Reziprozität ist zu unterscheiden von einer Korrelation.
Beides führt immer in die Kausalität, die auch Karma genannt wird.
Reziprozität: Definition, 5 Effekte + wie Sie der Gegenseitigkeit entkommen.
Wie wir andere Menschen behandeln, hängt maßgeblich davon ab, wie sich diese uns gegenüber Verhalten. Die Reziprozität ist in der Psychologie ein bekanntes Phänomen und erklärt, wie menschliches Handeln von der Gegenseitigkeit beeinflusst wird. Dahinter stecken zutiefst menschliche Bedürfnisse in einem sozialen Gefüge – aber auch die Möglichkeit für Manipulation. Wir erklären, was Sie zur Reziprozität wissen müssen, welche Effekte der Gegenseitigkeit es gibt und wie Sie dem Hin und Her der Gefälligkeiten entkommen können… – uletzt aktualisiert: 10.05.2021 – Quelle.

Definition: Was ist Reziprozität?
Reziprozität stammt aus der Psychologie und ist ein grundlegendes Prinzip zur Erklärung menschlichen Verhaltens. Am besten lässt es sich durch die Redewendungen „Wie du mir, so ich dir“ oder auch „Eine Hand wäscht die andere“ erklären. Im sozialen Miteinander fühlen sich viele zur Gegenseitigkeit verpflichtet. Wer uns gegenüber freundlich ist, dem begegnen wir ebenso nett; eine nette Geste wird erwidert; tut uns jemand einen Gefallen, wollen wir auch etwas für denjenigen tun. Reziprozität funktioniert aber auch genau anders herum: Fühlen wir uns schlecht behandelt, passen wir das eigene Verhalten an und können ebenso unfreundlich reagieren.
Hinter der Reziprozität steht der Wunsch nach Balance im zwischenmenschlichen Miteinander. Wir alle wünschen uns einen ausgeglichenen Umgang. Keine einseitige Freundlichkeit, die nicht erwidert wird. Gleichzeitig will niemand ausgenutzt werden, wenn immer nur gegeben wird, ohne dass etwas zurückkommt.
Beispiele zur Reziprozität im Alltag:
- Worte
In der Kommunikation zeigt sich die Reziprozität häufig: Wenn wir beispielsweise ein Kompliment bekommen, geben wir eins zurück. Selbst wenn wir vorher gar nicht daran gedacht hätten. - Gefälligkeiten
Der Kollege springt uns beim Projekt zur Seite oder ein Freund hilft beim Aufbau des neuen Schranks: Einen solchen Gefallen kann kaum jemand unerwidert lassen. Wir warten nur auf die Gelegenheit, um unsererseits mit einer guten Tat zur Seite stehen zu können. - Geschenke
Erhalten wir ein Geschenk zum Geburtstag oder zu Weihnachten, ist es selbstverständlich, demjenigen ebenfalls etwas zu schenken. - Werbung
Das Marketing hat die Macht der Reziprozität längst erkannt und nutzt sie, um Kunden zum Kauf zu animieren. Kleine, kostenlose Proben im Supermarkt führen dazu, dass Kunden häufiger das Produkt kaufen. Dahinter steht keine Großzügigkeit von Unternehmen, sondern gezielte Marketingstrategie zur Beeinflussung des Kaufverhaltens.
5 Effekte der Reziprozität.
Das Verhalten gemäß der Reziprozität ist in jedem Menschen verankert. Wie das obige Beispiel der Werbung zeigt, kann es aber zur Manipulation genutzt werden. Ohne es zu merken, tun wir genau das, was andere wollen – weil diese vorher ein bestimmtes Verhalten gezeigt haben. Um sich zu schützen, muss man die fünf Effekte der Reziprozität kennen:
Schuldgefühle:
Reziprozität lebt in erster Linie von Schuldgefühlen. War jemand besonders nett, hat uns geholfen oder etwas Kostenloses gegeben, haben wir das Gefühl, demjenigen etwas schuldig zu sein. Dieses Gefühl soll schnell gelöst werden – also setzen wir alles daran, unsere Schuld zu begleichen.
Sympathie:
Hier gibt es gleich zwei Effekte: Zeigt sich jemand uns gegenüber besonders freundlich, ist er uns ohnehin schon sympathischer. Verstärkt wird dies, wenn wir im Anschluss selbst um einen Gefallen gebeten werden. Psychologisch wird das durch den sogenannten Benjamin-Franklin-Effekt erklärt: Demnach entwickeln wir größere Sympathie, wenn wir um einen Gefallen gebeten werden.

Selbstwertgefühl:
Anderen helfen zu können, stärkt das eigene Selbstwertgefühl. Es zeigt schließlich, dass wir wichtig sind, Fähigkeiten besitzen, mit denen wir weiterhelfen können und dass jemand unsere Hilfe möchte und schätzt. Umso leichter ist es aber auch, manipuliert und ausgenutzt zu werden. Schon ein vergleichsweise kleiner Gefallen kann reichen, um im Gegenzug eine große Gegenleistung einzufordern. Weil es dem Selbstwertgefühl Gut-Tut, fallen wir darauf hinein.
Sozialgefühl:
Wir kennen alle das Gefühl, etwas tun zu müssen, weil es von uns erwartet wird. Solche sozialen Normen und Erwartungen spielen eine große Rolle für die Reziprozität. Als soziales Wesen ist der Mensch bestrebt, dazuzugehören und sich an die Gesellschaft anzupassen. Also verhalten wir uns so, wie wir glauben, dass andere es von uns erwarten.
Schutzmechanismus:
Reziprozität hat aber auch einen sehr positiven Effekt: Da wir ein Radar für Gegenseitigkeit haben, merken wir oft, wenn das Geben und Nehmen (besser wiederbekommen) aus dem Gleichgewicht gerät. Kommt immer wieder derselbe Kollege, der uns dauerhaft um einen Gefallen fragt, fällt uns die fehlende Balance auf – wir fühlen uns ausgenutzt und ändern unser Verhalten. Denn auch das ist Reziprozität. Fühlen wir uns von einem anderen Menschen schlecht oder unfair behandelt, reagieren wir genauso. Es ist ein Bestrafungsmechanismus, mit dem wir zeigen, dass wir so nicht mit uns umgehen lassen.
So entkommen Sie der Reziprozität:
Sind wir der Reziprozität hilflos ausgeliefert und können nichts dagegen tun, dass diese zur Manipulation genutzt wird? Zum Glück nicht! Der erste Schritt ist bereits getan, wenn man sich die obigen Effekte vor Augen führt und versteht, warum und in welchem Ausmaß das eigene Handeln von dem Prinzip der Gegenseitigkeit geprägt wird.
Auch sollte nicht stets Manipulation und Böswilligkeit unterstellt werden. Oft ist ein Gefallen auch einfach genau das: Eine nette Geste, an die keinerlei Erwartungen geknüpft sind. Trotzdem ist es wichtig zu wissen, wie man der Reziprozität entkommt:
- Gefälligkeiten ablehnen
Es ist schwierig, doch warum nicht sagen: „Nein danke, ich brauche gerade keine Hilfe.“ Wenn das Gefühl besteht, dass jemand mithilfe der Reziprozität manipuliert und zum eigenen Vorteil beeinflusst, kann so ein Riegel vorgeschoben werden. - Nicht aus Schuldgefühlen handeln
Vor einem Gefallen oder einer Entscheidung sollte die Frage stehen: Handele ich gerade nur aus Schuldgefühlen? Wir fühlen uns vielleicht dazu gezwungen, etwas zu tun, haben aber die Wahl, uns dagegen zu entscheiden. Schuldgefühle sind keine guten Ratgeber. - Gegenseitigkeit ignorieren
Auch eine echte Möglichkeit: Sich über die Nettigkeit, die Hilfe oder ein kostenloses Produkt freuen und gezielt gar nichts zurückgeben. So wird das Konzept umgedreht. Stattdessen manipuliert und ausgenutzt zu werden, nutzt man selbst die Vorleistung aus. Dafür braucht es aber größte Sicherheit, dass der andere wirklich böswillig gehandelt hat – sonst präsentiert man sich selbst als sehr unsympathisch. - Reziprozität ausschließen
Zu guter Letzt: Reziprozität lässt sich ausschießen und überwinden, wenn diese offen angesprochen wird. Schon ein einfaches „Ich möchte aber nicht in deiner Schuld stehen“ kann ausreichen und hilft im Nachhinein, sich später nicht zu einer Gegenleistung gezwungen zu fühlen. Andersherum kann selbst gesagt werden, dass man im Gegenzug nichts erwartet.
Was passiert, wenn Reziprozität fehlt?
Als Grundprinzip im menschlichen Handeln ist die Reziprozität fast bei allen Interaktionen zwischen Menschen zu beobachten. Wie so oft gibt es von dieser Regel jedoch einige Ausnahmen. Manche Menschen halten sich nicht an das Gegenseitigkeitsprinzip. Manchmal unbewusst aufgrund der eigenen Persönlichkeit, manchmal gezielt zur Manipulation, um sich einen Vorteil zu verschaffen. In beiden Fällen gilt: Fehlt die Reziprozität, gerät das soziale Miteinander aus der Balance.
Das hat Konsequenzen. Menschen mit einem ausgeprägten Helfersyndrom beuten sich regelrecht selbst aus. Sie geben immer, helfen bei jeder Gelegenheit, können nicht Nein sagen. Sie suchen keine Reziprozität, sondern opfern sich für andere auf – bis zur eigenen Erschöpfung oder gar bis in einen Burnout. Ebenso fehlt das Gleichgewicht, wenn jemand nur nimmt, ständig Gefallen einfordert, um Hilfe bittet und im Gegenzug rein gar nichts zurückgibt. Solch ein Verhalten bleibt nicht lange unbemerkt, auch wenn Ausnutzer um keine Ausrede und fadenscheinige Erklärung verlegen sind.
Mögliche Folgen:
- Frust
Das fehlende Balance zeigt sich zuerst in wachsender Frustration. Gerät die Beziehung durch einen Mangel an Gegenseitigkeit aus dem Gleichgewicht, fühlt sich eine Seite ausgenutzt und schlecht behandelt. Oft staut sich der Frust lange auf, bis es zur Eskalation kommt. - Streit
Ein Streit ist auf lange Sicht unausweichlich, wenn die Reziprozität ausbleibt. Wer ständig nimmt, ohne zu geben, schafft enormes Konfliktpotenzial. Niemand lässt sich dies lange gefallen und thematisiert den eigenen Wunsch nach mehr Gegenseitigkeit offen. - Selbstzweifel
Einige Menschen reagieren mit Selbstzweifeln, wenn sie keine Reziprozität erfahren. Man fragt sich: Habe ich was falsch gemacht? Warum verhält der andere sich mir gegenüber so? Dies ist beispielsweise der Fall, wenn man selbst versucht immer freundlich und offen zu sein, aber stets auf Ablehnung und unfreundliche Antworten stößt. - Trennungen
Reziprozität ist ein soziales Schmiermittel. Sie sorgt dafür, dass zwischenmenschliche Beziehungen funktionieren und beide Seiten sich wohlfühlen. Bedeutet in letzter Konsequenz: Fehlt das Prinzip der Gegenseitigkeit, kommt es zur Trennung. Gemeint sind damit nicht unbedingt romantische Beziehungen, sondern das Beenden von Kontakten im Allgemeinen.
Was andere Leser dazu gelesen haben:
- Reziprozitäts-Effekt: Wie du mir, so ich dir.
- Gegenseitigkeitsprinzip: So funktioniert der Schuld-Trick
- Moral Hazard: Moral und Ethik im Job.
- Altruismus: Lohnt sich die Selbstlosigkeit?.
- Machtstrategien: Die häufigsten im Job.
Wie Du mir, so ich Dir – wie das Prinzip der Reziprozität unser Kaufverhalten beeinflusst – von Myriam A. Baum & Frank M. Spinath.
Um potentielle Käufer zu beeinflussen und Produkte jeglicher Art an den Mann oder die Frau zu bringen, nutzen HerstellerInnen eine Vielzahl an Strategien. Einige davon basieren auf dem Reziprozitätsprinzip, welches unter anderem von Robert Cialdini (1984, 2013) ausführlich erforscht und beschrieben wurde.
Schon in jungen Jahren legen unsere Eltern großen Wert darauf, dass wir uns für erhaltene Geschenke bedanken und für Aufmerksamkeiten erkenntlich zeigen. Früh lernen wir, dass Dankbarkeit essentieller Bestandteil menschlichen Zusammenlebens ist, und verinnerlichen somit die Regel der Reziprozität, der „Gegenseitigkeit“, die wir dann ein Leben lang verfolgen. Wir verurteilen Leute, die sich für Gefallen nicht erkenntlich zeigen, als undankbar und bemühen uns, nichts auf sich ruhen zu lassen, um nicht selbst so auf andere zu wirken. Die Reziprozitätsregel besagt, dass sich eine Person verpflichtet fühlt, etwas zurückzugeben, sobald sie etwas erhalten hat. Diese Gegenleistung hat meist einen höheren Wert als der ursprüngliche Gefallen. Erstaunlicherweise wirkt die Regel sogar dann, wenn uns unser Gegenüber unsympathisch ist. Bereits zu Beginn der 70er-Jahre konnte der Psychologe Dennis Regan (1971) diesen Effekt nachweisen. In seinem Experiment konnte ein Konföderierter, also eine spezifisch für die Studie angeworbene und somit eingeweihte Person, doppelt so viele Lose verkaufen, wenn er der Versuchsperson eine Cola mitgebracht hatte – selbst, wenn er dieser unsympathisch war. Dabei waren die Lose mit je 25 Cent wesentlich mehr wert als die mitgebrachte Cola – diese war nur 10 Cent wert.
Viele Werbende nutzen eben diese tief in jedem von uns verankerte Regel, um uns zum Kauf ihrer Produkte zu bewegen.
Wir alle kennen mindestens eine dieser Strategien, die sich HerstellerInnen zunutze machen, um zukünftige KäuferInnen für sich zu gewinnen: die Produktprobe. Die Produktprobe dient nicht allein dem Zweck, potentielle Kundinnen oder Kunden mit den Vorteilen des angebotenen Produktes vertraut zu machen und diese so von sich zu überzeugen: Da die Produktprobe ein Geschenk darstellt, fühlt sich Kundin oder Kunde dazu verpflichtet, sich für dieses Geschenk zu einem späteren Zeitpunkt zu revanchieren – indem er oder sie das Produkt kauft. Auch hier lässt sich einer der mit der Regel in Verbindung stehenden Effekte beobachten: Die zurückgegebene Leistung hat einen höheren Wert als der ursprüngliche Gefallen. Vielleicht sollten wir in Zukunft also eher einen Bogen um die angepriesenen Produktproben machen, bevor wir den Einkaufswagen wieder einmal mit Produkten füllen, die wir am Ende gar nicht brauchen.
Quellen:
Cialdini, R. B. (1984). Influence: How and why people agree to things. New York, NY: William Morrow and Company.
Cialdini, R. B. (2013). Die Psychologie des Überzeugens: Wie Sie sich selbst und Ihren Mitmenschen auf die Schliche kommen. Bern, Schweiz: Hans Huber, Hogrefe AG.
Regan, D. T. (1971). Effects of a Favor and Liking on Compliance. Journal of Experimental and Social Psychology, 7, 627 – 639.
Reziprozität bezeichnet die Gegenseitigkeit im sozialen Austausch und ist Teilaspekt einiger psychologischer Theorien, die sich mit der Einflussnahme auf menschliche Entscheidungen beschäftigen. Die Reziprozitätsregel besagt ganz allgemein, dass Menschen, wenn sie etwas erhalten, motiviert sind, dafür eine Gegenleistung zu erbringen.
Ein Beschenkter fühlt sich z.B. aufgefordert bzw. genötigt, ein Gegengeschenk zu erbringen. Sich reziprok zu verhalten bedeutet, auf einen Gefallen hin mit einer Handlung zu reagieren, die den Gefallen danach irgendwie ausgleicht. Dadurch wird das Gefühl der Verpflichtung, der anderen Person etwas zurückgeben zu müssen oder ihr etwas schuldig zu sein, reduziert. Die Erwartung der Person, die sich zunächst großzügig, hilfsbereit etc. zeigt, ist, dass in der Folge der Hilfe oder des Gefallens die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass sich das Gegenüber in Zukunft ebenso verhalten wird. Dabei kann man sich auf normative Vorstellungen verlassen, die Reziprozitätsnorm.
Die Reziprozitätsregel wird im Marketing beziehungsweise Vertrieb eingesetzt, da sie teilweise die Sympathieregel ausschaltet, also eine Person zu einer Gegenleistung verpflichtet, obwohl der Empfänger unsympathisch ist, also etwa eine Kostprobe gegen späteren Kauf, Freikarten usw. Hierzu gibt es zwei Verkaufstechniken: Door-in-the-face-Taktik: übertrieben hohe Anfangsforderungen lassen später eine auf ein normales Maß reduzierte Forderungen als Schnäppchen erscheinen That’s-not-all-Taktik: Hinzufügen von Geschenken (Zugaben) Weitere Beispiele sind die Bonbons, die ein Kellner zur Rechnung dazulegt, oder der Reisschnaps beim Chinesen, die das Trinkgeld nachweislich höher ausfallen lassen. Wer auf dem Wochenmarkt ein Stück Kuchen oder Käse als Kostprobe angenommen hat, sieht sich schnell dazu verpflichtet, der Händlerin oder dem Händler etwas abzukaufen.
Selbst die aufmerksame Beratung in einem Geschäft kann Menschen innerlich dazu bringen, sich bei der Verkäuferin oder dem Verkäufer dann mit einem Kauf zu revanchieren. Zwar gibt es einige Menschen, die dagegen weitgehend immun sind, doch meist ist das Reziprozitätsprinzip sogar so stark, dass es selbst dann funktioniert, wenn man etwas ungebeten geschenkt bekommen hat bzw. etwas aufgedrängt bekommen hat. Oft will man sich dann von einem schlechten Gewissen befreien. Das Reziprozitätsprinzip lässt sich natürlich auch für das Selbstmarketing einsetzen, indem man etwa für seinen Vorgesetzten unaufgefordert kleinere Leistungen erbringt, denn dadurch zeigt man seine Kompetenzen und dieser fühlt sich einem zusätzlich verpflichtet.
Aber auch wenn man seinen KollegInnen am Arbeitsplatz einen Gefallen tut, werden sie diesen Gefallen irgendwie erwidern wollen. Oder wenn man in einem kritischen Gespräch dem Kontrahenten ein Zugeständnis macht, und er dabei seine Interessen durchsetzen kann – bevorzugt macht man das dann wohl in einem Punkt, der einem selber nicht so wichtig ist -, signalisiert man seine Kompromissbereitschaft und sie oder er sieht sich gleichzeitig in der Verpflichtung, ebenfalls etwas zuzugestehen, das einem dann hoffentlich wirklich wichtig ist. Durch das Reziprozitätsprinzip baut man letztlich Vertrauen auf, und durch dieses Vorschussvertrauen fördert man Vertrauen durch Vertrauen. Vertrauen lebt übrigens von der Selbstverständlichkeit, mit der es geschenkt und vorausgesetzt wird, denn ohne diese Selbstverständlichkeit wird es zu etwas, das man beweisen muss, was den Kern von Vertrauen zunichtemacht.
Daher sollte man nie über Vertrauen explizit sprechen, etwa indem man sagt, dass man jemandem vertraut, denn ab diesem Augenblick wird der Angesprochene beginnen, sich bei jeder Nachfrage zu fragen, ob ihm denn nun vertraut würde oder nicht. Vertrauen ist daher eine riskante Vorleistung und Vertrauen zu schenken bedeutet, in Kauf zu nehmen, dass man enttäuscht werden könnte. Wer dieses Risiko nicht tragen will und stattdessen Gewissheit sucht, untergräbt damit jedes Vertrauen. Daher gilt: Vertrauen ist entweder selbstverständlich oder es existiert nicht. Das Reziprozitätsprinzip ist in allen Kulturen und Gesellschaften verbreitet und bildet eine normative Vorstellungen – Reziprozitätsnorm.
Dennis Regan konnte die Reziprozitätsregel mit einem Experiment empirisch belegen, bei dem die Versuchspersonen vor einer Besprechung unaufgefordert eine Coladose vom Versuchsleiter bekamen und am Ende des Gesprächs Lose zum Kaufen angeboten bekamen, die den Wert der Cola deutlich überstiegen. Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen, die zuvor eine Coladose erhalten hatten, deutlich mehr Lose kauften als die Kontrollgruppe, die keine Coladose bekommen hatte. Dieses Prinzip kann auch biopsychologisch erklärt werden, denn in der Natur hat sich durch Selektionsfaktoren die Tit-for-tat-Technik herauskristallisiert, die besagt, dass es nur zur Intervention als Hilfeleistung kommen kann, wenn von dem anderen Organismus dieses Verhalten zurückerwartet werden kann. Damit gewährt die Reziprozität den Fortbestand der eigenen Gene.
Generalisierte negative Reziprozität Die generalisierte negative Reziprozität bezeichnet das Verhalten in zwischenmenschlichen Konflikten, bei denen die beteiligten Parteien unfaires Verhalten mit gleicher Münze heimzahlen, wobei generalisiert bedeutet, dass sich der Konflikt auch auf zunächst Unbeteiligte überträgt. Experimente bestätigen, dass sich Ungleichbehandlung auf die Stimmung auswirkt, wobei diese emotionale Aufgeladenheit dazu führt, dass sich unfair Behandelte ebenfalls unfair gegenüber Dritten verhalten, vermutlich um ein Ventil für negative Emotionen zu haben. Sind die heftigsten Emotionen abgeklungen, setzt bei den Betroffenen meist eine vernunftorientierte Neubewertung der Situation ein, was ermöglicht, die Wut über Ungerechtigkeiten nicht direkt an unbeteiligte Dritte weiterzugeben. In Experimenten wurde übrigens gezeigt, dass man sich im Fall einer ungerechten Behandlung möglichst unmittelbar beschweren sollte, und zwar direkt bei demjenigen, der das unfaire Verhalten an den Tag gelegt hatte, denn das lässt die aufkeimende Wut am schnellsten verschwinden.
Mit einem solchen unmittelbaren Abbau der Wut verfliegt auch das Bedürfnis, sich anderen gegenüber unfair zu verhalten, also die Wut über eine Ungerechtigkeit direkt an unbeteiligte Dritte weiterzugeben. Unbewusste Reziprozität beim Vertrauen mit Fremdem Ob Menschen einer Fremden oder einem Fremden vertrauen, hängt auch davon ab, ob dieser fremde Mensch Ähnlichkeit mit jemandem hat, den man bereits kennt und von dem man weiß, ob er vertrauenswürdig ist oder nicht. Das liegt daran, dass bestimmte Areale des menschlichen Gehirns darauf ausgerichtet sind, einen Abgleich mit anderen Bildern im Kopf vorzunehmen und jenen, die eine Ähnlichkeit mit schon bekannten, freundlichen Gesichtern aufweisen, zu vertrauen. Menschen treffen also vorab Entscheidungen über einen fremden Menschen alleine aufgrund dessen Ähnlichkeit mit anderen, denen man irgendwann in seinem Leben begegnet ist, wobei man sich dieser Ähnlichkeit in der Regel nicht bewusst ist (FeldmanHall et al., 2018).
Reziprozität beim Trinkgeld In manchen Restaurants erhält man nicht nur die Rechnung, sondern auch noch ein Gratisgetränk. Hilkenmeier & Hoffmann (2021) haben dazu Experimente in einem griechischen und einem deutschen Restaurant gemacht. In einem griechischen Restaurant bekamen Gastgruppen entweder während des Essens, gleichzeitig mit der Rechnung oder erst nach dem Bezahlen einen kostenlosen Ouzo. Kein Ouzo bzw. erst nach dem Bezahlen: durchschnittlich 7,1 Prozent Trinkgeld Gratis Ouzo während des Essens: durchschnittlich 7,8 Prozent Trinkgeld Gratis Ouzo mit der Rechnung: durchschnittlich 8,6 Prozent Trinkgeld Ein Gratisschnaps erhöhte das Trinkgeld also mindestens um zehn Prozent, wobei KellnerInnen, die den Ouzo mit der Rechnung brachten, sogar fast 20 Prozent mehr Trinkgeld bekamen, als wenn sie keinen Schnaps verteilten. Im zweiten Experiment im deutschen Restaurant verglichen man das Trinkgeld, wenn die Gäste ein Gratisgetränk während des Essens beziehungsweise mit der Rechnung erhielten. Gratis Ouzo während des Essens: durchschnittlich 7,2 Prozent Trinkgeld Gratis Ouzo mit der Rechnung: durchschnittlich 8,8 Prozent Trinkgeld.
Ein Getränk, das mit der Rechnung gebracht wird, sorgt also dafür, dass die Bedienung 25 Prozent mehr Trinkgeld erhielt, d. h., vermutlich fühlen sich Gäste besonders stark verpflichtet, sich mit einem großzügigen Trinkgeld für das Gratisgetränk zu bedanken. Das Servicepersonal kann also durch einen geschickten Einsatz eines Gratisgetränks seine Trinkgelder erheblich und mühelos erhöhen, indem es die Norm der Reziprozität ausnutzt. Vermutlich können KellnerInnen in griechischen Restaurants ihr Trinkgeld um 200 Euro monatlich erhöhen, wenn sie ihren Gästen einen Ouzo während des Essens schenken, weitere 200 Euro können sie verdienen, wenn sie das Getränk gemeinsam mit der Rechnung bringen. In deutschen Restaurants wirkt die Methode ebenfalls, denn ein Gratisgetränk, das mit der Quittung kommt, könnte bis zu 225 Euro mehr Trinkgeld bedeuten.
Literatur FeldmanHall, Oriel, Dunsmoor, Joseph E., Tompary, Alexa, Hunter, Lindsay E., Todorov, Alexander & Phelps, Elizabeth A. (2018). Stimulus generalization as a mechanism for learning to trust. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.1715227115. Hilkenmeier, Frederic & Hoffmann, Sascha (2021). In Fokus: Effects of an Opportune Gift on Tipping. Journal of Hospitality & Tourism Research, doi: 10.1177/10963480211019841. http://de.wikipedia.org/wiki/Reziprozit%C3%A4tsregel_(Psychologie) (09-11-11) © Werner Stangl Wien Linz Freiburg 2022 (Stangl, 2022).
Verwendete Literatur:
Stangl, W. (2022, 12. Juni). Reziprozität .
Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik.