Interessanterweise stammt eines der beeindruckendsten Zitate zum Thema Perfektion nicht von einem Philosophen oder einem bekannten Psychologen, sondern von einem italienischen Schauspieler. Vittorio Gassman sagte: „Unsere Imperfektionen verhelfen uns zu Angst. Der Versuch, sie zu lösen, verhilft uns zu Mut.”

Das Paradox einer „(Un-­‐)Vollendeten Perfektion“ bildet den thematischen Ausgangspunkt des nachfolgenden Beitrags, von MARTINA WEINGÄRTNER, der -­‐wie es im Untertitel heißt -­‐„Eine narrative Ausdeutung des Begriffes tam anhand der Jakobsfigur“ intendiert. Es erscheint merkwürdig, dass gerade Jakob, der sich auf dubiose Weise das Erstgeburtsrecht von seinem Bruder zu sichern weiß und auch sonst eher auf „krummen“ denn auf geraden Wegen wandeln wird, in dem Bericht über seine Geburt (der sein intrauteriner Kampf mit Esau vorausgegangen war) als „tam“ bezeichnet wird. Tamsei ein Begriff aus der Weisheitstradition, der eine Person mit einem richtigen Lebenswandel charakterisiere, einen Gerechten oder Weisen, der insofern eine Facette gelingenden oder „perfekten“ Lebens verkörpere. Ausdrücklich weist MARTINA WEINGÄRTNER darauf hin, dass sie sich Jakob als literarischer Figur und aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive annähern wolle. Zunächst werden die unterschiedlichen Episoden der Jakobserzählung mit Aussagen aus dem „Psalter“ und den „Sprüche Salomos“ konfrontiert und daraus ein spannungsreicher Prozess der Perfektion abgeleitet, indem Jakob, der seiner Ungeduld und Maßlosigkeit wegen zunächst als das Gegenteil von tamerscheint, schließlich zur personalisierten Konkretion des Weisheitsideals avanciert. In der narrativen Logik des Texts, so führt MARTINA WEINGÄRTNER aus, nimmt die langsame Vervollkommnung Jakobs ihren Anfang in der Vision der Himmelsleiter, die ihn ein Charakteristikum des „Weisen“ Furcht vor den Herrn empfinden und ein erstes Heiligtum stiften lässt, während der mit Jacobs Flucht eingeleitete Persönlichkeitswandel zu einem tamin seinem Kampf mit dem Engel und dem nachfolgenden Identitätswechsel „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel“ beredeten Ausdruck findet. Jakobs Sieg geht dabei konsequent einher mit seiner Verwundung; seine demütige Aussöhnung mit Esau wird somit imModus eines Perfektionsprozesses eingeleitet, der das Imperfekte impliziert.

Es macht Sinn, anzunehmen, dass jeder in seinem Leben Fehler macht.  Die Menschheit ist eben nicht perfekt. Heißt das, dass man niemals glücklich werden kann? Sollten wir uns für jeden Misserfolg schelten? Die Antwort lautet nein, denn in unseren Imperfektionen liegt die Perfektion. Es kann jeder, egal, wie unbedeutend er sich fühlt, große Dinge vollbringen. Wir können alle perfekt unperfekt sein.

Adam Smith hat einmal gesagt: „Wenn man jede Situation so anginge, als ginge es um Leben und Tod, würde man viele Male sterben.”