Auf der Andrews Air Force Base haben sie für Trump noch mal ein Pult mit Präsidentensiegel aufgebaut. Der verbliebene Hofstaat ist zum Abschied gekommen, überschaubar, höchstens 300, selbst Mike Pence ließ sich entschuldigen. Die prominenteste Gruppe sind die, die von Anfang an dabei waren: Trumps Familie. Sohn Donald Jr. hält sein Handy hoch, Eric Trump sieht aus, als würde er gleich weinen. Aus den Lautsprechern dröhnt der Wahlkampfhit »Gloria«, den sie neulich auch bei der Kundgebung vor dem Sturm auf das Kapitol gespielt hatten. Dann tritt Trump auf: »Es waren unglaubliche vier Jahre«, sagt er und schweift prompt vom Manuskript ab, um in alten Lügen zu schwelgen. »Habt ein gutes Leben«, endet er schließlich tonlos, „Wir sehen uns bald wieder – in irgendeiner Form“.
Sollte Donald Trump die Mehrzahl der wichtigsten Personen auf seiner Seite haben und es keine Befehlsverweigerung gibt, dann könnte es dazu kommen – sonst nicht!
Herr Professor Miller, die Vereinigten Stabschefs des amerikanischen Militärs haben den Sturm auf das Capitol verurteilt und alle Angehörigen des Militärs an ihre Pflichten erinnert. Könnte der amtierende Präsident Trump gleichwohl mit Hilfe des Militärs an der Macht bleiben?
Eine beunruhigende Frage. Aber: Ja, das wäre möglich. Schon vor dem Aufstand am Capitol gab es Berichte über einen inneren Zirkel im Weißen Haus, der über extreme Strategien diskutiert hat, damit Trump nach dem 20. Januar an der Macht bleiben kann. Es scheint, dass die Ausrufung des Kriegsrechts tatsächlich einer dieser verzweifelten Pläne war. Es fällt schwer zu glauben, dass dies eine Diskussion im Herzen von Amerikas alter und meist bewundernswerter Demokratie ist. Aber zumindest aus der Perspektive des positiven Rechts ist das nicht ausgeschlossen. Es gibt verfassungsmäßige Beschränkungen für die Ausübung der Macht des Präsidenten als Oberbefehlshaber, besonders im Innern. Die Macht über das Militär teilt er sich mit dem Kongress, der Kriege erklären kann und das Militär finanziert. Auch die Grundrechte schränken die Befugnisse des Präsidenten ein. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Umfang der Befugnisse des Präsidenten im Innern durch die Berücksichtigung der Absicht des Kongresses festgelegt wird. Diese gegenseitige Kontrolle wird durch die klare Zuweisung der Kompetenz über den Einsatz der Streitkräfte im Inland an den Kongress verstärkt. Die Verfassung von 1787 gewährt dem Kongress die Macht, „die Miliz aufzurufen, um die Gesetze der Union auszuführen, Aufstände zu unterdrücken und Invasionen abzuwehren“. Das Problem ist, dass der Kongress im Verlauf der Geschichte gemischte Signale über das Kriegsrecht gesendet hat. Auf der einen Seite kriminalisiert der Posse Comitatus Act von 1878 den Einsatz des Militärs zur Vollstreckung des Rechts; auf der anderen Seite sieht der oft geänderte Insurrection Act von 1807 mehrere Ausnahmen von diesem allgemeinen Verbot vor.
Russell Miller lehrt vergleichendes Verfassungsrecht und Internationales Öffentliches Recht an der Washington and Lee University in Lexington, Virginia. Er ist Gründer und Herausgeber des „German Law Journal“ und zur Zeit Senior Research Fellow and Head of the Max Planck Law Network – weiterlesen.