale junger Menschen“ auch eine „Entwertung des erwachsenen ‚mündigen‘ Menschen“. Die Zielsetzung, junge Menschen dazu zu erziehen, Verantwortung zu übernehmen, werde nicht mehr wirklich ernst genommen. Einerseits klage man über die Orientierungslosigkeit der Kinder, spreche aber den Erwachsenen das Recht ab, in Erziehungsfragen entscheiden zu können. Heitmann spricht in diesem Zusammenhang von „Erwachsenenkulissen“ wie Kinderparlamenten oder dem Informatikunterricht in der Grundschule, dessen Lernresultate im Erwachsenenleben kaum umzusetzen seien.

Ein anderer Aspekt der Infantilisierung sei eine feste kulturelle Verankerung erlernter Hilflosigkeit in den Strukturen des Wohlfahrtsstaates der letzten Jahrzehnte. Der „Nanny-Staat – so die Kritik von wirtschaftsliberaler Seite – verwandele den Menschen in ein realitätsfernes, fremdbestimmtes Kindheitswesen, das in der Traumwelt einer großen „Villa Kunterbunt“ lebe.

Pascal Bruckner beschreibt den Zusammenhang von Infantilismus und Selbstviktimisierung moderner Gesellschaften: Das Individuum sei bis zum Äußersten auf seine Unabhängigkeit bedacht, beanspruche aber zugleich Fürsorge und Hilfe und schaue neid- und angstvoll auf andere; es verbinde die Doppelgestalt des Dissidenten und des Kleinkindes miteinander.

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