Wikingerschiff

Geschichte Europas:


Update: 24. März 2023.
»Ihr nennt uns Gesindel, wir nennen uns Bürger«

Paulskirche, Nationalstaat, Parlamentarismus: 1848 gilt als Musterbeispiel der »bürgerlichen Revolution«. Dabei lösten Bauern, Handwerker und Arbeiterinnen die Revolte aus. Weil sie Gerechtigkeit einforderten.

Bürgerliche Revolution – dieses Etikett wird sie nicht los, die Umwälzung von 1848. Zwar gedenkt die Stadt Berlin der Barrikadenkämpfe vom 18. März, doch in der nationalen Erinnerung dominiert das Paulskirchenparlament in Frankfurt. Dort auch wird in diesem Mai mit einem großen Fest der 175. Jahrestag der Revolution gefeiert. Nicht ganz zu Unrecht: Die erste frei gewählte Volksvertretung veröffentlichte im Dezember 1848 einen Katalog der Grundrechte – Pressefreiheit, Redefreiheit, Rechtsstaat, freie Wahlen. Gedacht als einklagbares Recht wurden sie mit dem Scheitern der Revolution zur Utopie der Deutschen, ersehnt und über Generationen unerreicht.

Doch eines fehlte bereits 1848: das Recht auf Arbeit.

Dabei waren es Sozialproteste von Bauern, Handwerkern und Arbeiterinnen, die die Revolution erst ins Rollen brachten. Als sich aber der Rauch verzogen hatte, vertraten Juristen, Staatsbeamte, Professoren das Volk. Ein Frauenwahlrecht gab es nicht, unter den durch Rücktritte und Wechsel insgesamt über 800 Abgeordneten der Paulskirche waren ganze vier Handwerker – und kein Arbeiter.
Wer die andere Seite der Revolution sehen will, muss auf den Friedhof der Märzgefallenen in den Berliner Volkspark Friedrichshain gehen. An diesem stillen Gedenkort ruhen weitab vom Rummel des Politikbetriebes die Gefallenen der Barrikadenkämpfe von 1848. Auf den wenigen erhaltenen Grabmalen liest man historische Berufsbezeichnungen wie »Malergehülfe, 18 Jahr«, »Seidenwirkergeselle«, »Lehrling, 15 Jahr« oder schlicht »Arbeitsmann«. Auch das Grab einer Frau findet sich, markiert als »Opfer der Ereignisse«, nicht als Revolutionärin. Die kurzen Zeilen sind oft das Einzige, was wir über sie wissen.

Dabei ist die Leistung dieser Unbekannten beachtlich. Sie zwangen am 18. März 1848 in Berlin die preußische Armee zum Rückzug. Die Überlebenden nötigten den zu Tode erschrockenen König Friedrich Wilhelm IV. , seine Mütze vor den Gefallenen zu ziehen. Erst ihr Aufruhr erteilte den Parlamentariern ihr Mandat.

Angst vor der Zukunft.

Was trieb junge Menschen 1848 auf die Barrikaden? Allein die Deutsche Einheit kann es kaum gewesen sein, denn auch in Frankreich, Italien, Österreich und Ungarn tobte die Revolte. Hinter dem Hauch von Weltrevolution stand ein Verlust von Zukunft. Noch die Großeltern der jungen 1848er hatten in einer Welt gelebt, in der jeder Lehrling sich ein Leben als Geselle, später als Meister im eigenen Betrieb ausmalen konnte. Zünfte regulierten den Beruf, oft wurden nur so viele Lehrlinge ausgebildet, wie Arbeit am Ort vorhanden war. Wachstum war nicht das Ziel, sondern Bedarfsdeckung. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam dem Handwerk der goldene Boden abhanden. Großunternehmen, nicht kleine Meisterbetriebe machten das Geschäft. Das lag weniger an der Dampfmaschine , sondern vor allem an neuen Formen der Unternehmensorganisation.

In der Textilindustrie ermöglichten bereits mechanische Webstühle eine Arbeitsteilung in immer kleinere Schritte. Versierte Weber wurden durch Ungelernte und Kinder ersetzt. Mancherorts wurde die Produktion in großen Hallen zentriert. Erste Fabriken entstanden, Fabrikordnungen überliefern drakonische Strafen für Zuspätkommen oder Trödelei. In Schlesien blühte gleichzeitig die Heimarbeit: Unternehmer verkauften Baumwolle an scheinselbstständige Familien und nahmen ihnen die Stoffe zu Festpreisen ab, die oft nicht reichten, um Kleidung und Essen zu zahlen. Doch diese Preise wurden nicht mehr von Menschen und ihren Zünften gemacht, sondern vom Markt – so jedenfalls die Theorie der liberalen Ökonomen. Ihre Vision von Zukunft verlangte die volle Entfaltung von Angebot und Nachfrage. Keine Regulierung, stattdessen Freihandel und grenzenloses Wachstum – Quelle.


Update 23.04.2022 – Ein Schreckgespenst der Geschichte.

Vor 100 Jahren schließen Sowjetrussland und das Deutsche Reich im mondänen italienischen Strandort Rapallo ein Abkommen. Über einen Vertrag, den die westlichen Siegermächte als Zweckbündnis gegen sich verstehen und der historisch bis heute nachhallt, von Kurt Kister – SZ.
Im vertraulichen Gespräch: Reichskanzler Joseph Wirth (2. von links) spricht 1922 mit dem russischen Volkskommissar des Äußeren Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin (ganz rechts) –  (Foto: Scherl/SZ Photo).

Sehr streng genommen ist es eigentlich falsch, vom Vertrag von Rapallo zu sprechen – jedenfalls wenn man die heute gültigen Verhältnisse in Betracht zieht. Das Imperiale Palace Hotel liegt nämlich seit 1928 nicht mehr in Rapallo, sondern gehört wegen einer Verwaltungsumwidmung nun schon 94 Jahre lang zu Santa Margaritha Ligure, einer Nachbarkommune von Rapallo. Das aber ändert nichts daran, dass das Imperiale immer noch ein Grand Hotel ist. Es sieht so aus, als könne jederzeit Hercule Poirot auf die Terrasse treten. Hätte man rechtzeitig und günstig gebucht, könnte man an diesem April-Wochenende in einer Juniorsuite mit Meerblick wohnen, zwei Nächte für 1.100 Euro, für die man bei vollem Preis 1.700 Euro hinlegen müsste. Das immens blaue ligurische Meer funkelt fast vor der Hoteltür, und weil die Social-Media-Bewertung heute das ist, was der Baedeker früher war, sei hier eine Aida aus der Schweiz zitiert: „Das Hotel ist fabelhaft, erzählt eine Geschichte und ist super gelegen“! Am 16. April 1922, am Ostersonntag vor hundert Jahren, wurde in einem Tagungsraum des Imperiale unter nahezu konspirativen Umständen ein kurzes Dokument mit nur sechs Artikeln unterzeichnet. Es ging als der Vertrag von Rapallo in die Geschichte ein. In der deutschen Fassung beginnt der Vertrag so: „Die Deutsche Regierung, vertreten durch Reichsminister Dr. Walther Rathenau, und die Regierung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, vertreten durch Volkskommissar Tschitscherin …“.

Argwohn, Härte, Verachtung.

Zwei sehr ungleiche Verlierer des Ersten Weltkriegs, denen aus unterschiedlichen Gründen die westlichen Siegermächte mit Argwohn, Härte und teilweise Verachtung begegneten, schlossen sich hinter dem Rücken der anderen zu einem Zweckbündnis zusammen. Dies geschah stiekum in dem Badeort Rapallo, während sich Präsidenten, Premier- und Außenminister von 34 Staaten, darunter auch Russland und Deutschland, in dem nicht ganz 30 Kilometer nordwestlich liegenden Genua zu einer mehrere Wochen dauernden Konferenz trafen. Rapallo war, je nach Sichtweise, gewissermaßen ein Kollateralnutzen oder -schaden von Genua.

In Genua sollte über den Wiederaufbau im kriegszerstörten Osteuropa beraten werden, aber auch über das Reparationsregime gegenüber Deutschland. Der Vertrag von Versailles hatte das Deutsche Reich für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gemacht und ihm immense Reparationen auferlegt. Das erst 1917 entstandene Sowjetrussland gehörte nicht zu den Empfängern von Reparationen. Allerdings hieß es im Artikel 116 des Versailler Vertrages, dass Russland das Recht habe, „von Deutschland … Entschädigungen und Wiedergutmachungen zu verlangen“. Es wäre also denkbar gewesen, dass sich Frankreich und England in Genua mit den erstmals auf einer internationalen Konferenz dieser Größe anwesenden Vertretern Sowjetrusslands geeinigt hätten. Die Folge wären weitere finanzielle Ansprüche an Deutschland gewesen, das zu jenem Zeitpunkt schon die bestehenden Forderungen der Westmächte nicht erfüllen konnte. Vor allem Frankreich, das 1870 und 1914 unter Invasionen der Deutschen gelitten hatte, war wenig geneigt, den Deutschen entgegenzukommen. Frankreich wollte seine Grenzen zu Deutschland eigentlich bis an den Rhein verlegen. Großbritannien wiederum warnte davor, Deutschland zu sehr einzuschnüren, weil dies einerseits die Fähigkeit des Reichs zu Reparationszahlungen verringere. Andererseits sah London in Deutschland auch ein Sicherheitsglacis gegen das bolschewistische Russland.

Ein böses Etikett: „Erfüllungspolitiker“.

In Berlin regierte seit Oktober 1921 das zweite Kabinett des Reichskanzlers Joseph Wirth, eines badischen, eher linken Katholiken, der konservativen Zentrumspartei, der einer Koalition aus SPD, der linksliberalen DDP und dem Zentrum vorstand. Wirths Kabinett war seit 1919 bereits die sechste Regierung der Weimarer Republik. Wirths Vorgänger Constantin Fehrenbach, ebenfalls ein Zentrumskatholik aus Freiburg, war als Kanzler zurückgetreten, weil er die im Londoner Ultimatum vom Mai 1921 von den Siegermächten geforderte Reparationssumme für nicht Erbringbar hielt und das Ultimatum scharfen Streit in seiner Koalition auslöste. In London hatten Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien und Japan ihre Forderungen an Deutschland auf insgesamt 132 Milliarden Goldmark beziffert.

Kanzler Wirth verfolgte eine dialektische Strategie, was die Reparationen betraf: Die Reichsregierung machte den Versuch, die jährlich geforderten zwei Milliarden zu bezahlen, wusste aber zugleich, dass dies wegen der schlechten Wirtschaftssituation in Deutschland nicht möglich sein würde. Man wollte den Versailler Vertrag „erfüllen“, gleichzeitig aber den Alliierten beweisen, dass er nicht erfüllbar sei. Dies, so die Hoffnung, werde in absehbarer Zeit zu einer Abmilderung oder gar Aussetzung der Forderungen führen. Diese Politik trug Wirth und anderen das Etikett „Erfüllungspolitiker“ ein. Die Konservativen und die radikale Rechte, die gar keine Reparationen bezahlen wollte, benutzten diesen Begriff als Beleidigung. Er wurde mit ähnlicher Verachtung ausgesprochen wie etwa „Novemberverbrecher“. Damit waren alle Politiker gemeint, die nach Ansicht von Republikfeinden jeder Couleur für den Zusammenbruch des Reichs im November 1918 verantwortlich waren.

Mitreisende und Gegenspieler.

Reichskanzler Joseph Wirth also war mit einer kleinen Delegation im April 1922 nach Genua gereist. Ihr gehörten zwei wichtige Gegenspieler an, von denen der eine der Vorgesetzte des anderen war. Der Vorgesetzte war der neue Außenminister Walther Rathenau, schwerreicher Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau. Bis März 1915 hatte Rathenau die von ihm angeregte „Rohstoffabteilung“ im Kriegsministerium geleitet; sie diente unter anderem der Verteilung kriegswichtiger Rohstoffe. Rathenau unterstützte bis 1918 die Kriegsziele von Kaiser und Generalstab, er befürwortete auch den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter in Deutschland. Nach dem Krieg profilierte sich der internationale trotz allem angesehene Industrielle als nationalliberales Mitglied der DDP; im ersten Kabinett Wirth war Rathenau einige Monate lang Wiederaufbauminister. Ende Januar 1922 hatte Wirth dann – gerade im Hinblick auf die Konferenz in Genua – Rathenau zum Außenminister berufen.

Mit seinen vielfältigen Kontakten in London und Paris war Rathenau ein Verfechter einer nach Westen orientierten deutschen Außenpolitik, auch weil er glaubte, eine allmähliche Veränderung der Politik bei den Siegermächten erreichen zu können. Der Publizist Sebastian Haffner bezeichnete Rathenau deswegen als „Westler“. „Die Westler waren ,Erfüllungspolitiker‘ , schreibt Haffner in seinem Buch „Der Teufelspakt“, „gegen den Strom der öffentlichen Meinung ankämpfend, setzten sie sich das Ziel, in einem langsamen, geduldigen Entfesselungsakt den Versailler Frieden doch noch allmählich in einen echten Frieden mit dem Westen zu verwandeln.“

Rathenaus Untergebener und Gegenspieler war Adolf Georg Otto (genannt Ago) Freiherr von Maltzan, seit 1906 Karrierediplomat mit besonderer Kenntnis Russlands und 1922 Staatssekretär und Leiter des Russlandreferats im Auswärtigen Amt. Maltzan war, um Haffners Kategorisierung zu verwenden, ein „Ostler“. Er sah ein vorrangiges außenpolitisches Ziel darin, den sogenannten Fesselungsring von Versailles dadurch aufzubrechen, dass Deutschland eine besondere Beziehung mit dem von den Westalliierten gemiedenen Sowjetrussland aufnahm. Maltzan und Kollegen hatten mit Vertretern Sowjetrusslands bereits Monate vor der Genua-Konferenz vertraulich Verhandlungen geführt. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Interessen der Reichswehr unter ihrem militärischen Chef Hans von Seeckt.

Panzermanöver, von denen niemand wusste.

Die Reichswehr hatte bereits im September 1921 eine geheime Zusammenarbeit mit der Roten Armee begonnen. Sie war, wie Heinrich August Winkler schreibt, „ausgerichtet am russischen Interesse, von der überlegenen deutschen Technik zu profitieren, und am deutschen Interesse, mit russischer Hilfe die Fesseln des Versailler Vertrages, namentlich in den Bereichen Luftwaffe und Giftgasproduktion, abzustreifen“. Bis in die frühen Dreißigerjahre wurden in Russland heimlich und vertragswidrig eine Vielzahl deutscher Piloten und Panzersoldaten ausgebildet. Hinzu kam, dass nicht nur militärische Kreise in Moskau und Berlin die Gebietsverluste revidieren wollten, die im Zuge der Gründung des polnischen Nationalstaates im November 1918 sowohl Deutschland als auch Sowjetrussland entstanden waren. Die Rote Armee hatte zudem 1920 gegen das polnische Militär die Schlacht von Warschau verloren, was zu einer weiteren Ostverschiebung der Grenzen des neuen polnischen Staates führte.

Reichskanzler Wirth war bereits als Finanzminister in den Kabinetten seines Vorgängers Fehrenbach und des Sozialdemokraten Hermann Müller mit der geheimen deutsch-russischen Militärkooperation befasst gewesen. Er unterstützte sie genauso, wie er die Grenzen Polens ablehnte. Die Historikerin Eva Ingeborg Fleischhauer hat 2006 in ihrem Aufsatz „Rathenau in Rapallo“ in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte auch anhand des schriftlichen Nachlasses Wirths nahezu spannend nachgewiesen, wie Wirth zu der Ostoption, der Reichswehr und dem Rapallo-Vertrag stand.

Mord an einem Patrioten.

Staatssekretär Maltzan jedenfalls war auf deutscher Seite in Genua beziehungsweise in Rapallo die treibende Kraft. Die kleine russische Delegation unter Georgij Tschitscherin, Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, hatte trotz anderslautender Gerüchte nicht vor, in Genua eine französisch-britisch-sowjetische Allianz nach Artikel 116 des Versailler Vertrags zu bilden. Tschitscherin, ein zunächst sozialdemokratischer Großbürger mit einer baltendeutschen Mutter, hatte schon 1905 bis 1907 im Berliner Exil gelebt. Ihm lag sehr an der auch offiziellen Annäherung Sowjetrusslands an Deutschland. Eine wichtige Rolle dabei hatte auch der aus Lemberg (heute Lwiw in der Ukraine) gebürtige Karl Radek gespielt, der seit 1907 in Deutschland lebte, in der SPD aktiv war und später einer der Vertrauten Lenins in dessen Schweizer Exilzeit wurde. Als Komintern-Mann erlebte Radek die gescheiterte deutsche Revolution 1918/19 und war zeitweise in Berlin-Moabit inhaftiert, wo er von zahlreichen Offizieren, Diplomaten und Politikern besucht wurde. Als Radek im Januar 1920 nach Moskau zurückkehrte, nahm er, so Sebastian Haffner, den Rapallo-Gedanken „zwei Jahre vor Rapallo“ mit, also den Gedanken „eines Zweckbündnisses gegen den Westen und gegen Versailles“.

Der Außenminister Rathenau wusste von den heimlich bereits weit vorangetriebenen Verhandlungen mit den Russen zunächst nicht sehr viel. Als Maltzan angeblich in der Nacht zum Ostersonntag einen Anruf der Russen erhielt, dass man am nächsten Tag den noch nicht ganz ausgearbeiteten Vertrag unterzeichnen wolle, kam es zu dramatischen Szenen in Rathenaus Hotelzimmer. Rathenau wollte vorab die Briten informieren, worauf Maltzan mit Rücktritt gedroht und Wirth gesagt habe, wenn Rathenau nicht unterzeichnen wolle, werde er es eben als Kanzler tun. Ob alles so war, lässt sich nicht belegen, weil Maltzan als einziger Teilnehmer darüber Aufzeichnungen hinterließ, die wiederum die Historikerin Fleischhauer als „apologetisch, widersprüchlich und nachweislich falsifizierend“ bewertet. Jedenfalls fand sich Rathenau in das Fait accompli ein und vertrat von da an die deutsch-sowjetische Annäherung als seine Politik.

Außenminister Walther Rathenau galt öffentlich lange Zeit als eine Art Architekt des Rapallo-Vertrags. Nach allem, was man heute weiß, trifft das nicht zu. Rathenau überlebte den Vertragsabschluss nur wenige Wochen. Am 24. Juni 1922 wurde er von rechtsradikalen Verschwörern umgebracht. Ihnen galt der Patriot und Intellektuelle Rathenau als die Verkörperung des „jüdischen Kapitalisten“, der Deutschland als Erfüllungspolitiker verraten habe.

Auf Kosten Polens.

Am 16. April fand im Imperiale die Unterzeichnung des Pakts statt. Der Inhalt ist simpel: Russland und Deutschland verzichteten auf finanzielle Ansprüche gegeneinander, was de facto den Artikel 116 des Versailler Vertrags aushebelte. Des Weiteren normalisierte man das zwischenstaatliche Verhältnis, nahm also diplomatische Beziehungen zueinander auf. Für Sowjetrussland bedeutete das die volle staatliche Anerkennung durch Berlin. Außerdem räumte man sich gegenseitig die wirtschaftliche Meistbegünstigung ein. Dies wiederum war für Deutschland wichtig, weil es ökonomisch von anderen Staaten noch boykottiert wurde. Es gab keine geheimen Zusatzvereinbarungen, die militärische Kooperation betreffend. Über deren Fortsetzung war man sich ohnehin einig.

Der Vertrag selbst gewann in der Wahrnehmung über die Jahre und Jahrzehnte eine symbolschwangere Bedeutung, die er bei seinem Abschluss nicht hatte. Der Münchner Historiker Martin Schulze Wessel setzte sich in seinem Aufsatz „Rapallo“ im ersten, 2001 erschienen Band der Reihe „Deutsche Erinnerungsorte“ sehr eindrücklich mit dem Symbol Rapallo auseinander. Für die einen, so Schulze Wessel, war es „ein Schreckbild eines Paktes mit dem Bolschewismus“, für die anderen „ein Muster friedlicher Koexistenz verschiedener Systeme“. Man konnte in „Rapallo“ die Möglichkeit einer europäischen Friedensordnung sehen oder auch eine „Wiederanknüpfung an die unheilvolle Tradition russisch-preußischer Beziehungen auf der Grundlage einer negativen Polenpolitik“. Gerade in Polen wird Rapallo heute eher mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verknüpft und verurteilt. Schließlich waren die Preußen, später die Deutschen bis zum Zweiten Weltkrieg stets bereit, in Kooperation mit Russland Polen zu bekriegen und zu teilen.

Im Westen sahen manche den Rapallo-Pakt als einen Beweis für die Unzuverlässigkeit der Deutschen und die Gefahr, dass Deutschland sich plötzlich nach Osten, nach Russland orientieren könnte. Besonders in Frankreich gab es diese Lesart. Auch nach 1945 verstanden etliche eher Linke den „Geist von Rapallo“ als einen willkommenen Wiedergänger, der zwar ursächlich nichts mit Brandts Ostpolitik zu tun hatte, aber dennoch für eine Alternative stand. Andere, Transatlantiker zumal, hielten diesen Geist nur für ein Schreckgespenst, das es auszutreiben galt. Heute ist Rapallo nur noch Geschichte. Nicht einmal Gerhard Schröder, interessierte er sich denn für Historie, würde sich auf Rapallo berufen. Die Sowjetunion, die 1922 am Anfang ihrer Existenz stand, ist tot. Und mit Wladimir Putin, der von einem irgendwie sowjetischen, irgendwie zaristischen Großrussland träumt, lässt sich nun wirklich kein Rapallo-Vertrag abschließen – nicht einmal, wenn Roman Abramowitsch das Imperiale Palace Hotel kaufen würde.


 

Die Geschichte Europas: GESCHRIEBEN VON Edward Peters – Alle Mitwirkenden anzeigen – Henry Charles Lea, emeritierter Professor für Geschichte an der University of Pennsylvania, Philadelphia. Autor Europas im Mittelalter, Inquisition und Herausgeber von Witchcraft, mit Alan C. Kors …
Geschichte der europäischen Völker und Kulturen von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart. Europa ist ein mehrdeutiger Begriff als die meisten geografischen Ausdrücke. Seine Etymologie ist zweifelhaft, ebenso wie die physikalische Ausdehnung des von ihm bezeichneten Gebiets. Die Westgrenzen scheinen durch die Küste klar definiert zu sein, doch die Position der britischen Inseln bleibt zweideutig. Für Außenstehende scheinen sie eindeutig Teil Europas zu sein. Für viele Briten und einige Iren bedeutet „Europa“ jedoch im wesentlichen Kontinentaleuropa. Im Süden endet Europa an den nördlichen Ufern des Mittelmeers. Doch, zum Römischen Reich. Dies war Mare Nostrum („unser Meer“), eher ein Binnenmeer als eine Grenze. Schon jetzt stellt sich die Frage, ob Malta oder Zypern eine europäische Insel ist. Die größte Unsicherheit liegt im Osten, wo natürliche Grenzen notorisch schwer zu fassen sind. Wenn das Uralgebirge die östliche Grenze Europas markiert, wo liegt es südlich von ihnen? Kann Astrachan zum Beispiel als europäisch angesehen werden? Die Fragen haben mehr als nur geografische Bedeutung.
Diese Fragen haben eine neue Bedeutung erlangt, da Europa mehr als nur ein geografischer Ausdruck ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg war viel von der „europäischen Idee“ zu hören. Dies bedeutete im Wesentlichen die Idee der europäischen Einheit, die zunächst auf Westeuropa beschränkt war, aber Anfang der Neunzigerjahre endlich in der Lage zu sein schien, auch Mittel- und Osteuropa einzubeziehen.Die Einheit in Europa ist ein altes Ideal. In gewisser Weise wurde es implizit vom Römischen Reich vorgezeichnet. Im Mittelalter wurde es zuerst vom Reich Karls des Großen und dann vom Heiligen Römischen Reich und der römisch-katholischen Kirche unvollkommen verkörpert. Später schlugen eine Reihe politischer Theoretiker Pläne für die Europäische Union vor, und sowohl Napoleon Bonaparte als auch Adolf Hitler versuchten, Europa durch Eroberung zu vereinen.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg suchten europäische Staatsmänner nach Wegen, Europa auf der Grundlage der Gleichheit friedlich zu vereinen, anstatt von einer oder mehreren Großmächten beherrscht zu werden. Ihr Motiv war vierfach: weitere Kriege in Europa zu verhindern, insbesondere durch die Versöhnung Frankreichs und Deutschlands und die Verhinderung von Aggressionen anderer; die Protektionismus- und „Bettler-mein-Nachbar“ Politik zu vermeiden, die zwischen den Kriegen praktiziert worden war; dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der neuen Supermächte der Welt gerecht zu werden, jedoch auf ziviler Basis; und zu beginnen, die internationalen Beziehungen zu zivilisieren durch gemeinsame Regeln und Institutionen einzuführen , die die gemeinsamen Interessen Europas und nicht die nationalen Interessen ihrer würde identifizieren und fördern konstituierenden Staaten.

Dieser Politik liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Europäer mehr gemeinsam haben als spalten, insbesondere in der modernen Welt. Im Vergleich zu anderen Kontinenten ist Westeuropa klein und äußerst vielfältig, durch Flüsse und Berge geteilt und durch Buchten und Bäche durchschnitten . Es ist auch dicht besiedelt – ein Mosaik verschiedener Völker mit einer Vielzahl von Sprachen. Sehr breit und unzureichend können seine Völker in nordische, alpine oder keltische und mediterrane Typen eingeteilt werden, und der Großteil ihrer Sprachen wird entweder als romanisch oder germanisch klassifiziert. In diesem Sinne teilen die Europäer hauptsächlich ihre Vielfalt; und vielleicht hat dies sie so energisch und kämpferisch gemacht. Obwohl von fruchtbaren Böden einzigartig bevorzugten gemäßigten Klimazonen haben sie sich lange als kriegerisch erwiesen. Auf aufeinanderfolgende Invasionswellen, hauptsächlich aus dem Osten, folgten Jahrhunderte von Rivalitäten und Konflikten sowohl innerhalb Europas als auch in Übersee. Viele der europäischen Felder waren Schlachtfelder, und viele europäische Städte wurden angeblich auf Knochen gebaut. Die Europäer waren jedoch auch führend in intellektuellen , sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen. Als Seefahrer, Entdecker und Kolonisten beherrschten sie lange Zeit einen Großteil der übrigen Welt und hinterließen den Eindruck ihrer Werte, ihrer Technologie, ihrer Politik und sogar ihrer Kleidung. Sie exportierten sowohl Nationalismus als auch Waffen.

Dann, im 20. Jahrhundert, war Europa nahe daran, sich selbst zu zerstören. Der Erste Weltkrieg kostete mehr als 8 Millionen Menschen in Europa, der Zweite Weltkrieg mehr als 18 Millionen in Schlacht, Bombenangriffen und systematischem Völkermord an den Nazis – ganz zu schweigen von den 30 Millionen, die anderswo ums Leben kamen. Neben den Toten hinterließen die Kriege bleibende Wunden, sowohl psychisch als auch physisch. Während der Erste Weltkrieg den Nationalismus und den ideologischen Extremismus in Europa verschärfte , hatte der Zweite Weltkrieg fast den gegenteiligen Effekt. Das verbrannte Kind fürchtet Feuer; und Europa war schwer verbrannt worden. Innerhalb von fünf Jahren nach Kriegsende schlug der französische Außenminister Robert Schuman auf Anregung von Jean Monnet Deutschland den ersten praktischen Schritt zur europäischen Einheit vor, und der westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer stimmte zu. Andere, die an diesem ersten Schritt beteiligt waren, waren die Staatsmänner Alcide De Gasperi und Paul-Henri Spaak . Alle außer Monnet waren Männer aus den sprachlichen und politischen Grenzen Europas – Schuman aus Lothringen , Adenauer aus dem Rheinland , De Gasperi aus Norditalien , Spaak aus dem zweisprachigen Belgien . Die Vielfalt Europas trug somit dazu bei, den Impuls zur Vereinigung zu fördern.

Dieser Artikel behandelt die Geschichte der europäischen Gesellschaft und Kultur . Für eine Diskussion über die physische und menschliche Geographie des Kontinents , sieht Europa. Die Geschichte der einzelnen Länder finden Sie in bestimmten Artikeln nach Namen. Artikel, die bestimmte Themen in der europäischen Geschichte behandeln, umfassen das Byzantinische Reich ; Steppe, die ; Erster Weltkrieg; und Zweiter Weltkrieg. Informationen zum Leben prominenter europäischer Persönlichkeiten finden Sie in bestimmten Biografien mit Namen – z. B. Karl der Große , Erasmus und Bismarck . Verwandte Themen werden in Artikeln wie denen zur Religion diskutiert (z.Keltische Religion ; Griechische Religion ; Germanische Religion ; Christentum ; und Judentum), Literatur (z. B. englische Literatur , skandinavische Literatur und russische Literatur) und bildende Kunst (z. B. Malerei, Geschichte; und Musik, Geschichte von).

Nach den Wikingern, von Europa, mit Christopher Columbus in die Welt:

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