Farbige Lithografie aus dem Jahr 1904 zur Situation der Juden im Russischen Reich

Der oder das Pogrom steht für die gewaltsame Ausschreitung gegen Menschen, die entweder einer abgrenzbaren gesellschaftlichen Gruppe angehören oder aber von den Tätern einer realen bzw. vermeintlichen gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden. Im Regelfall handelt es sich dabei um ethnische, politische oder religiöse Minderheiten, z. B. Mitglieder einer bestimmten Partei oder Religionsgemeinschaft. Früher verwendete man den Begriff nur, um durch Antisemitismus ausgelöste Ausschreitungen gegen Juden (Judenpogrome) zu benennen; der Sprachgebrauch hat sich seither aber ausgeweitet.

Der Begriff Pogrom hat sich in der politisch-historischen Verwendung von seiner Etymologie gelöst. Verwendet wird er in der politischen Alltagssprache und in historischen Einordnungen, die über die Herkunftsbedeutung hinaus in die geschichtswissenschaftliche Fachsprache (also die Fachsprache der Historiker) übergegangen sind. Der Begriff wird auch historisch rückwirkend verwendet, z. B. für mittelalterliche Geschehnisse und Prozesse. Unter Pogrom wird häufig auch Übergriff, Aufstand, Massaker, Partisanenüberfall, Vernichtungskrieg u. a. verstanden. Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht.

Aus der empirisch beobachtbaren Verwendung des Begriffs Pogrom lässt sich ein definitorischer Gehalt destillieren.

  1. Abzugrenzen ist der Begriff gegenüber Verwüstung, Zerstörung und Unruhe, die mit jedem Krieg einhergehen; andernfalls wäre jede Kriegshandlung begrifflich ein Pogrom. Für Kriegssituationen gilt: Auch Streitkräfte können ein Pogrom begehen, wenn sie propagandistisch eigens gegenüber der Opfergruppe mobilisiert werden.
  2. Die einleitende Definition beschränkt die Seite der Opfer eines Pogroms weder allein auf Juden noch auf ethnische Gruppen. Damit ist auch der Sprachgebrauch Hexenpogrom für entsprechende mittelalterliche und frühneuzeitliche Ausschreitungen erfasst. Das Beispiel verdeutlicht, dass die als Pogrom bezeichnete Ausschreitung sich nicht gegen eine klar definierbare Gruppe richten muss, sondern sich auch gegen Menschen wenden kann, die gewissen wirklichen oder erfundenen Gruppen (gesellschaftlichen, religiösen, herkunftsbezogenen, kulturell eingegrenzten …) zugerechnet werden. Dies war so bei der Judenverfolgung im NS-Staat und galt auch für die menschenverachtenden Etikettierungen, unter denen Menschen nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 zu leiden hatten. In analoger Weise können auch Übergriffe auf Homosexuelle mit dem Begriff Pogrom konnotiert sein.
  3. Die Definition vermeidet den Begriff Minderheit. Damit ist begriffstechnisch erfasst, dass auch der Übergriff einer Besatzungsmacht gegenüber großen Teilen der Bevölkerung oder der gesamten Bevölkerung eines Landes unter Umständen als Pogrom bezeichnet wird. Hierzu gehört dann der Aufbau eines Feindbildes, wie z. B. bei den Übergriffen von SS, Wehrmacht und Polizei im Zweiten Weltkrieg.
  4. Die Definition schließt staatlich verordneten Terror (Staatsterror) ein: vgl. eine Aussage wie „Die Propagandamaschine versuchte, im deutschen Volk, insbesondere bei den Soldaten eine regelrechte Pogromstimmung gegen ‚die Italiener‘ zu entfachen.“ Das Beispiel macht zugleich deutlich: Für den Begriff Pogrom ist nicht vorauszusetzen, dass eine Stimmung bereits breit entfaltet ist und es nur eines Zündfunkens bedarf, um sie in Gewalt umschlagen zu lassen.
  5. Der Begriff Pogrom ist nicht daran gebunden, dass Ausschreitungen organisiert sind. Ob und wie organisiert wurde, unterliegt gegebenenfalls streitiger Diskussion. Beispiele: Bei Pogromen, die als sozialpsychologische Reaktion auf gerade ausgegebene Judenprivilegien entstanden oder die sich bei mittelalterlichen Pestepidemien entfachten, weil man bewusst herbeigeführte Brunnenvergiftungen unterstellte, erscheint für die Erfüllung des Begriffs Pogrom das Merkmal Organisation nicht zwingend. Hier kommt man mit der Erklärungsfigur des Sündenbocks hinreichend aus. – Von einer fließenden Grenze zum organisierten Pogrom kann man sprechen, wenn verantwortliche Institutionen nicht eingreifen, wie z. B. während der Novemberpogrome 1938.
  6. Mit einem Pogrom gehen häufig Plünderung, Vergewaltigung, Mord oder Völkermord einher. Solche Beschreibungselemente machen es allerdings nicht zwingend, den Begriff Pogrom an die Bedingung einer Massenausschreitung zu binden. Allerdings nahmen zahlreiche historische Pogrome solche Ausmaße an. In anderen Zusammenhängen umfasst „Pogrom“ auch Einzelübergriffe, die an verschiedenen Stellen in zeitlichem Zusammenhang auftreten.
  7. Bei näherer Untersuchung von Pogromen stößt man regelmäßig auf soziale und ökonomische Dimensionen. Dies ausdrücklich in die Definition zu übernehmen, ist wenig ratsam, denn in der jeweiligen Beschreibung, wie eine Opfergruppe von Tätern definiert wird, müssen diese Dimensionen ohnehin genau ausgeleuchtet werden und gehen nicht verloren. – Unter Umständen leben in einem Pogrom auch nur Erinnerungen oder Pseudo-Erinnerungen an soziale Differenzen zwischen Tätern und Opfern auf.