Sein Leben war (scheinbar) ein grandioses Missverständnis oder der Abschied von einem, der es versucht hat!
… Michail Gorbatschows wichtigstes Anliegen scheiterte, die Welt dankt es ihm Der Westen blickt vornehmlich durch das Teleobjektiv auf die welthistorische Figur Michael Gorbatschows. Wichtig aber wäre ein Weitwinkelobjektiv, das auch den Hintergrund sichtbar macht – Quelle NZZ.
Michail Sergejewitsch Gorbatschow * 2. März 1931 in Priwolnoje, Russische SFSR; † 30. August 2022 in Moskau) war ein sowjetischer Politiker. Er war von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und von März 1990 bis Dezember 1991 letzter Staatspräsident der Sowjetunion.
Neue Akzente in der sowjetischen Politik setzte er mit Glasnost (‚Offenheit‘), einem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, und Perestroika (‚Umbau‘), insbesondere mit der Abschaffung der Planwirtschaft. In Abrüstungsverhandlungen mit den USA leitete er das Ende des Kalten Krieges ein. Er erhielt 1990 den Friedensnobelpreis.
Gorbatschow kritisierte stattdessen die USA; er warf ihr vor, „Probleme“ der Ukraine als Vorwand zur Einmischung bei anderen Ländern zu nutzen. Hingegen stellte er klar, dass es 1990 kein Versprechen der NATO betreffend einer Osterweiterung gegeben hatte.
Mit diesem Druckmittel ermöglichte Gorbatschow den Honeckers die Flucht.
Obwohl ein gültiger Haftbefehl gegen ihn vorlag, wurde Ex-SED-Chef Erich Honecker im März 1991 von der sowjetischen Armee nach Moskau geflogen. Das verstieß gegen das Völkerrecht – doch die UdSSR hatte den Termin genau geplant.
Bruderkuss: Michail Gorbatschow (l.) und Erich Honecker 1989 in Ost-Berlin – Quelle: picture alliance / dpa
…. Gorbatschow küsste Honecker zum letzten Mal – mit einem Judaskuss. Moskaus Verzicht auf die DDR sollte ein Figurenopfer im Spiel auf dem europäischen Schachbrett sein, um die Partie insgesamt zu gewinnen und die tiefe Wirtschaftskrise in der UdSSR zu überwinden. Nun öffnete sich der Sesam, Kredite flossen in Strömen. Der Kreml-Chef wurde zu «Gorbi». Kein Russe war im Westen jemals so geliebt. Das Nato-Feindbild wurde bis auf weiteres in der Abstellkammer versteckt. Der wandernde «Wald von Birnam» schien im Westen aufgehalten zu sein, aber zu Hause lief die «Perestroika» aus den Geleisen.
Mein Vater weint.
Zu Gorbatschows Zeiten, als die harten Hungerjahre anbrachen, bekam mein Vater als Kriegsveteran Hilfspakete zugeteilt, darunter auch Lebensmittel aus Deutschland. Er empfand dies als persönliche Demütigung. Das ganze Leben hatten er und seine Kameraden sich als Sieger gefühlt, und nun sollten sie die Brosamen vom Tisch des unterlegenen Feindes essen. Als Vater uns das erste Mal die Lebensmittelration brachte, betrank er sich und schrie: «Wir haben doch gesiegt!» Dann wurde er still und weinte und fragte Gott weiss wen, wendete sich aber an mich: «Sag, haben wir den Krieg gewonnen oder verloren?»
Für einige bedeutete Perestroika vor allem Demokratisierung des Systems, für die anderen das Fehlen der für die Ordnung sorgenden Hand, absehbares Chaos. Die unterdrückten Völker ihrerseits sahen die Möglichkeit, das Gefängnis zu verlassen. An den Rändern des Reichs floss bereits Blut. In Georgiens Hauptstadt Tbilissi wurde eine Demonstration zerschlagen, als 100 000 Leute für den Austritt Georgiens aus der Sowjetunion auf die Straße gingen. Soldaten töteten Protestierende mit Feldspaten. In Vilnius wurden beim Sturm des litauischen Fernsehturms unbewaffnete Litauer teilweise von Panzern der Sowjetarmee überrollt, teilweise erschossen. Die Macht versuchte mit allen Mitteln, den Geist der Freiheit zurück in die Flasche zu zwingen.
Die verwirrte Sowjet-Bevölkerung strengte sich an, im Chaos zu überleben. Die Parole lautete: «Rette sich, wer kann.» Die erwachte Bürgergesellschaft forderte auf Demonstrationen im Zentrum Moskaus «europäische» Freiheiten und die volle Demontage des verhassten Parteisystems. Das magische Wort Perestroika stellte das Leben auf den Kopf. Für mich persönlich kehrte Hoffnung ein. Ich weiß noch, wie großartig es damals war, die verbotenen Namen erschossener Dichter wieder in den Zeitschriften auftauchen zu sehen. Gorbatschow wollte das Regime retten, aber seine Parolen der Demokratisierung machten sich selbständig. Er verlor die Kontrolle über die Geschehnisse im Land.
Die politischen Zugeständnisse an den Westen wurden im eigenen Land von der Mehrheit der Bevölkerung als Verrat betrachtet. Mein Vater hasste Gorbatschow. Ich mochte Gorbatschow auch nicht, aber nicht deshalb, sondern weil er den Zusammenbruch der UdSSR und des sowjetischen Systems mit aller Macht aufhalten wollte. Mein Vater und ich betrachteten die Geschichte, die sich vor unseren Augen abspielte, von verschiedenen Ufern.
Im Westen verfolgte man die «Reformen» mit Hoffnung und Begeisterung. Man sah nur das, was man sehen wollte. Der, um sich greifende Gorbatschow-Kult hatte nichts mit seiner realen Person zu tun, eher verkörperte er die personifizierte Euphorie über ein historisches Wunder: Die «russische Seele» wurde vom Bann der kommunistischen Hexerei befreit, man brauchte vor «denen da drüben» keine Angst mehr zu haben. Der Prinz, der die schlafende Prinzessin der Demokratie wachküßte, die Welt vor dem Atomkrieg rettete und das geteilte Deutschland sich wiederfinden ließ, wurde zur Lichtgestalt, von der man hoffte, sie würde auch weitere Wunder vollbringen und die Sowjetunion in das gutbürgerlich europäische Haus führen. Seine Absichten aber waren in Wirklichkeit andere als «das Völkergefängnis» aufzulösen, die kommunistische Partei zu verbieten und eine wahre Demokratie einzuführen. Der Koloss taumelte dem Kollaps entgegen, und Gorbatschow wollte das unbedingt verhindern.
Kompletter Bluff.
Die Einheit der Sowjetrepubliken war Einbildung der kommunistischen Propaganda, und der Parteiführer fiel der eigenen Lüge zum Opfer. Am 17. März 1991 ließ er das einzige Volksreferendum der Sowjetgeschichte durchführen: «Soll die Sowjetunion als einheitlicher Staat bestehen bleiben?» Mit einem klaren «Ja» antworteten 70 Prozent in der Ukraine, 82 Prozent in Weißrussland, 93 Prozent in Usbekistan, 94 Prozent in Kasachstan, 93 Prozent in Aserbaidschan, 96 Prozent in Kirgistan, 96 Prozent in Tadschikistan, 97 Prozent in Turkmenistan. Einige Monate später gab das Sowjetimperium den Geist auf, und die Einheit der Völker erwies sich als kompletter Bluff. In den Nationalrepubliken wurde die langersehnte Unabhängigkeit vom «großen Bruder» jubelnd begrüßt.
Wie jeder Diktator kannte Gorbatschow das Land, über das er herrschte, nicht, da er durch Bajonette und Referenten von ihm getrennt war. Selbst sein einstiger Protokollchef, Wladimir Schewtschenko, hat das eingestanden: «Es gab eine Fehlkalkulation: Wir kannten unser Land nicht gut genug, wir kannten unsere Nomenklatura nicht gut genug. Unsere Gemeinschaft zerbrach, das war unsere und seine Tragödie.»
Nicht nur für Putin, auch für Gorbatschow war der Zusammenbruch der Sowjetunion «die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Im Film «Gorbatschow. Paradies», einem Meisterwerk von Witali Manski aus dem Jahr 2020, erklärt er, dass er auch am Ende seines Lebens ein überzeugter Kommunist geblieben sei: «Ich sehe Lenin als unseren Gott an.» Gorbatschow wollte sein morsches, kommunistisches Imperium modernisieren, aber er war ein schwacher Diktator: «Man sagte mir, ich solle schießen lassen, und ich erwiderte, dass dies nicht der richtige Weg sei.» Den Zerfall und das Ende der Sowjetunion hielt er für einen Staatsstreich.
Die Versuche Gorbatschows wie auch von Putschisten, das Regime zu retten, mißlangen. Russland bekam damals die Möglichkeit, die demokratische Gesellschaftsordnung aufzubauen, aber es scheiterte. Die Fehler der Demokraten der ersten Stunde tragen heute ihre bösen Früchte. Es gab keine «Entkommunisierung», keine Aufarbeitung der Geschichte, keine Abschaffung des monströsen KGB, keine «Nürnberger Prozesse» gegen die Partei. Die Entstehung einer neuen Diktatur war daher nur eine Frage der Zeit. Im Prozess gegen die KPdSU hätte Gorbatschow sicherlich als Anführer dieser kriminellen Organisation auf der Anklagebank gesessen.
Im Jahr 2014 verteidigte Michail Gorbatschow Putins Annexion der ukrainischen Krim. Für ihn war es ein Schritt zur Wiederherstellung der UdSSR, an deren Zusammenbruch er sich schuldig fühlte. Die kurzlebige Freiheit und die geopolitischen Umwälzungen der Neunzigerjahre verdanken wir Gorbatschow. Gross war er nicht in seinen Erfolgen, sondern in seinem Scheitern – Michail Schischkin, 1961 in Moskau geboren, gehört zu den führenden russischen Gegenwartsautoren.
Passend zum Artikel:
Wer sich blenden lässt, den bestraft das Leben – die fatale Beziehung der Deutschen zu Gorbatschow und Russland – 02.09.2022.
«Gorbatschow war wahrhaftig ein Sowjetmensch. Es ist traurig, das zuzugeben, aber er war einer von uns. Auch wir glaubten an das Wort» – 01.09.2022.
«Wir sind alle Waisen geworden» – Russland trauert sehr zurückhaltend um Michail Gorbatschow – 31.08.2022.
Michail Gorbatschow – vom Westen umjubelt, in der Heimat kritisiert – Bildstrecke – 30.08.2022.
Die Rückkehr des Imperiums – der Krieg in der Ukraine macht Michail Gorbatschow erst recht zur tragischen Figur – 31.08.2022.
Abschied von einem, der es versucht hat!
Ohne Staatsbegräbnis, dafür mit viel Anteilnahme.
Seine Träume, seine Fehler, seine Schwächen.
DIE NEUSTEN ENTWICKLUNGEN
Julian Assange: Auslieferungsbeschluss ist genehmigt – Regierung ist am Zug.
Der Streit um die Ausweisung des Wikileaks-Gründers Julian Assange in die USA zieht sich schon lange hin. Jetzt rückt die Auslieferung an die USA näher. Was droht ihm dort, und was sind die Hintergründe seiner Verhaftung? Von Nelly Keusch – NZ.
Die neusten Entwicklungen:
- Ein Gericht in London hat am Mittwoch (20. 4.) formell die Auslieferung von Julian Assange an die USA genehmigt, nun muss nur noch die britische Innenministerin Priti Patel zustimmen. Assanges Anwälte haben jedoch eine Frist von vier Wochen, um weitere Einspruchsgründe vorzubringen. Auch ein weiterer Gang vor Gericht ist nicht ausgeschlossen. Die amerikanische Justiz will dem 50-Jährigen wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Dort drohen ihm bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft.
- Der seit rund drei Jahren in London inhaftierte Wikileaks-Gründer Julian Assange hat am 23. März 2022 seine langjährige Partnerin Stella Moris geheiratet. Das Paar hatte während Assanges jahrelangem Botschaftsasyl in der Vertretung Ecuadors in London zwischen 2012 und 2019 zusammengefunden und hat zwei Kinder. Bei der standesamtlichen Trauung hinter den Gefängnismauern waren nur vier Gäste und zwei Trauzeugen zugelassen.
- Der inhaftierte Wikileaks-Gründer Julian Assange darf im Rechtsstreit um seine Auslieferung in die USA doch nicht vor das höchste britische Gericht ziehen. Der Supreme Court in London hat am 14. März 2022 entschieden, den Antrag von Assanges Anwälten abgelehnt zu haben – mit der Begründung, es gebe keine ausreichenden Rechtsgründe dafür.
- Der Wikileaks-Gründer Julian Assange darf an die USA ausgeliefert werden. Das Berufungsgericht in London hat am 10. Dezember das früher verhängte Auslieferungsverbot aufgehoben. Der Richter Timothy Holroyde begründete die Entscheidung damit, dass die Vereinigten Staaten Grossbritannien mehrere Zusicherungen zu den Bedingungen von Assanges Inhaftierung gemacht hätten. Damit haben die USA in dem Prozess einen Etappensieg errungen. Im Rechtsstreit um die von den Vereinigten Staaten geforderte Auslieferung ging es darum, ob die zuvor erfolgte Ablehnung des amerikanischen Auslieferungsantrags noch einmal gekippt werden könnte oder ob die Entscheidung aus erster Instanz Bestand haben würde. Dann hätte Assange darauf hoffen können, bald auf freien Fuß zu kommen. Nun fordert das Gericht, dass die britische Regierung über Assanges Ausweisung entscheidet.
Inhaltsverzeichnis:
- Worum ging es in dem Prozess?
- Wird Assange jedoch direkt ausgeliefert?
- Was droht Julian Assange in den USA?
- Welche Argumente wurden vor Gericht vorgebracht?
- Was ist bisher mit Julian Assange passiert?
- Was hat es mit den Wikileaks-Enthüllungen auf sich?
Worum ging es in dem Prozess?
Im Zentrum des über das Schicksal des Whistleblowers entscheidenden Londoner Auslieferungsverfahrens steht die im Mai 2019 veröffentlichte Anklage der amerikanischen Justizbehörden. Der bilaterale Auslieferungsvertrag von 2003 sieht ein relativ reibungsloses Verfahren vor, das bloß die Prüfung der amerikanischen Vorwürfe durch das britische Gericht auf Plausibilität vorschreibt. Allerdings ist es möglich, dass Gerichte eine Auslieferung aus humanitären Gründen untersagen. Das ist im Fall Assange geschehen. Ein britisches Gericht hatte Anfang des Jahres die Auslieferung des 50-Jährigen unter Berücksichtigung seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und der zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Laut einem Gutachten besteht akute Suizidgefahr. Washington hatte diese Entscheidung jedoch angefochten. Damit zerschlug sich die Hoffnung Assanges, die USA würden die Anklage nach der Amtsübernahme Joe Bidens fallenlassen. In nächster Instanz ging die Klage deswegen vor das Berufungsgericht.
Dieses hat nun entschieden, dem Antrag der USA stattzugeben und die Ausweisung Assanges zu genehmigen. Das zuvor verhängte Auslieferungsverbot ist hiermit aufgehoben. Vermutlich wird der Fall noch vor die nächste Instanz gehen.
Wird Assange jedoch direkt ausgeliefert?
Seit rund zwei Jahren läuft der Rechtsstreit um eine mögliche Auslieferung an die USA. Der High Court hatte grünes Licht dafür gegeben. Eine Berufung dagegen wies das oberste britische Gericht, der Supreme Court, als unzulässig ab. Der Westminster Magistrates Court erließ am Mittwoch in London den formellen Auslieferungsbeschluss. Dieser geht jetzt zur endgültigen Entscheidung an die britische Innenministerin Priti Patel. Assanges Anwälte haben jedoch eine Frist von vier Wochen, um weitere Einspruchsgründe vorzubringen. Auch ein weiterer Gang vor Gericht ist nicht ausgeschlossen.
Was droht Julian Assange in den USA?
Die US-Justiz will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Vorgeworfen wird ihm, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von amerikanischen Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit das Leben von amerikanischen Informanten in Gefahr gebracht. Die Anklage enthält 18 Punkte, die sich theoretisch zu einer maximalen Haftstrafe von 175 Jahren summieren könnten. Im Wesentlichen werden Assange drei Komplexe von Straftaten vorgeworfen. Erstens habe er in einer Verschwörung mit der damaligen Mitarbeiterin von amerikanischen Sicherheitsdiensten, Chelsea Manning, welche die geheimen Daten gestohlen habe, mit Rat und Tat zusammengearbeitet. Er habe sich damit zum Komplizen des Datendiebstahls gemacht. Zweitens habe er Manning zum Hacking angestachelt. Drittens habe Assange in verantwortungsloser Weise das Leben zahlreicher Menschen in Gefahr gebracht, indem er Geheimakten veröffentlicht habe, ohne die Identifikationsmerkmale von Informanten und Mitarbeitern der amerikanischen Streitkräfte, von Dissidenten und Aktivisten im Irak, in Afghanistan und anderen repressiven Ländern zu verdecken.
Assanges Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte. «Wenn die USA erfolgreich sind, wird das alarmierende Konsequenzen für die Pressefreiheit haben. Bei diesem Fall geht es nicht nur um Assange, sondern um das Recht aller Journalisten, ihre Arbeit zu tun, und um das Recht der Öffentlichkeit, sich zu informieren«, sagte die Londoner Vertreterin von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, im Vorfeld des Prozesses gegenüber der Nachrichtenagentur DPA.
Welche Argumente wurden vor Gericht vorgebracht?
Bei Anhörungen im Oktober hatten beide Seiten erneut ihre Argumente präsentiert. Die amerikanischen Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich bei ihrer Einschätzung auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Außerdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet «Spezialmethoden» anzuwenden sowie einer Verlegung von Assange in ein australisches Gefängnis zuzustimmen. Konkret garantierten die USA, dass Assange nicht in strikter Isolationshaft gehalten würde und umfassende medizinische Betreuung erhielte.
Assanges Verteidiger hingegen setzten auf neue Enthüllungen über angebliche Anschlagspläne, die vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren. Investigative Journalisten hatten unter Berufung auf nicht näher präzisierte Quellen berichtet, der Auslandsgeheimdienst CIA habe Pläne für einen Anschlag auf Assange geschmiedet, während dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufgehalten habe. Seine Unterstützer hoffen, dass diese Enthüllungen eine Auslieferung in die USA unwahrscheinlicher machen.
Assanges Angehörige beschreiben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. Bei den letzten Anhörungen nahm der 50-Jährige teilweise per Videoschalte aus dem Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen.
Was ist bisher mit Julian Assange passiert?
Die Justiz-Odyssee um Julian Assange begann bereits im Jahr 2010. Kurz nach Veröffentlichung der Wikileaks-Beiträge erließ Schweden einen internationalen Haftbefehl gegen Assange, weil zwei Frauen ihm Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorgeworfen hatten. Grossbritannien, wo Assange sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, bereitete daraufhin die Auslieferung vor, Assange klagte dagegen. Daraufhin wurde er zunächst auf Kaution freigelassen und lebte im erweiterten Hausarrest, der Rechtsstreit zog sich hin. Im Jahr 2012 gewährte ihm schließlich das Land Ecuador politisches Asyl. Sein Heimatland Australien gewähre ihm nicht die notwendige Unterstützung, und er befürchte, über Schweden in die Vereinigten Staaten ausgeliefert zu werden, wo ihm die Todesstrafe drohe, so begründete Assange seinen Asylantrag damals. Zu diesem Zeitpunkt hatten die USA jedoch noch keine Anklage gegen ihn erhoben.
Weil die britischen Behörden ihn nicht nach Ecuador ausreisen ließen, lebte Assange in der Folge sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London, 2017 erhielt er sogar die Staatsbürgerschaft. Ecuadors Regierung plante damals, Assange einen Diplomatenstatus zu verleihen und ihn so sicher aus der Botschaft bringen zu können. Später kam es allerdings zu Spannungen zwischen dem Präsidenten in Quito und Assange. Die ecuadorianische Regierung kassierte 2019 den Asylstatus wieder, und Assange wurde wegen des Verstoßes gegen Kautionsauflagen von der britischen Polizei festgesetzt. In diesem Jahr wurde ihm schließlich auch die ecuadorianische Staatsbürgerschaft wieder entzogen.
In Grossbritannien wurde er daraufhin wegen des Verstoßes gegen die Kautionsauflagen zu fünfzig Wochen Haft verurteilt. Diese Haftstrafe hat er mittlerweile abgesessen, auch das schwedische Verfahren gegen ihn ist eingestellt worden. Weil die USA allerdings in der Zwischenzeit ihre Anklage gegen Assange veröffentlicht und deutlich verschärft hatten, kam er in Auslieferungshaft. Seit zweieinhalb Jahren sitzt Julian Assange nun im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Süden von London. Wenn man seiner Partnerin Stella Moris Glauben schenkt, ist sein physischer und psychischer Gesundheitszustand kritisch.
Nils Melzer, der Uno-Sonderberichterstatter über Folter, wirft den involvierten Staaten Justizwillkür und psychische Folter vor. Melzer ist überzeugt: Sollte Assange in die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden, würde er in einem Schauprozess zu lebenslanger Haft unter folterähnlichen Bedingungen verurteilt. Dabei habe er sich durch seine spektakulären Enthüllungen nicht strafbar gemacht, sein Tun sei durch die Pressefreiheit geschützt.
Was hat es mit den Wikileaks-Enthüllungen auf sich?
Im Jahr 2006 gründete Assange die Enthüllungsplattform Wikileaks, gemeinsam mit chinesischen Dissidenten, Hackern aus den USA und Europa und Informatikern aus Australien und Südafrika. Den ersten international viel beachteten Coup landet Wikileaks 2008 mit der Veröffentlichung von 200 Seiten Material über eine spezielle Gruppe in der Scientology‐Sekte, die unter dem Namen «Office of Special Affairs» bekannt ist. Ab März 2010 veröffentlichte Wikileaks geheime Militärdokumente und Videos zu den internationalen Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan, die die Whistleblowerin Chelsea Manning besorgt hatte. Dies deckte neben sehr viel Belanglosem auch Völkerrechtsverletzungen amerikanischer Truppen auf. Unvergessen bleibt das Video aus einem amerikanischen Kampfhelikopter, das die brutale Erschießung von Zivilisten in Bagdad zeigte. Von Juli bis Oktober veröffentlichte Wikileaks rund 470 000 als geheim eingestufte Dokumente.
Proteste und diplomatische Verwicklungen waren die Folge. Für Kritik sorgte primär die unzureichende Bearbeitung des Materials. So wurden keine Namen in den diplomatischen Depeschen geschwärzt, die betroffenen Regierungen konnten also die Namen von Informanten der amerikanischen Botschaften enttarnen. Der Druck auf Wikileaks wuchs, Amazon löschte auf Wunsch der amerikanischen Regierung Wikileaks‐Dokumente von Servern, die bei Amazon angemietet worden waren. Die Adresse wikileaks.org konnte zwischendurch weltweit nicht mehr aufgerufen werden. Der Internetbezahldienst Paypal sperrte das Konto der Plattform, weil Paypal nicht für illegale Aktivitäten verwendet werden dürfe. Als die Wikileaks-Seite wieder zugänglich war, wurde sie immer wieder von Hackern angegriffen. Am Ende schaffte Wikileaks es aber, die Daten auf anderen Servern zu sichern und sich so vor Angriffen zu schützen.
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Qelle/National Geographic „ Michail Gorbatschow – Symbol des Herbstes der Nationen, Ideologe der Perestroika und Totengräber der Sowjetunion. Vor zwanzig Jahren fegte eine friedliche Revolution durch Osteuropa und führte zum Zusammenbruch des Ostblocks. Die Opposition wurde damals von einer Reihe von Kommunisten angeführt, die ihre historische Chance witterten und mit dem Strom der Freiheit schwammen. Einer von ihnen war Michail Gorbatschow, der am 30. August 2022 starb. Er war 91 Jahre alt. Der erste und einzige Präsident der Sowjetunion wurde von manchen auch als Totengräber der UdSSR bezeichnet. Im Spätherbst 1989 fiel die Berliner Mauer, und in der Tat erinnert sich die Weltöffentlichkeit nur noch wenig an diese hektische Zeit. Das bauliche Ereignis, nämlich die physische Schleifung der Mauer, wurde zum Symbol für den Zusammenbruch des Ostblocks, das Ende der UdSSR und die Wiedererlangung der Unabhängigkeit vieler Nationen. In der Zwischenzeit, zwischen dem Frühjahr und Dezember 1989, gab es mehrere spektakuläre Ereignisse, die erfolgreich zum Symbol dieser europäischen Revolte werden konnten. Der Herbst der Nationen in Osteuropa
Der Kommunismus fiel wie Dominosteine – am 4. Juni 1989 verlor die PZPR die Wahlen in Polen, was zur Bildung der ersten nichtkommunistischen Regierung nach 1945 führte. Unser Land war das erste, das den Ostblock verlassen hat. Im Sommer 1989 trat Ungarn in die Fußstapfen Polens. Auch dort nahmen die Kommunisten Verhandlungen mit der Opposition auf, und bereits im Oktober wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Das meiste geschah im November. In der Tschechoslowakei war die Samtene Revolution ein Erfolg, in Bulgarien wurde Todor Schiwkow von der Macht verdrängt und in der Deutschen Demokratischen Republik beschloss Egon Krenz, der Nachfolger von Erich Honecker, die Öffnung der Grenze zu Westdeutschland. Gleichzeitig kochte der „baltische Kessel“, d. h. Litauen, Lettland und Estland, immer stärker, da diese Länder ein Bündnis zur Beendigung der sowjetischen Vorherrschaft eingingen. Auch in Jugoslawien – obwohl dies eine etwas andere Geschichte ist – wurden die separatistischen Bewegungen lauter. Im Dezember brach das rumänische Regime von Nicolae Ceauşescu unter dramatischen Umständen zusammen.
Die Welt rieb sich verwundert die Augen – ein Imperium brach zusammen und sowjetische Panzer fuhren nicht in die aufständischen Kolonien ein. Doch die Führer des Übergangs nahmen die Worte des Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, für bare Münze, der auf der Konferenz der Ostblockführer das Recht eines jeden sozialistischen Staates bekräftigte, seinen eigenen Weg zu gehen. Er wiederholte diese Erklärung mehrmals. Die darauf folgenden Ereignisse wurden von dem bekannten amerikanischen Politikwissenschaftler Timothy Garton Ash als Refolution bezeichnet, d. h. als eine Revolution, die darauf abzielt, zu reformieren, anstatt zu zerstören.
Michail Gorbatschow wurde zum Symbol für den Zusammenbruch der UdSSR
Der Herbst der Völker hat viele Symbole. Das Wichtigste für uns war natürlich der Runde Tisch, an dem sich ab dem 6. Februar 1989 die Opposition und die Regierungspartei über Wege zur Demokratie an der Weichsel verständigten. Tatsächlich hatte jedes Land, das sich von den Fesseln des Kommunismus befreite, sein eigenes Symbol. In der Tschechoslowakei zur Zeit der Samtenen Revolution hätte Karel Gott, der Liebling des sozialistischen Regimes, für Hunderttausende von Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz singen können.
Der grimmige Inbegriff des Endes einer Ära hätte auch ein Bild aus einer Fernsehnachrichtensendung sein können, das das Gesicht des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu und seiner Frau Elena zeigt, die in aller Eile erschossen wurden. Das Genie aus den Karpaten fiel Ende Dezember 1989 durch die Kugeln eines Elite-Erschießungskommandos, und dies war der letzte Akkord der osteuropäischen Revolution. Nebenbei bemerkt: Er wurde so schnell erschossen, dass es dem Filmteam, das Ceauşescus letzte Momente filmte, nicht gelang, den Moment der Hinrichtung festzuhalten. Es gibt auch viele Menschen, die der Meinung sind, dass nicht der Runde Tisch, nicht die Berliner Mauer, sondern Michail Gorbatschow als das Symbol des Herbstes der Völker angesehen werden sollte. Ein ziemlich perverses Symbol – der Mann, der ein unmenschliches System vermenschlichen wollte, um es vor dem Zusammenbruch zu retten, wurde zu dessen… seinen Totengräber.
In der Tat kann Gorbatschows Rolle beim Übergang nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er war es, der den Slogan der Perestroika (Wiederaufbau) lancierte, der ein Signal an die Welt sein sollte: Die UdSSR würde nie wieder so sein wie in den vergangenen Jahren. Die von ihm eingeleitete Politik der „Glasnost“, der völligen Offenheit, löste eine Lawine von Veröffentlichungen aus, die die Wahrheit über das System enthüllten. Damals wurden viele der Verbrechen des Stalinismus und der folgenden Jahrzehnte aufgedeckt. Nach 1956 legte Chruschtschow nur die Spitze des Eisbergs frei, und sein Nachfolger Leonid Breschnew sorgte dafür, dass die Errungenschaften des Tauwetters in Vergessenheit gerieten.
Dank der Perestroika erblickte Anatoli Rybakows hochgelobtes Buch „Kinder des Arbat“ das Licht der Welt, ebenso wie Tengis Abuladses schockierender, wenn auch symbolträchtiger Film „Sühne“. Im April 1989 fand ein noch nie dagewesener Besuch statt. Das sowjetische Staatsoberhaupt besuchte den Vatikan, um Papst Johannes Paul II. zu treffen. Für die Kommentatoren war dieses Ereignis eindeutig: Der kommunistische Atheismus hatte seinen Krieg gegen die Kirche verloren.
Tony Judt, Professor für Europäische Studien an der New York University, analysiert seit Jahren die Prozesse, die zum Zusammenbruch des Ostblocks führten. In seinem Bestseller Postwar bewertet er die Rolle des letzten Oberhaupts der UdSSR wie folgt: „Gorbatschow ließ den Kommunismus in Osteuropa zusammenbrechen, um die Sowjetunion selbst zu retten – so wie Stalin Satellitenregime nicht um ihrer selbst willen, sondern zum Schutz seiner Westgrenze schuf. Aus taktischer Sicht beging Gorbatschow einen großen Fehler – innerhalb von zwei Jahren würden sich die aus dem Schicksal Osteuropas gezogenen Lehren gegen den Befreier der Region auf seinem eigenen Territorium wenden. Aber strategisch gesehen war sein Erfolg enorm und beispiellos. Kein anderes territoriales Reich in der dokumentierten Geschichte hat seine Herrschaftsgebiete jemals so schnell, mit so viel gutem Willen und mit so wenig Blutvergießen aufgegeben. Gorbatschow kann sich nicht direkt für die Geschehnisse von 1989 rühmen – er hat sie nicht geplant und ihre langfristige Bedeutung erst sehr spät erkannt.“
Generation 89
Natürlich konnte das, was in der UdSSR geschah, nicht unbeeinflusst von der Situation in anderen sozialistischen Ländern bleiben. Die Veränderungen sind jedoch nicht gleichmäßig verlaufen. Während in Polen immer gewagtere Texte veröffentlicht werden durften, seit Januar 1988 weder Free Europe noch Voice of America blockiert wurden und im Rahmen der Amnestie von 1986 die meisten politischen Gefangenen freigelassen wurden, wurde in der DDR die Schraube nur angezogen. Eine ähnliche Politik der präventiven Repression wurde von den bulgarischen Behörden versucht, aber es stellte sich heraus, dass die Opposition in diesem Balkanland von Tag zu Tag stärker wurde. Der Hintergrund des Konflikts dort war jedoch ein anderer. Die Gruppe, die am wenigsten bereit war, sich den Kommunisten anzuschließen, war die zwangsassimilierte türkische Minderheit. In den 1980er Jahren gab es sogar mehrere Bombenanschläge gegen das Regime von Todor Zhivkov. Im Januar 1988 wurde die Unabhängige Vereinigung zum Schutz der Menschenrechte als erste Oppositionsorganisation gegründet. Später wurden weitere gegründet, bis Schiwkow schließlich die Unausweichlichkeit des Endes des Kommunismus erkannte.
Über Gorbatschows Unterstützung für die bulgarischen Oppositionellen ist jedoch nichts bekannt. Obwohl es nie ein Geheimnis war, dass die Beziehung zwischen dem Kremlchef und Schiwkow alles andere als perfekt ist. Im Allgemeinen verstand sich Gorbatschow schlecht mit den reifen Persönlichkeiten des Ostblocks: Erich Honecker, Gustav Husak, Janos Kadar oder Nicolae Ceauşescu. Mit General Wojciech Jaruzelski hatte er viel bessere Gespräche.
Aber auch die Haltung des Kremls zu den Geschehnissen an der Weichsel, wo die Opposition zwar illegal war, aber eine echte Kraft darstellte, war anders. In dem Buch von Andrzej Brzeziecki „Lehren aus der Geschichte der Volksrepublik Polen“. „Lehren aus der Geschichte der Volksrepublik Polen“, einer Sammlung von Interviews mit Historikern und Politikwissenschaftlern, findet sich ein interessanter Abschnitt über die angeblichen Kontakte der Solidarno¶ææ mit dem Kreml in den 1980er Jahren, den Professor Antoni Dudek enthüllt: „Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass diese bereits 1988 bestanden. Rakowski schrieb zweimal – in seinem Buch How It Happened und in den Politischen Tagebüchern – dass solche Kontakte für die Behörden kein Geheimnis waren.
Die zweite Prämisse waren die Äußerungen der Operativen Gruppe Weichsel und der PRL-Botschaft in Moskau, die berichteten, dass Moskau zu Gesprächen mit der konstruktiven Opposition bereit sei (…). Einige Leute in der Oppositionsführung wollten wissen, ob Moskau einen Systemwechsel zulassen würde, und Moskau wollte wissen, wer aus der Opposition möglicherweise an der Regierung beteiligt werden könnte“.
– Das ist völliger Unsinn, der von einigen Politikern von Zeit zu Zeit wiederholt wird“, sagt Wladyslaw Frasyniuk, ein Teilnehmer dieser Veranstaltungen, in einem Interview mit Focus Historia.
– Hätte Prof. Dudek verkündet, Gorbatschow sei verrückt geworden und seine Krankheit habe Jaruzelski und Kiszczak angesteckt, wäre das der Wahrheit näher gekommen. Denn wie kann man das Handeln von Führern erklären, die aus der so genannten Diktatur des Proletariats kommen und plötzlich in sich die Fähigkeit entdecken, demokratische Veränderungen durchzuführen? Das ist doch unmöglich“, fügt Frasyniuk hinzu.
In der Tat – Gorbatschow hat sich wahrscheinlich vorgestellt, dass seine Initiative nicht der Beginn der Demontage des Systems sein würde, sondern die Aufnahme der Gegner des Sozialismus unter das rote (oder möglicherweise rosa) Banner. Ein kluger Schritt, kein politischer Selbstmord. Peter Kenez, Autor des Buches The Soviet Union’s History Unraveled, erinnert sich: „Gorbatschow unterstützte die Führer, die für den Wandel eintraten, und eine Zeit lang wurde er in der DDR, Rumänien und der Tschechoslowakei zu einem Symbol für Reformen. Er nutzte seine Macht, um den bulgarischen Parteivorsitzenden Todor Zhivkov loszuwerden.
Als er 1989 in Berlin auftrat, sagte er unter Beifall: „Das Leben bestraft den, der zögert“, und untergrub damit Erich Honeckers Position, was schnell zu seiner Absetzung führte. Es war eine paradoxe Situation, die nicht lange anhalten konnte: Der Chef der Besatzungstruppen war für die Freiheit. Er förderte jedoch Parteiapparatschiks anstelle der Älteren, nur dass sie die jüngere Generation repräsentierten.
Gezwungene Demokraten
Verfolgt man die Ereignisse der späten 1980er Jahre im Allgemeinen, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Revolution gewissermaßen gegen die Absichten vieler ihrer Väter stattfand. Oder anders ausgedrückt: Einige haben das Ausmaß des Wandels nicht vorhergesehen, während andere beschlossen haben, ihre Haut zu wechseln und ihn anzuführen. Hier ist der aufgeklärte Diktator der UdSSR, Michail Gorbatschow, der den Schöpfer des Kriegsrechts in Polen, General Wojciech Jaruzelski, auffordert, den Raum der Freiheit in seinem Land zu erweitern. Nicht, um marxistisch-leninistische Ideen zu desavouieren, sondern im Gegenteil, um sie tatsächlich umzusetzen. Schließlich war der Slogan „Sozialismus ja, Verzerrungen nein“ einer der am häufigsten wiederholten Slogans dieser Zeit.
In der Tschechoslowakei war einer der Führer der Samtenen Revolution Alexander Dubczek, der 1968 als Erster Sekretär und Reformer der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei abgesetzt wurde. Derselbe Dubczek, der vor dem Prager Frühling eifrig die Befehle aus Moskau befolgte und sich besonders für die Vergemeinschaftung seiner Slowakei einsetzte.
Auch Boris Jelzin – einst Chef des Moskauer Stadtkomitees der KPdSU und später Präsident der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (einer sehr kurzlebigen Gründung) – wird sich von seinen ideologischen Positionen zurückziehen. Wären die Ereignisse in der UdSSR früher eingetreten und hätte Janujews Putsch nicht 1991, sondern 1989 stattgefunden, wäre das Foto, auf dem Jelzin auf einem Panzer vor dem Sitz des Parlaments, dem Weißen Haus, steht, vielleicht zu einem Symbol des Wandels geworden. Der Punkt ist, dass bis zum Konflikt mit Gorbatschow, d.h. in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, niemand Jelzin, einen loyalen Sohn der Partei und einen geschickten Karrieristen, verdächtigt hätte, demokratische Ansichten zu haben. Die Tageszeitung Rzeczpospolita erinnerte einmal an die Worte des russischen Publizisten Leonid Batkin. Er rechnete vor, dass Jelzin in zehn Jahren seine Ansichten geändert hatte …. zwanzig Mal.
Auch in Bulgarien wurde der Wandel durch den ehemaligen Apparatschik, Außenminister und letzten Generalsekretär der Bulgarischen Kommunistischen Partei, Petyr Mladenov, eingeleitet. Vor dem Sturz Schiwkows gelang ihm jedoch eine politische Kehrtwende, die ihn in die Reihen der Opposition brachte. Er weigerte sich, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der er die Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten Bulgariens verurteilte, und trat nach einem Konflikt mit Zhivkov von seinen Ämtern zurück. Schon als Präsident des Landes musste er sich der wirklichen Opposition stellen, vertreten durch die Union der Demokratischen Kräfte, die nicht wollte, dass die ehemaligen Kommunisten an der Macht blieben. Anschließend wandte er die polnische Variante an. Er setzte die wichtigsten Politiker an den Runden Tisch und übergab die Regierungsgeschäfte an die oppositionelle ZSD.
Eine eher mysteriöse Figur ist auch der ehemalige rumänische Präsident Ion Iliescu. Als langjähriger kommunistischer Aktivist (eine Zeit lang Mitglied des Zentralkomitees der PCC) wurde er sozusagen zufällig auf der Welle der Demonstrationen gegen den Karpaten-Genius zum Demokraten. Es überrascht nicht, dass er die Macht ergriff. Er war ein Kollege Gorbatschows aus seiner Studienzeit in Moskau. Aber es kamen immer wieder Fragen auf – steckte er hinter der überstürzten Hinrichtung von Ceauşescu? Welche Geheimnisse hat der Diktator mit ins Grab genommen?
Auch der Apparatschik der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, durchlief eine Metamorphose. In Anbetracht der bevorstehenden Konflikte wandelte er sich in einen Nationalisten. Vor dem Altar des Heiligen Sava kniend, rief er die Serben auf, gegen ihre Feinde (Kroaten und Muslime) in den Krieg zu ziehen. Es war 1989, und die an die Serben gerichteten Worte wurden auf dem Kosovo-Feld gesprochen – dem Ort, an dem die serbischen Truppen 600 Jahre zuvor von den Türken vernichtet worden waren. Der Kommunismus war dabei, als System zu zerfallen, und zwar schnell.
In unserem Land fand ein Beispiel für den Eifer der Neophyten auf einer etwas niedrigeren Ebene statt. Hier stimmte Jerzy Bolesławski, der sein Amt als Bürgermeister von Warschau behalten wollte (er kam von der PZPR), einem öffentlichen Lynchmord am… ein Denkmal für Feliks Dzierżyński. Eine ansonsten gute Idee, aber zu demonstrativ umgesetzt. Der Stolz der polnischen Revolutionsbewegung bröckelte mitten am Tag, unterstützt von Kameras und Blitzlichtgewitter, während die Zuschauer, unbeeindruckt von der Miliz, ihr natürliches Bedürfnis nach den sterblichen Überresten des Denkmals befriedigten.
Es ist jedoch kaum verwunderlich, dass Menschen, die es gewohnt sind, an der Spitze zu stehen, um jeden Preis versuchen, an der Macht zu bleiben. Wie Judt schreibt: „Imre Pozsgay (ein Exkommunist, einer der Führer des von der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei initiierten Übergangs – Anm. AG) in Ungarn oder Egon Krenz in Ostdeutschland gingen im Oktober naiv davon aus, dass sie in der Lage seien, eine lokale Version der Perestroika zu steuern. Die meisten Gegner stimmten dem grundsätzlich zu und suchten weiterhin nach einer Art vorläufigem Kompromiss. Adam Michnik schrieb 1980, dass ein gemischter Staat denkbar sei, in dem die totalitäre Organisation des Staates mit den demokratischen Institutionen der Gesellschaft koexistieren würde“. Das Jahr 1989 hat diese These jedoch widerlegt. Nicht nur der Kommunismus als System brach zusammen, sondern auch die Gesellschaft wollte nicht mehr unter der Herrschaft seiner Kader leben.
„Die Leichtigkeit, mit der die Illusion der kommunistischen Macht zerplatzte, bewies, dass die Regime schwächer waren, als irgendjemand hätte denken können“, schließt Judt. Es stellte sich heraus, dass der Wolf lange Zeit keine Zähne hatte, obwohl er jahrelang tatsächlich die Rolle eines bedrohlichen Raubtiers gespielt hatte. Und es waren die Polen, die diesem Raubtier als erste die Stirn boten.
– Die Tatsache, dass die Welt den Fall der Berliner Mauer als eine Ikone dieser Zeit betrachtet, sehe ich ohne große Emotionen“, versichert Frasyniuk. – Schließlich leben wir in einem Zeitalter der „Bildschrift“. Die Ereignisse in der deutschen Hauptstadt sind in der Tat weitaus spektakulärer und medienwirksamer als die friedliche Machtübernahme in Polen. Die Tatsache, dass wir so nervös auf dieses Thema reagieren, ist jedoch zum Teil auf unseren nationalen Minderwertigkeitskomplex, unsere ständige Unterschätzung zurückzuführen. Und doch haben wir der Welt zum ersten Mal gezeigt, dass wir in der Lage sind, zu gewinnen und nicht nur in aufeinanderfolgenden Kriegen und Aufständen zu sterben.”