Ausbeutung (selten auch Exploitation von französisch/englisch ‚exploitation‘) ist eine Bezeichnung für Ausnutzung oder Aufbrauchung jeglicher Art, wobei der Begriff besonders auf die Ausbeutung von Menschen durch Menschen bezogen wird. Genauer bestimmt wurde er in marxistischen Theorien als Aneignung fremder Arbeit. Oftmals wurde und wird auch die rücksichtslose Ausnutzung von Menschen als Arbeitskräfte, Ausnutzung von Frauen durch Männer, in Entwicklungsländern durch Industriestaaten oder von natürlichen Ressourcen durch Propaganda im Zusammenhang mit Profitgier, kann als emotionale Ausbeutung von Konsumenten i.S. von Okkupation thematisiert werden. Der Ausdruck kommt auch im deutschen Recht im Zusammenhang mit Wucher vor.
Ausbeutungstheorien:
- Marcus Tullius Cicero sah in der Okkupation und Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen den Ursprung des Eigentums und Reichtums.
- Im Mittelalter war man der Überzeugung, die Zinsnahme sei die Erklärung für Ausbeutung. Diese Annahme vertraten in der frühen Neuzeit unter anderem auch die Reformatoren Luther und Melanchthon.
- Zwischen 1861 und 1863 verfasste Karl Marx die Mehrwerttheorie, die zentral für seine Darlegung der Ausbeutung in der kapitalistischen Produktion ist. Diese basierte auf einer Auseinandersetzung mit der klassischen politischen Ökonomie. Für Engels war die Erklärung der Ausbeutung der Arbeiterklasse im Kapitalismus neben der materialistischen Geschichtsauffassung Marx’ zweite große Entdeckung, die den Sozialismus zu einer Wissenschaft erhoben habe.
Sklaverei, Feudalismus & Übergang in die kapitalistische Produktion.
Urkommunistische Stammesgesellschaften gingen Klassengesellschaften voraus. Die ersten bedeutenden Steigerungen der Produktivität zogen nach Engels „unter den gegebenen geschichtlichen Gesamtbedingungen, die Sklaverei mit Notwendigkeit nach sich. Aus der ersten großen gesellschaftlichen Arbeitsteilung entsprang die erste große Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen: Herren und Sklaven, Ausbeuter und Ausgebeutete.“ Die erste Möglichkeit bot sich, als Stämme gegeneinander Krieg führten und Mitglieder fremder Stämme raubten, die sie versklaven konnten. Zwar sei Sklaverei „die erste, der antiken Welt eigentümliche Form der Ausbeutung“ und erlebte dort ihre Blütezeit, aber sie blieb nicht darauf beschränkt. Sie dauerte vielmehr die ganze „zivilisierte Periode“ an und war auch im Zuge der Herausbildung des Kapitalismus in Form des Kolonialismus ein bedeutendes Moment.
Im Mittelalter sei die Festsetzung der Volksmassen „an den Boden die Grundlage des feudalen Drucks“ gewesen. Die Bauern seien als Leibeigne oder Hörige an einen bestimmten Boden gebunden gewesen und hätten dem Grundherrn Produkte oder Dienste leisten müssen. Den Wandel zur kapitalistischen Ausbeutungsweise schilderte Marx im 24. Kapitel des ersten Bandes von „Das Kapital“ unter dem Stichwort ursprüngliche Akkumulation. Darunter fasst Marx jenen Prozess, der zwei besondere Klassen hervorbrachte: die Eigentümer von Geld, Produktions- und Lebensmitteln, die diese durch Ankauf fremder Arbeitskraft verwerten, und die lohnabhängigen Arbeiter, die ihre Arbeitskraft an erstere verkaufen müssen. Der Prozess sei nichts anderes „als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel.“ Am Beispiel Englands zeigte Marx, wie Grundherren die Bauern vom Land vertrieben, um Schafzucht zu betreiben; der Staat half den Grundherren mit Gewalt und zwang die enteigneten Bauern in kapitalistische Fabriken und deren Disziplin. Der Prozess basiere also entgegen der Annahme der klassischen politischen Ökonomie nicht in erster Linie auf der Sparsamkeit und dem Fleiß Einzelner. Vielmehr gründe der Prozess auf „Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt“. Ähnliche Prozesse können sich weltweit wiederholen, wo sich die kapitalistische Produktionsweise ausbreitet.
Ausbeutung im Kapitalismus
Im Kapitalismus beutet die Kapitalistenklasse die Arbeiterklasse gemäß den Gesetzen des freien Warentauschs aus. Arbeiter und Kapitalist stehen einander als „juristisch gleiche“ und freie Warenbesitzer gegenüber und gehen Verträge ein. Die Ausbeutung wird durch die Form des Lohnes verschleiert. Die Verfügung über fremde Arbeitskraft und deren Früchte manifestiert sich daher nicht mehr offensichtlich wie in der Sklaverei, aufgrund des Eigentums an Menschen und deren Arbeitskraft, oder wie in feudalen Herrschaftsverhältnissen, durch Grundherrschaft oder Leibeigenschaft, gegenständliche oder direkt finanzielle Abgaben, die geleistet werden müssen.
Das Ausbeutungsverhältnis beruht nicht darauf, dass der Kapitalist persönlich über den Arbeiter herrscht wie der Herr über seinen Sklaven oder der Feudalherr über den Leibeigenen. Es basiert auf Sachzwängen. Der Arbeiter ist doppelt frei: er ist formell frei bzw. darf über seine Arbeitskraft verfügen und Verträge schließen, aber zugleich muss er seine Arbeitskraft verkaufen, da er auch frei von Lebens- und Produktionsmitteln ist. Der Kapitalist hingegen muss den Arbeiter ausbeuten, um sein Kapital verwerten zu können und um in der Konkurrenz als Kapitalist bestehen zu können. Marx führte als weiteres Spezifikum der kapitalistischen Ausbeutungsweise an, dass diese auf den Tauschwert bzw. die Kapitalverwertung gerichtet sei. Im Gegensatz dazu hätten sich frühere Ausbeutungsweisen typischerweise stärker am Bedürfnis bzw. Gebrauchswert orientiert.
Kapitalbewegung, Wert der Arbeitskraft, Mehrwertproduktion.
Der Wert jeder Ware bemisst sich nach Marx im Kapitalismus nach der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit zu ihrer Produktion (Arbeitswerttheorie). Zwar erscheine der Wert in der Geldform, aber Preise könnten auch über oder unter dem Wert liegen. Marx setzt im ersten Kapitalband voraus, dass der Preis einer Ware ihrem Wert entspricht und dass gilt, wenn zwei Waren gegeneinander getauscht werden, beide gleichwertig sind. Unter diesen Annahmen versucht er zu erklären, wie das Wertwachstum, das durch die allgemeine Formel der Kapitalbewegung G-W-G‘ ausgedrückt wird, möglich ist. Der Kapitalist kauft mit Geld Waren, um damit mehr Geld zu machen bzw. einen Mehrwert zu erzielen. Wenn jedoch alle Waren nach Arbeitswert-Äquivalenten ausgetauscht werden, kann der Mehrwert nicht ausschließlich aus der Zirkulationssphäre kommen, da nur durch Arbeit eine Vermehrung des Werts stattfinden kann. Die Produktion des Mehrwerts müsse daher ebenso in der Produktionssphäre zu suchen sein. Der Kapitalist müsste eine Ware besitzen, deren „Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor – das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.“
Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, konkrete Arbeit zu leisten, ist aber nicht gleich ihrem Tauschwert, der notwendigen Arbeit zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft. Für eine Rede vor Arbeitern gebrauchte Marx diesbezüglich den folgenden Vergleich: „Der Tages- oder Wochenwert der Arbeitskraft ist durchaus verschieden von der täglichen oder wöchentlichen Betätigung dieser Kraft, genauso wie das Futter, dessen ein Pferd bedarf, durchaus verschieden ist von der Zeit, die es den Reiter tragen kann.“ Der Wert der Arbeitskraft, ihr Arbeitslohn, bestimmt sich wie der Wert jeder anderen Ware durch die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit zu ihrer Reproduktion. Dieser Wert entspreche letztlich dem Wert derjenigen Lebensmittelmenge, die als notwendig gelte, um die Arbeitskraft zu reproduzieren. Was als notwendig gelte, hänge von historischen und moralischen Faktoren ab. Der Umfang könne von Land zu Land verschieden sein und sich mit der kulturellen Entwicklung verändern. Zu den Lebensmitteln zählt Marx nicht nur Nahrung, Kleidung oder Wohnung, sondern auch die Kosten für eine Arbeiterfamilie und die Ausbildungskosten der Arbeitskraft.
Indem der Arbeiter eine neue Warenmenge produziert, überträgt er den Wert der dabei verbrauchten Produktionsmittel auf die neue Warenmenge. Es kommt dabei zu keiner Wertveränderung, so dass Marx von konstantem Kapital (c) spricht. Der Arbeiter schafft zudem einen Neuwert, den er auf die von ihm produzierten Waren überträgt. Von diesem Neuwert bekommt er nur einen Teil als Lohn ausgezahlt. Den anderen Teil, den Mehrwert (m), eignet sich der Kapitalist an. Da das in Arbeitskraft verausgabte Kapital somit zu einer Wertänderung führt, spricht Marx von variablem Kapital (v). Der Kapitalist schießt also Kapital im Wert von c+v vor, der Arbeiter schafft einen Neuwert in Höhe von v+m bzw. eine Warenmenge, die den Wert c+v+m hat, und der Kapitalist eignet sich m an. Das eingesetzte Kapital und aller daraus angehäufter Reichtum (Akkumulation) basiere daher im Fortgang der kapitalistischen Produktion immer mehr auf der unbezahlten Aneignung fremder Arbeitskraft im Lohnarbeitsverhältnis.
Die Mehrwertproduktion findet nur in der Sphäre des industriellen Kapitals statt. „Industriell“ ist dabei nicht auf Industriekomplexe beschränkt, sondern muss in einem weiten Sinne verstanden werden. Gemeint ist jedes Kapital, das entweder den Kreislauf G – W … P … W‘ – G‘ oder den Kreislauf G – W … P – G‘ durchläuft. Im ersten Fall kauft der Kapitalist Waren bzw. Arbeitskraft und Produktionsmittel, dann lässt er die Arbeiter eine höherwertige Warenmenge produzieren und schließlich verkauft er sie, um den Mehrwert zu realisieren. Die zweite Formel betrifft die Verrichtung von Diensten, wie z. B. einen Transport. Hier wird kein Warenkörper hergestellt und der Dienst muss während seiner Verrichtung konsumiert werden.
Die Arbeiter, die Wert und Mehrwert schaffen, nennt Marx produktive Arbeiter. Die unproduktiven Arbeiter hingegen schaffen keinen Mehrwert. Dazu zählen z. B. Arbeiter, die keine Ware für den Markt produzieren, sondern für den Kapitalisten in dessen Haus als Privatkoch arbeiten. Unproduktiv in diesem Sinne sind auch diejenigen Arbeiter, die in der Handelssphäre arbeiten und lediglich Geld gegen Ware tauschen, wie z. B. ein Kassierer. Zwar ist der Lohn des Kassierers ein Abzug vom Mehrwert, aber er kann dennoch ausgebeutet werden, indem er Mehrarbeit leistet. In der einfachen Warenzirkulation W-G-W verkauft jemand eine Ware, um mit dem erhaltenen Geld eine andere Ware zu kaufen, die er konsumieren möchte. Es geht nicht primär um Wertwachstum und die Bewegung findet am Bedürfnis ein Maß bzw. mit dessen Befriedigung ein Ende. In der Bewegung G-W-G‘ hingegen ist Geld Ausgangs- und Endpunkt zugleich.
Die Kapitalverwertung wird zum Selbstzweck. Der Bewegung sei kein Ende immanent, da jedes verwertete Kapital als endliche Geldsumme G‘ erscheine und wieder Ausgangspunkt einer neuen Bewegung werden müsse, um Kapital bleiben zu können. Die Bewegung sei maßlos, da sie nicht auf etwas Äußeres bzw. ein Bedürfnis bezogen sei, das ein Genug bestimmen könnte. Der Kapitalist mache diese Bewegung zu seinem subjektiven Zweck. Er verleihe ihr Bewusstsein und Willen und werde so „personifizertes Kapital“. Der einzelne Kapitalist handelt an erster Stelle nicht deshalb gemäß den Formbestimmungen des Kapitals, weil er gierig ist. Um Kapitalist bleiben zu können, muss er immer wieder genügend Geld haben, um sein Unternehmen zu modernisieren und um somit in der Konkurrenz bestehen zu können.
Mystifikation des Lohnes
Aufgrund der Mystifikation des Lohnes stellt sich die gängige Bewusstseinsform ein, dass mit dem Lohn nicht der Wert der Arbeitskraft, sondern der Wert der Arbeit bezahlt würde. Das Maß der Ausbeutung ist dadurch nicht so leicht erkennbar. Den Ausdruck Wert der Arbeit bezeichnete Marx als imaginären Ausdruck. Zwar sei die abstrakte Arbeit die Wertsubstanz und das Maß der Wertgröße, aber sie selbst besitze keinen Wert. Wollte man nach ihrem Wert fragen, erhielte man nur „abgeschmackte Tautologie[n]“ als Antwort. So ließe sich nur sagen, dass bspw. der Wert von 12 Stunden Arbeit eben dem Wert von 12 Stunden Arbeit entspreche. Marx deckte den falschen Schein auf. Der Arbeiter könne seine Arbeit nicht an den Kapitalisten verkaufen, da sie bereits vor dem Verkauf existieren müsste. Wäre der Lohn der Wert der geleisteten Arbeit und bekäme der Arbeiter nicht den ganzen Neuwert, dann wären die Gesetze des Warentausches verletzt. Wäre der Lohn der Wert der geleisteten Arbeit und bekäme der Arbeiter den ganzen Neuwert, so würde der Kapitalist keinen Mehrwert erhalten können; folglich wäre ein Fundament der kapitalistischen Produktionsweise untergraben.
Marx erklärte die Mystifikation, indem er auf mehrere Faktoren verwies. Ein Faktor sei, dass der Arbeiter immer den ganzen vertraglich vereinbarten Arbeitstag lang arbeiten müsse, um bezahlt zu werden. Der Kapitalist hingegen erkläre sich seinen Profit damit, dass er unter Wert kaufe bzw. über Wert verkaufe. Imaginäre Ausdrücke, in denen der bestehende Sachverhalt verkehrt dargestellt wird, entspringen demnach den Produktionsverhältnissen selbst. Ebenso mystifizierend wirke, dass der Arbeiter von einem Kapitalisten zu einem anderen wechsle und dass er Verträge abschließe. Das führe zu dem falschen Schein, dass der Arbeiter frei wäre.
Mehrwertsteigerung und Krise
Eine Steigerung des Mehrwerts wird durch Methoden der absoluten (längere Arbeitszeit) oder relativen Mehrwertsteigerung (Steigerung der Arbeitsproduktivität) erreicht. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder die Mehrwertrate bestimmt sich durch das Verhältnis von Mehrarbeit und notwendiger Arbeit, bzw. in vergegenständlichter Form von Mehrwert und variablem Kapital (da nur lebendige Arbeit, aber nicht das eingesetzte konstante Kapital c wertbildend ist, und deshalb gleich 0 gesetzt wird).
Mehrwertrate; Exploitationsgrad der Arbeitskraft = Mehrwert (m) Variables Kapital (v) = Mehrarbeit Notwendige Arbeit
Die Kapitalisten können die Arbeitszeit nicht beliebig ausdehnen, da sie auf physische und rechtliche Grenzen stoßen. Wenn aber in den Bereichen, die für die Produktion der notwendigen Lebensmittel relevant sind, die Produktivkraft der Arbeit steigt, dann steckt in diesen Lebensmitteln weniger Arbeit. Dann sinkt ihr Wert und somit der Wert der Arbeitskraft. Dadurch kann die notwendige Arbeitszeit verkürzt und die Mehrarbeitszeit verlängert werden. Der einzelne Kapitalist strebt danach, die Produktivität zu steigern, um einen Extramehrwert zu erzielen: wenn er als Erster die Produktivität seiner Arbeiter mit einer neuen Produktionsweise steigern und dadurch mit geringeren Stückkosten produzieren kann als seine Konkurrenten, dann kann er zum Marktpreis verkaufen und einen zusätzlichen Mehrwert erzielen. Wenn sich die neue Produktionsweise verallgemeinert hat, sinkt die im Schnitt gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit und somit der Wert der betreffenden Ware. Die Mittel zur Produktivkraftsteigerung sind Kooperation, Arbeitsteilung und vor allem der Einsatz von Maschinerie.
Dieser Prozess tendiert zu Krisen, da die Produktion ausgedehnt und zugleich die Konsumtion beschränkt wird. Wenn die Produktivkraft steigt, wird tendenziell die Produktion ausgedehnt. Das liegt daran, dass sich der Einsatz teurer Maschinen oft nur dann lohnt, wenn mehr als zuvor produziert wird. Ferner wird der Kapitalist, der als Erster die innovative Produktionsweise nutzt, versuchen möglichst viel Extramehrwert zu erzielen. Schließlich will er seine Maschinen möglichst lange nutzen, bevor sie durch neue Maschinen ersetzt werden müssen. Ein einfacher Weg, um die größere Warenmenge abzusetzen, ist eine Preissenkung. Diese setzt die Konkurrenz unter Druck. Wer sie nicht mitmachen kann, riskiert den eigenen Bankrott. Konkurrieren Kapitalisten miteinander, müssen sie eine größtmögliche Verwertung ihres Kapitals anstreben, um Geld für Innovationen zu haben. Sie müssen daher ihre Kosten bzw. die Einkommen der Arbeiter minimieren. Ebenso konsumieren sie selbst nur in beschränktem Maße Produktionsmittel. Diese kaufen sie nur dann, wenn sie sich davon Verwertung erhoffen und diese erwartete Verwertung größer ist, als wenn sie ihr Kapital anderweitig einsetzen würden, wie z. B. an den Kapitalmärkten. Laufen Produktion und Konsumtion dadurch lange auseinander, kommt es zur Überproduktion.
Verteilung des Mehrwerts
Der einzelne Kapitalist eignet sich den Mehrwert nicht einfach unvermittelt an. Die gesamtgesellschaftliche Mehrwertmasse wird gemäß der durchschnittlichen Profitrate umverteilt. Im dritten Kapitalband konkretisiert Marx seine Kategorien. Er unterscheidet den Mehrwertbegriff vom Profitbegriff. Der Mehrwertbegriff ist ein wissenschaftlicher Begriff, mit dem Marx die Ausbeutung und das Verhältnis von m und v offenlegt. Der Profitbegriff ist der gewöhnlich von vielen benutzte Begriff, der das Verhältnis zwischen vorgeschossenem und verwertetem Kapital erfasst. Die Profitrate ist nicht m / v, sondern m / (c + v). Sie ist diejenige Größe, die für den Kapitalisten praktisch relevant ist. Die Profitrate hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören das Verhältnis des eingesetzten konstanten Kapitals zum variablen Kapitalteil, die Wertzusammensetzung (c / v), und die Umschlagszeit des Kapitals. Beide Größen sind variabel. Das Kapital fließt nach Möglichkeit dorthin, wo es am besten verwertet werden kann, also weg von Branchen mit zunächst niedriger und hin zu Branchen mit zunächst hoher Profitrate. Dort steigt die Konkurrenz, so dass Preise und Profitrate wieder sinken, während in Branchen mit zunächst niedriger Profitrate die Konkurrenz sinkt und die Preise steigen. Dadurch gleichen sich die einzelnen Profitraten zu einer allgemeinen Profitrate an. Nach dieser Rate gilt, je mehr ein Kapitalist vorschießt, desto größer sein Profit. Daraus folgt ferner, dass Preise für gewöhnlich nicht den Wert einer Ware adäquat wiedergeben.
Nach Marx hat der Kapitalist den Arbeiter auch dann ausgebeutet, wenn er die produzierten Waren kaum oder gar nicht verkauft. In dem Fall hätte sich der Mehrwert bzw. die Ausbeutung für den Kapitalisten nicht verwirklicht.
Die Aneignung von Mehrwert ist nicht auf den industriellen Kapitalisten, der Waren produzieren oder Dienstleistungen verrichten lässt, beschränkt. Wenn er unter Wert an einen Handelskapitalisten verkauft und dieser weiterverkauft, um den Wert zu realisieren, dann kann sich der Händler einen Teil des Mehrwerts aneignen. Einige übernehmen die Funktion des Geldkapitalisten und verleihen Geld an einen Kapitalisten, der es fungieren lässt; dessen Profit teilt sich dann in Unternehmergewinn und Zins, den der Geldkapitalist bekommt. Der fungierende Kapitalist muss selbst kein Kapital besitzen. So könnte z. B. ein Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft formal ein Lohnarbeiter sein, aber de facto darf er über Kapital verfügen, organisiert die Ausbeutung und seine Bezahlung richtet sich nicht nach dem Wert der Arbeitskraft, sondern nach dem erzielten Profit.
Der Zinsbezieher hingegen kann selbst, aber er muss nicht unbedingt Kapital fungieren lassen. Er kann reiner Geldkapitalist sein. Das liege an der Tendenz, dass sich Kapitaleigentum und Kapitalfunktion voneinander trennten. Ferner kann auch die Klasse der Grundbesitzer sich einen Teil des Mehrwerts in Form einer Grundrente aneignen. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch der Staat könne als Kapitalist tätig sein. In Anti-Dühring nutzte Engels das Konzept des ideellen Gesamtkapitalisten. In dieser Funktion sichere der Staat bestimmte Bedingungen für die Kapitalverwertung gegen Kapitalisten und Arbeiter. Je mehr der Staat selbst Produktivkräfte besitze, desto mehr werde er zum reellen Kapitalisten, der seine Staatsbürger als Lohnarbeiter ausbeute.
Regulation des Lohnes
Der Preis der Arbeitskraft und der Lebensstandard des Arbeiters können unter Umständen steigen. Das gefährdet das System nicht. Die kapitalistische Produktionsweise tendiert dazu, den Preis der Arbeitskraft gemäß den Erfordernissen der Kapitalverwertung zu regulieren.
Vorausgesetzt, dass für das gesellschaftliche Gesamtkapital eines Landes gilt, dass das Verhältnis des konstanten zum variablen Kapital c/v gleich bleibt. Wird akkumuliert, dann werden mehr Produktionsmittel und im gleichen Maße mehr Arbeitskräfte benötigt. Fragen die Kapitalisten mehr Arbeitskraft nach, können die Arbeiter die Löhne steigern. Eine Grenze ist jedoch der Mehrwert. Je höher die Löhne steigen, desto mehr nimmt der Mehrwert ab und desto weniger können die Kapitalisten Arbeitskraft nachfragen. Eine weitere Grenze ist der Umstand, dass das Verhältnis c/v langfristig nicht gleich bleibt. Die Kapitalisten setzen zunehmend Maschinensysteme ein. Dadurch steigt c/v. Gerade dann, wenn die Löhne relativ hoch sind, rentiert sich der Einsatz neuer teurer Maschinen, um Lohnkosten einzusparen. Falls die Produktivität steigt und die Produktion nicht mehr entsprechend ausgedehnt wird, dann werden Arbeitskräfte überflüssig und freigesetzt. Wenn es Arbeitslose gibt, können die Kapitalisten die Löhne wieder senken.
Produktivitätssteigerungen bieten mitunter die Möglichkeit, den Preis der Arbeitskraft zu erhöhen. Auf der Grundlage des 15. Kapitels des ersten Kapitalbandes kann man ein einfaches Beispiel konstruieren. Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass sich in allen Branchen die Produktivität verdoppelt, während die Arbeitszeit und die Arbeitsintensität gleich bleiben. Dann werden in der gleichen Zeit doppelt so viele Waren produziert wie zuvor. In der einzelnen Ware steckt nur noch halb so viel Arbeit. Ihr Wert und somit der Wert der Arbeitskraft ist halbiert. Nehmen wir bspw. an, der Preis der Arbeitskraft lag vorher bei 50 und der Mehrwert bei 50. Es bieten sich nun rein rechnerisch bestimmte Verteilungsmöglichkeiten:
- Wenn der Kapitalist den Preis der Arbeitskraft halbiert, dann kann der Arbeiter dieselbe Menge an Lebensmitteln kaufen wie zuvor und der Kapitalist kann seinen Mehrwert steigern.
- Wenn der Preis der Arbeitskraft und der Mehrwert bei 50 bleiben, dann kann der Arbeiter nun mit derselben Summe doppelt so viele Waren kaufen wie zuvor.
- Wenn der Kapitalist den Lohn nicht halbiert, sondern nur etwas reduziert, dann sinkt zwar der Preis der Arbeitskraft nominal, aber er steigt real und der Mehrwert ist höher als zuvor. So könnte der Lebensstandard der Arbeiters steigen und zugleich der Ausbeutungsgrad erhöht werden.
Welche Möglichkeit realisiert wird, hängt mithin davon ab, ob die Kapitalisten oder die Arbeiter stärker sind. Ebenso ist zu beachten, dass die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit mit einer Krisentendenz einhergeht. In der Krise werden viele Menschen entlassen und die Kapitalisten, die die Krise überstehen, können die Arbeitslosigkeit nutzen, um die Löhne leichter zu drücken.
Emanzipative „Lilith-Momente” und Aufhebung der Ausbeutung.
Entgegen früheren Gesellschaften entfaltet der kapitalistische „Heißhunger nach Mehrarbeit“ auch zivilisatorische Momente. Zwar eignen sich die Kapitalisten den Mehrwert an, aber die Konkurrenz zwingt die Kapitalisten dazu, einen großen Teil des Mehrwerts zu reinvestieren, um die Produktivkraft der Arbeit zu steigern. Die notwendige Arbeit reduziere sich auf ein Mindestmaß. Die Produktion werde zunehmend ein gesamtgesellschaftlicher Arbeitsprozess. Das ermögliche eine höhere Gesellschaftsform, in der Arbeit immer mehr Ausdruck einer freien Entfaltung der menschlichen Bedürfnisse darstellt.
Um Ausbeutung zu überwinden, müsse man die Lohnarbeit überhaupt beseitigen. Die Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise bringe die Bedingungen für eine neue Gesellschaft hervor.
„Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit“ erreiche einen Punkt, „wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.“ Das individuelle, selbst erarbeitete, und nicht auf Ausbeutung fremder Arbeitskraft beruhende Eigentum wird auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära, „der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel“, wiederhergestellt.
Ausbeutung und Entfremdung
Das Konzept der Ausbeutung floss auch in Marx‘ Überlegungen zur Entfremdung und speziell zur entfremdeten Arbeit ein. Für Marx besitzt der Mensch kein fertiges Wesen. Sein Denken und Handeln ergibt sich aus dem Ensemble der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er tätig ist und lebt. Das gesellschaftliche Sein bestimmt sein Bewusstsein, während die Menschen selbst die gesellschaftlichen Verhältnisse schaffen. Der Mensch könne sich als Mensch daher nur wirklich entfalten, wenn er die Gesellschaft und sich selbst bewusst gestaltet, anstatt von gesellschaftlichen Verhältnissen wie von einer fremden Macht bestimmt zu werden.
Für Marx und Engels ist der Schlüssel zum Verständnis des Problems – und infolgedessen zu seiner Lösung –, wie in einer Gesellschaft Güter, Ideen und Entscheidungen produziert werden. In jeder Klassengesellschaft herrscht eine gesellschaftliche Arbeitsteilung, die die Individuen in ungleiche gesellschaftliche Beziehungen setzt, die sie in der Produktion ihres Lebens eingehen. Diese manifestieren sich nicht nur quantitativ in der „Erpressung” von Mehrarbeit, sondern wirken auch qualitativ darauf, wie gearbeitet wird und was produziert wird, wie verteilt wird, wie die Verhältnisse materiell und ideologisch produziert und reproduziert werden. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern das Produkt gehört dem Kapitalisten. Dieser bestimmt auch den Arbeitsprozess. Das gesellschaftliche Wesen des Arbeiters, daher die eigene bewusste Tätigkeit, wird aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse eine fremdbestimmte Tätigkeit. Der Arbeiter kann diese nur innerhalb des Spielraumes der bestehenden Verhältnisse beeinflussen. Dies alles bedinge, dass der Mensch dem Menschen fremd ist. Es bestehen Gegensätze zwischen den Klassen und aufgrund der Konkurrenz auch innerhalb einer Klasse. Im Kapitalismus herrsche zudem ein Warenfetisch vor, der ein Verhältnis von Menschen, das Verhältnis von Arbeitszeiten zur Fertigung von Produkten, als ein Verhältnis von Dingen widerspiegelt, nämlich Warenpreisen. Das Verhältnis der Menschen zueinander in ihrer gemeinsamen Produktion des Lebens wird so darüber hinaus verschleiert.
Um diese Verhältnisse aufzuheben, müsse „[a]n die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen“ eine Assoziation treten, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, auf Grundlage einer Produktion, in der die gesellschaftlichen Produktionsmittel in gesellschaftlichen Besitz sind, also „der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, … ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen [zu] vollziehn.“ Ausbeutung ist in diesem „Verein freier Menschen“ nicht mehr vorhanden und die gesellschaftliche Arbeitsteilung wird immer weiter aufgehoben; erst in „einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“
Ausbeutung der Natur durch den Menschen
In jeder Gesellschaftsform müssen Menschen gemäß ihren Bedürfnissen Naturstoffe umformen, um Gebrauchswerte zu schaffen. Natur und Arbeit sind notwendige Bedingungen des stofflichen Reichtums einer Gesellschaft. Im Kapitalismus werden nicht nur Arbeiter ausgebeutet, sondern auch Naturressourcen erschöpft. Die „Exploitation und Vergeudung der Bodenkräfte“ trete an die Stelle der früher rational über Generationen hinweg bestellten Felder. Das betreffe die kleinen selbstständigen Landwirtschaften und die großen kapitalistischen Landwirtschaftsbetriebe. Beide seien dem Zwang der Marktpreise unterworfen. Die Eigentümer und Pächter der großen kapitalistischen Betriebe hätten in erster Linie eine möglichst große Bereicherung im Auge. Es gehe keineswegs um einen nachhaltigen Umgang mit dem Boden.
Zwar werden Arbeit und Natur Mittel der Kapitalverwertung, aber die kapitalistische Produktionsweise zersetzt systematisch die Fundamente des Reichtums. Ausbeutung des Menschen und Ausbeutung der Natur gehen Hand in Hand. So hält Marx im ersten Kapitalband fest, jeder Fortschritt in der kapitalistischen Landwirtschaft sei „nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. […] Die kapitalistische Produktion entwickelt […] nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ Dabei ergänzten Großindustrie und große Agrikultur einander. Einerseits verbreite sich das industrielle System in der Landwirtschaft, unterwerfe die Arbeiter und liefere die Mittel, um den Boden zu erschöpfen; andererseits setze die industrialisierte Agrikultur immer mehr Arbeitskräfte für die Großindustrie frei.
Die Ausbeutung des Menschen und der Natur sind auch auf der Ebene des Bewusstseins miteinander verbunden. Die Mystifikation des Lohnes bildet eine Grundlage für die trinitarische Formel. Ein Aspekt dieser Formel ist, dass der Mensch den Boden mystifiziert wahrnimmt. Es erscheint so, als ob der Boden eine eigenständige Wertquelle wäre – Quelle – alles lesen.