Königin der Nacht-Relief (auch Burney-Relief), altbabylonische Zeit, 1800-1750 v.
Aus Südmesopotamien, im heutigen Irak. Es kann die Göttinnen Ishtar, Lilith oder Ereshkigal darstellen.
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Zu seiner Überzeugung stehen!
Am Anfang war die Große Göttin, und die Göttin war die Erde und die Erde war die Göttin. Die Ursprünge des Kults der Großen Göttin liegen verschüttet in der langen Dämmerung der vorgeschichtlichen Zeit. Die Große Göttin herrschte während hunderttausenden von Jahren. Dann kam der Siegeszug des Patriarchats, die Muttergöttin wurde gestürzt oder verdrängt, und der Sieg des Archetyps aller Patriarchen – Jahwes, Gott Vaters, Allahs – in der judäo-christlich-moslemischen Welt war vollkommen. Nur in der domestizierten Form der Gottesmutter Maria durften im Christentum einige Aspekte der alten Muttergottheit überleben, und diverse schwarze Madonnen an alten Heiligtümern der Großen Mutter zeugen noch von ihr.
Die Figur der Lilith ist eine Erscheinungsform, ein Teilaspekt der Großen Göttin. Im babylonischen Reich ist sie noch Gottheit, als Lilitu, Ischtar oder Lamaschtu. In der jüdischen Mythologie ist sie schon verdrängt ins Dunkel, eine böse Nachtdämonin, die Männern nachstellt, Kinder tötet und sich mit Satan paart. Es existieren viele unterschiedliche Geschichten, Mythen und Interpretationen um Lilith. Die einen verehren sie als Göttin, die anderen ächten und fürchten sie als Dämonin oder gar Mörderin. Wir finden Lilith in den Apogryphen des Alten Testaments, im Talmud, in der Literatur und in vielen Sagen. Übereinstimmung herrscht darin, dass Lilith tatsächlich die erste Frau der Welt war und die scheinbare Komfortzone aus Überzeugung verließ.
Die wahre Komfortzone findet jeder nur in sich SELBST – das Wort dafür: Souveränität.
Hier einige Auszüge und Zitate:
„Gott schuf zunächst Lilith Adam zur Frau, aber Lilith war unverschämt und eigenwillig (…). Sie behauptete, mit Adam gleichgestellt zu sein, weil auch sie aus Staub erschaffen worden war“ (Utrio Kaari; Evas Töchter – Die weibliche Seite der Geschichte).
„Lilith erzählt: Wisst ihr denn, dass ich, Lilith, die erste Frau Adams war? Aus der gleichen Erde geschaffen wie er – nicht aus der Rippe, wie es dann das jämmerliche Schicksal Evas war, nein, aus der gleichen Erde, mit den gleichen Rechten wie er (…). Aber da wir beide die gleichen Kräfte hatten, gab es keine Gewinnerin und keinen Verlierer. Ich flog davon, ich wollte nicht mehr, ich flog zum Wasser, zum Roten Meer. Bis mich drei Erzengel einholten und in Gottes Namen zu Adam zurückschickten. Ich weigerte mich. Sie schlugen mich und wollten mich töten“ (Kling Angela; Lamaschtu, die Kindstöterin, Labartu, die Würgerin, Ischtar, große Mutter).
„Lilith, die Geheimnisvolle und Verführerische, Lilith die Unheildrohende. Eine der faszinierendsten mythischen Gestalten, von der weder jüdische noch christliche Phantasie je hat lassen wollen (…). Am Anfang, vor Eva, war – nach talmudischer Überlieferung – Lilith: Adams erste Frau. Nach dem Sohar, dem Heiligen Buch der Kabbala, war sie gar die „weibliche Seite Gottes“. Geheimnisvoll, verführerisch, doch auch unheildrohend. Ein geflügeltes Wesen von feurig-provokativem Temperament. Eine Göttin? Eine Dämonin? Oder einfach eine Frau, die sich nichts gefallen ließ? Geist begabt, hochfliegend, zu groß für den dumpfen Erdenkloß mit Namen Adam? Geisterte sie über Jahrtausende als Irrlicht vor allem durch Männerphantasien, so wird sie neuerdings von Frauen entdeckt“ (Vera Zingsem; Lilith. Adams erste Frau).
Lilith beschreibt das Verhältnis des Menschen zum Absoluten. Zur Reue, zum Opfer und zum Loslassen. In Bereichen des Begehrens, eine psychische Ohnmacht oder eine Hemmung im Handeln erfährt, andererseits – und dies ist wesentlich – eine Infragestellung von sich selbst, seinem Leben, seiner Beschäftigung, seinem Credo oder – und dies ist die neueste Entdeckung – eine Gelegenheit zum Loslassen. Auf diesem Niveau bedeutet dies, daß man die Welt in sich einströmen läßt, ohne dabei das geringste vom Ich entgegenzusetzen, ohne Voluntarismus oder der niedrige Wille zur Macht, ohne Passivität, oder vielmehr im Gegenteil mit der festen Idee, sich zu öffnen, Vertrauen zu schenken, sich durchströmen zu lassen, sich zu verlassen auf die großen Gesetze des ALLS, hierfür muß man zunächst inneren Platz schaffen.
1. Begriff:
Im Babylonischen Talmud will man hebr. לילית lîlît auf לילה lajlā „Nacht“ zurückführen (Pesachim 112b; Eruvin 18b; Text Talmud 2), zumal Lilit in den rabbinischen Texten meist nachts auftritt. Dem entspricht die Übersetzung „Nachtgespenst“ in der revidierten Lutherbibel (1984; Luther: „Kobold“). Bei dieser Ableitung handelt es sich jedoch um eine Volksetymologie. Tatsächlich dürfte der Begriff aus dem Sumerischen abzuleiten sein: Aus sumerisch LĺL wurde akkadisch lilītu, die etymologische Wurzel für Hebräisch לילית lîlît. Die genaue Bedeutung des sumerischen Wortes LĺL ist allerdings umstritten. Am wahrscheinlichsten ist das Wort mit „Windhauch“ zu übersetzen.
Die → Septuaginta vermeidet in Jes 34,14 den Namen Lilit und gibt das Wort mit ὀνοκένταυροι onokéntauroi „Eselskentauren“ wieder (der Begriff findet sich auch in Jes 13,22; Jes 34,11). Aquila übernimmt den hebräischen Namen, während Symmachus (zu beiden → Septuaginta) und → Vulgata Lilit mit der griechischen Göttin Lamia identifizieren.
2. Belege.
2.1. Mesopotamische Belege:
Die mesopotamische Lil-Familie besteht aus den zwei weiblichen Gestalten Lilitu und Ardat-Lili („Dienerin des Windes“; „Windsbraut“) sowie einem männlichen Geist (Lilu). Alle drei gefährden Menschen – insbesondere Männer – durch Krankheit und Tod. Obwohl die Lil-Geister einen personalen Charakter besitzen, werden sie selten mit dem Zeichen DINGIR, das sie als Gottheiten auszeichnen würde, versehen. Eine Ausnahme findet sich in der Gleichsetzung in CT (= Cuneiform Texts from Babylonian Tablets of the British Museum, London 1896ff.) 24, 44:146 (DINGIR DIMME.GI(6).GI = li-li-tu), wobei hier das Gottes determinativ nur in der sumerischen Bezeichnung auftaucht, die aber sonst nicht akkadisch Lilitu, sondern Lamaschtu (→ Dämonen) gelesen wird.
2.1.1. Sumerische Belege
1) Texte. Der älteste bekannte Beleg für den Windgeist KI-SIKIL-LIL(2)-LA(2) (wörtl. „reiner Ort des Windes“) findet sich im sumerischen Epos „Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt“ aus dem 3. Jt. v. Chr. Mit dem Begriff wird „the shrieking maid, the joyful, the bright queen of heaven“ (van Buren, 1936-1937, 356) bezeichnet, die in dem Baum wohnt, welchen Gilgamesch für Inanna fällen soll.
Altbabylonisch sind bisher nur Stellen bekannt, an denen lediglich zwei Windgeister nebeneinander genannt werden. Als Dreiergruppe treten die Geister lilû (LU[2]-LIL[2]-LA[2]; LIL[2]-LA[2]-EN-NA), der männliche Windgeist, sowie seine weiblichen Pendants lilītu (KI-SIKIL-LIL[2]-LA[2]-[EN.NA]; MUNUS-LIL[2]-LA[2]) und (w)ardat lilî (KI-SIKIL-LIL[2]-LA[2]-[EN.NA]; KI-SIKIL-UD.DA-KAR-RA), die sog. „Windsbraut“ oder „Dienerin des Windes“ erst in jüngeren sumerischen Beschwörungen auf, z.T. unter oder neben den „Bösen Sieben“, einer häufig beschworenen mesopotamischen Dämonengruppe (→ Dämonen).
2) Darstellungen. Das sog. Burney-Relief bietet eine sumerische (?, die Echtheit ist nicht sicher nachzuweisen) Göttinnendarstellung, die häufig mit der Dämonin Lilitu bzw. Lilit identifiziert wird. Auf dem Relief ist eine nackte schöne junge Frau dargestellt, die eine vierfache Hörnerkrone trägt, die sie als Göttin ausweist. Statt Füßen hat sie Vogelkrallen und -flügel. Die Göttin hält Ring und Stab als Herrschaftssymbole in den Händen und trägt Schmuck. Sie steht auf zwei liegenden Löwen und wird flankiert von zwei Eulen. Farbreste weisen darauf hin, dass die Göttin ursprünglich einen roten Körper hatte. Die Flügel wie die Mähnen der Löwen waren schwarz, die Flügel der Eulen abwechselnd rot und schwarz. Der Bildhintergrund zeigt eine doppelte Schuppenreihe, die wohl Berge darstellen soll. Diese Berge symbolisieren das „Land ohne Wiederkehr“, die Unterwelt. Unheimlich wirkt das Bild – im Gegensatz z.B. zu Abbildungen der Lamaschtu (→ Dämonen) – nicht. Die Interpretation des Reliefs ist schwierig, da es keine Beischrift trägt. Ob es sich tatsächlich um eine Darstellung der lilītu bzw. ardat-lilî (Farber, 1987-1990, 23; unter Vorbehalt Porada, 1987-1990, 25) handelt oder um Ischtar selbst (Black / Green, 1992, 108f.144; vgl. West, 1995, 125f.) bzw. eine ihrer Manifestationen ([dnin.]nin.na „Herrin der Eulen“ bzw. Kilili, die Schutzpatronin der Prostituierten; vgl. West, 1995, 127f.) muss offen bleiben.
2.1.2. Akkadische Belege:
In akkadischen Texten werden die drei Lil-Geister lilû, lilītu und (w)ardat lilî als Beherrscher der Winde (zī / āqīqu) beschrieben, wie dies in ihrem sumerischen Namen ebenfalls zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig stehen alle drei Geister in engem Zusammenhang mit (sexueller) Gefährdung durch Tod und Krankheit. Sie überfallen unerwartet die Menschen an besonderen Lebensübergängen (Geburt, Zeugung) und das am liebsten in der Nacht (so bringt die Volksetymologie ihren Namen mit akkadisch līliātum „Abend / Nacht“ in Verbindung): Besonders herausgehoben wird die sexuelle Konnotation der weiblichen Lil-Geister, die Männer verführen und töten. Wie Lamaschtu (→ Dämonen) ist der weibliche Geist Lilitu unfruchtbar und bringt Neugeborene um, indem er sie mit dem Gift seiner Brüste säugt (z.B. Foster, 1993, 871). Der männliche Lil-Geist ist ein ruheloser Geist der Steppe, ohne Lager, der (manchmal nachts) schwangere Frauen überfällt. In einer Beschwörung gegen Lamaschtu scheint er als nachtaktives geflügeltes böses Wesen vorgestellt zu sein (Wilson, 1994, 72-74). Die drei Gestalten – bzw. die männlichen Lil-Geister – unterstehen dem Löwenmischwesen Pazuzu, der das Epitheton „König der (männlichen) Lil, der bösen“ trägt. Die Windgeister wohnen in Ruinen, also an Orten, die gefährlich sind und außerhalb der Zivilisation liegen. Sie tauchen also sowohl in biographischen als auch an geographischen und zeitlichen Grenzsituationen auf und zeigen damit, dass solche Situationen als besonders gefährlich gelten.
2.2. Ugaritische Belege (?):
Die Beleglage für Lilitu in Ugarit ist schwierig, weil alle in Frage kommenden Texte beschädigt sind und daher ergänzt werden müssen. Ikonographische Zeugnisse finden sich in Ugarit für Lilitu nicht. Eindeutige Aussagen über die Bedeutung von Lil-Geistern in Ugarit lassen sich also kaum treffen.
2.3. Phönizische Belege (?)
Der auf einem Gipstäfelchen aus Arslan Tasch (KAI 27; TUAT II 436f.) aus dem 7. Jh. dargestellte Sphinx (→ Mischwesen) („Göttin Fliegerin“, „Zerschlagerin“ oder „(Knochen)Knackerin“, „Fliegerin im Dunkel der Unterwelt“) mit Spitzhelm und Skorpionschwanz wird häufig mit Lilit identifiziert (TUAT II 436; KAI II 46). Liest man die Inschrift in Z. 20 als „לילין“ wäre dies als ein Hinweis auf Lilit zu deuten (Driver, 1959, 55). Die Bezeichnung „Lilit“ wäre dann wohl als Beiname der „Fliegerin“ und nicht als Einführung einer weiteren Dämonin zu verstehen. Allerdings ist die Lesung als „לילין“ mit verschiedenen Unsicherheiten belastet, so dass auch eine andere Möglichkeit gute Argumente für sich hat. Die Inschrift könnte auch übersetzt werden: „Oh, Fliegerin im Dunkel der Unterwelt, geh vorüber alle Zeit, bei Nacht und bei Tag!“ (TUAT II 437). Das würde Z. 26-29 entsprechen, wo der Gott Sasam beschworen wird, beim Sonnenaufgang zu verschwinden. Auch hier endet die Beschwörung also mit einer Zeitangabe, nämlich mit dem Tagesbeginn. Ob tatsächlich die Lilit genannt wird, erscheint daher eher unwahrscheinlich und muss zumindest offen bleiben.
2.4. Ein alttestamentlicher Beleg:
Außerhalb Mesopotamiens scheint Lilit keine besondere Bedeutung gehabt zu haben. Umso erstaunlicher ist es, dass ihr Name im Alten Testament genannt wird, nämlich in Jes 34,14 (vgl. Jes 13,21f.; Jer 50,39). Hier wird in einer prophetischen Rede geschildert, wie Edom der Vernichtung anheimfällt. Im Rahmen dieser Schilderung wird u.a. berichtet, welche unheimlichen und gefährlichen Tiere die Ruinen Edoms bevölkern und diese so unbewohnbar machen (Eulen und Raubvogel [דיות dājjôt; → Vögel], Strauß, Schakal und Schlange [קפוז qiffôz; → Wüstentiere], Wüstlinge [ציים ṣijjîm], Heuler [איים ’ijjîm] und Bock [→ Dämonen]). Unter diesen Wesen wird auch Lilit als Verkörperung der menschlichen Antigesellschaft genannt.
Jes 34,11-15 ist ein literarisch sorgfältig komponierter und wohl später Text „schriftgelehrter Prophetie“ (Zapff, 1995). Der Text steigert die ähnlichen Ödnisbeschreibungen (Babylon) von Jes 13,21f. und Jer 50,39, die ebenfalls davon sprechen, dass die Ruinen niemals wieder von Menschen besiedelt werden. Auch Jes 13,21f. (Wüstlinge [ציים ṣijjîm], Heuler [איים ’ijjîm / אחים ’ochîm], Böcke, Strauße, Schakale) und Jer 50,39 (Wüstlinge [ציים ṣijjîm], Heuler [איים ’ijjîm], Strauße) nennen unheimliche und gefährliche Tiere, aber nur in Jes 34,14 wird ein konkreter Name genannt, nämlich der der Lilit. Allerdings bleibt in Jes 34 Lilit in klar umfassten Grenzen tätig: Sie dient einzig der Schilderung des Bereichs, der zur menschlichen Antigesellschaft gehört und nimmt keine darüber hinaus gehenden eigenständigen Funktionen wahr. Die Vernichtung Edoms ist allein dem Wirken Jahwes zuzuschreiben. Die Besiedlung der Ruinen durch Tiere und Lilit ist eine sekundäre Folge des Handelns Jahwes. Auf die Gefahr, die von Lilit ausgeht, wird lediglich hintergründig angespielt, einerseits durch die mit der Unterwelt verbundenen → Vögel (insbesondere die Eulen) und durch Tiere, die als Symboltiere für Verwüstung und Klage stehen (Strauß und Schakal) sowie andererseits über die Nennung weiterer unheimlicher Wesen, die in die Topographie der Verwüstung gehören (Wüstlinge [ציים ṣijjîm], Heuler [איים ’ijjîm], Bock). Indirekt lässt auch das Verhalten von Schlange (קפוז qiffôz) und Raubvogel (דיות dājjôt) den Charakter der Lilit (Giftigkeit und schnelles Zupacken) anklingen. Wer Lilit begegnet, begegnet tödlicher Gefahr.
Warum und wie die Lilit ihren Einzug in Jes 34 gefunden hat, ist kaum sicher zu begründen. Ein möglicher Anknüpfungspunkt für Jes 34 könnte der Aufenthalt der mesopotamischen Lil-Geister in Ruinen darstellen. Eine Verbindung zu Babylonien ist auch durch die Verarbeitung von Jes 13 und Jer 59 gegeben. Den ausgeprägten (sexuellen) Charakter, über den die Lil-Geistern in Mesopotamien verfügen, hat Lilit in Jes 34,14 jedoch verloren. Im schriftgelehrten Text Jes 34,14 agiert Lilit nicht als Dämonin, sondern ist wie die anderen Trümmerbewohner lediglich ein peripherer Geist, d.h. ein Wesen, das an den Rändern der Zivilisation agiert und die Ruinen zu unbewohnbaren Orten für Menschen macht. In ihrer Wirkungsgeschichte trägt Lilit hingegen gerade ihren ausgeprägten sexuellen Charakter, der ihr in mesopotamischen Quellen zukommt, weiter.
3. Wirkungsgeschichte:
Als Nachtdämon gilt die nur in Jes 34,14 genannte Lilit vor allem aufgrund ihrer innerjüdischen Wirkungsgeschichte. Dabei wird hauptsächlich ihr sexuell-gefährdender Aspekt betont. Auch im Islam finden sich Dämoninnen, die vor allem nachts aktiv sind und besonders Kinder und Frauen gefährden, sie werden aber nicht Lilit genannt, sondern heißen Umm al-Lajl („Mutter der Nacht“) oder Qarīna („Würgerin?“; „die Gehörnte“?; vgl. Zingsem, 2000, 47-56).
3.1. Zauberschalen:
Im syrischen Raum verschmilzt Lilit mit Lamaschtu und findet so weite Verbreitung insbesondere in mandäischen Zaubertexten (Naveh / Shaked, 1985; Isbell, 1975; Segal, 2000; Fauth, 1986, 66-94). Hier wird Lilit ebenso wie → Astarte eng mit Ischtar verbunden und tritt in vielfältiger Erscheinung, Benennung und Funktion auf. Zwar wird zwischen männlichen und weiblichen Lilitgestalten unterschieden, jedoch ist ihre Benennung nicht immer eindeutig. Lilit verkörpert als eine Art Succubus (ein mit einem Mann buhlender weiblicher Teufel) speziell sexuelle Gefahr bzw. gefährdet Frauen während Schwangerschaft und Geburt ebenso wie die Kinder. Ein aramäischer Text aus dem 6. Jh. n. Chr. erzählt davon, dass Elia ein Neugeborenes vor der Kinder fressenden Lilit geschützt hat (Montgomery, 1913, Text 42). Lilit gehört zur Unterwelt und muss durch apotropäische Praktiken, die sie in die Wüste vertreiben, abgewehrt werden (vgl. Wiseman, 1953, 190, 17,2-5).
3.2. Rabbinisches Judentum und Kabbalah:
Im Babylonischen Talmud wird davon berichtet, dass es sich bei Lilit um eine geflügelte Dämonin mit langen Haaren handelt (Traktat Eruvin 100b; Nidda 24b; Text Talmud 2), die nachts vor der Tür lauert und allein schlafende Männer aufsucht, um sie zu verführen (Pesachim 12b; Schabbat 151b; vgl. Sohar I 148a-b, Sifre Tora). Der Lilit-Sohn Homin ist vielleicht mit dem persischen Ahriman – dem bösen Gegenspieler des guten Gottes Ahura Mazda – zu identifizieren (vgl. Baba Batra 73a).
Das Targum zu Ps 91 identifiziert Lilit mit dem dort genannten „Schrecken der Nacht“ (→ Dämonen). An den → aaronitischen Segen schließt das Targum Pseudo-Jonathan zu Numeri an: „Möge der Herr dich segnen in allen deinen Taten und dich schützen vor (den Dämonen) der Nacht (aramäisch לילי ljlj) und vor Dämonen, die dich in Angst versetzen, und vor Mittagsdämonen und Morgendämonen und vor Zerstörern und Nachtdämonen“.
Unterschiedliche Manifestationen der Lilit (Piznai-Lilit, Amrit-Lilit und Guprit-Lilit) sind die Mütter zahlreicher Dämonen. Wenn sie keine anderen Kinder findet, frisst Lili ihre eigenen Kinder auf. Das Alphabet des Ben Sira (9.-10. Jh.) lehnt sich an eine aus der Midrasch-Literatur stammende Legende an, die davon berichtet, dass Adam nach seiner Trennung von Eva mit einer Lilit namens Piznai Dämonen zeugt (Eruvin 18b). Im Alphabet des Ben Sira wird Lilit als die „erste Eva“ bezeichnet, die sich weigert, sich Adam (sexuell) unterzuordnen. Sie flieht verfolgt von drei Engeln ans Rote Meer und nimmt es auf sich, dass für ihre Trennung von Adam täglich hundert ihrer Kinder – Dämonen – sterben (vgl. Sohar I 34b; III 19b).
In der Kabbala erfährt die Gestalt der Lilit – als Gegenstück zur Schechina (Sohar III 69a-b; I 27b), der weiblichen Gottesherrlichkeit, die der Welt einwohnt – eine ausführliche legendenhafte Ausgestaltung: Lilit gilt als Mischwesen aus Frau und Schlange, ist eine der Frauen aus 1Kön 3,16-28 oder die Königin von Saba, deren dämonisches Wesen Salomo an ihren Hufen erkennt. Es wird zwischen einer älteren Lilit als Gegenüber zum männlichen bösen Prinzip Samael (Sohar I 148a) und einer jüngeren Lilit, der Frau des → Aschmodai, unterschieden. Sie kann auch mit dem mythischen Meeresungeheuer → Leviatan verbunden werden (Sohar I 34a).
3.3. Gegenwart.
Lilits Wirkungsgeschichte reicht bis in deutsche Märchen und Legenden hinein: Im Zuge der Hexenverfolgung wird sie zu einer Begleiterin der Göttin Hulda – besser bekannt als Frau Holle aus Grimms Märchen (Zingsem, 2000, 46). Sie ist die Großmutter des Teufels und Erzmutter der Hexerei und der Hexen und reitet in Schilderung der Walpurgisnacht in Goethes Faust mit den anderen Hexen um den Blocksberg (I 4119-4123). George Bernard Shaw beschreibt in seinem Werk „Back to Methuselah“ Lilit hingegen positiv als Mutter Adams und Evas und damit als Mutter der Menschheit. Als Urmutter hat sie erkannt, dass der Tod nur durch ständige Wiedererneuerung bekämpft werden kann. Daher gebiert sie Adam und Eva und schenkt ihrer Tochter Eva die größte Gabe, nämlich die Neugier. In der Gegenwart wird Lilith insbesondere in der (jüdisch-)feministischen Szene als Urbild der emanzipierten Frau rezipiert, die sich – im Gegensatz zu Eva – Adam nicht unterordnet (z.B. http://www.lilith.org; http://www.hagalil.com/archiv/2000/09/lilith.htm).
Literaturverzeichnis:
Literatur-Recherche Index Theologicus
Literatur-Recherche Biblische Bibliographie Lausanne
1. Lexikonartikel
- Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Dictionary of Judaism in the Biblical Period. 450 B.C.E. to 600 C.E., New York 1996
- Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
- Lexikon des Islam, Berlin 2001
2. Weitere Literatur
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- Bosshard-Nepustil, Erich, 1995, Jesaja 1-39 und das „Zwölfprophetenbuch“ in exilischer und frühnachexilischer Zeit. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zur literarischen Vernetzung der Prophetenbücher, Zürich
- Buren, E. Douglas van, 1936-1937, A further Note on the Terra-cotta Relief, in: AfO 11, 354-357
- Butterweck, Christel, 1988, Eine phönizische Beschwörung, in: Texte aus der Umwelt des Alten Testaments 1, 435-437
- Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum, London 1869ff.
- Dietrich, Manfried / Loretz, Oswald, 1980, Kennen die ugaritischen Texte den babylonischen Gottesnamen Lillu(m)?, in: UF 12, 403
- Dietrich, Manfried / Loretz, Oswald / Sanmartín, Joaquín, 1995 (2. Auflage), The Cuneiform alphabetic texts from Ugarit, Ras Ibn Hani and other places (Abhandlungen zur Literatur Alt-Syrien-Palästinas und Mesopotamiens 8), Münster
- Donner, Herbert / Röllig, Wolfgang, 1973 (3. Aufl.), Kanaanäische und aramäische Inschriften, Band 2: Kommentar, Wiesbaden
- Donner, Herbert / Röllig, Wolfgang, 2002 (5.Aufl.), Kanaanäische und aramäische Inschriften. Bd.1: Texte, Wiesbaden.
- Driver, Godfrey Rolles, 1959, Lilith. Heb. לילית „goat-sucker, night-jar“ (Is. XXXiV, 14), in: PEQ 91, 55-57
- Farber, Walter, 1987-1990, Art. Lilû, Lilītu, Ardat lilî. A. Philologisch, RLA 7, 23-24
- Fauth, Wolfgang, 1986, Lilits und Astarten in aramäischen, mandäischen und syrischen Zaubertexten, in: WO 17, 66-94
- Fischer, Charis, 2002, Die Fremdvölkersprüche bei Amos und Jesaja. Studien zur Eigenart und Intention in Am 1,3-2,3.4f. und Jes 13,1-16,14 (BBB 136), Berlin / Wien
- Foster, Benjamin R., 1993, Before the Muses. An anthology of Akkadian Literature, Vol. I (Archaic, Classical, Mature) + II (Mature, late), Ann Arbor
- Frankfort, Henry, 1937-39, The Burney Relief (with 5 Figures), in: AfO 12, 128-135
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- Groneberg, Brigitte, 1997, Lob der Ištar. Gebet und Ritual an die altbabylonische Venusgöttin = Tanatti Ištar (Cuneiform monographs 8), Groningen
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- Zapff, Burkard M., 1995, Schriftgelehrte Prophetie – Jes 13 und die Komposition des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Erforschung der Redaktionsgeschichte des Jesajabuches (fzb 74), Würzburg
- Zingsem, Vera, 2000, Lilith. Adams erste Frau, Leipzig.