Kandinskys_Farbe

 

Die Synästhesie (von altgriechisch συναισθάνεσθαι synaisthánesthai „mitempfinden, zugleich wahrnehmen“) bezeichnet hauptsächlich die Kopplung zweier oder mehrerer physisch getrennter Modalitäten der Wahrnehmung. Sie kommt durch Verflechtung von Sinnesmodalitäten zustande. Dies betrifft die Verbindung Farbe und Temperatur (beispielsweise die Verbindung „warmes Grün“), Ton, Musik und Räumlichkeit. Im engeren Sinne ist Synästhesie die Wahrnehmung von Sinnesreizen durch mit erregte Verarbeitungszentren eines Sinnesorgans im Gehirn, wenn ein anderes Organ gereizt wird. Menschen, die Wahrnehmungen derart verknüpft erfahren, werden als Synästheten oder Synästhetiker bezeichnet.

Synästhesie tritt familiär gehäuft auf. In einer Studie gaben 43 % der befragten Synästheten an, dass mindestens ein weiterer Synästhet unter den Verwandten ersten Grades sei. Synästhesien sind individuell verschiedene Wahrnehmungen. Sie sind für sich alleine keine Symptome von Störungen; sie können aber krankheitsbedingt (zum Beispiel nach Erblinden) oder drogeninduziert .

Die Synästhesie, die unter normalen Bedingungen erlebt wird und typischerweise in der Kindheit entsteht, ist eine Normvariante der Wahrnehmung. Bei Synästheten löst ein Sinnesreiz von einer Sinnesmodalität eine zusätzliche „Wahrnehmung“ in mindestens einer anderen Sinnesmodalität aus. Das bedeutet, dass beispielsweise Töne über die Haut „streichen“, Geschmacksempfindungen verschiedene „Formen“ bekommen oder Bewegungen von einem „Klang“ begleitet werden. Es sind über 60 Varianten der Synästhesie bekannt. Nicht immer muss dabei ein sensorischer Stimulus vorliegen. Viele Synästheten nehmen Zahlen farbig wahr und bei manchen reicht die gedankliche Visualisierung der Zahl, um die Farbgebung auszulösen.

„Synästhesie ist ein Luxus; eine Spielart der Evolution, die es dem Bewusstsein erlaubt, durch die Verknüpfung der Sinne und die Kopplung mit Gefühlen mehr Informationen zu generieren. Wissenschaftliche Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren haben nachgewiesen, dass Synästhetiker ein komplexer vernetztes Gehirn haben.“

– Markus Zedler 2019

Der Begriff der Synästhesie umfasst einige weitere Phänomene, die keine strikte Verknüpfung zwischen den fünf Hauptsinnen darstellen, wobei eine neue Definition der Synästhesie diskutiert wird. Bei Gefühl-Synästhesien sind Emotionen involviert. Es wurde festgestellt, dass Emotionen synästhetische Farben auslösen können und dass einige Personen Zahlen und andere abstrakte Stimuli Spersonifizieren. Bei einzelnen Personen verursachen tastbare Materialien bestimmte Emotionen. Ein weiteres Phänomen ist das Fühlen einer Berührung am eigenen Körper, das durch die Beobachtung ausgelöst wird, wie eine andere Person berührt wird. Auch das gedankliche Visualisieren von Untertiteln, die gesprochene oder gedachte Wörter begleiten, wurde mit der Synästhesie in Bezug gesetzt. Zusätzlich zu den fünf Hauptsinnen kann die Motorik in Verbindung beispielsweise mit dem Hören ebenfalls eine Synästhesie auslösen. Dieses Phänomen würde sich dadurch äußern, dass die Person eine bestimmte Körperhaltung mit einem Klang assoziiert. Somit ergeben sich bei sechs Sinnesmodalitäten (Hören, Sehen, Schmecken, Fühlen, Riechen, Motorik) dreißig mögliche Zweier-Kombinationen von Modalitäten.

Der auslösende Stimulus einer Synästhesie wird in der englischsprachigen Literatur als Inducer bezeichnet. Die synästhetische Zusatzempfindung wird Concurrent genannt. Der Concurrent kann sich in Gedanken oder außerhalb der Gedanken befinden, wobei auch im letzteren Fall die Quelle der Wahrnehmung klar ist. Manche Synästheten können beispielsweise Geräusche nicht nur hören, sondern auch Formen und Farben dazu „sehen“. Das Geräusch bekommt zusätzlich zu den üblichen Eigenschaften diese weiteren Eigenschaften. Das Bild, das dabei entsteht, überlagert sich jedoch nur bei den wenigsten Synästheten mit dem Wahrgenommenen, sondern wird vor einem „inneren Auge“ sichtbar. Doch selbst wenn sich die synästhetische Zusatzwahrnehmung mit dem auslösenden Reiz überlagert, ist die Synästhesie als zusätzlich anzusehen. Der auslösende Stimulus wird nicht durch den Concurrent ersetzt, sondern weiterhin wahrgenommen, sodass beides, der auslösende Stimulus sowie der Concurrent, erlebt wird.

Die Synästhesien lassen sich klar von Halluzinationen unterscheiden: Wenn einem Synästheten zum Beispiel ein bestimmter Ton wie eine leuchtend orange Kugel vorkommt, dann ist ihm klar, dass in der Realität keine orange Kugel da ist, die er mit den Augen sehen könnte. Ebenso sieht auch ein Synästhet, der synästhetische Farben auf gedruckte Buchstaben projiziert, in welcher Farbe die Buchstaben geschrieben sind, und weiß, dass die synästhetischen Farbschattierungen vom Gehirn produziert sind. Wenn sich ein Synästhet eine Zahl automatisch in einer bestimmten Farbe vorstellt, lässt sich dies ein Stück weit mit anderen visuellen Gedanken vergleichen.

Meist wird in sensorische und kognitive Synästhesie unterschieden. Bei der sensorischen Synästhesie kommt es durch Stimulation eines Sinnes zu unwillkürlichen und gleichzeitigen synästhetischen Empfindungen in anderen Sinnes-Systemen. Beispielsweise kann der Klang eines Musikinstrumentes zu Farbwahrnehmungen führen. Bei der kognitiven Synästhesie erhalten Gruppen von Dingen (zum Beispiel Zahlen oder Buchstaben) sensorische Zuordnungen, wie Geruch und Geschmack. So werden beispielsweise Buchstaben als Farben wahrgenommen: der Buchstabe A = pink, der Buchstabe B = blau oder der Buchstabe C = grün.

Es wurde vorgeschlagen, die Unterscheidung in sensorische und kognitive Synästhesie zugunsten der Vorstellung der Ideästhesie aufzugeben. Dieser Begriff bezeichnet die Auffassung, dass synästhetisches Erleben immer einen kognitiven, also semantischen und einen sensorischen Aspekt besitzt. Der Auslöser oder Trigger der synästhetischen Empfindung ist demnach ein Konzept (beispielsweise die Bedeutung der Zahl „5“) und die synästhetische Wahrnehmung selbst ein sensorisches Attribut (im Ergebnis beispielsweise „blau“) – mehr erfahren.