Die sozialen Medien zerlegen die alte Welt in ihre Bestandteile und setzen sie neu zusammen. Den Bauplan dafür liefert Facebook. Wie sich aus einer Idee von Studenten ein Paralleluniversum entwickelt hat. Es muss Ende vergangenen Jahres gewesen sein, als Facebook die Weltherrschaft übernahm. Schon davor war das soziale Netzwerk oft mit einer Nation verglichen worden. „Wäre Facebook ein Land“, hieß es 2008, „es wäre das achtgrößte der Welt.“ 2010 wäre Facebook bereits das drittgrößte Land der Erde gewesen, nach China und Indien. Im letzten Quartal 2014 schließlich meldete die Statistik 1,36 Milliarden Einwohner in der Volksrepublik; im Staate Facebook lebten da erst 1,35 Milliarden Nutzer, bis zum Jahresende waren es dann aber doch schon 1,39 Milliarden. Wäre Facebook ein Land, es wäre nun, nach Einwohnern, das größte der Welt – 2016.
„Nie in der Geschichte konnte man mit mehr Menschen gleichzeitig in Kontakt treten. Nie haben sich Nachrichten schneller verbreitet. Und nie war es leichter, Lügen zu streuen und Hass zu sähen. Soziale Netzwerke sind für all das prädestiniert, ihre Reichweite ist immens, heute nutzen allein fast drei Milliarden Menschen Facebook. Für den US-Konzern bedeutet diese Größe ein irre großes Geschäft – aber mittlerweile auch eine riesige Verantwortung. Mark Zuckerberg hat mit seiner Firma – wie andere digitale Unternehmen auch – eine politische Macht erlangt, die in doppelter Weise ungewollt ist. Die Welt will seinen Einfluss nicht, und er selbst wollte die Macht eigentlich auch nie. So beschreibt es Andrian Kreye im Buch Zwei, er schildert dabei einen Machtkampf, der mit der Sperrung des Facebook-Kontos von Donald Trump nicht zu Ende gegangen ist, sondern erst richtig begann“ – 2021.
Es wird ungemütlich für die Technologie-Riesen in den USA. Am Freitag haben Vertreter beider Parteien insgesamt vier Gesetzesentwürfe vorgelegt, die die Macht von Big Tech reduzieren sollen. Zwei davon richten sich gegen Plattformen wie Amazon und Google, die in Konkurrenz mit ihren eigenen Kunden stehen. Ein Gesetzentwurf geht sogar soweit, den Verkauf einer Sparte zu fordern, wenn das Unternehmen seine eigenen Produkte auf der Plattform bevorzugt. Ein anderer Gesetzesentwurf sieht für diesen Fall eine heftige Strafe vor. Sie sollen in Zukunft 30 Prozent des US-Umsatzes in der betroffenen Sparte als Strafe zahlen. Vor allem Amazon wird von vielen Dritthändler vorgeworfen, sich die Daten über den Verkauf von externen Produkten zu Nutze zu machen, um dann eigene, meist günstigere Konkurrenzprodukte auf den Markt zu bringen.„Von Amazon und Facebook bis zu Google und Apple, ist klar, dass diese unregulierten Tech-Giganten zu groß geworden sind, um sich darum zu kümmern und zu mächtig, um je den Menschen über den Profit zu stellen“, sagte Pramila Jayapal, der für die Demokraten im Repräsentantenhaus sitzt. Doch die Vorhaben haben auch die Unterstützung der Republikaner.Noch ist unklar, ob es die Entwürfe wirklich durch das Abgeordnetenhaus und den Senat schaffen und so zum Gesetz werden. Das Vorhaben macht jedoch deutlich: Die Kritik an Big Tech ist eines der wenigen Felder, in denen sich Demokraten und Republikaner einig sind – wenn auch nicht immer aus den selben Gründen.
Fast drei Milliarden Menschen auf der ganzen Welt nutzen Facebook. Ein irre großes Geschäft – aber auch eine riesige politische Verantwortung. Wie geht das soziale Netzwerk mit seiner Macht um? Ein exklusiver Einblick in den Maschinenraum – ein Artikel in der SZ.
Am 6. Januar stürmte ein Mob das Kapitol, das Parlamentsgebäude in Washington. Mit Knüppeln, Schilden und Tränengas prügelten sich die Aufrührer bis in die Sitzungssäle vor. Es gab Tote, Verletzte und Bilder wie vom Putsch in einem Schurkenstaat. Es war der damalige Präsident, Donald Trump, 74, der die Stürmer erst auf einer Wiese versammelt, dann zum Kapitol geschickt und sie dann auf den sozialen Medien immer weiter aufgehetzt und angefeuert hatte.
Tags darauf ließ Mark Zuckerberg Trump auf Facebook sperren. Anderthalb Tage später legte Twitter dessen Konto still. Es folgten Youtube und so ziemlich alle Plattformen bis hin zu Netzwerken für Videospieler wie Twitch und Discord und der Einkaufsseite Shopify.
Vier Jahre lang hatten sich Trump und die sozialen Medien gegenseitig hochgeschaukelt. Twitter war Trumps Sprachrohr, Facebook sein Hebel. Auf dem einen Kanal hat er gepöbelt, mit dem anderen mobilisiert. Über 150 Millionen Menschen waren Trump quer über die Plattformen gefolgt. 35 Millionen alleine auf Facebook. Vier Jahre lang hatte er den Großteil der traditionellen Wege umgangen, auf denen ein Präsident zu seinem Volk spricht. Die Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Zeitschriften. Aber selbst seine Live-Auftritte waren nur Rohstoff für die sozialen Medien gewesen.
Doch nun hatte sich Silicon Valley auf die Seite der Demokratie geschlagen und die Machtfrage erst gar nicht gestellt, sondern beantwortet. Für Männer wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, 37, war die digitale Amtsenthebung des mächtigsten Mannes der Welt mit ein paar Mausklicks vollzogen. Ebenso für Twitter-Gründer Jack Dorsey, 44, und Google- und Youtube-Boss Sundar Pichai, 49.
Sicher ist: Dieser Machtkampf ist nicht vorbei. Er hat erst so richtig begonnen. Die große Frage lautet, wie die Tech-Unternehmen ihn führen wollen.
Es ist selten, dass man als Reporter einen Einblick in die Arbeitsweisen der notorisch geheimniskrämerischen Digitalkonzerne bekommt. Erst langsam ändert sich das. Über die vergangenen Wochen und Monate öffneten sich bei Facebook ein paar Türen. Oft nur einen Spalt. Einige Interviews waren off the record. Nicht zitierbar. Klar wurde dabei, dass hier schleichend eine Wende eintritt, die der Tag nach dem Sturm auf das Kapitol nur öffentlich machte; dass aus der Webseite, auf der die Mehrheit der Menschen ja immer noch Familienfotos, Einladungen und Witze teilen, sehr viel mehr geworden ist.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten Einzelne mit so vielen Menschen gleichzeitig in Kontakt treten. Und noch nie haben sich Nachrichten in dieser Geschwindigkeit und Masse verbreitet. Lügen und Hass allerdings auch. Facebook steht da als größte aller Plattformen stellvertretend für einen ganzen Kosmos im digitalen Raum.
Mark Zuckerberg macht sich Entscheidungen wie den Rauswurf von Donald Trump nicht leicht. Alle, die ihn besser kennen, sagen, dass er ein Grübler ist. Auch seine Kritiker, wie die gefürchtete Silicon-Valley-Journalistin Kara Swisher. „Er quält sich zutiefst mit jedem seiner Schritte“, schrieb sie gleich nach der Entscheidung in der New York Times. „Jeder, der auch nur ein wenig Zeit mit Herrn Zuckerberg verbracht hat, weiß, dass er sich mit seiner immensen Macht unwohl fühlt.“
2,85 Milliarden registrierte Nutzer hat Facebook, mehr als jedes andere Netzwerk auf diesem Planeten, Nationalstaaten und Weltreligionen eingeschlossen. Dazu kommen eine Milliarde Nutzer auf dem Bildernetzwerk Instagram sowie zwei Milliarden Nutzer des Messenger-Dienstes Whatsapp, die er beide gekauft hat. Mark Zuckerberg ist damit also nicht nur Gründer und Chef eines globalen Konzerns, der mit Werbung auf den Milliarden Profilen sehr, sehr viel Geld verdient, sondern einer Weltmacht. Derzeit durchläuft Facebook wie die gesamte Digitalindustrie eine Phase der Einsicht. Zuckerberg merkt dabei, dass er als studierter Ingenieur von Macht, Politik und ihren Folgen keine Ahnung hat. Es ist ja auch ungewollte Macht. Im doppelten Sinne. Die Welt will seinen Einfluss nicht, und er selbst wollte die Macht eigentlich auch nie. Marktmacht ja. Die bringt das Milliardenkapital, mit dem man die Welt verändern kann. Politische Macht ist dagegen – mühsam, langsam, oft grausam.
Also holen sich die Ingenieure des Silicon Valley nicht nur bei Facebook derzeit die Profis, die davon was verstehen. Denn der Kampf zwischen politischer und digitaler Macht geht ja viel weiter als ein geopolitisches Armdrücken. Es geht um Deutungshoheiten und Öffentlichkeit. Wer die kontrolliert, der kontrolliert die Zukunft.
„Und hier ist Nick“, sagt seine Sprecherin auf Zoom. Eine Vorstellung ist eigentlich nicht nötig. Als David Cameron Premierminister von Großbritannien war, wirkte Nick Clegg, heute 54, als omnipräsenter Vizepremier und Parteichef der Liberal Democrats. Die Maßanzüge und die Haifischkrägen von den Schneidern aus der Jermyn Street trägt er nicht mehr. Wie er da mit Hornbrille, Pulli und lässigem Seitenscheitel vor seiner Webcam sitzt, wirkt er auch sehr viel freundlicher als mit einem Auftritt in einer der kalten Chefzimmerkulissen, die Mark Zuckerberg in letzter Zeit öfter mal hingelegt hat, um die Abgeordneten feindseliger Untersuchungsausschüsse von seiner Ernsthaftigkeit zu überzeugen.
Es ist erst acht Uhr morgens in Kalifornien. Das pazifische Morgenlicht fällt durch ein weiß gerahmtes Sprossenfenster in sein Arbeitszimmer mit Bücherwänden und Sitzkästen, die verraten, dass er in Menlo Park in einem dieser Holzhäuser mit vorindustriellem Landcharme wohnt, die dem Leben in der Digitalindustrie mit ihren Glaskolossen voll endloser Tischreihen mit Rechnern und Bildschirmen ein wenig menschliche Wärme zurückgeben. Das Gespräch muss selbstverständlich mit der Frage beginnen, was ihn dazu gebracht hat, 2018 den Job als PR-Chef von Facebook anzunehmen – weiterlesen in der SZ.
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