Die echte Gewinn- und Profit-Steigerung: Menschen-Würde!
Über die Würde des Menschen gemäß Giovanni Pico della Mirandola.
Woher weiß der Mensch, dass er Verantwortung trägt?
Der Blick ins Gesicht eines anderen verrät es ihm!
Der französische Denker Emmanuel Levinas entwickelte eine Moral, die zur Schonung des Mitmenschen führen sollte. Ein später Vortrag zeigt nun, wie die jüdische Theologie seine Ethik prägte.
Das Gesicht eines Menschen ist der Anfang der Philosophie: Es verlangt bedingungslose Verantwortlichkeit.
„Den Text «Éthique comme philosophie première» hat Emmanuel Levinas 1982 in Löwen, Belgien, als Vortrag gehalten. Nun ist er erstmals auf Deutsch – «Ethik als Erste Philosophie» – herausgebracht worden, sorgfältig ediert und versehen mit einem Glossar, das die zentralen Begriffe des Textes penibel erläutert.
Im Gesamtwerk von Levinas handelt es sich, trotz der Kürze der Darlegung, um ein spätes Schlüsselwerk des epochalen französischen Denkers, der bereits 1995 starb. Der kompetente Übersetzer, Gerhard Weinberger, spart in seiner allgemeinen Charakterisierung dessen, was Levinas’ Vortrag auszeichnet, nicht mit Superlativen. Es werde die Geschichte der europäischen Philosophie von einem «radikalen, bisher unerhörten Gesichtspunkt aus neu beleuchtet». Zugleich würden die Stereotypien des abendländischen Räsonnements nicht nur infrage gestellt, sondern grundsätzlich neu aufgerollt. Warum? «Um die Möglichkeit eines gänzlich anderen, vielleicht ‹menschlicheren› Ausgangspunkts dieses Denkens zu skizzieren.«
Emmanuel Levinas wurde 1906, noch zur Zeit des Kaiserreichs, im russischen Kaunas (Gouvernement Kowno) als Sohn eines jüdischen Ehepaares geboren. Sein Vater war Buchhändler und als solcher im religiösen Schrifttum seines Volkes ebenso belesen wie in der russischen Literatur. In den 1920er-Jahren studierte Levinas Philosophie in Strassburg, später in Freiburg. Dort begegnete er sowohl der Phänomenologie Edmund Husserls als auch deren Fortführung und beanspruchter Überwindung durch Martin Heidegger. Dieser forderte in seinem Hauptwerk «Sein und Zeit» (1927), über den Humanismus und die philosophische Klassik hinaus- und bis auf die vorsokratische Spekulation zurückzugehen.
Suche nach Wahrheit
Der Ausdruck «Erste Philosophie» leitet sich zwar von Aristoteles her, welcher darunter primär die Lehre vom Sein und von der ersten Ursache – dem «unbewegten Bewegenden», Gott – verstand. Aber bei Heidegger wird daraus die Forderung, sich noch hinter die aristotelische Metaphysik zurückzubewegen. Denn einzig in einem Bedenken des Seins, das nicht mehr das menschliche Mass in den Mittelpunkt rücke, könne – paradox gesprochen – der Mensch zu sich selbst finden.
Dem entsprach die Phänomenologie, an der sich Heidegger «abarbeitete», insofern als sie eine Freilegung des Wesens der sinnlichen und geistigen Phänomene anstrebt, und zwar durch die Enthaltung (epoché) von allen zeit- und situationsbedingten Verengungen des menschlichen Urteils. Entsprechend wird die «antihumanistische» Tieferlegung des Humanismus zwar zum zündenden Funken für Levinas; doch woran dieser festhält, ist gerade die Pflege und Fortentwicklung einer Tradition, wie sie für die abendländische Kultur bis zum Beginn der Postmoderne typisch ist: die Suche nach einer existenziellen Wahrheit, in deren Zentrum der Mensch steht, real präsent im «Antlitz des Anderen».
Demgegenüber werden im postmodernen Dekonstruktivismus alle Eckpfeiler des klassischen Weltbildes, zumal das Gute und das Absolute, als Ausdruck eines soziokulturellen «Narratives» samt den ihm entsprechenden Herrschaftsformen und ihren totalitären Ideologien entschleiert. Die humanistische Vorstellung vom Menschen, heisst es am berühmten Ende von «Les mots et les choses» (1966) bei Michel Foucault, werde verschwinden «wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand».
Nicht so bei Levinas. Er leistet dem dekonstruktiven Furor beharrlich Widerstand. Seinem frühen Hauptwerk «Totalité et Infini» (1961) entsprechend, ist es primär das Gesicht des Menschen in seiner physiognomischen Tiefe und Untiefe, welches ein rechtes Verstehen davon ermöglicht, was Sein und Nichtsein, Leben und Tod im ethischen Kontext bedeuten. Der Ideengeschichtler Mathias Schreiber hat es auf den Punkt gebracht: Die eigentliche Würde erlange das menschliche Ich, «wenn es ‹Verantwortung für den anderen Menschen› übernehme. Dazu werde es berufen von ‹einem Gott›, der sich ‹im Gesicht des anderen Menschen› offenbart, im ‹Antlitz› jenes Anderen, der einzigartig ist und dessen Sterblichkeit jedermanns Zuwendung erfordert.«
Tradition der Tora
Umstandslos wird hier der metaphysische Kontext benannt, der die moralische Sensibilität von Levinas einbindet. Das menschliche Gesicht, als «Antlitz«, ist der jüdischen Tradition, namentlich der Tora, geschuldet. Gemäß dem ersten Buch der hebräischen Bibel schuf Gott den Menschen nach «seinem Bilde». Diese Idee ist dem post paradiesischen Geschöpf, das sich auf Erden abmüht, von Anfang an eingeboren. Die daraus entspringende Ethik lautet gemäß Levinas: Wende dich deinem Mitmenschen anteilnehmend zu, denn die Zerbrechlichkeit und die Endlichkeitssorge, wie sie sich im «Antlitz des Anderen» spiegeln, sind Momente der Heilsgeschichte!
Zu beachten bleibt allerdings, dass Levinas die jüdische Tradition der negativen Theologie in Gestalt des sich verbergenden Gottes philosophisch fortschreibt. Auf diese Weise erscheint das Gesicht als eine Evidenz, die sich nicht, wie es die traditionelle Physiognomik versucht, positiv entschlüsseln lässt. Denn das «Antlitz des Anderen», zumal sein lebendiger Blick, lässt uns – darf man das so sagen? – in die Unendlichkeit des göttlichen Seins einsinken.
Die dadurch entstehende Offenheit bildet für Levinas die Basis einer Moral, die keinen starren Pflichtenkatalog kennt, wohl aber die unabschliessbare Bewegung, hin zur Schonung des Mitmenschen, zur geschöpflichen Sympathie. Das Wesen des Menschen ist ebenso göttlich wie todumfangen. Und das Böse? Es zerstört den Blick, das Zentrum des «Antlitzes». Es verdunkelt die Quelle des Menschseins.
Großes kleines Werk
Hier liegt der Ausgangspunkt jener Ideen, die im Vortrag «Ethik als Erste Philosophie» bündig abgehandelt werden. Dass dabei von der theologischen Evidenz, welche die philosophischen Begriffe durchdringen, kaum geredet wird, macht den Text nicht leichter lesbar. Verkennt man nämlich die religiöse Energie, die hinter der ethischen Grundlegung wirksam ist, dann könnte der Eindruck argumentativer Willkür entstehen. Im Nachwort des Übersetzers wird darüber geflissentlich hinweggegangen; das ist zu bedauern.
Trotz dieser Beschränkung stellt die vorliegende Übersetzung des Vortrages ein beachtliches Verdienst dar. Wie sonst kaum wo im Werk von Levinas wird für dessen aufmerksame Leserschaft deutlich, was diesen tiefsinnigen und zutiefst humanen Philosophen antrieb – die Fortführung der jüdischen Theologie mit den Mitteln eines Ursprungsdenkens, wie es sich einzig in der deutschen Phänomenologie bei Husserl und Heidegger findet.
Die Ethik als Erste Philosophie erwächst aus der zeitgenössischen Phänomenologie ebenso wie aus der Tiefe der Zeiten. Der visionären Kultur des Judentums nahezustehen, ist zweifellos eine Hilfe, aber nicht unabdingbar, um mit Levinas das Grundproblem der menschlichen Existenz mitzudenken – eben deshalb reiht sich der vorliegende Ethikvortrag akzentsetzend ein in die großen kleinen Werke der abendländischen Ideentradition”.
Quelle: NZ: Emmanuel Levinas: Ethik als Erste Philosophie. Aus dem Französischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Gerhard Weinberger. Sonderzahl-Verlag, Wien 2022. 96 S., SFr. 21.90.
Praxis-Update 28. Feb. 2022:
Vernunft zeichnet bewußte Menschen aus!
Ein wegweisendes Interview mit Prof. Dr. Wilfried Bergmann:
Russland-Experte Prof. Wilfried Bergmann.
Jan Teunen – „für mich sind Akademien irdische Repräsentanzen des Universums. Das griechische Kosmos, das lateinische Universum und das mittelhochdeutsche All sind Begriffe, die eine schöne, geordnete, tugendhafte Welt umschreiben. Eine solche Welt ist das Modell, auf das wir unsere Vermögen ausrichten können. Was immer wir im Privaten oder Geschäftlichen unternehmen, wir sollten unsere Vermögen so einsetzen, dass die Häuser unserer Familien und die Häuser unserer Unternehmen zu etwas werden, das sich als geschrumpfter Kosmos bezeichnen lässt.
Das stellt hohe Anforderungen an das Vermögen, Menschen zu lieben, an das Denkvermögen, ans Sprachvermögen und an das Vermögen zu handeln, oder dort, wo dies eher angebracht ist, an das Vermögen, das Handeln zu unterlassen. In diesem Zusammenhang kommt mir das weise Gebet der Teresa von Ávila (1515-1582) in den Sinn:
Herr, gib mir die Weisheit, das, was ich ändern kann, von dem zu unterscheiden, was ich nicht ändern kann, die Kraft, das zu ändern, was ich ändern kann, und die Gelassenheit, das zu ertragen, was ich nicht ändern kann.“
Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen in der Wirtschaft über diesen Satz meditieren würden, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen. Wenn ich dann noch etwas mehr wünschen dürfte, würde ich darum bitten, dass sie sich auf dem Weg zur Arbeit immer wieder folgende Sätze aus dem Talmud vergegenwärtigen, nicht zuletzt auch, um ihre eigenen Vermögen zu schützen und zu mehren:
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden deine Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“ – Auszug aus dem Talmud
Ich habe mich für diesen Text inspirieren lassen von den Weisheiten alter Chinesen, die überzeugt waren, dass alle Angelegenheiten des Universums in den Bereich ihrer Verantwortung fielen und dass ihre Verantwortung alle Angelegenheiten des Universums einschloss. Mein Titel heute, „Es ist möglich als großer Mensch zu handeln“, ist vom chinesischen Philosophen Meng-Tzu (372-289 v.Chr.). Die Methode des Vortrages habe ich von dem Nobelpreisträger der Literatur Joseph Brodsky übernommen. Eine Methode, die er angewandt hat, als er als Redner am internationalen Zermatter Symposium zum Thema „Intuition und Kreativität“ teilgenommen hat. Dort hat er seine gewagte Behauptung wiederholt, dass die Ästhetik die Mutter der Ethik sei. Die entscheidende Aufgabe für eine Gesellschaft, für eine Ansammlung von Individuen, so Brodsky, ist die individuelle Entwicklung des Geschmacks. Denn wenn man den Geschmack entwickle, lasse man sich nicht so leicht täuschen.
Die Zuhörer in Zermatt waren von den Ausführungen Brodskys begeistert und bedankten sich mit einer stehenden Ovation. Brodsky, der ein sehr bescheidener Mensch war, bat sie, mit dem Klatschen aufzuhören und sich wieder zu setzen. „Danken Sie mir für nichts“, so sagte er. „Ich sitze hier, aber das bin nicht genau ich. Ich bin die Endsumme all dessen, was ich gelesen habe und woran ich mich erinnere… Und in dem Augenblick, wo ich mich nicht mehr daran erinnere, kann mich in der Straße irgendeiner erstechen, und es wäre kein großer Verlust. Doch solange ich Erinnerung habe, bin ich eine Schatztruhe.“
Eine solche Schatztruhe will ich heute für Sie sein, in der Hoffnung, dass dadurch in Ihren Köpfen und zwischen Ihnen die eine oder andere neue Kombination entsteht. Ich habe mich erinnert an die vielen Lektionen, die ich von meinen Philosophenfreunden Hajo Eickhoff und Arnold Cornelis erhalten habe, an die Lektionen des Friedensnobelpreisträgers Professor Yunus und des Systemwissenschaftlers Professor Laszlo sowie an die Lektüre von Texten einer Vielzahl weiser Menschen,
von Sri-Aurobindo über Mahatma Gandhi und Nelson Mandela bis Peter Sloterdijk.
Bei den alten Chinesen war der Weise derjenige, der die Normen des Himmels und der Erde zu den Menschen herab holte und für Ordnung im All sorgte. Weise sind Brückenbauer. Zum Wohle der Menschen überbrücken sie die makro- und mikrokosmischen Sphären mit Hilfe der Tugenden und stellen die Menschlichkeit allem voran. Viele Führungskräfte in der Wirtschaft sind nicht weise, weil sie es zulassen, dass Unternehmen und Organisationen, für die sie Verantwortung tragen, geprägt sind von der Dominanz wirtschaftlicher Rationalität. In einer solchen Enthumanisierung der Gesellschaft durch die Wirtschaft wird Vermögen in einem unvorstellbar großen Ausmaß vernichtet. Das bringt nicht nur die Wirtschaft und die Weltgemeinschaft in große Schwierigkeiten, wie wir es gerade erleben, es bringt auch den Kosmos in Unordnung.
Die Folgen des unermüdlichen Produzierens, der Globalisierung und der einseitigen Unterordnung des gesamten Lebens unter die Ökonomie wie der Zwang zu Wachstum und technischem Fortschritt haben inzwischen ein Maß an Separation und Einseitigkeit, an Unsicherheit und Zerstörung erreicht, dass die Menschen umzudenken beginnen. Das industrielle und kommerzielle Zeitalter endet, und wir stehen am Beginn einer neuen Renaissance. Ja, wir treffen uns hier in dieser Akademie am Vorabend einer neuen Epoche, in der, wie in der Zeit von 1350 bis 1650, der Mensch mit seinen Vermögen wieder in den Mittelpunkt gestellt wird.
Renaissance – Wiedergeburt. In den ältesten Literaturquellen der Menschheit, in den heiligen Büchern der Hindus, habe ich eine Textpassage gefunden, in der genau beschrieben wird, wie der Mensch nach der Geburt seine Fähigkeiten und seine Vermögen einsetzen soll.
Jeder Mensch bringt durch die eigene Geburt die kosmische Ordnung ein wenig durcheinander, und er soll sein ganzes Handeln während seines Erdendaseins darauf richten und seine Vermögen so einsetzen, dass die gestörte Ordnung wieder in die Balance überführt wird.“
Ist das kein schönes Bild?
Dies hier ist der richtige Ort, um darüber zu sprechen, wie wir mit unseren Vermögen gestörte Ordnungen wieder in die Balance überführen können. Wie sich die Verletzungen, die sich die Welt zugefügt hat, heilen lassen. Denn in Akademien wird Wissen aufbereitet und weitergegeben, und wenn alles richtig ist, wird dort auch dazu angeregt, das Wissen nicht vom Handeln zu trennen. Das Ziel von Wissen, so bläute es bereits der Heilkundige Hippokrates seinen Studenten ein, ist es nicht, die Welt zu verändern, sondern vielmehr das Gleichgewicht wieder herzustellen, damit die Dinge zu ihrer ursprünglichen Form zurückkehren. Vor diesem Hintergrund sollte das Wissen, das wir hier seit gestern teilen, die Wirtschaft nicht zu einer kompletten Erneuerung inspirieren. Es reicht vollkommen, wenn sie angeregt wird, eine Drehung zum Ursprung vorzunehmen, eine Drehung zur antiken Ökonomik. Sie entstand als ganzheitliche Managementwissenschaft von der ethisch verantwortlichen Menschenführung in einem Haus.
Ein Bild, so heißt es bei den weisen Chinesen, sagt mehr als tausend Worte. Deswegen ist hinter mir dieses meditative, bewegende Bild mit dem Buchstaben T und das fließende Wasser eingeblendet. Was Sie da in Slow Motion sehen, sind 2.000 Bilder pro Sekunde, und das ist eine Sensation.
Der Komponist Mathias Willvonseder, der es im Moment mehr mit der Stille als mit dem Vertonen hat, hat es eigens für meinen Beitrag hier gedreht. Sie erleben also eine Uraufführung.
Als Cultural Capital Producer habe ich das T als Logo gewählt, weil es das Gleichgewicht symbolisiert, zu dem ich in Unternehmen durch meine Arbeit beitragen will, zum Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen und der ethischen Verantwortung. Dieses Gleichgewicht ist die Voraussetzung für das Entstehen von
Unternehmenskulturen, die Vermögen positiv wirksam werden lassen. Mit ihnen kommen die Werte frei Haus und gleichzeitig die Würde, und durch Werte und Würde werden Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden und die anderen Stakeholder beschützt. Unternehmer, die sich nicht darum bemühen, ein solches Gleichgewicht herbeizuführen, die nicht gesellschaftsrelevant handeln, weil es ihnen vor allem um Profitmaximierung geht und nicht auch um ein Vorankommen der Gesellschaft bis zur Weltgesellschaft, haben kaum noch Zukunft. Wer heute nicht im Sinne des Ganzen denkt, fühlt, arbeitet und handelt, ist morgen als Unternehmer tot. Ihre Unternehmen haben zwar auch eine Unternehmenskultur, und die Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten, sind Kulturträger genau wie die anderen auch.
Alles ist eben Kultur, aber Kulturen, die Gesellschaft verunstalten, statt sie zu gestalten, sind nicht zukunftsträchtig, es hat sich das Bewusstsein in der Gesellschaft vertieft, und talentierte informierte Mitarbeiter erwarten von Unternehmen, dass sie sich wirklich kultivieren, indem sie ihre Produkt- und Marktorientierung ausdrücklicher, um die Gesellschaftsorientierung zu erweitern.
Ich halte fest, dass der Begriff der Unternehmenskultur für sich betrachtet bedeutungslos ist, denn jedes Unternehmen hat eine Unternehmenskultur. Der Begriff Unternehmenskultur ist dehnbar wie ein Gummiband.
Deshalb lassen sich Unternehmen nur nach Art und Maß ihrer Kultur unterscheiden. Eine Unternehmenskultur setzt sich aus Werten, Ansichten, Zielsetzungen und Gewohnheiten zusammen. Aber welche sind das?
Eine Vielzahl von Unternehmen lähmt durch ihre Unternehmenskultur das Engagement der Mitarbeiter und verbreitet Angst. Laut brand eins engagieren sich in Deutschland nur 14% der Beschäftigten für ihr Unternehmen und ein renommiertes Institut ermittelte, dass 60% aller Beschäftigten mit berufsbezogenen Ängsten am Arbeitsplatz sind. Angst ist unproduktiv, zerstört sie doch Geistesgegenwart, lässt die Inspiration versiegen und trocknet das kritische Bewusstsein aus. Angst ist ein Verlustproduzent auf ganzer Linie. Unternehmenskulturen, die Angst produzieren, sind destruktiv und belastend. Das Resultat destruktiver Unternehmenskulturen ist ein Verlust der Ausgewogen und Angemessenheit.
Die Alternative sind oikologische Unternehmenskulturen. Die entstehen bei Unternehmen, die versuchen, alles in ihrem unternehmerischen Handeln zu berücksichtigen – eben das Ganze, den Oikos. In ihren Bilanzen sind ausdrücklich die Einheit der Dinge des Menschen, der Gesellschaft und der Natur ausgewiesen. Oikologische Unternehmenskulturen tragen zum Erreichen einer natürlichen, gesellschaftlichen und individuellen Angemessenheit bei. Sie beschützen und motivieren ihre Mitarbeiter und produzieren Glück statt Angst. Unternehmen, die sich eine solche Kultur erarbeiten, gehen konform mit dem Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Die Realität sieht anders aus. Im Durchschnitt geht ein Drittel aller Investitionen verloren durch innere – das heißt personal bedingte – Reibereien. Informationen werden blockiert, Mitarbeiter harmonieren nicht oder missverstehen sich, werden krank durch das Gefühl, in dem Unternehmen nicht weiterzukommen oder unterdrückt zu sein. All das nimmt die Motivation bei der Arbeit und schwächt die Wirtschaftskraft eines Unternehmens. Der Tatbestand wird immer häufiger Gegenstand von Untersuchungen, denn die Menschen verstehen, dass Wirtschaftskraft nicht nur Geldflüsse in Bewegung bringt, sondern vor allem Motor von Gesellschaft und Moral, von Kultur und Ästhetik ist bzw. sein soll.
Um diese umfassende Kraft auszubilden, müssen sich Unternehmen um die Ausgewogenheit von wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung kümmern. Diese Ausgewogenheit ist die Voraussetzung für das Entstehen einer oikologischen Unternehmenskultur, aus der sich die Werte Dialogbereitschaft und Solidarität, Achtsamkeit und Verantwortung entwickeln lassen. Sitte, Moral und Ethik versammeln die Werte einer Gemeinschaft. Sie verbinden zuerst die Menschen miteinander, sollten aber auch die Gemeinschaft mit der Natur und dem Naturstoff verbinden.
Unter den Bedingungen der Globalisierung, in der die Menschheit zu einer Weltgemeinschaft zusammenwächst, muss auch die Ethik zusammenwachsen. Sie muss zu einer Weltethik werden. Eine Weltethik fasst alle Kulturen zusammen, lässt ihnen aber die Eigenständigkeit. In einem solchen Modell findet ein ideeller, demokratischer Diskurs zwischen den Kulturen statt. Unternehmen mit einer so weit gefassten Ethik entwickeln eine oikologische, das heißt positive Unternehmenskultur. Das unternehmerische Handeln einer oikologischen Unternehmenskultur besteht im Erarbeiten von Strukturen, die es ermöglichen, die Mitarbeiter für die Arbeit, für das Miteinander und das Engagement für Natur und Gesellschaft zu motivieren. Eine solche Unternehmenskultur produziert in allen Bereichen Qualität – im gegenseitigen Handeln, in der Arbeit und in der Art, die Dinge zu produzieren und zu konsumieren.
Darin steckt der Gedanke, dass der Mensch nicht nur sich und dem Unternehmen, sondern auch einem allgemeinen Zweck zu dienen bereit ist. Geld ist nicht die Mitte des Lebens. Der Mensch muss das ganze Haus besorgen, das heißt für die Ordnung des Hauses Sorge tragen.
Davon wird gleich noch die Rede sein. Das T hinter mir wird vom Wasser umspült. Für die alten Chinesen war Wasser der Schlüssel zur Wandlung der Welt. Nur wer mit den Prinzipien des Wassers umzugehen weiß, so sagten sie, kann in rechter Weise handeln. Die Prinzipien des Wassers lassen sich gut auf das unternehmerische Handeln übertragen:
- Es bringt die Dinge zur Blüte.
- Es pflegt die Wurzeln.
- Es vergisst niemals seine Quelle.
- Es treibt sich selbst an.
- Es bleibt in Bewegung.
- Es geht dorthin, wo es hingehen muss, und nicht dorthin, wo es hingehen will.
Wasser ist auch eine Metapher für Geld. Wir reden von Geldquellen, von Liquidität, von Geldwäsche, vom Abregnen des Geldes. Wer taucht, weiß, was passiert, wenn man unter Wasser ist und etwas, das sich im Wasser befindet, greifen will. Man greift daneben. Dieses Bild illustriert, dass die Wirklichkeit zerbricht, wenn man alles durch die Brille des Wassers bzw. durch die Brille des Geldes sieht.
Geld, so Sri Aurobindo, ist das sichtbare Zeichen einer universellen Kraft. Geld ist nicht dazu da, um daraus mehr Geld zu machen. Geld sollte eingesetzt
werden, um die Welt auf die neue Kreation vorzubereiten. Geld sollte darauf verwendet werden, um idealerweise, so Aurobindo, den Wohlstand über die ganze Erde zu verteilen.
Wenn das so ist, dann haben die Menschen bisher einen falschen Weg eingeschlagen, ihr Geld verkehrt eingesetzt, ihre Vermögen nicht richtig genutzt. Und das hat viele Probleme verursacht. Da die Weltprobleme ein Resultat menschlichen Handelns sind, das Ursachen hat, müssen wir die Ursachen untersuchen und nach anderen Wegen suchen. Nach Wegen der Integrität. Integer bedeutet unberührt und unbescholten und zielt auf Verlässlichkeit und Treue. Zwei Merkmale, die garantieren, dass im Tierreich die Eltern ihre Nachkommen beschützen, versorgen und ins Leben führen. Aus demselben Grunde sind es den Menschen Begriffe der Ethik. Ohne sie kann keine Gemeinschaft existieren. Verlässlichkeit und Treue offenbaren Unternehmen in der Güte ihrer Unternehmenskultur. Die aktive Seite dieser Haltung ist der Mut. Eine innere Haltung, die jede Art Unternehmung braucht. Hier denke ich an den zentralen Satz der Aufklärung, formuliert von Immanuel Kant: „Sapere aude! – „Wage zu denken!“ oder „Wage, dich deines Verstandes zu bedienen!“ Dieses Wagnis als Heraustreten aus der Unmündigkeit ist der Mut, der den Menschen zu einem mündigen und politisch selbstständigen Bürger macht. Das ist derselbe Mut, über den Führungskräfte verfügen müssen, damit sie nicht das Risiko suchen, sondern verantwortungsvoll die Risiken abwägen. Verantwortungsvoll Risiken abwägen bei der Erneuerung von Unternehmen. Dienen, einen Unterschied machen, Bedeutung konstruieren, d.h. seine Vermögen zukunftsträchtig und sinnstiftend einsetzen – darum geht es.
Bedeutung konstruieren, die gestörte Ordnung ordnen, das ist die Aufgabe derer, die die höchste Entwicklungsstufe des irdischen Daseins erreicht haben. Das ist die Aufgabe der Menschen. Sie müssen ihre rationalen Fähigkeiten mit ihrem emotionalen Vermögen verbinden und sich als Teil des Universums erfahren. Die Kunst liegt also darin, die Welt in der Balance zu halten, während wir ihr etwas Neues hinzufügen.
Beim Untersuchen der Ursachen für die Schieflage in der Welt machen wir die Feststellung, dass der Mensch zunächst in einer von der Natur geschaffenen Umwelt lebte. Menschen sind aber Doppelwesen, zweifach geordnet. Als Naturwesen sind sie Geschöpfte, als Kulturwesen sind sie Schöpfer. Der Mensch hat das Vermögen, sich der Natur entgegenzustellen, sie geistig zu durchdringen und den Naturstoff neu zusammenzusetzen und in künstliche Produkte zu verwandeln. Einmal auf den Geschmack gekommen, entwickelt sich der Mensch zu einem Wesen, das unablässig Naturstoff in Gegenstände umarbeitet.
Gegenstände sind Produkte. Das mit der Hand aus der Erde Hervor-Geführte– das Pro-ducere. Mit der Verwandlung der Natur durch die menschliche Hand begann die Evolution der Gegenstände und mit ihr die Geschichte der Gestaltung im engeren Sinne. Da das der Natur Entnommene dem Bereich der Natur, der Götter angehörte, musste es sorgsam behandelt werden. Es war dieses sorgfältige Produzieren– Herstellen und Gestalten –, das das der Natur Entnommene in den Rang des Kostbaren erhob. Das Schonen des Gegenstandes ist seine Schönheit. Die schöne und gute Gestalt war Ausdruck der Achtung vor der Natur. Die Achtung vor der Natur und die Wertschätzung des Produkts sind mancherorts in den Hintergrund geraten. Schieflage und Verletzungen sind das Resultat.
Die Schieflage und die Verletzung der Welt hat in dem Moment begonnen, als Menschen sesshaft wurden, als sie die ersten Häuser bauten, als Architektur ihren Anfang nahm. Beim Bau der ersten Häuser war die kosmische Ordnung das Modell. Die Architektur machte die Menschen zu neuen Wesen, zu Sesshaften, die durch das Dach das Hauses das Modell der kosmischen Ordnung, an dem sie sich bis dahin orientiert hatten, aus den Augen verloren. Das geschah natürlich nicht sofort, sondern ganz allmählich. Wir können davon ausgehen, dass die ersten Hausbewohner noch über die Reinheit der Intuition verfügten. Durch die ältesten bewahrt gebliebenen abendländischen Bücher über die Baukunst wissen wir, dass gleichzeitig mit dem Haus die Sprache entstand. Als Kompensation für den Verlust des Modells der kosmischen Ordnung erfanden die Menschen den Begriff Ethik und somit eine Art von Kodex für das Haushalten, für das In-Ordnung-bringen des Hauses. Ethik bedeutete damals, je nachdem, wie das Wort geschrieben wurde, sowohl Haus als auch Sitten im Sinne eines Gesamtkodexes von Mitteln und Wegen in Richtung auf ein bestimmtes Ziel, nämlich etwas Gutes und Höheres. Durch die Zunahme von Komplexität seit dem Bau des ersten Hauses wurde es immer schwieriger, die Regeln, die Grammatik, die Ethik zu kontrollieren, so dass sich Mensch und Gesellschaft, Denken und Handeln fragmentierten, woraus sich ein Teil der heutigen Weltprobleme herleiten. Deshalb ist ein Weg in die Zukunft das Zusammenfügen getrennter Bereiche zu einem Ganzen. Dazu gehören genaue Analysen, da wir sonst Symptome behandeln und nicht an Ursachen arbeiten.
Im Moment läuft in den Kinos der Film „VISION“ von Margarethe von Trotta über das Leben der Hildegard von Bingen. Wie wir jetzt, lebte auch sie in einer Zeit der Spaltung, und als Mystikerin und Seherin riet sie dem Papst, dem Kaiser und anderen, die sich von ihr beraten ließen, wieder den Blick für das Ganze zu öffnen. Denn, so betonte sie immer wieder:
Ganzheitliches Leben ist heiles Leben.“
Dieser Rat der Hildegard ist heute aktueller als jemals zuvor, denn uns ist etwas Fatales passiert: Wir haben das Einfache durch das Vielfache ausgetauscht, und dadurch ist uns die Rückkopplung zur Einheit verloren gegangen. Diese Rückkopplung ist zur Richtungsbestimmung, zur Wegbestimmung der Zukunft erforderlich. Das ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen von uns, aber auch die von Unternehmen, Organisationen und Institutionen. Es muss die abgebrochene Verbindung mit dem Kosmos wieder hergestellt werden.
Die verloren gegangene Verbindung mit dem Kosmos wiederherstellen. Was für ein Satz! Spätestens jetzt werden einige von Ihnen denken: Was ist denn das für ein esoterischer Spinner?
Urteilen Sie nicht zu schnell. Der Satz stammt nicht von mir. Gehört habe ich ihn in der Haniel Akademie aus dem Munde des Aufsichtsratsvorsitzenden eines der größten DAX-Unternehmen. Er war lange Vorstandsvorsitzender dieses Unternehmens und steht nicht im Verdacht, ein esoterischer Spinner zu sein. Im Saal waren auch keine Esoteriker, sondern viele Captains of Industry – man hätte denken können, die Führung der Deutschland AG habe sich versammelt. Nachdem der Satz über die Notwendigkeit einer Rückkopplung zur Einheit ausgesprochen war, gab es einen lang anhaltenden Applaus. Sehen Sie – das ist eine neue Qualität. Esoterik hin oder her.
An der Spitze der Unternehmen ist man sich inzwischen darüber im Klaren, dass die Verbindung zum Ganzen des Seins unterbrochen ist. Man ist sich auch im Klaren darüber, dass dies für das Geschäft nicht gut ist. Die alten Chinesen hätten das so kommentiert: Die haben ihre Finger durch die eigene Papierlaterne gesteckt. Was jetzt Not tut, ist nicht eine diesbezügliche Erweiterung des Bewusstseins, sondern eine Vertiefung, und das ist die gute Nachricht. Es vertieft sich das Bewusstsein vieler Führungskräfte in Unternehmen tatsächlich. Es vertieft sich, weil Kunden kritischer, mündiger, fordernder und informierter worden sind. Sie erwarten von Führungskräften mehr Einsicht, ein Weiterdenken und Verantwortung. Sie verlangen, dass die Führungskräfte, die Unternehmen, für die sie Verantwortung tragen, sich und ihre Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes weiterentwickeln.
Entwicklung – schöne deutsche Sprache. Entwickeln bedeutet buchstäblich: die Wickel entfernen, zum Kern, zum Wesen einer Sache vordringen. Wenn Unternehmer und Führungskräfte die Wickel entfernen und zum Kern kommen, entsteht von allein die Einsicht, dass es die Hauptaufgabe von Unternehmen ist, Gesellschaft zu gestalten. Seit dem denkwürdigen Abend in der Haniel Akademie habe ich mir die Frage gestellt: Wie schaffen es eigentlich Unternehmen, sich so weiterzuentwickeln, dass sie die Rückkopplung zur Einheit wieder hinbekommen?
Inzwischen habe ich eine Antwort gefunden, wie so oft im Dialog mit dem Philosophen Hajo Eickhoff. Die Antwort habe ich mitgebracht.
Wenn Unternehmen sich wieder mit dem Ganzen verbinden wollen, müssen ihre Häuser wie in der alten Ökonomik wieder zum Modell werden für Wirtschaftlichkeit und Schutz sowie für Zusammengehörigkeit und Kulturpflege. Dieses Modell ist übrigens die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen das Konzept der Nachhaltigkeit umsetzen können, so wie es ihre Kunden zunehmend verlangen und erwarten.
In vielen Unternehmen ist man intensiv dabei, genau daran zu arbeiten. Ja, manche Aufsichtsratschefs sehen in Unternehmen, die sie beaufsichtigen, bereits ein Spiegelbild des Kosmos, so z.B. Stephen Green, der Aufsichtsratschef des Finanzkonzerns HSBC in einem Interview mit der FAZ vom 9. August 2009. Er plädiert in diesem Interview für die Entwicklung eines ethischen Kapitalismus.
Wer sein Haus so bestellen möchte, dass es zum Modell wird für Wirtschaftlichkeit, Schutz, Zusammengehörigkeit und Kulturpflege, braucht engagierte Stakeholder. Wer solche will, muss sie von innen her bewegen, sprich motivieren. Am Engagement und an der Motivation fehlt es, wie wir vorhin gesehen haben, hier zu Lande an viel zu vielen Stellen, und in meiner Heimat ist das nicht viel anders.
Wer bedenkt, dass von den Organisationskosten die Personalkosten 80% ausmachen und dass von diesen 80% bis zur Hälfte durch sogenannte Reibungsverluste verloren gehen, weiß, welcher wirtschaftliche Schaden hierdurch entsteht. Dabei ist der gesellschaftliche Schaden durch den Vertrauensverlust weitaus größer. Wenn die Vermögen der Menschen – damit meine ich Vermögen wie Menschlichkeit, wie Talent und Kreativität – in Unternehmen nicht stimuliert und ausgeschöpft werden, können diese Unternehmen nicht zur Beschleunigung der Globalisierung beitragen. Ja, Sie hören richtig: Das ist eine weitere Hauptaufgabe von Unternehmen. Sie müssen sich entwickeln, um die Globalisierung zu beschleunigen. Sie müssen Gesellschaft gestalten, damit die Globalisierung beschleunigt wird, und zwar auf ein ganz bestimmtes Ziel hin, und das ist die Globalität.
Globalität meint ein Mehr an Kooperation statt mörderischer Konkurrenz, ein Mehr an Wohlstandsverteilung, ein Weniger an Armut, Hunger und Krieg. Der Weg zu diesem Ziel verläuft nicht linear. Er wächst, wie alles Lebendige, in Sprüngen. Dieser Weg ist ein Entscheidungsweg, und immer wieder kommen Menschen an Gabelungen, an denen entschieden werden muss, ob der Weg gewählt wird, der zur Globalität führt, oder der andere, der in der Regel ein Holzweg ist. Damit der richtige Weg gewählt wird, braucht es nicht nur Motivation, es braucht auch Kreativität und Intuition.
Kreativität und Intuition haben ihr Zentrum in der rechten Gehirnhemisphäre des Menschen, und wer weiß, dass diese Gehirnhälfte bei Heerscharen von Menschen, die in Unternehmen tätig sind, ausgetrocknet ist, weil sie ständig an der Peripherie des unternehmerischen Handelns herumrennen, der wundert sich zum einen über gar nichts mehr; der weiß aber auch, was zu tun ist. Es müssen in den Unternehmen Möglichkeiten geschaffen werden, die die Dekompression, die Stressreduktion ermöglichen, die ein Entschleunigen zulassen, die es möglich machen, dass nach jeder Kreation die Rekreation erfolgt. Auch hier können wir vom Wasser lernen. Auf seinem Weg von der Quelle zum Meer meandert der Fluss. Dieses Meandern ist eine Entschleunigung des Wassers durch Reibungswiderstand. Die Frage, die sich stellt, ist: Wo sollten wir ansetzen, mit der Stressreduktion, mit der Dekompression, damit die rechte Gehirnhälfte der Menschen vor der Austrocknung bewahrt bleibt, damit ihre kreativen und intuitiven Vermögen beschützt werden?
Die Antwort liegt nahe: In der fortgeschrittenen modernen Welt ist die Büroarbeit zur eigentlichen gesellschaftlichen Tätigkeit geworden. Dadurch ist das Büro automatisch zu einem wichtigen Steuerungsinstrument geworden für nahezu alle Prozesse, die die Welt verändern. Von der Qualität dieses Steuerungsinstrumentes hängt ab, ob die Prozesse sich in Richtung Globalität oder in Richtung Holzweg entwickeln. Ich fordere Sie auf: Gehen Sie einmal kritisch durch die eigenen Büroräume und durch die Büroräume anderer Unternehmen. Ich bin ziemlich sicher, dass Sie feststellen werden, dass die meisten Menschen in enthumanisierten Büroräumen arbeiten müssen. Ihre Büros haben Kanalcharakter. Sie sind ausgeprägt funktional und bestens dazu geeignet, die Prozesse in einem hohen Tempo durchzupressen. Auf der Strecke bleibt das größte Vermögen, über das Unternehmen dann nicht mehr verfügen; auf der Strecke bleiben die Mitarbeiter, weil sie in einem kulturellen Umfeld arbeiten müssen, das weder motiviert noch die Vermögen der Kreativität und Intuition steigert. In seiner Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn unterstreicht Gerald Hüther diese Tatsache:
Die Welt, in die die meisten Menschen hineinwachsen, ist eine mit den Maßstäben von vergangenen Generationen mehr oder weniger bewusst gestaltete Welt. Das ist nicht zwangsläufig auch eine besonders menschliche Welt und deshalb auch nicht zwangsläufig eine Welt, in der optimale Bedingungen für die Entwicklung eines menschlichen Gehirns herrschen.“
Er fordert dazu auf, die gegenwärtig herrschenden Verhältnisse so zu verändern, dass die Ausbildung immer menschlicherer Gehirne ermöglicht wird.
Wer Vermögen beschützen will, sollte sich im Klaren darüber sein, dass die Architektur und die Welt der Dinge zu unserer zweiten Natur geworden sind. Das kann, wie die erste, auch eine ästhetische Natur sein, vorausgesetzt, sie hat eine Qualität, die nicht nur eine funktionelle, sondern auch eine poetische Beziehung zulässt. Wir müssen, wenn wir Vermögen mehren wollen, uns intensiv mit der Schönheit auseinandersetzen.
Im alten Griechenland waren alle freien Bürger verpflichtet, regelmäßig die Tempel zu besuchen. Nicht unbedingt, um zu hören, was die Priester zu sagen hatten, sondern um mit der Schönheit konfrontiert zu werden. Die Griechen waren davon überzeugt, dass diese Begegnung den Betrachter verändern würde, ihn dazu motivieren würde, sich als ein großer Mensch zu verhalten. Ja, der menschliche Geist braucht ein Gegengewicht gegen negative Informationen. Er will sie neutralisieren, und deswegen braucht es positive Informationen, die die Schönheit bietet. Im Grunde genommen hat der große weise Yehudi Menuhin in einem Satz das auf den Punkt gebracht, was ich mit meinen Ausführungen versucht, habe zu vermitteln, als er sagte:
Wir sind auf Erden, um zu lernen und zu dienen. Wir müssen demütige Diener des Schönen sein. Wir haben das Bedürfnis nach Geborgenheit. Wir brauchen die Schönheit.“
Wenn wir so dienen, ist es zum Verdienen von gutem Geld nicht weit und auch nicht zur Rückkehr der Ideale, die in der Renaissance vorherrschten. Schönheit, Harmonie, Dauerhaftigkeit, Annehmlichkeit. Wir müssen dies alles nicht nur wissen, sondern müssen auch danach handeln. Und wir müssen den Hinweis von Joseph Brodsky, mit dem ich meine Ausführungen begann, ernst nehmen. Ich wiederhole diesen Hinweis:
Die entscheidende Aufgabe für eine Gesellschaft, für eine Ansammlung von Individuen ist die individuelle Entwicklung des Geschmacks.“
Weil dies so ist, schließe ich diesen Vortrag ab mit einigen Sätzen zum Thema „Motivation“ und „guter Geschmack“.
Jedem Handeln liegen Absichten, Motive zugrunde. Beweggründe, Gründe für Bewegungen. Motive folgen unmittelbar auf eine innere Berührung und motivieren den Menschen.
Motivation ist eine Bewegung von innen her. Sie bestimmt das Denken, Fühlen, Verhalten und Handeln. Wird der Mensch innen berührt, öffnen sich seine Sinne und er wird positiv gestimmt – wie in der Liebe. Wenn der Mensch in seinem Innern, seinem Wesen, das seine Qualität ist, von einem Wesen, das die Qualität eines Objekts ist, angesprochen wird, wird er berührt und gerät in Resonanz mit dem Objekt.
Weil in dieser Art des Berührt Seins die Möglichkeiten für ein verantwortungsvolles Gestalten und Produzieren liegen, ist es unsere gemeinsame Aufgabe, die Dinge so zu gestalten, dass sich die Gestaltung aus dem Wesen der Aufgabe herleitet, weil dann eine Welt entstehen kann, die die Menschen berührt – und motiviert durch Qualität. Dadurch werden die Menschen angeregt, ihrerseits eine berührende und motivierende Welt einzurichten. In der Weise verbinden sich in der Gestaltung von Beziehungen und in der Gestaltung des Umfeldes und im guten Geschmack Qualität und Motivation zu einer neuen Form: zur Oikologie der Gestaltung.
Doch Ethik und Wert können sich nur behaupten, wenn sie attraktiv und in der Lage sind, den Menschen zu rühren. Wie der über zweitausend Jahre alte Spruch des chinesischen Weisen Meng Tzu: „Es ist möglich, als großer Mensch zu handeln.“ Die darin enthaltene Ethik gewinnt an Attraktion und Schönheit, indem der Spruch Ethik, Politik, Qualität und guten Geschmack in einer Formel verbindet.
Da das Haus der Erde zwar groß, aber nicht unermesslich ist und ihre Energie und ihre Biomasse begrenzt sind, müssen die Menschen mit ihrer Lebensgrundlage, der Erde, angemessen umgehen und sich für eine Lebensweise entscheiden, nach der sie sorgfältig und verantwortungsbewusst – also nachhaltig – mit den Stoffen und den Energieträgern der Erde umgehen.
Dazu müssen sie lernen, gut mit sich selbst und mit ihren Vermögen umzugehen. Weniger effektiv sind moralische Appelle, da sie über den Verstand und das Gefühl negativ aufgenommen werden. Wirkungsvoller sind Berührungen, die das Gefühl positiv ansprechen. Unter den Bedingungen der Globalisierung ist das keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche, politische und oikologische Aufgabe, in der die Gestaltung eine große Bedeutung bekommt, denn gut funktionierende, gut gestaltete Beziehungen und gut gestaltete und gut verarbeitete Dinge geben den Menschen Festigkeit und Vertrauen, die wiederum eine Basis für Motivation bilden und den Menschen zu einem verantwortungsvollen Leben inspirieren.
Der gute Geschmack ist die orientierende Kostbarkeit der menschlichen Existenz. Sie ist das, was unsere Vermögen wirklich wirksam werden lässt.
Jeder kann an seinem Ort dazu beitragen, Unternehmen zu oikologisieren. Jeder kann zum Botschafter des Schönen und der Nachhaltigkeit werden. Er kann guten Geschmack verbreiten, Wissen weitergeben und Motivation fördern. Ich schließe mit der einfachen und optimistischen Weisheit des chinesischen Lehrmeisters Meng Tzu:
Es ist möglich als großer Mensch zu handeln.“
Möge er ein Motiv werden für unser aller berufliches und kulturelles sowie privates und gesellschaftliches Engagement.
Jan Teunen (*1950) versteht sich als Diener der Diener. Als Cultural Capital Producer betreut er mit seiner Teunen Konzepte GmbH Unternehmen in einer umfassenden Art und mit einer übergreifenden Philosophie. Kunden, die sich bewusst sind, dass Wirtschaftskraft zunehmend aus kultureller, moralischer und ästhetischer Kraft entsteht, hilft er dabei, ihre Unternehmen weiter zu kultivieren, indem er sich um all das kümmert, was nicht in der Bilanz steht: die Werte, das Wissen, das Verhalten. Dadurch entstehen neue Kombinationen, die in den Unternehmen zu einem Mehr an Motivation, Kreativität, Produktivität und Gesellschaftsorientierung führen”.
Literatur:
- Ervin Laszlo, Macroshift. Die Herausforderung, Frankfurt am Main und Leipzig, 2003.
- Alan Watts, Der Lauf des Wassers, Frankfurt am Main und Leipzig 2003.
- Oskar Negt, Arbeit und menschliche Würde,
- Gerald Hüther. Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Göttingen 2007.
- Gottlieb Guntern. Kreativität und Intuition, Zürich 1996.
- Arnold Cornelis. Logica van het gevoel, Amsterdam/Brüssel/Middelburg 1997.
- Sri Aurobindo und Die Mutter. On Money,
- Hajo Eickhoff / Jan Teunen, Form:Ethik. Ein Brevier für Gestalter, Ludwigsburg 2005/2006.
- Hajo Eickhoff / Jan Teunen. Der Geschmack des Design, Halle/Saale 2008.
- Hajo Eickhoff. Horizont der Verantwortung, Wiesbaden 2002
- Hajo Eickhoff. Essenz der Zukunft. Vom Möglichkeitssinn, Wiesbaden 2009
- Peter Sloterdijk. Du musst dein Leben ändern, Frankfurt am Main 2009