GELD verstehen, heißt das Universum verstehen.
Alle Videos, die jedem das Universum näherbringt.
Geld ist Philosophie und insbesondere ein Recht mit einem Eigentums-, Besitz-, Kredit– und Leistungs–Kern.
Das Wesen GELDES ist damit keine Ware, sondern ein Phänomen.
Geld ermöglicht den Tausch von Leistungen und Energie auf allen Ebenen des Lebens.
Mit dem Konzept – „Arche für den Klugen” – hat OekoHuman ein „Drehbuch” geschaffen, daß sowohl darauf einzahlt, das GELD jedem näherzubringen, als auch in der Lage ist, echte Prävention im Ernstfall einer ausufernde Inflation zu leisten.
Und das Geniale an dem „Drehbuch” ist: Es ist auch ohne ausufernde Inflation gewinnbringend und zahlt zu jederzeit auf die eigene Sicherheit ein, wie das Halo-System, im Formel-I-Fahrzeug.
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Der Geldschein ist rechtlich gesehen eine Quittung dafür, dass eine eigene Leistung erbracht wurde, die von einem anderen gebraucht wurde.
Da diese Quittung allgemeine Gültigkeit hat, wird sie zu dem individuellen Recht sich Waren aus dem Markt zu nehmen – so beginnt der Kreislauf – Leistung-Verkauf – Waren-Einkauf.
Somit ist Geldschein ein bedrucktes Quittung-Rechts-Papier und unterscheidet sich von Giral–Geld nur durch die Papierform.
GELD, ist das universelle Instrument Leistungen auf der Energie-Ebene zu tauschen. Vor dem Geld, als solches, wurden Leistungen auf der materiellen Ebene (Tauschhandel) getauscht. In dieser Zeit lebten die Menschen in Dörfern. Mit dem Geld – Münzen )erst Gold und Silber, dann normales Metall) – heute Papier, dehnten sich die Menschen-Gemeinschaft erst in Städten, dann in Staaten bis hin zu Staaten-Geinschaften aus, wie z.B. USA und Europa.
Die Geschichte des Geldes:
Die Geschichte des Geldes beginnt in urgeschichtlicher Zeit und reicht bis in die Gegenwart. Geld wurde als Recheneinheit bereits in den frühen Agrargesellschaften in Mesopotamien und Ägypten verwendet. Eine Frühform des Geldes ist Warengeld. Beispiele hierfür sind Muscheln, Getreide, Vieh oder Edelmetalle. Letztere haben den Vorteil, dass sie relativ knapp, haltbar und leicht teilbar sind. Edelmetalle kamen daher schon in prähistorischer Zeit als Zahlungsmittel zum Einsatz.
Die Lyder prägten in Kleinasien im 7. Jahrhundert v. Chr. erste Münzen. Über das heutige Griechenland verbreiteten sich Münzen dann in Europa. Im Zeitalter des Hellenismus setzten sie sich im Gebiet des ehemaligen Perserreiches und in Nordafrika durch. Parallel entwickelten sich in Indien und China unabhängige Finanzsysteme. Die Römische Republik etablierte in ihrem Herrschaftsgebiet zentrale Münzstandards. Durch den Niedergang Roms dezentralisierte sich die europäische Geldwirtschaft im Frühmittelalter. Münzprägungen knüpften dort an ihr vorheriges Niveau erst im 13. Jahrhundert wieder an. Die Kalifen führten in ihrem Reich islamische Münzen ein. Sie fungierten bis zum osmanischen Münzwesen im 14. Jahrhundert als offizielle Währung.
Phasen mit stabilen Preisen wechselten sich in der frühen Neuzeit mit Perioden der Inflation ab, etwa die europaweite Preisrevolution. Für das Heilige Römische Reich bedeutsam war auch die Kipper- und Wipperzeit im 17. Jahrhundert, als Reaktion auf die damaligen Wertschwankungen bei Münzen gründeten Handelsstädte wie Hamburg, Nürnberg und Venedig ein Netzwerk aus öffentlichen Girobanken. Durch den Transfer von Buchgeld ermöglichten diese einen bargeldlosen Zahlungsverkehr, der sich im Fernhandel bereits etabliert hatte.
Papiergeld wurde in China während der Song-Dynastie im 11. Jahrhundert eingeführt. In Europa verbreiteten sich Banknoten im 17. Jahrhundert. Als erste Notenbank gilt der Stockholms Banco, der ab 1661 Papiergeld ausgab. Den Wert der umlaufenden Credityf-Zedel sollte eine Einlage in der Bank garantieren. Aus diesem Prinzip entwickelte sich im 19. Jahrhundert das Notenbankwesen und setzte sich in gesamt Europa durch. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Währungen im Rahmen des sogenannten Goldstandards durch Gold gedeckt.
Die nationalen Währungen lösten sich in den 1930er-Jahren vom Goldstandard als Reaktion auf die Deflation der Weltwirtschaftskrise. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Anfang der 1970er-Jahre bildete das Abkommen von Bretton Woods mit dem US-Dollar als Ankerwährung eine internationale Währungsordnung. Die anschließende Digitalisierung führte dazu, dass Geldgeschäfte zunehmend elektronisch abgewickelt wurden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts etablierten sich rein digital verfügbare Kryptowährungen, wie der Bitcoin – alles lesen in Wikipedia.
Im G.E.L.D. sind neben dem Eigentums- und Leistungsbezug weitere Kern-Eigenschaften enthalten:
die des Kredites, Glaubens, Handschlags, Vertrauens und der GÜTE. Daraus leitet sich für den Staat, weil Herausgeber des Geldes, die Notwendigkeit eines weitreichenden gewissenhaften und ethischen Verständnisses der Gesetze, die im Geld wirken, ab.
Gutes Geld wirkt kooperativ und kommunikativ, vereint Macht, Ethik und Fairness in sich und lässt uns als Medium unsere Leistungen und Errungenschaften mit Leistungen und Errungenschaften anderer tauschen, ohne darauf angewiesen zu sein, dass die Fertigstellung zum gleichen Zeitpunkt erfolgt.
Der Unternehmer-Privat-Sekretär ist der Fachmann für GÜTE, Geld und G.E.L.D..
Darüber hinaus ermöglicht Geld:
Schöpferische Zerstörung aller überholten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Überzeugungen, wie bei der „Koperikanischen-Wende”, für alles, das keinen Bezug zur Wahrheit im Sinne der Natur-Gesetz-Mäßigkeiten hat – dem Grunde nach also lediglich zeitgemäße Meinungen waren, die einer modernen Überprüfung JETZT nicht mehr standhalten – sowie die Postkutsche von gestern ist.
Die Kopernikanische Wende – Heliozentrischen Weltbild – fand ihren Anfang beim griechischen Astronomen Aristarchos von Samos und Seleukos von Seleukia. – ca. 1800 Jahre später!
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Mythos Geld_I
Das Wesen des Geldes (1923)
Lansburgh, Alfred (1923): Das Wesen des Geldes, Berlin: Bank-Verlag, 1923
(Argentarius: Briefe eines Bankdirektors an seinen Sohn)
Inhaltsverzeichnis
I. Teil: Vom Gelde
1. Brief
Two nations – Das Verbrechen der Unkenntnis
2. Brief
Wirtschaftsverkehr ist Tauschverkehr – Tauschverkehr bedingt Kredit – „Kredit“ und „Geld“
3. Brief
Das Geld ein Recht – Gibt es „zu wenig Geld“? – Der Staat und das Geld
4. Brief
Hat das Geld einen Eigenwert? – Wirkliches Geld und Scheingeld.
5. Brief
Das „Geld“ und die „Geldzeichen“ – Die Wanderung des Geldes – Das unsterbliche Geld
6. Brief
Geburt des Geldes – Hebammendienst des Staates – Geld und Gold
7. Brief
Die vielen Güter und das wenige Geld – Nutzlauf, Leerlauf und Preis – Produktionsstärke und Geldmenge
8. Brief
Arbeitendes und ruhendes Geld – Die Zinsprämie – Produktion und Konsum
9. Brief
Die Voraussetzung des Geldmarkts – Die Güterbezugsrechte und die dritte Hand
10. Brief
Das Prinzip der Notenbank – Der „Goldwahn“ – Geldmenge und Dritteldeckung – Notenbank und Konversionskasse
11. Brief
Der bargeldlose Zahlungsverkehr – Das „Giralgeld“ – Unsichtbare Inflation
12. Brief
Wirkungen der Geldverschlechterung – Inflation und Moral – Ausstrahlungen der Währung und Wirtschaftsleben
II. Teil: Valuta
1. Brief
Das wirtschaftliche Einmaleins – Außenwert und Binnenwert des Geldes – Abnormitäten
2 Brief
Der internationale Tauschverkehr – Die Ware als Weltgeld – Der Platzhalter-Dienst des Wechsels
3. Brief
Das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz – Die Weltware „Gold“ – Das Gold und seine drei Eigenschaften
4 Brief
Goldwährung und Papierwährung – Gold, Wechsel und Zahlungsbilanz – Die „kurze Golddecke“
5. Brief
Generalgut „Ware“ und Spezialgut „Gold“ – Preis, Zins und Arbitrage
6. Brief
Ist das Gold entbehrlich? – Ausgleichung der Zahlungsbilanz auf technischem Wege – Goldwährung und Galgenwährung
7. Brief
Zahlungsbilanz und Notenbank – Diskont-, Gold-, Devisen- und Reserve-Politik
8. Brief
Noch einmal der „Goldwahn“ – Gold, Papier und Valuta
9. Brief
Binnenwert und Außenwert des Geldes – „Geldwert mit doppeltem Boden“ – Das Fakturieren in Auslandswährung
10. Brief
Zahlungsbilanz und Reparation – Valuta und Finanzpolitik
11. Brief
Valuta und „Dumping“ – Antidumping-Maßnahmen
12. Brief
Zurück zur Goldwährung? – Zweckmäßigkeit und Möglichkeit der Rückkehr
III. Teil: Die Notenbank
1. Brief
Begriff und Entstehung – Girobank und Notenbank – Metallquittung – Banknote
2. Brief
Der Aufgabenkreis der Notenbank – Legitime Funktionen – Der Ersparnis-Gedanke und der Nothelfer-Dienst
3. Brief
Die „Elastizität“ der Währung – Der Warenwechsel als Inder – Ein falsches Prinzip
4. Brief
„Banking theory“ und „Currency theory“ – Zahlungsbilanz und Geldelastizität – Schatzwechsel und Privatwechsel
5. Brief
Die Unbegrenztheit des „legitimen Geldbedarfs“ – Anlagekredit oder Betriebskredit? – Zwiespältige Bankpolitik
6. Brief
Geldersatz und Geldzusatz – Kreditkrisis – Der „berechtigte“ Kreditanspruch
7. Brief
Der dreifache Damm gegen Inflation – Diskontpolitik – Direkte oder indirekte Abwehr?
8. Brief
Die Dritteldeckung – Wirtschaftsgesetze, Staatsgesetz und Bankpolitik – Das „Giralgeld“
9. Brief
Zentralbank oder Vielbanken – Metamorphose der Banknote – Das „Einreservesystem“
I. Teil: Vom Gelde
1. Brief
Two nations – Das Verbrechen der Unkenntnis
Berlin, in der Silvesternacht 1920/21.
Mitternacht. Draußen, lieber James, läuten die Sylvesterglocken wieder einmal ein tolles Jahr zu Grabe. Ein weihevoller Moment für die Menschen, die sich die Stunden ihrer inneren Erhebung vom Kalender vorschreiben lassen. Disraelis „two nations“, die beiden großen Völker, in die jeder sogenannte Kulturstaat sich spaltet, leben in diesem Augenblick ihr Dasein doppelt intensiv. Der Reichtum steigert sein Wohlleben in Wein, Tanz und Spiel bis zum Rausch; ich blicke ihm von meinem Arbeitszimmer aus in die festlich blitzenden Fenster. Die Armut, die ich nicht sehe, weil sie sich in weit entfernten Stadtvierteln zwischen ihre kahlen vier Wände verkriecht, bringt dem neuen Jahr das schuldige Opfer, indem sie die Tränen des Alltags doppelt reichlich fließen lässt.
Ich selbst habe, wie Du weißt, keinen Sinn für Feierlichkeit. Aber ganz kann ich mich der Magie der Sylvesternacht dennoch nicht entziehen. Sie zwingt mich zur inneren Sammlung, zur geistigen Einkehr, und manche unklare Empfindung in mir nimmt feste, scharf umrissene Gestalt an.
Ich sehe mich gleichsam auf dem schmalen Grat stehen, der die beiden großen Völker in unserem Vaterlande trennt, die Tanzenden hier, die Weinenden dort. Und indem ich hinunterblicke in dieses zweigespaltene Leben und Treiben, ist es mir, als könnte ich deutlich alle Hebel und Räder des großen Mechanismus erkennen, der die sozialen Verhältnisse der Länder und Kontinente bestimmt und der dem profanen Auge meist verborgen bleibt. Mein von der Weihe des Moments geschärfter Blick übersieht die wirtschaftlichen Gesetze, die Reichtum und Armut entstehen, anwachsen, Stillstehen oder abnehmen lassen. Ich sehe, wie unter bestimmten Voraussetzungen die Scheidewand zwischen dem Volk der Besitzenden und dem der Besitzlosen sich hebt oder senkt. Und mit erschreckender Klarheit drängt es sich mir auf, wie verhängnisvoll jene ewigen Wirtschaftsgesetze gerade in dem eben abgelaufenen Jahre wirksam gewesen sind: Um ein ungeheures Stück hat sich die schroffe Scheidewand zwischen den beiden Völkern eines und desselben Landes erhöht. In verdreifachter Menge fließen diesseits die Tränen, jenseits der Wein. Und zugleich mit der Scheidewand wächst aus; dem uralten Groll der beiden Völker, die einander niemals verstehen werden, ein ungeheurer Hass empor, der eines Tages die Kulturwelt in Trümmer legen wird, wenn man seine Ursachen nicht noch rechtzeitig beseitigt.
In dieser klaren Erkenntnis, die ich aus dem Klange der Sylvesterglocken schöpfe, setze ich mich an meinen Schreibtisch, um mich mit Dir, mein lieber James, wieder einmal auszusprechen. Ich habe in dieser Stunde den Entschluss gefasst, den Faden von Neuem aufzunehmen, den ich vor Jahren habe fallen lassen; die instruktiven Briefe, die ich Dir vor dem Weltkriege gesandt habe, sollen ihre Fortsetzung finden. Docendo discimus: Wer andere belehrt, lernt selbst. Ich will mir über manche Dinge klar werden, indem ich mich zwinge, sie Dir klarzumachen. Und umgekehrt ist es meine väterliche Pflicht, das Wissen, das ich in jahrzehntelanger Berufstätigkeit gesammelt habe, so vollständig wie möglich auf Dich, den Sohn, zu übertragen. Es stände manches besser in der Welt, wenn jede Generation es mit dieser Pflicht ernst nehmen würde, und wenn es selbstverständlich wäre, daß die Summe der väterlichen Kenntnisse regelmäßig das Wissens-Fundament des Sohnes bildete, dem dieser dann ein neues Stockwerk für seine eigenen Nachkommen hinzuzufügen hätte. Auf diese Weise entsteht ein Erbbesitz von Kenntnissen, der gleich wertvoll für den Einzelnen wie für die Gesamtheit ist. Wohl dem Staate, der die Gewissheit hat, daß in jedem Angehörigen eines bestimmten Berufs sich die Summe der Erfahrungen seiner Vorfahren verkörpert! Er findet überall gefestigte Traditionen vor und weiß ohne Weiteres, wo er seine Regenten, seine Diplomaten, seine Offiziere, seine Richter und seine Beamten zu suchen hat. Er braucht nicht zu experimentieren und die Klassen durcheinanderzuschütteln. Ich weiß sehr wohl, mein Sohn, daß dies Deinen freiheitlichen Anschauungen nicht entspricht, und mache keinen Versuch, Dich zu bekehren. Die Bekehrung kommt von selbst, wenn Du erst in meinen Jahren bist. Dann wirst Du die tiefe Weisheit des altägyptischen und indischen Kastenprinzips ahnen, das jeden Menschen da belässt, wo er wurzelt, wo er die seiner Konstitution entsprechenden Daseinsbedingungen vorfindet und dem Ganzen mit seiner ausgeglichenen Person am besten nutzt.
Du bist der Sohn eines Bankdirektors und selbst künftiger Bankenleiter. Es würde auf mich zurückfallen, wenn Du das Instrument, das ich Dir eines Tages anvertrauen werde, dieses volkswirtschaftlich so hochwichtige Instrument, stümperhaft handhaben solltest. Wer eine Bank leiten will, muss vor allen Dingen wissen, was eine Bank ist; muss wissen, welche Rolle das Bankwesen eines Landes innerhalb der nationalen Gesamtwirtschaft spielt muss sich bewusst sein, daß bestimmte Funktionen der Banken nicht nur ganz bestimmte ökonomische Wirkungen, sondern auch einschneidende soziale und politische Folgen haben. Das alles erkennt aber nur Derjenige, der die Gesetze des Kapitalmarkts beherrscht, der genau weiß, unter welchen Bedingungen die Produktivität eines Landes sich zu Kapital verdichtet, und wie die einzelnen Verwendungsarten des Kapitals auf die Produktivität des Landes zurückwirken. Hier hat der Mechanismus des arbeitenden Volksganzen seine eigentliche Triebfeder, hier entscheidet sich das wirtschaftliche Geschick des Staates, hier liegt der soziale Keim, der eine und dieselbe Nation in zwei feindliche Völker auseinandersprengt. Es gibt nur einen Weg, mein Sohn, der zur vollen Klarheit hierüber führt, und am Ausgangspunkt dieses Weges steht das Geld. Wenn es heute so wenig Leute, auch unter meinen eigenen Kollegen, gibt, die das tief Innerste Wesen und Wirken des Kapitalmarkts und der ihn dirigierenden Banken erfassen, so liegt das einzig und allein daran, daß es um die Kenntnis vom Gelde heute so bitterböse bestellt ist.
Bis vor ein paar Jahren hat sich außer den wenigen Fachgelehrten niemand mit dem Geldwesen beschäftigt, und diejenigen, die es getan haben, sind im rein Theoretischen und Abstrakten stecken geblieben. Ganz erklärlich: Es hat ja seit Jahrzehnten an einer zwingenden Veranlassung gefehlt, sich mit dem höchst konkreten Gelde, das lebendig durch alle Märkte pulsiert, eingehender zu beschäftigen. Wie die beste Frau diejenige ist, von der man am wenigsten spricht, so ist vor dem Kriege auch vom Gelde deshalb so selten gesprochen worden, weil es in allen Kulturländern brav und bieder seine Schuldigkeit tat. Das Geld war eine Selbstverständlichkeit, von der man nicht viel Worte zu machen brauchte. Sogar die Nationalökonomen, für die es eigentlich nichts Selbstverständliches gibt, ließen sich von der Hausfrauentugend des Geldes täuschen. Ihre neueren Schulen stellten Theorien auf, die man nur mit Kopfschütteln lesen konnte, wenn man sich der berühmten Assignaten aus der französischen Revolution und der sonstigen Jugendsünden erinnerte, die das brave Geld auf dem Gewissen hatte.
Die maßgebende Ansicht vor dem Kriege war, daß das Geld eine reine Zweckmäßigkeitseinrichtung des Staats sei, etwa wie die Polizei und das Paßwesen, nützlich, aber nicht unentbehrlich. Man könne mit Geld wirtschaften aber auch ohne Geld. Auf seine äußere Gestalt und seinen inneren Wert komme es absolut nicht an. Der Staat sei souveräner Herr über das Geld, das er aus jedem Stoff, den er für geeignet halte, und in jeder Menge, die er als erforderlich erachte, herstellen könne. Auch du, lieber James, hast damals das Geld für nichts anderes als ein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung, oder, was in diesem Falle dasselbe ist, der staatlichen Willkür gehalten. Ich habe Dich trotz aller Bemühungen keines Besseren belehren können. Du wolltest genauso wenig wie die Anderen einsehen, daß der Staat im Grunde gar nichts mit der Entstehung des Geldes zu schaffen hat, und daß er, wenn er sich dennoch schöpferisch betätigt, das Geld fast regelmäßig ruiniert.
Inzwischen hat sich in ganz Europa, und nicht zuletzt in Deutschland, die allgemeine Unkenntnis in Gelddingen furchtbar gerächt. Vom Gelde ausgehend haben soziale Umwälzungen stattgefunden, die sich eines Tages vielleicht noch folgenschwerer erweisen werden als die politischen Veränderungen, die der Weltkrieg hervorgerufen hat. Große Ursachen, kleine Wirkungen: Auch Dein Unglaube ist erschüttert worden. Das Samenkorn meiner Belehrung fällt heute auf empfänglicheren Boden als noch vor zwei Jahren. In einem Deiner letzten Briefe bittest Du mich selbst, ich möchte Dir ein Fensterchen öffnen, durch das Du einen Einblick in den verborgenen Mechanismus des Geldwesens gewinnen könntest. Nun, ich will versuchen, Dir das Fenster so weit aufzutun, daß Du das gewaltige Gebäude des Geldverkehrs vom Fundament bis zum Giebel übersehen kannst. Der Weg soll der altgewohnte sein: In einer Reihe von Briefen werde ich Dich etappenweise durch die Gebiete des Geldes, des Kredits, des Kapitals und des Bankwesens führen, bis Du die großen Zusammenhänge zwischen ihnen erkennst und damit den Ausgangspunkt gewinnst, von dem aus Du durch eigenes Nachdenken den Weg in das Innere der einzelnen Teilprobleme findest. Und zwar sollen die Briefe schnell aufeinanderfolgen, denn es eilt mir mit der Belehrung nicht minder wie Dir mit dem Lernen.
Warum? Weil ich müde bin, lieber James, weil ich bald abdanken will. Ich bin ein Mann der alten Schule und passe nicht in die neue Zeit. Arbeit, Pflichtbewusstsein und Disziplin – Du weißt, daß ich ohne diese drei Elemente nicht wirken kann. Kleine Konzessionen habe ich selbstverständlich oft machen müssen; lieber Himmel, ich bin ein Bankdirektor! Aber die Wirtschaft, an deren Fortentwicklung ich mitarbeiten soll, muss als solche einigermaßen gesund sein. Das große Weltgesetzbuch, das richtig verstanden und angewandt alle Spezialgesetze entbehrlich macht, – ich meine das Zweitafelgesetz vom Berge Sinai – muss auch im Wirtschaftsleben respektiert werden. Das ist heute nicht der Fall. Wir leben im Zeitalter des organisierten Diebstahls; eines so raffinierten Diebstahls, daß der Geschädigte kaum merkt, wie er bestohlen wird, und der Dieb seine Finger gar nicht zu beschmutzen braucht, um fremdes Gut an sich zu bringen. Der Vorgang, der das Eigentum vogelfrei macht, erscheint dem einfältigen Auge als eine elementare, dem menschlichen Einfluss entrückte Schicksalsprüfung, die man gottergeben hinzunehmen hat. Nur wenige ahnen, daß das vermeintliche Naturereignis in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein roher Willkürakt der Menschen, den man frevelhaft nennen müsste, wenn hier nicht Christi Wort gälte: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie wissen es wirklich nicht, weil sie nicht wissen, was Geld ist. Es klingt wie eine Profanierung, aber es ist so. Die Unkenntnis vom Gelde wird hier tatsächlich zur epidemischen Unmoral.
Daß inmitten dieses Hexensabbats das Bankgewerbe unfreiwillig im Reigen der Profitierenden mittanzt, widert mich am meisten an. Es scheint zwar eine Art Naturgesetz zu sein, daß die großen sozialen Krisen, in denen das Proletariat sich auf bäumt, die fettesten Tage für das Kapital sind; niemals sind ja Riesenvermögen schneller entstanden als in der großen französischen Revolution. Aber die Banken sind meiner Meinung nach dazu da, der rechtswidrigen Neuverteilung des Eigentums entgegenzuwirken, nicht dazu, Helferdienste bei ihr zu verrichten. Mit Schrecken sehe ich, wie heute die Banken die „neuen Reichen“ noch reicher machen, indem sie ihnen ihre Mittel zur Verfügung stellen, nach dem Wort: „Wer da hat, dem wird gegeben“; und wie sie die Verarmten völlig verelenden lassen, indem sie ihnen den letzten rettenden Strohhalm, den Kredit, entziehen. Ich sehe, wie die Banken in der Not der Zeit Fett ansetzen, gleich Aalen im leichenüberfüllten Sumpf. Ich sehe, wie viele meiner Kollegen, statt praktische Rettungsarbeit zu verrichten, einer widerwärtigen Art geschäftigen Müßiggangs frönen, indem sie sich an dem nutzlosen Geschwätz der Utopisten beteiligen, die da glauben, nach wohldurchdachten Plänen eine funkelnagelneue Wirtschaft aufbauen zu können, damit aber nur verraten, daß sie das wirtschaftliche ABC nicht kennen. Mag sein, daß alles das unvermeidliche Begleiterscheinungen unserer Zeit sind, und daß in diesem Punkte die Jahre nach den großen Kriegen und Revolutionen einander notwendig gleichen. Mich widert es jedenfalls an. Ich habe Sehnsucht nach jenen harmlosen Tagen, in denen es zu den größten Verbrechen zählte, wenn eine Bank einmal einen erlittenen Verlust in ihrer Bilanz verschwinden ließ oder die Beschlüsse einer Generalversammlung zu ihrem eigenen Nutzen beeinflusste. Quel bruit pour une omelette! Wie wichtig nahm man den Kleinkram! Heute vollziehen sich wirtschaftliche Verbrechen von unermesslicher Tragweite unerkannt und ungesühnt, begleitet von einem melodischen Redestrom einschläfernden Unsinns.
Also nicht lange mehr, und ich lege das Steuer in Deine Hand, lieber James. Deine Spezialkenntnis des Bankwesens im technischen Sinne ist zwar noch ziemlich klein, aber sie reicht nach Lage der Dinge für die Leitung einer Großbank aus. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Du wirst später sehen, wie wahr das Wort ist. Dem Bankdirektor, der ja fast immer ein Gebender ist, öffnen sich bereitwillig alle Quellen des technischen, kaufmännischen und finanziellen Wissens. Jeder Industrielle, jeder Großhändler, jeder internationale Geschäftsvermittler, jeder Finanzminister eines geldbedürftigen Staats, kurz jeder, der das Geld Deiner Bank benötigt, wird, ohne es zu wissen, Dein Lehrmeister. Die sechzig Aufsichtsratsstellen, die ich Dir allmählich abtreten werde, bedeuten für Dich in geistiger Beziehung fast noch mehr als in materieller eine große Einnahmequelle. Und für die Detailkenntnisse sind Deine Beamten da.
Aber in einem Punkte bedarf unbedingt Dein intellektuelles Rüstzeug noch der Ergänzung: Du musst wissen, auf welchem Instrument Du spielst. Wer mit Millionen und Milliarden manipulieren will, muss wissen, was Geld ist. Wer eine Bank leitet, das heißt am Schaltbrett der nationalen Energien steht, muss den Strom kennen, den der Druck seiner Hand auslöst, muss wissen, wie dieser Strom sich über die Wirtschaft verteilt, und wie er innerhalb derselben wirkt. Man kann zwar das Schaltbrett auch mit äußerlicher Routine bedienen, ohne mehr als die unmittelbar sichtbaren Wirkungen zu übersehen. Aber wenn dies allgemein geschieht, wenn alle großen Banken von Männern mit Scheuklappen geleitet werden, treibt die Wirtschaft in Katastrophen hinein.
Du sollst also, mein lieber Sohn, den Mechanismus begreifen, vor dem Du in nicht ferner Zeit stehen wirst. Ich kann Dir allerdings nur die Grundlage, sozusagen den logischen Knochenaufbau liefern, den Du mit dem Fleisch Deines eigenen Nachdenkens umkleiden musst; keine Eselsbrücke zur praktischen Auflösung der in Deinem künftigen Beruf vorkommenden Rechenexempel. Trotzdem wird diese geistige Erbschaft, die Du schon bei meinen Lebzeiten antrittst, vielleicht der wertvollste Teil meiner ganzen Hinterlassenschaft sein. Und das will bei einem Bankdirektor, der zwei fette Revolutionsjahre mitgemacht hat, immerhin etwas besagen.
In Liebe
Dein alter Papa.
2. Brief
Wirtschaftsverkehr ist Tauschverkehr – Tauschverkehr bedingt Kredit – „Kredit“ und „Geld“
Berlin, am 2. Januar 1921.
Wie kommt es, lieber James, daß die Menschen unter denen sich doch auch kluge, selbständig denkende Leute befinden, das Wesen des Geldes so schwer ergründen können? Ich glaube, es kommt daher, daß sie von Kindesbeinen auf mitten im Gelde leben, zu eng mit ihm verwachsen sind und daher nicht die nötige Distanz zu ihm finden. Das Geld verrichtet eine bestimmte Funktion im täglichen Leben, nämlich die Punktion des Kaufens und Bezahlens, mit solcher Selbstverständlichkeit, daß man nur schwer von der Vorstellung loskommt, das Geld und die Punktion seien ein und dasselbe. Und der Sprachgebrauch bestärkt uns in dieser Vorstellung. Wenn wir einen gewissen Dickhäuter mit einem langen Rüssel „Elefant“ nennen, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein Elefant nichts anderes als dieser gewisse Dickhäuter mit dem langen Rüssel ist. Und wenn wir alle Dinge, mit denen wir im Alltagsleben kaufen und bezahlen, „Geld“ nennen, so ist Geld natürlich nichts anderes als das Ding, das jeweils als allgemeines Kauf- und Zahlmittel dient. Ob es sich dabei um Goldmünzen oder papierne Scheine, um Salzbarren oder Kaurimuscheln handelt, ist gleichgültig, solange man nur in seinem Lande damit kaufen und bezahlen kann, denn alles, womit man das zu tun vermag, nennt der Sprachgebrauch „Geld“.
Hinter dieser allbekannten Punktion steckt aber ein verborgener Sinn, ein Gesetz. Ganz wie hinter dem Vorgang des fallenden Steins, des rollenden Rades bestimmte Naturgesetze stecken. Diesen Gesetzen kommt man nicht auf die Spur, solange man ein Rüsseltier Elefant, und den Elefanten ein Rüsseltier nennt, sich also begrifflich immer im Kreise dreht. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, was allen Vorgängen und Punktionen einer bestimmten Art gemeinsam, was das Typische in ihnen ist, so kommt man sehr schnell hinter ihre tiefere Bedeutung und hinter die Gesetze, denen sie gehorchen. Denke also, lieber James, jetzt einmal nicht an das Geld, das den Verkehr vermittelt, sondern überlege Dir, welchen Sinn der wirtschaftliche Verkehr zwischen den Menschen als solcher hat. Dann drängt sich Dir zunächst eine Beobachtung auf, die schon, viele Menschen vor Dir gemacht haben: daß nämlich dieser Verkehr genau genommen nur ein Tauschverkehr ist. So kompliziert unser Wirtschaftsleben auch aussieht, letzten Endes läuft es doch lediglich darauf hinaus, daß täglich zahllose Gegenstände für den Verbrauch hergestellt und zu diesem Zweck zwischen Herstellern, Händlern und Verbrauchern ausgetauscht werden. Wer auch immer eine Ware verkauft oder eine Leistung anbietet, immer kommt es ihm darauf an, andere Waren oder andere Leistungen dafür zu erhalten. Mache einmal die Probe. Blicke um Dich herum und prüfe, woraus sich das Vermögen Deiner Nachbarn zusammensetzt, das heißt, was sie für ihre Jahrzehnte lang geleistete Arbeit eingetauscht und aufgesammelt haben. Was siehst Du dann? Du siehst Häuser, Möbel, Kunstgegenstände. Ferner siehst Du Maschinen, Wagen, Schiffe. Endlich siehst Du Gegenstände des täglichen Bedarfs, nämlich Vorräte an Kleidung, Wäsche, Fleisch, Brot. Alle diese Dinge sind der wirkliche Gegenwert für die Waren, welche Deine Nachbarn verkauft, und für die Arbeit, die sie geleistet haben.
Bei vielen Leuten wirst Du allerdings auch Vermögensbestandteile unkörperlicher Natur sehen, die von ganz besonderer Art zu sein scheinen, nämlich Aktien, Obligationen, Hypotheken und ähnliche Dokumente. In Wirklichkeit unterscheiden sich diese Vermögensteile aber in nichts von den konkreten Gegenständen. Jede Aktie, jede Obligation, jede Hypothek stellt höchst körperliche Häuser, Maschinen, Wagen oder Vorräte vor, die sich irgendwo befinden, und die den Gegenwert der vom Aktionär oder Obligationär verkauften Waren oder geleisteten Arbeit bilden. Nur daß diese Häuser, Maschinen usw. sich nicht im unmittelbaren Besitz des Aktionärs oder Obligationärs befinden. Statt ihrer hat sie irgend ein Dritter im Besitz oder in der Verwaltung, und Jene haben einen entsprechenden Anspruch an ihn, der in den Aktien, Obligationen und sonstigen Dokumenten verbrieft ist. Der Sprachgebrauch nennt einen solchen Anspruch „Kapital“ und das jährliche Entgelt, das der Verwalter für die Überlassung der Häuser, Maschinen usw. entrichten muss, „Zins“. Auch bei diesem Zins, dem man aus Gründen der Bequemlichkeit meist in Geld auszudrücken pflegt, handelt es sich in Wirklichkeit immer nur um Güter eines bestimmten Werts, die der Empfangsberechtigte zu erhalten wünscht, und es kommt oft genug vor, daß man den Zins nicht in Geld, sondern in Naturalien festsetzt, auf dem Lande z.B. in Kartoffeln, Getreide oder Brennholz.
Es bildet also sachlich gar keinen Unterschied, lieber James, ob Du bei Deinem Nachbarn Häuser, Maschinen und Vorräte, oder Aktien und Schuldverschreibungen vorfindest. In dem einen Fall verwaltet der Eigentümer die Gegenstände, die er nach und nach gegen seine Waren und Leistungen eingetauscht hat, selbst, im an dem Fall verwaltet sie ein Dritter für ihn. Auf welche Länder und auf welche Volkskreise Du Deine Untersuchung auch erstreckst, sobald Du auf den Grund gehst, wirst Du stets finden, daß Waren und Leistungen nur in der Absicht hingegeben werden, andere Waren und andere Leistungen dagegen einzutauschen. Die Wirtschaft unserer Tage beruht also, ganz wie die der grauesten Vorzeit, auf dem Tauschverkehr. Sie wirkt nur deshalb etwas kompliziert, weil ein so wirres Durcheinander von Eigentümern, Verwaltern, Darlehnsgebern und Darlehnsnehmern herrscht, die sich die eingetauschten und einzutauschen Güter wie Federbälle zuwerfen; mit anderen Worten, weil sich das Element des Kredits in unserer Zeit so breit macht.
Bei diesem Element müssen wir ein wenig verweilen, mein Junge, denn wir haben es hier mit dem wichtigsten aller Wirtschaftsfaktoren und – um es Dir jetzt schon zu verraten – einem nahen Verwandten des Geldes zu tun. Ich habe eben gesagt, daß der Kredit den modernen Verkehr kompliziert, und daß man ihn daher nicht immer als den Tauschverkehr erkennt, der er in Wirklichkeit ist. Da könntest Du mich nun fragen: Warum schilderst Du mir denn nicht die Verkehrsvorgänge in einem Lande, in dem man den Kredit, diesen vertrackten Störenfried, nicht kennt, und in dem sich daher die Tatsache des Tauschs von Ware gegen Ware unverhüllt in nackter Augenfälligkeit zeigt? Antwort: Weil es ein solches Land nicht gibt und nie gegeben hat. Der Kredit ist genauso alt wie der menschliche Wirtschaftsverkehr und lässt sich nicht aus ihm fortdenken. Nicht einmal in einem Kraal von Menschenfressern, geschweige denn in der zwar vorgeschichtlichen, aber im Allgemeinen wohlorganisierten Herdenwirtschaft unseres Erzvaters Abraham kann oder konnte man ohne den Kredit auskommen. Es gibt nur eine einzige Voraussetzung, unter der die Wirtschaft dieses wichtigste aller Hilfsmittel entbehren oder, besser gesagt, so umgestalten kann, daß es nicht mehr als Kredit empfunden wird. Diese Voraussetzung ist – aber ich will nicht vorgreifen.
Ich weiß, mein Lieber, daß Du ein ungläubiger Thomas bist, und vermute daher, daß Du an die Unentbehrlichkeit des Kredits noch nicht so recht glaubst. Stimmt das? Falls es tatsächlich so sein sollte, möchte ich Dich bitten, Dir einmal den Verkehr in einem ganz primitiven Negerstaat Innerafrikas vorzustellen. Die Einwohner dieses Staats müssen von irgendetwas leben, das siehst Du doch ein? Ein Teil der Bevölkerung geht also auf die Jagd, um Fleisch zu beschaffen; ein zweiter Teil treibt Viehzucht der Milch wegen; ein dritter Teil baut Mais, der arbeitsfähige Rest, soweit er nicht zur Leibgarde des Häuptlings gehört, schüttelt Kokosnüsse, schneidet Bambusrohr und Palmblätter zum Hüttenbau oder holt Wasser aus der nahen Oase. Eine noch primitivere Wirtschaftsführung ist wohl kaum denkbar. Nun stelle Dir, Hirte, folgenden alltäglichen Verkehrsakt vor: Ein Viehzüchter, der über nichts anderes als seine Herde Zeburinder verfügt, braucht verschiedene Gegenstände, und zwar einige Palmblätter zum Ausbessern seines Viehstalles, etwas Mais für das tägliche Brot und Wasser für seine Kühe. Wie kommt dieser Kauf zustande? Der nächstliegende Weg, der des glatten Tausches, ist in diesem Falle nicht gangbar, denn jedes Stück Vieh, das der Viehzüchter in Tausch geben kann, ist hundertmal mehr wert als die Palmblätter, der Mais und das Wasser. So viel Palmblätter, Mais und Wasser, wie auf ein Rind kommen, haben die Verkäufer gar nicht vorrätig, und wenn sie es hätten, was sollte wohl der Viehzüchter mit diesen Mengen beginnen? Zum mindesten das Wasser würde schon nach ein paar Tagen verdorben sein. Es bleibt daher den Parteien, wenn sie zum Abschluss kommen wollen, nur der Ausweg übrig, daß eine der anderen den Gegenwert ihrer Leistung stundet. Entweder liefern der Palmensucher, der Wasserträger, der Maisbauer ihr geringes Produkt dem Viehzüchter zunächst ohne Gegenleistung, wobei sich dieser verpflichtet, seinen Bedarf laufend bei ihnen zu decken, und später, wenn die Lieferungen von Palmblättern, Wasser und Mais einen entsprechenden Wert erreicht haben, die ganze Schuld auf einmal durch Hergabe von Rindern abzutragen; oder aber der Viehzüchter liefert dem Palmensucher, dem Wasserträger und dem Maisbauer je ein Rind, wogegen diese sich verpflichten, ihn nach Bedarf mit ihren Produkten zu versehen, und zwar solange, bis der Wert der Produkte den Preis eines Rindes erreicht hat. In beiden Fällen gewährt die eine Partei der anderen – Kredit.
Kredit im täglichen Verkehr zwischen Wilden? Wo es doch selbst im hochentwickelten Rechtsstaat kaum denkbar erscheint, daß im Marktverkehr, der sich aus unzähligen kleinen Käufern und Verkäufern zusammensetzt, jeder Einzelne jedem Einzelnen Kredit gewähren könnte!? Der Einwand liegt sehr nahe, lieber James, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber sage mir bitte selbst, wie Du Dir den Warenaustausch in einem primitiven Lande sonst denkst. Tatsache ist doch, daß hier genau wie im Kulturstaat nur höchst selten zwei tauschende Parteien im Besitz absolut gleichwertige Güter sein werden. Tatsache ist ferner, daß selbst in dem seltenen Falle der Wertgleichheit die auszutauschenden Güter nicht in einem und demselben Moment zur Verfügung stehen werden. Soll beispielsweise ein schlachtreifes Schwein gegen eine Tonne Roggen ausgetauscht werden, so kann das Schwein im Winter, der Roggen aber erst im Sommer, nach der Ernte, hergegeben werden. Fast bei jedem Tausch, der zustande kommt, wird somit ein Rest bleiben, der gestundet werden muss, wird also eine Partei der andern Kredit einzuräumen haben. Wo solch Kredit grundsätzlich verweigert wird, kann ein wirtschaftlicher Verkehr nicht aufkommen, gleichviel, ob es sich um einen hochentwickelten Kulturstaat oder um einen primitiven Hottentottenkraal handelt.
Ich sehe hier förmlich, wie Du ärgerlich die Achseln zuckst, um dadurch auszudrücken: Taktisch findet doch aber in der ganzen Welt ein reger Marktverkehr statt, obwohl nirgends die kaufenden oder tauschenden Parteien daran denken, sich gegenseitig Kredit einzuräumen. Irrtum mein Lieber, ein schwerer Irrtum! Du hast Dir den Marktverkehr nicht gründlich genug angesehen. In Wirklichkeit hat sich in der ganzen Welt das Prinzip herausgebildet, dem Käufer einer Ware oder einer Leistung den Gegenwert zu stunden. Du selbst, mein Sohn, nimmst an jedem Tage zehnmal Kredit in Anspruch, freilich ohne es zu wissen, und ohne daß Deine Lieferanten sich dessen bewusst sind. Der Verkehr hat nämlich ein Mittel gefunden, um den Kredit der Verlustgefahr zu entkleiden, die seine allgemeine Anwendung sonst verhindern würde, und zwar auf die einfachste Weise: Jeder Verkäufer lässt sich von jedem Käufer ein Unterpfand bestellen. Weil das bei allen Tauschakten geschieht, und weil es uns daher in Fleisch und Blut übergegangen ist, mit einem Unterpfandezu zahlen und bezahlt zu werden, so sehen wir alle in dem Pfände eine definitive Gegenleistung und sind uns nicht mehr bewusst, daß diese Gegenleistung in Wirklichkeit gestundet, kreditiert worden ist. Wir sehen den Kredit nicht, der in jedem marktmäßigen Verkehrsakt steckt, weil es ein gefahrloser, gedeckter Kredit ist, den wir geben und nehmen, und weil die Deckung immer in einem und demselben Unterpfande besteht.
Es ist nämlich zur Verkehrssitte geworden – und zwar bei den Hottentotten genauso wie bei uns –, ein Normalpfand zu benutzen. Man überlässt es nicht den kaufenden Parteien, sich auf ein x-beliebiges Pfand zu einigen, sondern hat eine bestimmte, allgemein geschätzte, hinreichend vorhandene, leicht teilbare und zusammensetzbare, vor allem aber wertbeständige Ware zum landesüblichen Pfand ausersehen. Dieses Normalpfand, lieber James, nennt man Geld. Die Einführung des Geldes in den Verkehr ist jene vorhin von mir erwähnte einzige Voraussetzung, unter der die Wirtschaft beim Warenaustausch den Kredit zwar nicht entbehren, aber doch so sichern kann, daß er äußerlich nicht mehr als Kredit erscheint.
Ich entsinne mich, früher einmal, mit einem Kollegen, einem jener wenigen Bankdirektoren, die etwas vom Gelde verstehen, darüber gestritten zu haben, ob das Geld wirklich als ein „Pfand“ anzusehen sei. Mein Kollege stimmte zwar mit mir darin überein, daß das Geld an sich keine definitive Gegenleistung für eine verkaufte Ware oder einen geleisteten Dienst, sondern lediglich ein Instrument sei, das den kreditierten Anspruch auf die Gegenleistung sicherstelle. Er meinte aber, das Geld, das diesen Anspruch sichere, sei nicht ein „Pfand“ zu nennen, sondern eher eine „Anweisung“. Denn es verschaffe seinem Inhaber das Recht, Güter in Höhe eines bestimmten Werts aus dem Markte zu nehmen – zu „kaufen“ –, und es weise ihm somit diese Güter an. Daher brauche das Geld durchaus nicht aus einem wertvollen Gut, etwa aus Gold oder Silber zu bestehen. Das sei nur dann nötig, wenn es wirklich als ein vollwertiges Unterpfand von Hand zu Hand gehe, nicht aber, wenn es eine Anweisung auf Güter sei. Denn für eine Anweisung genüge es vollständig, wenn sie von einer Autorität, etwa der Staatsregierung oder einer großen Notenbank, ausgestellt sei. Auf ihren Stoff komme es absolut nicht an; Papier tue genau denselben Dienst wie Gold oder Silber.
Du siehst aus diesem Disput, lieber James, wie wichtig es unter Umständen sein kann, ob man das Geld als eine Pfandsicherheit ansieht, die den mit jedem Verkehrsakt verbundenen Kredit durch ihren Sachwert deckt; oder aber ob man es für eine Anweisung hält, in der irgend eine Stelle den Kredit bescheinigt und dem Kreditgeber das Recht attestiert, Güter entsprechenden Werts zu beziehen. Denn je nachdem man das Geld als ein vollwertiges Sachpfand oder als eine Anweisung der Obrigkeit ansieht, wird man das Metallgeld oder das Papiergeld als eigentliches Geld ansehen. Ich will mich aber heute bei dieser Streitfrage nicht aufhalten, weil es noch wichtigere, prinzipielle Fragen gibt als die, aus welchem Stoff das Geld bestehen muss. Du wirst das deutlich erkennen, wenn wir um einige Briefe weiter sein werden. Einstweilen brauchst Du Dir also den Kopf nicht darüber zu zerbrechen, ob Du im Gelde wirklich ein Unterpfand für gewährten Kredit zu erblicken hast. Unbedingt festhalten musst Du dagegen an folgenden Leitsätzen:
Im wirtschaftlichen Verkehr wird stets und ausnahmslos die eine Leistung gegen die andere getauscht. Dabei erfolgt aber nur die eine Leistung in der Gegenwart. Die andere erfolgt erst in der Zukunft. Bis zu diesem künftigen Zeitpunkt besteht ein Kreditverhältnis, nämlich ein Anspruch der einen Partei (des Verkäufers) auf die noch ausstehende Gegenleistung der anderen Partei (des Käufers). Dieser Anspruch wird durch ein Verkehrsinstrument gesichert, das man „Geld“ nennt. Das Geld tritt – gleichviel ob als Pfand oder als Anweisung – provisorisch an die Stelle der noch ausstehenden Gegenleistung. Es wird daher meist selbst als die Gegenleistung angesehen. Wie das Geld beschaffen ist, und wer es ausgegeben hat, ist grundsätzlich ohne jeden Belang. Es kommt nur auf eins an, und zwar darauf, daß das Geld seine Aufgabe, einen Güteranspruch sicherzustellen, vollkommen erfüllt. Tut es das, so ist es gutes, vollwertiges Geld, auch wenn es aus billigem Papier besteht. Erfüllt es die Aufgabe nicht, so daß der Inhaber seinen wohlerworbenen Güteranspruch ganz oder teilweise einbüßt, so ist es minderwertiges Geld, auch wenn es aus Metall hergestellt und von der höchsten Autorität im Staate auf Grund der geltenden Gesetze ausgegeben worden ist. Soviel für heute.
In Liebe
Dein alter Papa.
3. Brief
Das Geld ein Recht – Gibt es „zu wenig Geld“? – Der Staat und das Geld
Berlin, am 5. Januar 1921.
Einen Satz, mein lieber James, kannst Du Dir gar nicht fest genug in Deinen Verstand hämmern. Der Satz, der die Quintessenz meines vorigen Briefes ausmacht, lautet: „Geld ist die Verkörperung eines Güteranspruchs, der dadurch entstanden ist, daß jemand etwas geleistet, die Gegenleistung aber noch nicht erhalten hat.“ Oder kürzer: „Geld verkörpert den aus einer Leistung entstandenen Anspruch auf gleichwertige Gegenleistung.“ Dieser Satz ist das A und O der ganzen Geldlehre. Aus ihm ergibt sich alles, was über das Geld zu sagen ist, eigentlich von selbst. Würden nur alle Völker sich diesen harmlosen Satz einprägen und niemals gegen seinen Sinn verstoßen, so würde es in der ganzen Welt kein Geldelend und keine Valutafrage geben.
Sobald der Anspruch auf Gegenleistung, den jeder marktmäßige Güteraustausch zur Folge hat, durch das Geld gesichert wird, geht mit ihm eine äußerliche Veränderung vor sich. Du erkennst das sofort, wenn Du Dir einen konkreten Fall vorstellst. Denke Dir einen Arbeiter, der für 200 Mark Arbeit geleistet, das heißt, sich einen Anspruch auf Güter im Werte von 200 Mark erworben hat. Er hat diesen Anspruch bis zum Zahltage ausschließlich gegen seine Arbeitgeber. (Bis zum Zahltage gewährt jeder Arbeiter seinem Arbeitgeber „Kredit“). In dem Moment aber, wo dieser dem Arbeiter die 200 Mark auszahlt, fällt der Anspruch gegen ihn selbst fort. Die Beiden sind „quitt“. Dadurch ist aber nicht etwa auch der Anspruch an sich erloschen, vielmehr bleibt derselbe, im Gelde verkörpert, in der unveränderten Höhe von 200 Mark bestehen. Nur richtet sich der Anspruch jetzt nicht mehr gegen einen Einzelnen, den Arbeitgeber, sondern gegen die Gesamtheit, den Markt. Der Arbeiter kann die ihm für seine Arbeit zugesicherte Gegenleistung nunmehr einkassieren, wo und in welcher Form er will. Er kann sich beim Schuster ein Paar Stiefel, beim Kaufmann Lebensmittel und Zigarren, beim Gastwirt Bier kaufen. Erst wenn er das getan und seine 200 Mark ausgegeben hat, ist sein Güteranspruch erloschen. Dann erst ist der Zweck des Tausches erfüllt, den der Arbeiter mit seinem Arbeitgeber vorgenommen hat: er hat für seine Arbeitsleistung Stiefel, Lebensmittel, Zigarren und Bier eingetauscht. Der Empfang des Geldes war nur eine Zwischenstufe, die notwendig war, weil der Arbeitgeber die Waren, die der Arbeiter zu erhalten wünschte, nicht selbst hatte, weil es mithin einer Garantie bedurfte, daß der Arbeiter die durch seine Hände Arbeit verdienten Waren auch wirklich irgendwo erhielt.
Halte das recht fest, mein Sohn: Solange jemand für eine Leistung keinerlei Gegenwert, auch nicht in der Interimsform von Geld erhalten hat, besitzt er lediglich einen Anspruch an eine bestimmte Person, nämlich eine Forderung an den Empfänger seiner Leistung. Unser Arbeiter beispielsweise hat zunächst eine Forderung in Höhe von 200 Mark einzig und allein an seinen Arbeitgeber. Sobald aber derselbe Jemand Geld für seine Leistung erhalten hat, besitzt er eine Forderung an die Allgemeinheit. Unser Arbeiter hat jetzt einen Anspruch an den Markt, der ihm Stiefel, Lebensmittel, Bier, oder was der Arbeiter sich sonst aussuchen mag, bis zum Werte von 200 Mark liefern muss. Im ersteren Fall, d.h. solange der Leistende noch einen Anspruch an eine einzelne Person oder ein Guthaben bei dieser Person hat, nennt der Sprachgebrauch das Verhältnis zwischen den beiden Parteien ein Kreditverhältnis. Im zweiten Fall, wenn also der Leistende Geld erhalten hat, spricht man, obwohl sich in der Sache selbst eigentlich nichts geändert hat, nicht mehr von Kredit, sondern von Kaufkraft. Man sagt, der Geldempfänger könne am Markt eine so große Kaufkraft ausüben, wie in dem empfangenen Geldbetrag ausgedrückt ist. Streng genommen besteht aber auch jetzt noch ein Kreditverhältnis. Der Geldempfänger hat nach wie vor seine Forderung, nur daß er diese Forderung nicht mehr gegen eine einzelne Person, sondern gegen die Gesamtheit hat, die den „Markt“ ausmacht.
Wir sind jetzt so weit, lieber James, daß wir wissen, was das Geld seinem Wesen nach darstellt, und welches seine wichtigste Funktion ist. Um es kurz zu rekapitulieren: Das Geld stellt ein attestiertes Recht zum Bezuge von Gegenleistungen dar, denen entsprechende Leistungen vorangegangen sind, und seine Hauptfunktion besteht darin, diese Gegenleistungen von dem „Markt“ auf den Empfangsberechtigten zu übertragen. Aber damit sind wir noch immer sehr weit vom Ziel. Wir stehen noch vor einer ganzen Reihe ungelöster Fragen. Und zwar drängen sich uns vor allem drei Fragen auf. Erstens: Wie viel Geld, wie viel Kaufkraft muss in einem Lande existieren? Zweitens: Wie viel Marktware erhält man für das einzelne Geldzeichen, das heißt, welchen Wert hat das Geld? Und drittens: Wie entsteht das Geld? Im Grunde beantworten alle diese Fragen sich von selbst, sobald man im Gelde nur das sieht, was es ist, nämlich ein Bezugsrecht, und immer daran denkt, daß sich in ihm eine aufgeschobene Gegenleistung verkörpert. Da aber die menschliche Logik gern Seitensprünge macht, und jedes Abweichen vom geraden Wege hier unfehlbar zum Irrtum führt, so muss ich Dir beim Auffinden der eigentlich selbstverständlichen Antworten ein wenig helfen.
Also erstens: Wie viel Geld muss in einem Lande umlaufen? Hierüber sind bei den Volkswirten die merkwürdigsten Ansichten verbreitet. Die meisten von ihnen glauben, daß die Geldmenge in einem ganz bestimmten Verhältnis zur Güterproduktion stehen müsse, und daß daher mit zunehmender Produktion auch mehr Geld in Umlauf zu setzen sei; geschehe das nicht, so entstehe „Geldmangel“. Diese Auffassung, wie überhaupt jede Auffassung, die im Gelde einen planmäßig zu vermehrenden oder zu vermindernden Artikel sieht, ist grundfalsch. Sie ist genauso unsinnig, wie es etwa die Ansicht sein würde, man brauche nur die Eintragungen in die Grundbuchblätter und Häuser-Kataster im Lande zu vermehren, um die Wohnungsnot zu beseitigen. Man ist wohl imstande, greifbare Gegenstände, also Häuser und Wohnungen zu vermehren oder zu vermindern. Aber man kann kein abstraktes Recht verdoppeln oder halbieren. Und das Geld ist nichts anderes als ein attestiertes Recht. Es ist – man kann das gar nicht oft genug wiederholen – das Recht auf eine Gegenleistung, das sich jemand dadurch erwirbt, daß er seine eigene Leistung hingibt. Für den Arbeiter, der seine Arbeitsleistung zum vereinbarten Preise von 200 Mark hingegeben hat, bedeutet das Geld, das er dafür empfängt, nichts anderes als das Recht, sich den vereinbarten Gegenwert durch Einkäufen von Stiefeln, Lebensmitteln, Bier usw. zu beschaffen. Seine 200 Mark entsprechen genau der Gütermenge, auf die er sich durch seine Arbeit ein Anrecht erworben hat. Mit jedem Einkauf, den er macht, verringert sich sein Geldbestand, d.h. sein Anrecht auf Güter. Denn in der Höhe seines Einkaufs erhält er für seine Arbeitsleistung die entsprechende definitive Gegenleistung, wofür er natürlich die provisorische Gegenleistung, nämlich das im Geld verkörperte Recht zum Güterbezug, hergeben muss; genau wie Du im Theater Deine Garderobenmarke, Dein Recht zur Abhebung eines Mantels und eines Huts, in dem Moment einbüßest, wo Du die Sachen in Empfang nimmst.
Jeder Mensch, der einen Tauschakt vorgenommen, den Gegenwert, auf den er es abgesehen hat, aber noch nicht erhalten hat, besitzt Geld, das heißt ein beglaubigtes Recht zur Erhebung des Gegenwerts in natura. Und jedes Geldzeichen, das im Lande existiert, bedeutet, daß irgendjemand einen Gegenwert, auf den er einen Anspruch besitzt, noch nicht in Empfang genommen hat. Daher kann es eigentlich nie „zu viel“ und nie „zu wenig“ Geld geben. Es läuft immer genau so viel Geld in einem Lande um, wie Tauschakte zwar vorgenommen, aber nicht vollständig erledigt, sondern sozusagen noch in der Schwebe geblieben sind. Denn das Geld ist ja gerade die Bescheinigung, daß ein Tauschakt erst zur Hälfte durchgeführt worden ist, weil der zum Empfang der Gegenleistung Berechtigte diese noch nicht in Händen hat; es ist zugleich das Rechtsdokument, das seinen Inhaber zum Bezuge der Gegenleistung legitimiert. Da somit die Geldmenge im Lande immer genauso groß sein muss, wie die Summe aller noch nicht in Anspruch genommenen Gegenleistungen, so vermag ich beim besten Willen nicht einzusehen, wie man die Geldmenge von Staats wegen vergrößern oder verkleinern kann. Jedes willkürlich neugeschaffene Geldzeichen bedeutet ja einen Rechtstitel zum Bezuge einer Gegenleistung, obwohl niemals eine Leistung stattgefunden hat, die sie rechtfertigt. Es bescheinigt einen in der Schwebe gelassenen Tauschakt, der in Wirklichkeit gar nicht vorgenommen worden ist, und ist daher gewissermaßen eine Fälschung. Umgekehrt bedeutet jede willkürliche Verringerung des Geldumlaufs, jede Vernichtung von Geldzeichen, eine Annullierung von wohlerworbenen Rechten auf Gegenleistung und somit einen Gewaltakt.
Ich möchte fast mit Dir wetten, lieber James, daß ich den Einwurf kenne, den Du hier machen willst. „Wenn der Staat neues Geld schafft, so ermöglicht er dadurch eine große Zahl neuer Tauschakte. Tausende, die vorher nicht kaufen konnten, können es jetzt. Es entsteht eine Nachfrage am Markt, welche die Erzeuger zwingt, mehr Güter herzustellen, welche also die nationale Produktion hebt. Der vermehrten Geldmenge steht alsdann eine vermehrte Gütermenge gegenüber, so daß der im neuen Geld verkörperte Anspruch vollauf befriedigt werden kann.“ Habe ich Recht? Ist das nicht Dein Gedankengang? Wenn nicht, so ist es doch die landläufige Argumentation, und da sie außerordentlich bestechend klingt, werde ich mich wohl oder übel mit ihr auseinandersetzen müssen.
Machen wir uns die Sache einmal an einem praktischen Beispiel klar: Ein Staat, in dem eine Million Geldzeichen zirkuliert, gibt aus irgendwelchen Gründen eine weitere Million aus. Er stellt also Anrechtsscheine aus, die genau wie die bereits umlaufenden Geldzeichen zum Bezuge von Gütern berechtigen. Frage: zum Bezuge welcher Güter? Antwort: zum Bezuge aller Gattungen; es steht völlig im Belieben der Empfänger des neuen Geldes, welche Güter sie auf dem Markt damit kaufen wollen. Wir stehen also vor der Tatsache, daß ein bestimmtes Quantum von Marktgütern, das bis dahin noch keine Veränderung erfahren hat, plötzlich einer doppelt so großen Nachfrage gegenübersteht, weil die alten und die neuen Geldzeichen das in ihnen verkörperte Bezugsrecht geltend machen. Es entsteht gewissermaßen eine Konkurrenz um die Güter. Das muss natürlich seine Folgen haben. Es ist eine alte, noch niemals bestrittene Erfahrungstatsache, daß bei doppelter Nachfrage und gleichbleibendem Angebot die Preise der Waren steigen. Die Verdoppelung der Geldzeichen führt also dazu, daß die Marktgüter teurer werden. Wie groß der Preisaufschlag ist, das bildet eine wissenschaftliche Streitfrage. Wir wollen der Einfachheit halber annehmen, daß die verdoppelte Nachfrage zu einem verdoppelten Preis führt. Das Resultat der Geldvermehrung ist mithin, daß jeder Inhaber alten Geldes bei seinen Einkäufen das Doppelte bezahlen muss wie früher.
Hier höre ich wieder einen Zwischenruf: „Das stimmt nicht! Die neue Nachfrage reizt durch die steigenden Preise ja die ganze Produktion zu erhöhter Tätigkeit. Infolgedessen erscheinen sofort neue Gütermengen am Markt, die der verstärkten Nachfrage ein verstärktes Angebot gegenüberstellen und die steigenden Preise wieder herunterdrücken.“ Der Zwischenruf ist nicht ganz unberechtigt. Es kann in der Tat diese Wirkung eintreten, nämlich dann, wenn die Fabrikanten und ihre Arbeiter sich durch die Preissteigerung zu einer verstärkten Arbeitsleistung anregen lassen. Aber diese Wirkung muss nicht eintreten. Vergegenwärtige Dir, daß die steigenden Preise zu wesentlich erhöhten Gewinnen führen, daß die reichlicheren Gewinne höhere Löhne zur Folge haben, und daß so in der ganzen Produktion eine Leichtigkeit des Verdienens entsteht, die sehr oft nicht zu vermehrter Arbeit, sondern zum Gegenteil, zu einer gewissen Bequemlichkeit und Trägheit reizt. In solchen Zeiten hegt oft der Ruf nach dem Sieben- oder Sechsstundentag in der Luft. Es kann also sehr leicht ein Rückgang statt einer Steigerung der Gütererzeugung eintreten. Aber selbst wenn die Produktion wirklich steigt und das Angebot wächst, ist das doch immer nur die allmählich und zögernd wirkende Folge der sofort und ungestüm auftretenden Preissteigerung. Das erste und sichere Moment ist immer die Teuerung; die Verbilligung ist eine spätere und sehr fragliche Eventualität, die überdies im besten Fall die Teuerung etwas mildert, sie aber niemals ganz verhindert. Wir müssen uns also schon mit der Tatsache abfinden, daß die Geldvermehrung die Preise steigert, und die einzige Konzession, die ich Dir allenfalls machen kann, ist die, daß wir die Steigerung als nicht ganz so stürmisch voraussetzen, wie ich es oben getan habe. Nehmen wir also in Gottes Namen an, daß eine 100-prozentige Geldvermehrung eine nur 50-prozentige Preissteigerung zur Folge hat.
Was heißt es aber, lieber James, wenn alle Inhaber alten Geldes bei jedem Einkauf 50 Prozent mehr bezahlen müssen als früher? Was heißt es, wenn, um bei unserem Beispiel zu bleiben, der Arbeiter für seine 200 Mark nicht mehr wie früher Stiefel, Lebensmittel, Zigarren und Bier erhält, sondern etwa nur noch Lebensmittel und Zigarren, so daß er auf Stiefel und Bier verzichten muss? Das heißt nichts anderes, als daß man ihm durch die Geldvermehrung einen Teil der Gegenleistung, die er sich mit seiner Arbeit verdient hat, gewaltsam genommen, daß man ihn bis zu einem gewissen Grade enteignet hat. Natürlich wird er versuchen, sich schadlos zu halten, indem er seinen Arbeitstarif erhöht und nunmehr 300 Mark Lohn verlangt, das heißt Anspruch auf so viel Bezugsrechte erhebt, wie nötig sind, um dieselben Gütermengen wie früher beziehen zu können. Nur selten aber gelingt ihm dies in vollem Maße. Und wenn es ihm gelingt, so geschieht es auf Kosten anderer Bevölkerungsklassen, etwa der Beamten, der Staatspensionäre, der Rentner. Denn die Tatsache ist nicht aus der Welt zu schaffen, daß die 1 Million neuer Geldzeichen, die der Staat geschaffen hat, auf Gütermengen Beschlag legen, in die sich bis dahin die Million alter Geldzeichen geteilt hat. Irgendwelche Volksklassen müssen da notwendigerweise die Kosten tragen und es sich gefallen lassen, daß ihr wohlerworbener Anspruch auf Gegenleistung um ein Drittel oder mehr zusammenschrumpft.
Das soll und darf aber nicht sein, mein Sohn! Das Geld ist ein Recht und soll kein Unrecht werden. Darum darf der Staat sich niemals die Freiheit herausnehmen, Geld nach Willkür schaffen oder vernichten zu wollen, denn er schafft oder vernichtet damit wohlerworbene Ansprüche auf Güter. Es ist ein eigen Ding um die Allmacht des Staats auf dem Gebiet des Geldwesens. Es ist eine Allmacht, die der Ohnmacht so ähnlich sieht, wie ein Ei dem anderen. Wenn Du nämlich dem, was ich eben ausgeführt habe, tiefer auf den Grund gehst, so wirst Du eine höchst merkwürdige Entdeckung machen, und es tut mir nur leid, daß ich Dein erstauntes Gesicht nicht sehen kann, wenn Du sie machst. Oder ist es keine überraschende Entdeckung, daß der Staat gar kein Geld schaffen kann, auch wenn er sich noch so große Mühe gibt? Es ist aber in der Tat so. Aber, was der Staat vermag, erschöpft sich darin, mechanisch neue Geldzeichen herzustellen. Aber diese Geldzeichen erfüllen nicht den Zweck, den das Geld hat; sie stellen dem Volke keine neuen Bezugsrechte auf Güter zur Verfügung, sie machen das Volk nicht um ein Jota kaufkräftiger, sondern sie übertragen nur längst bestehende Bezugsrechte, längst vorhandene Kaufkraft von ihren rechtmäßigen Eigentümern auf andere Leute. Sie schöpfen von dem Recht zum Güterbezug, das der Volksgemeinschaft gehört und ihr im alten Gelde verbrieft ist, einen bestimmten Teil ab und verleihen diesen Teil den Inhabern der neu ausgegebenen Geldzeichen. Indem der Staat solche Geldzeichen herstellt, gibt er dem Einen nur, was er dem Andern nimmt. Irgendetwas Neues vermag er auf diesem Wege nicht entstehen zu lassen. Auf eine knappe Formel gebracht: Der Staat schafft, indem er Geldzeichen ausgibt, kein neues Geld, sondern er besteuert den einen Teil der Bevölkerung zu Gunsten des anderen.
So liegen die Dinge, lieber James. Es ist nur eine Augentäuschung, wenn Du angesichts der Berge von Zettelgeld, in denen wir zu ersticken drohen, glaubst, das Deutsche Reich habe in den letzten Jahren mit Hilfe der Reichsbank 70 Milliarden Mark neues Geld geschaffen. Freilich, die Zettel sind da, daran ist nicht zu zweifeln. Aber sie sind kein neues Geld. Die Kaufkraft, die ihnen innewohnt, ist noch nicht einmal so groß wie die Kaufkraft der vier oder fünf Milliarden Mark Münzen und Noten, die 1914 in Deutschland umgelaufen sind. Und selbst das bisschen Kaufkraft, das sie wirklich repräsentieren, rührt nicht etwa vom Staate her, ist ihnen nicht durch die schöpferische Kraft der Regierung neu eingeblasen worden, sondern ist dieselbe Kaufkraft, die früher in den vier oder fünf Milliarden alten Geldes steckte und von Rechts wegen den Inhabern dieser wenigen Milliarden gehört. Daß man den weitaus größten Teil der Kaufkraft von dem alten Gelde zwangsweise auf neue Produkte der Notenpresse übertragen und diesen künstlich einen Wert verliehen hat, kann man nur euphemistisch als „Geldpolitik“ bezeichnen. Richtiger ausgedrückt ist es ein brutaler Akt von Enteignung. Und das Einzige, was der Staat dem Gelde gegenüber vermag. Er kann Geld, das heißt Güterbezugsrechte, immer nur enteignen, niemals neu schaffen.
Daß der Staat nicht imstande ist, Geld zu schaffen, wenn er es für nötig hält, schadet aber absolut nichts. Denn Geld ist ja kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck der Verkehrserleichterung, und es ist in jedem Lande, in dem der Staat keine Torheiten macht, immer genau so viel Geld vorhanden, wie für diesen Zweck nötig ist. Das Geldwesen regelt sich automatisch, und der Staat hat weiter nichts zu tun, als den Geldautomaten technisch in Ordnung zu halten. Für schöpferische Betätigung ist hier kein Platz, und es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn zahlreiche Volkswirte glauben, das Geld sei ein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung.
Wessen Geschöpf das Geld nun aber in Wirklichkeit ist? Hab einige Tage Geduld, mein Sohn, und Du wirst es wissen. Für heute weigert sich meine Feder, ihren Dienst weiter zu verrichten.
In Liebe
Dein sehr ermüdeter Papa.
4. Brief
Hat das Geld einen Eigenwert? – Wirkliches Geld und Scheingeld.
Berlin, am 8. Januar 1921.
Über zwei Dinge, hoffe ich, bist Du Dir heute im klaren, lieber James. Erstens darüber, daß jedes Geldzeichen ein Recht, und zwar ein beglaubigtes Bezugsrecht, darstellt; zweitens darüber, daß die Menge dieser Rechte, die Menge des umlaufenden Geldes, nie zu groß und nie zu klein ist, sondern immer gerade dem Bedarf entspricht. Wie groß dieser Bedarf ist, und welche absolute Geldmenge infolgedessen im Lande umläuft, das werden wir in einigen Tagen sehen, nämlich, wenn wir uns der interessanten Frage zuwenden, wie das Geld entsteht. Bis dahin müssen wir manches noch auf sich beruhen lassen; so z.B. auch die eigentümliche Erscheinung, daß es in jedem Lande und zu jeder Zeit so aussieht, als ob bei Weitem zu wenig Geld vorhanden wäre, und zwar ganz gleichgültig, ob in dem Lande 1 Million oder 100 Milliarden Geldzeichen im Umlauf sind. Ich weiß sehr wohl, daß diese universelle Erscheinung Dich stutzig macht, obwohl Du ahnst, daß irgend ein Irrtum dahinter steckt. Aber wir können nicht alle Details auf einmal behandeln, sondern müssen immer hübsch eins nach dem anderen vornehmen. Sind erst die Hauptfragen aufgeklärt, so verschwindet mancher Irrtum in den Einzelheiten ganz von selbst.
Die erste Hauptfrage war die nach der Menge des Geldes; mein letzter Brief hat sie in großen Umrissen behandelt, und wir können uns nunmehr der zweiten Hauptfrage zuwenden: Welchen Wert hat das Geld?
Mit dieser Frage müsstest Du eigentlich schon ganz allein fertig werden können. Denn sobald Du Dir vergegenwärtigst daß das Geld weiter nichts ist als ein attestiertes Recht, ein Recht zum Bezuge von Gütern, musst Du ohne weiteres erkennen, daß die Fragestellung an sich sinnlos ist. Ein abstraktes „Recht“ kann niemals einen konkreten „Wert“ haben. Es kann wohl den Wert, den irgend eine Sache hat, von einer Person auf die andere übertragen, es kann die Besitzverhältnisse an diesem Werte regeln, aber es kann den Wert nicht in sich selbst verkörpern. Du darfst Dich nicht dadurch irre machen lassen, daß es Geld einer bestimmten Art gibt, welches tatsächlich ungefähr den konkreten Wert hat, den es attestiert, daß also z.B. ein englischer Sovereign und eine deutsche Doppelkrone nicht nur ein Bezugsrecht im Werte von 20 Schilling und 20 Mark darstellen, sondern diesen Wert kraft ihrer körperlichen Beschaffenheit, weil sie nämlich aus Gold bestehen, auch wirklich haben. In diesem Falle ist es nicht das Geld, nicht das Güterbezugsrecht, das einen Eigenwert hat, sondern nur das Metall, auf dem (durch Prägung) das Bezugsrecht bescheinigt ist. Solltest Du zufällig eine Doppelkrone aus der Vorkriegszeit in unsere papierne Gegenwart hinübergerettet haben, so kannst Du sofort die Probe auf das Exempel machen, indem Du das Goldstück einschmelzen lässt. Obwohl das Gold nunmehr keine Doppelkrone, kein Geld mehr ist, hat es doch denselben Wert wie früher, nämlich 20 Goldmark oder 4 3⁄4 Dollar. Die papiernen Zwanzigmarkscheine dagegen, die Du etwa noch aus der Vorkriegszeit liegen hast, sind tief, tief unter diesen Wert gesunken. Würde das Geld seinen Wert wirklich aus sich selbst, aus seiner Eigenschaft als Geld herleiten, so müssten die beiden Geldzeichen, die eins wie das andere 20 Mark darstellen, genau den gleichen Wert haben. Tatsächlich hat sich nur die Doppelkrone ihren alten Wert von 20 Goldmark = 4 3⁄4 Dollar erhalten, und zwar deshalb, weil sie seit jeher noch etwas anderes als Geld gewesen ist, nämlich Gold, d.h. eine Ware von ganz besonderer Wertbeständigkeit.
Wir müssen also die Frage anders fassen, mein Lieber. Wir haben nicht zu fragen: „Welchen Wert hat das Geld?“ Sondern: „Wie groß ist der Güteranspruch, den das Geld gewährleistet?“
So gestellt, beantwortet sich die Frage aber von selbst. Denn wie lautet der Fundamentalsatz, den Du Dir einzuprägen hast, wenn Du meinen väterlichen Zorn und dauernde Unkenntnis in puncto Geldwesen vermeiden willst? Er lautet: „Geld verkörpert den aus einer Leistung entstandenen Anspruch auf gleichwertige Gegenleistung.“ Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß der Güteranspruch, den das Geld gewährleistet, bzw. der ideelle Wert, den es deshalb für seinen Eigentümer hat, genauso groß ist, wie der Wert der vorausgegangenen Leistung.
Das klingt Dir vielleicht so, als ob es im Grunde gar nichts besagt, sondern nur ein Spiel mit Worten ist. Denn wir kennen den Wert der vorangegangenen Leistung genauso wenig wie den Wert der folgenden Gegenleistung. Tatsächlich handelt es sich hier aber um eine sehr, sehr wichtige Feststellung, die uns zu einer Erkenntnis von außerordentlicher Tragweite führt. Wenn es nämlich richtig ist, daß der „Wert des Geldes“ – wir wollen der Kürze halber bei diesem nicht ganz korrekten Ausdruck bleiben – dem „Wert der Leistung“ gleichkommt, für die es sein Inhaber erhalten hat, so folgt daraus nicht weniger, als daß es heute fast in ganz Europa – kein Geld mehr gibt.
Ich bitte Dich dringend, mein Lieber, dies nicht etwa als einen Scherz aufzufassen. So sehr es Dich auch verblüffen mag, es ist in der Tat buchstäblich wahr, daß heute nur noch in sehr wenig Ländern richtiges, echtes Geld existiert, das heißt ein Zahlungsmittel, das die erste und wichtigste Aufgabe des Geldes erfüllt, die darin besteht, den vollen Wert der Leistung bis zum Bezuge der Gegenleistung zu konservieren, ihn gewissermaßen in der Gegenleistung auferstehen zu lassen. Das Geld, das Du heute nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern mit verhältnismäßig guter Währung, wie England, Holland, der Schweiz, umlaufen siehst, erfüllt zwar viele Aufgaben, die das echte Geld erfüllt, aber es versagt in der Hauptsache. Es bietet seinem Inhaber nicht die Gewähr, daß er für eine Ware, die er geliefert, oder eine Leistung, die er vollbracht hat, wirklich den vereinbarten Gegenwert erhält. Denke zum Beispiel an den Arbeiter, den ich in meinem vorigen Briefe einige Mal erwähnt habe. Als er vor drei Jahren 200 Mark für seine Arbeit erhielt, da erhielt er den Wert von einem Paar Stiefel sowie von Lebensmitteln, Zigarren und Bier für den Bedarf von etwa zwei Wochen. In dem Bewusstsein, die 200 Mark jederzeit in diese Waren umtauschen zu können, hat er sich für seine Arbeit ein Entgelt in diesem und keinem höheren Werte ausbedungen. Wenn er nun mit der Beschaffung der Sachen gewartet und das Geld aufbewahrt („gespart“) hat, um sich erst heute in den Besitz all der Güter zu setzen, für die er vor drei Jahren seine Leistung hingegeben hat, so sieht er mit Befremden, daß die Güter für ihn nicht mehr erreichbar sind. Er erhält für sein Geld im besten Falle ein Paar Stiefel.[1] Um die Lebensmittel, die Zigarren, das Bier ist er geprellt. „Das Geld hat keinen Wert mehr“, sagt er bitter, und er meint damit, daß das Geld seine Bestimmung, ihm den vollen Wert seiner Leistung bis zu dem Tage zu sichern, an dem er die Gegenleistung beansprucht, nicht erfüllt hat. Ein Geld aber, daß diese Bestimmung nicht erfüllt, sondern den in ihm verkörperten Anspruch zusammenschrumpfen lässt, ist kein echtes Geld, sondern eine unvollkommene Imitation. Und mit solchen Imitationen ist heute ganz Europa überschwemmt. Die Nachahmungen sind ja nicht überall so schlecht wie in Deutschland, Österreich oder gar Russland, wo sie den in ihnen verkörperten Anspruch auf ein Zehntel, ein Fünfzigstel oder ein Tausendstel haben zusammenschmelzen lassen. Aber auch in England, der Schweiz, Holland usw., wo der Anspruch noch die Hälfte bis drei Viertel seiner ursprünglichen Höhe beträgt, ist das Geld das ihn derart reduziert hat, kein wirkliches Geld, sondern Scheingeld.
Echtes Geld ist nur ein solches, das seinem Inhaber den aus einer Leistung entstandenen Anspruch auf Gegenleistung ungeschmälert erhält. Denn seinem Zweck und Wesen nach ist das Geld nichts anderes als ein Rechtsanspruch. Daß es daneben noch eine Reihe anderer Funktionen erfüllt, z.B. den Rechtsanspruch von Hand zu Hand gehen lässt, fällt neben dem Hauptzweck nicht ins Gewicht, und sobald es diesen nicht oder nur mangelhaft erfüllt, ist es kein Geld mehr, so gut es auch etwa die anderen Funktionen noch erfüllen mag.
Also rekapitulieren wir, lieber James. Da Geld ein Anspruch auf Gegenleistung ist, so ist sein „Wert“ genau so groß wie diese. Und da es seine erste und wichtigste Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß die Gegenleistung ihrerseits so groß ist wie die vorangegangene Leistung, so ist der „Wert“ des Geldes auch genau so groß wie diese Leistung.
„Soweit dies zutrifft, ist es im Grunde eine Selbstverständlichkeit“, wirst Du hier vielleicht einwerfen. „Außerdem scheint es mir aber nicht einmal ganz richtig zu sein. Die Stiefel und Lebensmittel zum Beispiel, auf die unser mehrfach erwähnter Arbeiter einen Anspruch hat, können infolge einer Lederknappheit oder einer Missernte knapp und teuer werden. In diesem Falle geht dem Arbeiter ein Teil seines Anspruchs verloren. Das Geld, das den Anspruch verkörpert, reicht dann nur noch für Lebensmittel, Zigarren und Bier, aber nicht mehr für Stiefel aus. Es entspricht also einer Gegenleistung, die kleiner ist als die ursprüngliche Leistung, während es den Wert derselben doch gerade sichern sollte. Also ist auch wirkliches Geld nicht im Stande, einen Güteranspruch für die Dauer voll zu gewährleisten.“
Ich beginne mit dem zweiten Einwand, der mir Gelegenheit gibt, mich in einem wichtigen Punkt zu berichtigen. Wenn ich gesagt habe, der Arbeitgeber bezahle den Arbeiter für seine Leistung in der Weise, daß er ihm – durch Hingabe von 200 Mark – einen Anspruch auf Stiefel, Lebensmittel, Zigarren und Bier gewährleiste, so ist das, wie ich ohne weiteres zugebe, nicht ganz korrekt. Ich habe den Vorgang nur der Anschaulichkeit wegen so scharf präzisiert. In Wirklichkeit stellen die 200 Mark des Arbeitgebers keine Garantie dafür dar, daß die Gegenstände, die im Moment der Leistung für 200 Mark erhältlich sind, in alle Ewigkeit dafür zu haben sein werden. Das Geld sichert den Anspruch auf Gegenleistung immer nur innerhalb eines bestimmten Rahmens. Indem der Arbeitgeber 200 Mark hergibt, überlässt er dem Arbeiter einen ganz bestimmten Teil der in diesem Augenblick im Lande vorhandenen Ansprüche auf Güter, sagen wir ein Millionstel aller Ansprüche. Dieses Millionstel bedeutet heute ein Paar Stiefel und ein bestimmtes Quantum Lebensmittel, Zigarren und Bier, kann aber morgen bereits mehr oder weniger bedeuten. Das hängt ganz von der größeren oder geringeren Erzeugungsfähigkeit im Lande ab, die unter anderem auch von elementaren Ursachen bestimmt wird. Gegen derartige Schwankungen kann auch das wirkliche Geld, das den Namen „Geld“ verdient, den Güteranspruch nicht schützen. Es kann beispielsweise nicht verhindern, daß eine Erfindung gemacht wird, die es gestattet, einen Stiefel in einem Zehntel der jetzigen Arbeitszeit herzustellen, so daß der Arbeiter statt des einen Paares Stiefel, auf das ihm seine Leistung Anspruch gibt, eines Tages deren zwei oder drei beziehen kann. Dieses Moment der Unsicherheit tritt aber weit zurück gegenüber der Gewähr, die das Geld wirklich leistet, und die darin besteht, daß es seinem Inhaber dauernd einen fest bestimmten Teil aller im Lande existierenden Güteransprüche sichert. Unser Arbeiter hat zwar keinen Anspruch auf eine bestimmte Menge Stiefel, Lebensmittel usw., aber er hat einen Anspruch auf ein Millionstel des Gesamtanspruchs im Lande. Wenn auch dieses Millionstel bald einem größeren, bald einem geringeren Güterquantum entspricht, so pflegen doch diese Mengenschwankungen so gering zu sein und sich im Laufe der Zeit so auszugleichen, daß man ihnen in der Praxis kaum Rechnung trägt, auch wenn es sich um Abmachungen auf 50 oder 100 Jahre handelt. Aber wohlgemerkt nur da, wo wirkliches, echtes Geld umläuft. Denn nur dieses Geld sichert seinem Inhaber den ihm zustehenden Teilanspruch, verbürgt also, um bei unserem Beispiel zu bleiben, dem Arbeiter, daß er Besitzer eines Millionstel aller Güteransprüche ist und bleibt. Das Scheingeld, das wir jetzt in fast allen Ländern umlaufen sehen, leistet diese Bürgschaft nicht, sondern vermehrt die Güteransprüche so willkürlich, daß unser Arbeiter schon nach kurzer Zeit nicht mehr ein Millionstel, sondern je nach dem Grade der Willkür nur noch ein Zehnmillionstel oder ein Hundertmillionstel aller Ansprüche, also ein Zehntel oder ein Hundertstel der ihm rechtmäßig zustehenden Kaufkraft besitzt.
Damit Du mir übrigens nicht gleich wieder in die Parade fährst, lieber James, will ich hier gleich einschalten, daß es auch Momente gibt, welche die Gesamtmenge aller Güteransprüche mit der Zeit auf natürlichem Wege vermehren. Der Anspruch unseres Arbeiters, der sich heute wie 1 zu 1 Million verhält, kann auch unter der Herrschaft wirklichen Geldes eines Tages auf das Verhältnis 1 zu 1 1⁄2 Millionen heruntersinken. Aber dieses Sinken bedeutet keinen Schaden für ihn, denn neue Ansprüche, die auf natürlichem Wege entstehen, sind stets von produktiven Mehrleistungen begleitet. Der Güterbestand in der Wirtschaft erhöht sich infolge dieser Mehrleistungen in solchem Maße, daß auf den einzelnen Anteil, auch wenn er relativ kleiner geworden ist, dennoch dieselbe oder sogar eine größere Gütermenge entfällt wie ursprünglich. Ich werde auf diesen Punkt beim Kapitel „Entstehung des Geldes“ zurückkommen.
Nun noch zu Deinem Einwand, die Wertgleichheit zwischen Geld, Leistung und Gegenleistung sei eine Selbstverständlichkeit. (Du siehst, ich nehme es ernst mit Deinen Einwänden, auch wenn ich nur vermute, daß Du sie machst.) Gewiss ist es selbstverständlich, daß das Geld, das nichts anderes als ein Bezugsrecht auf eine Gegenleistung ist, denselben „Wert“ wie diese hat. Und ebenso selbstverständlich ist es, daß, solange die Gegenleistung denselben Wert wie die vorangegangene Leistung hat, das Geld auch mit dieser „wertgleich“ ist. Leider ist aber diese Selbstverständlichkeit die einzige Antwort, die ich auf die Frage nach dem „Wert“ des Geldes überhaupt zu geben vermag. Denn einen Eigenwert hat das Geld ja nicht und kann es, da es lediglich ein Recht ist, nicht haben.
„Auch wenn das Geld aus edlem Metall besteht?“, höre ich Dich im Geiste fragen, obwohl ich hierauf eigentlich schon geantwortet habe. Also nochmals: Nein, mein Junge, auch dann nicht. Eine goldene Doppelkrone, die Du in den Schmelztiegel wirfst, hat einen bestimmten Wert nicht deshalb, weil sie Geld ist, sondern weil sie aus Gold, d.h. einem begehrten Metall besteht. Läuft die Doppelkrone als Zahlungsmittel im Lande um, so verhält es sich genau so: Ihr Metallgehalt, nicht ihre Geldeigenschaft macht sie wertvoll. Allerdings hat sie im letzteren Falle neben ihrem Eigenwert noch den abgeleiteten Wert, den jedes Geldzeichen in seiner Eigenschaft als Garantie eines Rechtsanspruchs hat, also den Wert, der auch einem papierenen Zahlungsmittel innewohnt. Aber das ist, wie wir gesehen haben, gar kein wirklicher Wert, sondern nur ein „Wert“ in Anführungsstrichen, sozusagen ein Reflex des Güterwerts, auf den das Geld einen Anspruch gewährt. Wir kommen also zu dem Ergebnis: Das Geld trägt keinen Wert in sich selbst, sondern gewährleistet nur den Anspruch auf einen bestimmten Güterwert. Und auch dieser Güterwert ist keine feststehende Größe, sondern schwankt mit der Menge des umlaufenden Geldes. Jedes Geldzeichen verleiht seinem Inhaber ein Anrecht auf einen Teil des jeweiligen Vorrats an Marktgütern. Existieren wenig Geldzeichen, so geht der Gütervorrat in wenig Teile, jeder einzelne Teil ist also wertvoll. Existieren viel Geldzeichen, so gewährt jedes von ihnen nur das Anrecht auf einen kleinen Teil des Vorrats, verkörpert also einen geringfügigen Wert. Wenn Dich jemand fragt, wie wertvoll das einzelne Stück eines Napfkuchens ist, so wirst Du sicherlich antworten: „Das kann ich nicht sagen, solange ich nicht weiß, in wie viel Portionen der Kuchen zerlegt wird.“ Genauso verhält es sich mit der einzelnen Portion des Gesamtvorrats an Gütern, die sich in einem Geldzeichen verkörpert. Ihr Wert hängt ganz davon ab, auf wie viel Geldzeichen der Gesamtvorrat sich verteilt. Die Frage des „Geldwerts“ – beachte freundlichst immer die Anführungsstriche – ist also im Grunde nur eine Frage nach der Geldmenge.
Und damit Gute Nacht!
Dein alter Papa.
5. Brief
Das „Geld“ und die „Geldzeichen“ – Die Wanderung des Geldes – Das unsterbliche Geld
Berlin, am 10. Januar 1921.
Wir wollen uns nunmehr, lieber James, der Frage zuwenden, wie das Geld, entsteht. Wohlgemerkt, das wirkliche, echte Geld, nicht das Scheingeld, das die Staaten heute im Großbetrieb herstellen. Die Entstehung des Scheingeldes ist ganz uninteressant. Es gehört dazu nur ein weites Gewissen und eine Notenpresse. Aber wie ich Dir schon in einem früheren Briefe schrieb: Auf diese Weise kann niemals wirkliches Geld entstehen. Ein Papierzettel wird nicht zu Geld, wenn der Staat ihn als solches bezeichnet und die Bevölkerung zwingt, ihn als Geld anzusehen. Wirkliches Geld entsteht infolge eines ganz bestimmten wirtschaftlichen Vorgangs und hat stets eine Leistung zur Voraussetzung. Es ist kein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung oder der staatlichen Willkür, sondern ein Produkt des Verkehrs. Und so belanglos es ist, zu wissen, was eine Regierung sich dabei denkt, wenn sie ihre bunten Zettel druckt, so interessant ist es, die Entstehung des wirklichen Geldes zu verfolgen.
Du und ich, jeder einzelne Kulturmensch, wohnt täglich der Geburt von Geld bei. Trotzdem sieht es nur selten einer von uns körperlich entstehen. Das scheint rätselhaft und ist doch im Grunde ganz natürlich. Man muss sich nur den Hergang genau vergegenwärtigen.
Jeder Bäcker, der ein Brot verkauft, jeder Handwerker, der eine Arbeit ausführt, verschafft sich dadurch einen Güteranspruch. Machen sie diesen Anspruch sofort geltend, lässt sich also der Bäcker für sein Brot eine Tüte Zucker, der Handwerker für seine Arbeit ein paar Zigarren geben, so hinterlässt der Vorgang keine weiteren Folgen. Wir sprechen dann von einem Tausch. Schieben die Beiden aber die Geltendmachung ihres Anspruchs auf, so werden sie dadurch Inhaber eines Bezugsrechts, das sie zu beliebiger Zeit und in beliebiger Weise ausüben können, und wir sprechen dann von Geldverkehr. Denn jenes Bezugsrecht ist ja nichts anderes als Geld. Trotzdem sehen wir nicht, daß bei dieser Gelegenheit körperliches Geld entstanden wäre. Vielmehr sehen wir, daß das Geld, das der Bäcker und der Handwerker empfangen, und in dem sich das Bezugsrecht verkörpert, bereits vorhanden ist und nur die besitzende Hand wechselt. Wie kommt das? Sollte am Ende die Behauptung, daß bei jeder Leistung, die nicht sofort mit einer Gegenleistung abgegolten wird, Geld entsteht, falsch sein? Und wenn sie falsch ist, wann entsteht dann das Geld in Wirklichkeit? Denn irgendwann, das ist klar, muss jedes Geldzeichen, das sich im Verkehr befindet, entstanden sein.
Die Sache klärt sich auf höchst einfache Weise auf, lieber James, sobald wir korrekt sprechen und die Begriffe „Geld“ und „Geldzeichen“ auseinanderhalten. Die meisten Irrtümer und Missverständnisse entstehen ja daher, daß die Menschen mit einem bestimmten Wort verschiedene Begriffe verbinden, also gleichsam verschiedene Sprachen sprechen und so aneinander vorbeireden. Verstehen wir uns also recht: Der Güteranspruch, den ein Mensch besitzt, die Kaufkraft, die er infolgedessen ausübt, ist „Geld“. Ich habe es Dir ja häufig genug wiederholt, daß Geld nichts Materielles, sondern etwas Ideelles, nämlich ein Recht ist. Dieses Recht muss natürlich, um respektiert zu werden, äußerlich irgendwie kenntlich gemacht werden. Es kann z.B. in ein öffentliches Buch eingetragen und durch Umbuchung von einem Berechtigten auf den anderen überschrieben werden. In diesem Falle nimmt das ideelle Geld keine körperliche Gestalt, sondern nur die abstrakte Form einer Buchung an. Man spricht dann von „Giralgeld“. Meist zieht man es aber vor, Dokumente über das Recht anzufertigen und den Berechtigten auszuhändigen. Diese Dokumente sind dann „Geldzeichen“ oder „Zahlungsmittel“. Der Sprachgebrauch hat sich leider daran gewöhnt, diese Dokumente ebenso zu nennen wie das in ihnen verbriefte Recht, nämlich „Geld“. Daraus entsteht eine fortgesetzte Konfusion der Begriffe, und Du selbst, mein Sohn, bist vielleicht eben einer solchen Konfusion zum Opfer gefallen. Denn solltest Du Dich wirklich darüber wundern, daß Du noch niemals Geld hast ins Leben treten sehen, obwohl doch stündlich rund um Dich herum tausende von Güterbezugsrechten entstehen, so würdest Du ganz einfach „Geld“ und „Geldzeichen“ miteinander verwechseln. Sobald Du Dich korrekt ausdrückst, fällt der vermeintliche Widerspruch in sich zusammen. Denn daß täglich in unzähligen Fällen neue Bezugsrechte, Geld genannt, zur Entstehung kommen, braucht durchaus nicht zur Folge zu haben, daß über jedes dieser Bezugsrechte ein neues Dokument, Geldzeichen genannt, ausgefertigt wird. Es würde im Gegenteil sogar sehr sonderbar sein, wenn das der Fall wäre.
Warum? Nun, denke einmal ein wenig nach, mein Lieber. Du brauchst nur die Augen zu öffnen und Dir das tägliche Leben anzusehen. Was geht denn bei jedem Kauf und Verkauf vor sich? Wenn der Bäcker dem Arbeiter ein Brot verkauft, so entsteht für den Bäcker auf Grund dieser Leistung ein Rechtsanspruch auf Gegenleistung. Aber das ist keineswegs alles. Es geht dem ein anderer Vorgang parallel. Dem Bäcker, der das Brot verkauft, steht doch der Arbeiter gegenüber, der es kauft, nicht wahr? Auch für diesen hat der Akt eine wirtschaftliche Bedeutung. Und zwar setzt er sich durch den Kauf in den Besitz einer Gegenleistung, auf die er bei der letzten Lohnzahlung einen Anspruch erworben hat. Denn als der Arbeitgeber ihm damals 200 Mark für seine Arbeitsleistung auszahlte, da hat dies bedeutet, daß für den Arbeiter ein ganz bestimmter Rechtsanspruch auf Gegenleistung entstanden ist, der so lange gilt, bis der Arbeiter die Gegenleistung selbst in Gestalt von Stiefeln, Lebensmitteln usw. an sich bringt. In dem Moment, wo dies geschieht, der Arbeiter also ein Paar Stiefel kauft, hat der entsprechende Anspruch zu bestehen aufgehört. Und so bedeutet denn der Kauf des Brotes beim Bäcker nicht nur, daß für den Bäcker ein Anspruch neu entstanden ist, sondern zugleich auch, daß ein genau so großer Anspruch für den Arbeiter erloschen ist. Und wie in diesem Falle, so ist es bei allen übrigen Akten im Handelsverkehr. Der Vorgang, der für die eine Partei einen Verkauf bedeutet und einen Güteranspruch neu entstehen lässt, stellt für die andere Partei einen Kauf dar und lasst einen Anspruch erlöschen. Das ist der Grund, lieber James, warum Du noch niemals Geld hast entstehen sehen: Werden und Vergehen, Geburt und Tod stehen sich hier gegenüber und heben sich gegenseitig auf. Es braucht auf der einen Seite kein neuer Anspruch dokumentiert, kein Geldzeichen frisch geschaffen, auf der anderen Seite aber auch kein bestehender Anspruch annulliert, kein Geldzeichen vernichtet zu werden. Denn der Zweck, den Anspruch des Einen zu sichern und den des Anderen zu löschen, lasst sich auf viel einfachere Weise erreichen, und zwar dadurch, daß der Käufer dem Verkäufer das Dokument über seine bisherigen, im Moment des Kaufs erlöschenden Anspruch übergibt, das heißt, ihm die entsprechenden Geldzeichen aushändigt.
So kommt es, daß die weitaus meisten Menschen Zahlungsmittel niemals entstehen, sondern immer nur von Einem zum Andern wandern, zirkulieren sehen. Es handelt sich hier um ein technisches Hilfsmittel des Verkehrs, der für die Güteransprüche der Bevölkerung eine Art „Clearing“ eingeführt hat. Die Ansprüche werden nicht umständlich beglaubigt und ebenso umständlich annulliert, sondern einfach ausgetauscht, was ungleich bequemer ist.
Auf diese Weise geht der im Gelde verkörperte Güteranspruch immer von der einen Person auf die andere über. Der Arbeitgeber übergibt ihn dem Arbeiter, dieser tritt ihn an den Bäcker ab, der Bäcker leitet ihn an den Müller weiter, der ihm Mehl liefert, der Müller an den Bauer als Gegenwert für dessen Korn, und so zirkuliert der Anspruch durch die ganze Verkehrskette hindurch. Wer etwas geleistet und dadurch ein Bezugsrecht erworben hat, empfängt den Anspruch, wer eine Leistung entgegengenommen und dadurch das entsprechende Bezugsrecht ausgeübt hat, verliert den Anspruch. Der Anspruch als solcher erlischt also nicht, sondern wechselt nur immer die besitzende Hand.
Diese Fortexistenz des Güteranspruchs, diese ewige Wanderung des Geldzeichens, in dem der Anspruch sich verkörpert kann sehr leicht missverstanden werden. Hüte Dich also davor, mein Sohn, in der Zirkulation des Geldes etwas anderes zu sehen als ein technisches Hilfsmittel des Verkehrs, der sich die Sache leicht machen will und daher ein und dasselbe Dokument immer wieder benutzt, statt fortgesetzt neue Dokumente auszustellen und wieder zu annullieren. Vergiss niemals den eigentlichen Sinn des Vorgangs: Wo immer ein Geldzeichen den Besitzer wechselt, ist ein Recht, ein Bezugsrecht auf Güter, erloschen und ein anderes entstanden. In einem Staate, der kein „Umlaufgeld“, sondern nur „Buchgeld“ kennt, wo also jeder Bürger statt der Münzen und Scheine ein Konto im Staatsbuche hat, wäre das deutlicher zu erkennen als bei uns. Dort würde auf dem Konto des Bäckers, der ein Brot verkauft, ein entsprechendes Bezugsrecht neu eingetragen, auf dem Konto des kaufenden Arbeiters dagegen ein früher eingetragenes Bezugsrecht gelöscht werden. Es wird behauptet, daß es im Altertum tatsächlich Staaten gegeben habe (z.B. Ägypten), bei denen dieses Geldsystem geherrscht hat. Ich selbst glaube allerdings, daß das nur für den Großverkehr denkbar ist der mittlere und Kleinverkehr wird die Darstellung des Geldes durch körperliche Geldzeichen niemals haben entbehren können.
Wir sind bei unserer bisherigen Untersuchung stets nur auf Geldzeichen gestoßen, die von Hand zu Hand wandern, nicht auf solche, die zum ersten Mal im Verkehr auftauchen. Infolgedessen wissen wir noch immer nicht, wie denn nun eigentlich die körperlichen Geldzeichen entstehen. Und ebenso geht es uns mit dem begrifflichen Gelde, dem ideellen Rechtsanspruch auf Gegenleistung. Wir wissen von diesem Rechtsanspruch nur, daß er sozusagen die zweite Hälfte aller Kaufakte und das provisorische Entgelt aller Leistungen bildet; wir kennen also nur das Was, nicht das Wie.
Dagegen haben wir etwas anderes, sehr wichtiges gelernt: Ein Güteranspruch, der einmal besteht, ist ein Ding, das normalerweise nicht wieder vergeht, sondern immer nur wandert, der sich stets von Neuem zwischen Leistung und Gegenleistung schiebt und gewissermaßen unsterblich ist. Genau so wenig wie der Geburtsstunde des Geldes hast Du jemals seiner Todesstunde beigewohnt: Es sei denn, daß einmal einer Deiner Freunde in der Weinlaune einen Geldschein als Fidibus benutzt und damit einen Güteranspruch in Rauch hat auf gehen lassen.
Und selbst dann ist das im Gelde dargestellte Bezugsrecht nur für den einzelnen Inhaber, nicht aber für die Gesamtheit erloschen. Oder glaubst Du, daß auf der ganzen Welt irgend ein Gut nur deshalb keinen Käufer findet und verdirbt weil Dein Freund seinen Anspruch auf dieses oder ein anderes Gut verbrannt hat? Nein, das in dem verbrannten Geldzeichen verkörperte Recht ist tatsächlich unsterblich. Wenn sein rechtmäßiger Inhaber auf die Ausübung verzichtet, so geht es automatisch auf die Inhaber der übrigen Bezugsrechte über. Denn jedes einzelne Bezugsrecht lautet nicht auf eine festbestimmte Größe, sondern auf den soundso vielten Teil aller Bezugsrechte, stellt also einen umso größeren Güteranspruch dar, je mehr die Zahl der existierenden Bezugsrechte sich verringert.
Daraus ergibt sich wiederum eine sehr interessante Feststellung: Daß nämlich der Staat kein Geld vernichten kann, auch wenn er es will. Er kann natürlich die Zahl der umlaufenden Geldzeichen verringern, also etwa ein paar Millionen Banknoten einziehen und kassieren. Damit tut er aber nur genau dasselbe wie Dein Freund mit seinem Fidibus. Er nimmt einzelnen Personen ihre in den Geldscheinen verkörperten Bezugsrechte, aber diese Bezugsrechte verschwinden nicht etwa, sondern wachsen den Inhabern der übrigen Geldscheine zu. Auf jeden dieser Geldscheine entfällt jetzt ein höherer Anteil an der Gesamtheit der Güter. Man sagt dann gewöhnlich: „Das Geld ist wertvoller geworden“, und trifft damit das Richtige. Der Güteranspruch, die Kaufkraft, die durch das Geld gewährleistet werden, haben sich tatsächlich im Verhältnis der zahlenmäßigen Verringerung der Geldscheine erhöht.
Wenn ich Dir also in einem früheren Briefe dargelegt habe, daß der Staat aus freier Entschließung heraus kein Geld, d.h. keine Güterbezugsrechte schaffen, sondern nur längst bestehende Bezugsrechte auf andere Personen übertragen, d.h. enteignen kann, so siehst Du hier das Gegenstück dazu: Der Staat kann existierendes Geld, umlaufende Güterbezugsrechte, nicht vernichten, sondern es wiederum nur auf andere Personen übertragen, also die Besitzrechte umschichten. Der Unterschied ist lediglich, daß die Gesamtheit der Güter sich im ersten Falle auf eine vergrößerte, im zweiten Falle auf eine verkleinerte Anzahl von Berechtigten verteilt, was das eine Mal einen Nachteil, das andere Mal einen Vorteil für die einzelnen Geldinhaber bedeutet. Woraus Du im Übrigen nochmals deutlich ersiehst, daß der „Wert“ des Geldes niemals ein absoluter ist, sondern stets in engster Beziehung zur Menge des Geldes steht und mit dieser schwankt.
Nachdem Du nunmehr gesehen hast, lieber James, daß das Geld in der Wirtschaft einem ruhelosen Ahasver zu gleichen scheint, der nicht entsteht und nicht vergeht, sondern ewig wandert, bist Du sicherlich doppelt begierig zu erfahren, wie es sich denn tatsächlich mit der Genesis und dem Untergang des Geldes verhält. Denn einmal, das ist sicher, muss auch ein Ahasver geboren werden und sterben. Ich darf also annehmen, daß Du meinen nächsten Brief, der schon morgen folgen soll, mit Spannung entgegensiehst.
In Liebe
Dein Papa.
6. Brief
Geburt des Geldes – Hebammendienst des Staates – Geld und Gold
Berlin, am 11. Januar 1921.
Es hilft nichts, lieber James, wir müssen wieder ein wenig rekapitulieren. Also: Geld ist ein Bezugsrecht auf Güter. Dieses Bezugsrecht entsteht, wenn jemand etwas liefert oder leistet, mithin wenn beispielsweise ein Arbeiter dem Arbeitgeber sein Erzeugnis aushändigt; durch die Lieferung entsteht ein Anrecht auf eine gleichwertige Gegenleistung, also ein Güter-Bezugsrecht, und dieses Bezugsrecht heißt „Geld“. Hat der Leistende oder Liefernde sein Anrecht auf Gegenleistung geltend gemacht, hat also unser Arbeiter für sein Geld ein Paar Stiefel, Nahrungsmittel, Zigarren usw. eingetauscht, so ist der wirtschaftliche Vorgang des Austauschs von Leistung und Gegenleistung beendet, und das Bezugsrecht, das den Austausch vermittelt hat, ist erloschen.
Eigentlich müsste sonach viele tausend Mal am Tage Geld entstehen und wieder vergehen. Denn jede der unzähligen Leistungen im täglichen Verkehrsleben lässt ein Bezugsrecht auf Güter, Geld genannt, neu ins Leben treten, und jede, der ebenso unzähligen Gegenleistungen vernichtet dieses Bezugsrecht wieder. Der menschliche Verkehr ist aber viel zu praktisch, um ein so umständliches Verfahren anzuwenden. Das würde ein höllisch komplizierter Verkehr sein, bei dem jeder Verkauf eines Brötchens zur Herstellung von Geld, und jeder Ankauf einer Rolle Garn zur Vernichtung von Geld führen würde. Vielmehr hilft sich der Verkehr in der Weise, daß er das Bezugsrecht, das im Gelde dargestellt ist, gewissermaßen objektiviert, daß er es zu einem selbständigen Instrument des Güteraustausches macht, welches ruhig fortbesteht, auch wenn das subjektive Bezugsrecht seines jeweiligen Inhabers erlischt. Dann ist es nicht nötig, Geld neu zu schaffen, sobald der Arbeiter seinen Wochenlohn erhält, und es wieder zu vernichten, sobald er Stiefel und Lebensmittel dafür kauft. Der beabsichtigte Zweck lässt sich viel bequemer erreichen, indem man das nunmehr zu einem selbständigen Verkehrsinstrument gewordene Geld immer aus der Hand desjenigen, dessen Anspruch erlischt in die Hand seines Gegenparts überträgt, der einen entsprechenden Anspruch erworben hat. Jeder Verkäufer erhält also vom Käufer kein neugeschaffenes Geld, sondern Geld, das längst fix und fertig ist und einen Güteranspruch verkörpert, der ebenfalls seit Langem existiert. Mit anderen Worten: Man lässt das Geld wandern. Es entsteht nicht und vergeht nicht, sondern zirkuliert.
Das ist die Regel. Diese Regel muss aber doch wohl ihre Ausnahmen haben, denn schließlich kann es sich mit dem Gelde nicht anders verhalten wie mit allen anderen Dingen, die sämtlich einen Anfang und ein Ende haben: Einmal muss jedes konkrete Geldzeichen ebenso wie das in ihm verkörperte abstrakte Bezugsrecht notwendig entstanden sein. Aber welches sind die Umstände, unter denen es entsteht?
Wir müssen uns hier sorgfältig davor hüten, die augenblicklich in Deutschland und anderen Staaten herrschende Geldpraxis etwa als Vorbild anzusehen. Die mechanische Gelderzeugung in diesen Ländern hat mit der Entstehung des wirklichen, echten Geldes, die stets eine organische ist, nicht im Entferntesten etwas zu tun. Das Geld, das unsere Notenpressen ausspeien, ist nachgeahmtes Geld; etwa wie die Aktien, die ein unredlicher Gesellschaftsdirektor drucken lässt, und denen keine entsprechende Zunahme des Gesellschaftsvermögens gegenübersteht, nachgeahmte Aktien sind. Beiden, dem Gelde sowohl wie den Aktien, fehlt die wirtschaftliche Entstehungsursache, die allein sie zu echten Dokumenten stempelt. Daß der Verkehr der Unrechtmäßigkeit der Ausgabe weder in dem einen noch in dem anderen Falle merkt, sondern das Geld genau wie die Aktien unbesehen als „vollwertig“ ansieht, ändert nichts an der Tatsache, daß es sich hier wie dort um Falsifikate handelt.
Da Geld nicht ein Güteranspruch schlechthin, sondern ein Güteranspruch von ganz besonderer Art ist und unbedingt zur Voraussetzung hat, daß ihm eine gleichwertige Leistung vorangegangen ist, so sind die Papierscheine, welche die Notenpressen ohne wirtschaftliche Ursache, einfach auf Staatsbefehl, ins Leben setzen, alles andere eher als „Geld“.
Geld, das heißt ein wirtschaftlich berechtigter Güteranspruch, entsteht immer dann und nur dann, wenn jemand etwas geleistet, die Gegenleistung aber noch nicht in Empfang genommen hat. Es ist identisch mit dem Rechtsanspruch auf die ausstehende Gegenleistung. Das Bestehen eines solchen Rechtsanspruchs muss freilich von irgend Jemand konstatiert, formell beglaubigt werden, und normalerweise ist niemand besser befähigt, die Beglaubigung vorzunehmen, als die mit dieser besonderen Aufgabe betraute Behörde eines Rechtsstaats. Aber das ist auch die einzige Hilfe, die der Staat bei der Entstehung des Geldes leisten kann und darf. Seine Fähigkeit und seine Befugnis gehen lediglich dahin, einen ohne sein Zutun im Verkehr neu entstandenen Anspruch zu beglaubigen und ihm die äußere Form vorzuschreiben, in die er sich kleiden soll (Metall-, Papier- oder Buchgeld, kleine oder große Abschnitte usw.). Einen Güteranspruch zu schaffen, ist er weder befugt noch im Stande. Die Regierung ist, um es drastisch auszudrücken, immer nur die Hebamme, die den neuen Weltbürger in Empfang nimmt und für das Leben vorbereitet, niemals die Mutter, die ihn zur Welt bringt.
Am besten erkennen wir die Umstände, unter denen das wirkliche, Verkehr-geborene Geld entsteht, anhand eines konkreten Vorgangs aus dem täglichen Leben.
Der Arbeiter, der eine Lohnforderung von 200 Mark hat und von seinem Arbeitgeber das entsprechende Bezugsrecht auf Güter in der gewohnten Form von Geld verlangt, wird in der Regel mit „wanderndem Gelde“ befriedigt. Der Arbeitgeber händigt ihm Zahlungsmittel aus, die er selbst erhalten hat, als er sein Fabrikat (z.B. Äxte) an einen Händler verkaufte; dieser hat sich das Geld seinerseits durch Veräußerung eines Lagervorrats (z.B. von Holz) verschafft, und zwar von einem Handwerker, dem es als Bezahlung für eine abgelieferte Arbeit (etwa einen Tisch) zugeflossen ist. Aber auch der Vorgänger des Handwerkers war nicht etwa der körperliche oder geistige Urheber des Geldes. Er war nur ein Glied in einer langen, langen Kette von Personen, unter denen das Geld zirkulierte, bis es eines Tages in seine Hände kam. Jede einzelne von diesen Personen hat das Geld empfangen, als sie etwas leistete, und hat es wieder fortgegeben, um die Gegenleistung in Gestalt irgendwelcher Güter dafür einzutauschen. Oder anders ausgedrückt, sie hat es empfangen, als sie produzierte, und es fortgegeben, als sie konsumierte. Man kann den Weg, den das Geld genommen hat, durch zahllose Stadien der Erzeugung und des Verbrauchs zurückverfolgen, aber schließlich wird der Weg sich irgendwo im Nebel verlieren. Man wird nur höchst selten jenen Punkt finden, an dem das Geld seine Wanderung begonnen hat, die Stätte, an der es geboren wurde.
Neben diesem normalen Hergang gibt es aber auch eine andere Möglichkeit. Der Arbeitgeber, der dem Arbeiter und Zehntausend seiner Kollegen je 200 Mark schuldet, ist nicht im Stande, den Leuten das Geld zu geben. Er besitzt zwar „Kapital“, nämlich Fabrikräume, Maschinen, Vorräte u. dergl., aber kein Bezugsrecht auf Güter, kein „Geld“. Er hat in der letzten Zeit nichts verkauft, d.h. nichts geleistet, und besitzt daher zur Zeit auch keinen Anspruch auf Gegenleistung, den er den Arbeitern abtreten könnte.
In diesem Falle bleibt dem Arbeitgeber nur die Wahl, unter dem Zwange der Zahlungspflicht nunmehr doch noch etwas zu leisten, also unter ungünstigen Bedingungen Vorräte zu verkaufen, oder Kredit in Anspruch zu nehmen, (d.h. fremde Güterbezugsrechte leihweise an sich zu bringen), oder endlich das Geld, das er nicht besitzt, zu erzeugen. Die Vorbedingungen für die Entstehung von Geld scheinen ja gegeben. Die Arbeiter haben sich durch ihre Leistung einen Anspruch auf Gegenleistung, also ein Güterbezugsrecht, geschaffen, und Geld ist, wie wir gesehen haben, nichts anderes als ein garantierter Anspruch, ein beglaubigtes Güterbezugsrecht. Damit aus dem Rechtsanspruch der Arbeiter „Geld“ wird, ist also nichts weiter nötig, als daß der Anspruch amtlicherseits als rechtmäßig anerkannt und gewährleistet wird.
Der Arbeitgeber begibt sich also zu der Stelle, die der Staat zu diesem Zwecke eingerichtet hat, und ersucht dieselbe, ihm über die Gültigkeit des Anspruchs seiner Arbeiter Dokumente auszufertigen, die dann Geld darstellen würden und zur Bezahlung verwandt werden könnten. Die Stelle aber erhebt Einwendungen. Sie erklärt dem Antragsteller, daß sie den Anspruch der Arbeiter nicht ohne weiteres anerkennen könne. Auf eine einfache Erklärung zweier Parteien hin könne sie kein Güterbezugsrecht bescheinigen. Nicht etwa aus Misstrauen, obwohl sie, wenn sie sich grundsätzlich mit solcher Erklärung zufrieden geben wollte, sofort mit unzähligen Anträgen überlaufen werden würde und viele Milliarden neuen Geldes schaffen müsste. Sondern deshalb, weil sie nichts Unmögliches bescheinigen könne. Wie solle sie wohl imstande sein, Bezugsrechte auf Güter als rechtmäßig anzuerkennen und durch den Staatsstempel zu legitimieren, solange ihr nicht der Nachweis erbracht sei, daß die Güter, auf die der Anspruch lauten solle, auch tatsächlich vorhanden seien? Wenn sie Güteransprüche beglaubigen solle, so müsse sie die unbedingte Gewähr haben, daß die Ansprüche auch befriedigt werden könnten.
Darauf entgegnet der Fabrikant, die Güter seien vorhanden, denn die Arbeiter hätten sie soeben erst hergestellt; der Anspruch, der ihnen zu bescheinigen sei, bilde ja gerade die Gegenleistung dafür. Die Arbeiter hätten für mehr als 2 Millionen Mark Güter geschaffen und verlangten nun mit Fug und Recht die Beglaubigung ihres wohlverdienten Bezugsrechts auf andere Güter im Werte von 2 Millionen.
Aber die Staatsstelle schließt sich diesem Gedankengang nicht an. Sie meint die Frage, ob durch die Leistung derer Arbeiter wirklich Güter im Werte von 2 Millionen Mark geschaffen seien, entscheide sich erst im Moment des Verkaufs. Es könne sich dann herausstellen, daß die Güter nur den halben Wert oder überhaupt keinen Wert hätten und unverkäuflich seien. Es seien zur Zeit – um irgend eine Ziffer zu nennen – 100 Millionen Mark Geldzeichen im Umlauf. Die Inhaber dieser Geldzeichen, die stündlich wechselten, hätten einen beglaubigten Anspruch auf sämtliche gegenwärtig am Markt befindlicher Güter. Es gebe kein Mittel, in den Besitz eines dieser Güter auf andere Weise zu gelangen – abgesehen von Diebstahl – als durch die Hingabe eines Teils der existierenden 100 Millionen Mark Geldzeichen, deren Inhaber tatsächlich die allein berechtigten Bezieher jener Marktgüter seien. Wollte nun die Staatsstelle die geforderten Millionen neuen Ansprüche beglaubigen, so würden statt 100 Millionen Mark Geldzeichen deren 102 Millionen in Umlauf sein und Ansprüche auf jene Marktgüter erheben, die doch nur für 100 Millionen bestimmt seien.
Davon könne nicht einmal dann die Rede sein, wenn die von den Arbeitern neu her gestellten Fabrikate wirklich und nachweislich einen Wert von 2 Millionen Mark hätten. Allerdings würde in diesem Falle nicht nur auf der Geldseite, sondern auch auf der Warenseite ein Zuwachs um 2 Millionen eintreten. Aber das Exempel gehe dann nicht etwa auf. Die Sache verhalte sich vielmehr folgendermaßen:
Gegenwärtig steht der gesamten Gütermenge, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums an den Markt kommt, und deren Wert wir einmal auf 10 Milliarden Mark beziffern wollen, ein Gesamtbestand von Geldzeichen, d.h. von Güteransprüchen, in Höhe von 100 Millionen Mark gegenüber. Diese 100 Millionen wechseln in demselben Zeitraum durchschnittlich 100 Mal ihren Inhaber. Ist der Zeitraum abgelaufen und der Kreislauf des Geldes beendet, so haben die 100 Millionen Mark Geldzeichen 100 mal 100 Millionen Mark oder 10 Milliarden Mark Güter konsumiert. Die Rechnung geht also bis hierhin glatt auf. Treten nun aber auf der Geldseite und auf der Güterseite je 2 Millionen hinzu, so lautet die Rechnung:
10 Milliarden + 2 Millionen Güter =
100 Millionen + 2 Millionen Geldzeichen.
Es entfallen also nunmehr 10002 Millionen Mark Güter auf 102 Millionen Mark Geld, mithin auf jede Geldeinheit nicht mehr 100, sondern nur noch etwa 98 Gütereinheiten. Mit anderen Worten: Das alte Geld hat infolge der Beglaubigung der 2 Millionen Mark Arbeiter-Bezugsrechte, d.h. infolge der Schaffung von 2 Millionen Mark neuen Geldes, eine Verminderung seiner Kaufkraft erfahren.
Das kommt daher, belehrt die Staatsstelle den Fabrikanten, daß die 2 Millionen Mark neu entstandenen Güter nur einmal auf dem Markt erscheinen, hier einen einzigen Güteranspruch befriedigen und dann endgültig verschwinden, in den Konsum aufgehen. Die 2 Millionen neuen Güteransprüche dagegen, die wir beglaubigen und als vollwertiges Geld anerkennen sollen, leben gewissermaßen ewig. Sie vermitteln einen Kauf nach dem andern, treten immer von Neuem mit ihrer Kaufkraft an den Markt und verrichten somit ihre Funktion nicht nur hundertmal, wie in dem eben angeführten Exempel, sondern tausendmal, hunderttausendmal, unzählige Mal. Durch die Anerkennung der 2 Millionen Mark neuen Geldzeichen würden wir also bewirken, daß nach und nach viele Milliarden neue Güteransprüche geltend gemacht werden können, während die Güter, auf Grund deren wir die Ansprüche beglaubigen sollen, wie zuvor besprochen, nur zur Deckung eines einmaligen Anspruchs von 2 Millionen Mark ausreichen.
Deshalb können wir, sagt die Staatsstelle, den Güteranspruch nur unter zwei Bedingungen beglaubigen. Erstens muss uns nachgewiesen werden, daß die Leistung, auf Grund deren Anweisungen auf Gegenleistungen ausgestellt, d.h. neue Bezugsrechte, neue Geldzeichen, geschaffen werden, tatsächlich Güter erzeugt hat, die 2 Millionen Mark wert sind und 2 Millionen Mark wert bleiben. Zweitens müssen diese wertbeständigen Güter uns in natura übergeben werden. Denn wenn wir von der Bevölkerung verlangen sollen, daß sie die neuen Bezugsrechte anerkenne und wertvolle Erzeugnisse dafür hingebe, so müssen wir ihr die Gewissheit verschaffen, daß sie das Bezugsrecht jederzeit gegen ein vollwertiges Gut austauschen kann. Wir müssen ihr garantieren, daß sie für 100 Geldeinheiten stets volle 100 Gütereinheiten und nicht, wie in unserem Beispiel, nur noch 98 Gütereinheiten, oder gar, wie es jetzt in Deutschland der Fall ist, armselige 6 oder 8 Gütereinheiten eintauscht.[2] Deshalb sind die Güter, die den neuen 2 Millionen Mark Geldzeichen entsprechen, uns zu übergeben. Wir werden dann entweder diese Güter selbst mit unserem Stempel versehen und dadurch zu Geldzeichen machen; in diesem Fall haben wir die Gewähr, daß die Güter genau so oft auf dem Markt erscheinen wie die Geldzeichen, also hundertmal, tausendmal, unzählige Male die Nachfrage befriedigen, und nicht nur ein einziges Mal; und jeder Geldinhaber weiß dann, daß er keinen Verlust erleiden kann, weil er ja den Wert, auf den das Geld lautet, in Form eines gleichwertigen Guts in Händen hat. Oder aber wir werden die Güter, um ihre Abnutzung zu verhindern, in Gewahrsam nehmen und für den Verkehr durch papierne Zeichen ersetzen. Diese laufen dann gewissermaßen in Stellvertretung der Güter um, die aber Eigentum der Inhaber jener papiernen Geldzeichen bleiben und jederzeit von ihnen abgehoben werden können. Zur Zeit gilt übrigens – sagt die Staatsstelle – nur ein einziges Gut als geeignet, den Nachweis einer vollwertigen Leistung zu erbringen und die Beglaubigung eines neuen Anspruchs auf Gegenleistung zu rechtfertigen, nämlich Gold. Und zwar aus dem rein äußerlichen Gründe, weil der maßgebende Teil des Auslands nur für dieses Metall einen festen Mindestpreis zahlt und dadurch seinen Wert garantiert.
Der Fabrikant zuckt die Achseln und geht. Denn Gold hat er nicht. Er muss also, um seine Arbeiter zu befriedigen, notgedrungen Lagerware mit Verlust verkaufen, d.h. sich alte, umlaufende Geldzeichen beschaffen, und auf neues Geld verzichten. Der wirtschaftliche Sinn dieses Vorgangs ist, daß nur Derjenige einen Anspruch auf eine Gegenleistung (in diesem Falle das Arbeitspensum von 10 000 Arbeitern) hat, der entweder selbst bereits etwas geleistet hat und daher Geld, d.h. einen Rechtsanspruch auf die entsprechende Gegenleistung, besitzt, oder dem ein Dritter seinen Rechtsanspruch im Wege des Kredits abtritt. Es ist ein wirtschaftlicher Unsinn, vom Staate zu verlangen, daß er die Rechtsansprüche, die sich der einzelne Geschäftsmann nicht durch Leistungen zu verschaffen versteht, also Ansprüche, die er in Wirklichkeit gar nicht hat, beglaubigen, und dem Manne, etwa gegen Wechsel, neues Geld aushändigen solle. „Rechtsansprüche“, die auf solche Weise geschaffen werden, sind in Wahrheit unrechtmäßige Ansprüche, und das Geld, das sie repräsentiert, ist Falschgeld. Es ist die Leistung, die Geld erzeugt, nicht der Staat. Der Staat hat keine andere Aufgabe, als die Entstehung des Geldes aus der Leistung durch sein Siegel zu bestätigen.
Ist es verwunderlich, lieber James, daß diese natürliche, unstaatliche Geldtheorie, die im Gelde kein Pfand und keine Anweisung, sondern ein durch Leistungen erworbenes Recht erblickt, noch niemals nach dem Sinn der Kaufleute gewesen ist? Der Kaufmann glaubt stets einen Gott-gewollten Anspruch auf noch mehr Geld, auf noch mehr Güterbezugsrechte zu haben, als er sich durch seine Leistungen erkauft hat. Er glaubt, es gebe „zu wenig“ Geld im Lande – obwohl es überall so viel Geld, d.h. so viel Rechtsansprüche auf Güter gibt, wie man sich zu erwerben verstanden hat, – und fordert daher den Staat auf, ihm gegen das Versprechen einer späteren Rückzahlung neues Geld, neue Bezugsrechte zu übergeben. Daß der Staat das gar nicht kann, weiß er nicht, und weiß leider auch sehr oft der Staat selbst nicht. Beide, Kaufmann und Staat, glauben viel mehr, daß neue Rechte, neue Bezugsrechte auf Güter entstanden seien, sobald der Staat oder seine Bank frische, dem bisherigen Gelde ähnelnde Scheine drucken lässt. In Wirklichkeit hat man aber keine neuen Rechte geschaffen, sondern man hat aus den Rechtsansprüchen, die im alten, umlaufenden Gelde verkörpert sind, Teile herausgebrochen und diese Teile den Empfängern des neuen Geldes verliehen. Man hat die Inhaber des echten Geldes um genau so viel enteignet, wie man den Inhabern des Pseudogeldes zugewendet hat. Es ist hier von keinem „Recht“ mehr die Rede, sondern nur noch von krassem Unrecht. Wirkliches Geld, das die bestehenden Rechtsansprüche respektiert und eine Vermehrung der ehrlich erworbenen Güterbezugsrechte, einen tatsächlichen Zuwachs von Kaufkraft, darstellt, kann immer nur so entstehen, wie es die apokryphe Staatsstelle in dem vorerwähnten Zwiegespräch mit dem Arbeitgeber gesagt hat: Es muss im Verkehrsleben eine Leistung erfolgt sein, aus der heraus ein Gut entstanden ist, das in sich selbst die Gewähr der größtmöglichen Wertbeständigkeit trägt. Nur derjenige Güteranspruch, der sich auf dieses besondere Gut zurückbezieht, ist echtes, vollwertiges, rechtmäßig entstandenes Geld.
In Liebe
Dein alter Papa.
7. Brief
Die vielen Güter und das wenige Geld – Nutzlauf, Leerlauf und Preis – Produktionsstärke und Geldmenge
Berlin, am 15. Januar 1921.
Das Geld ist gleichbedeutend mit dem verbrieften Anrecht, das sein Besitzer auf einen bestimmten Teil aller Marktgüter hat. Es ist gewissermaßen der Schlüssel, nach dem sich die gesamten Marktgüter unter die Menschen verteilen. Viel Geld bedeutet den Anspruch auf einen großen Bruchteil der Güter, wenig Geld bedeutet den Anspruch auf einen kleinen Teil.
Das ist so klar, mein lieber James, daß ein Kind es begreift. Weniger klar ist dagegen die Mechanik des Verteilungsvorgangs. So befremdet es uns z.B., daß wir auf der einen Seite einen ungeheuren Gütervorrat, auf der anderen Seite aber nur einen verhältnismäßig kleinen Geldvorrat sehen. Es befremdet uns das umso mehr, als der ungeheure Gütervorrat sich täglich neu ergänzt, da ja immer wieder frische Gütermengen auf den Markt strömen, der weit kleinere Geldvorrat jedoch unter normalen Verhältnissen immer ungefähr derselbe bleibt. Wie geht da die Verteilung vor sich? Wie bewältigt der kleine Geldvorrat die großen Gütermengen, und welcher Mechanismus sorgt dafür, daß jeder Einzelne zu seinem Recht kommt, nämlich zu seinem in den Geldzeichen verkörperten Anrecht auf Güter?
Obenhin betrachtet, scheint auch dies ganz klar zu sein. Denn wenn auch die Geldzeichen nur verhältnismäßig gering an Zahl sind, so vervielfältigen sie sich doch durch ihre große Beweglichkeit. Eben noch sah man, wie sie an einer bestimmten Stelle des Verkehrs Güterumsätze bewältigen, und schon erblickt man sie an einer andern Stelle, wo sie wiederum im Begriff sind, Umsätze zu vermitteln. Dieselben Geldzeichen tauchen bald hier, bald dort auf, und wo sie auch sein mögen, immer verteilen sie neue Gütermengen. Je schneller sie die besitzende Hand wechseln, je beweglicher sie sind, um so leistungsfähiger sind sie; genau wie eine kleine, aber schlagfertige Truppe mehr leistet, als ein großes, aber schwerfälliges Heer. Für die Wirksamkeit der Geldzeichen ist also nicht so sehr ihre Anzahl ausschlaggebend, als vielmehr die Häufigkeit ihres Platzwechsels, ihre sogenannte „Umlaufsgeschwindigkeit“.
Aber was besagt das im Grunde? Eröffnet es uns irgend einen Einblick in den Sinn der Wirtschaftsvorgänge, wenn wir wissen, daß der Umsatz von Marktgütern so groß ist, wie die Geldmenge multipliziert mit ihrer Umlaufsgeschwindigkeit? Können wir aus dieser Tatsache irgend eine zuverlässige Folgerung ziehen? Können wir beispielsweise folgern, daß jeder Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit ohne weiteres eine entsprechende Zunahme des Güteraustauschs und der Produktion entspricht? Wenn das der Fall wäre, so besäßen wir ein prächtiges und höchst einfaches Mittel, die Umsätze zu erhöhen und die Wirtschaft zu beleben: Wir brauchten nur das Geld recht schnell rollen zu lassen, also die Lohnzahlungen an die Arbeiter täglich statt wöchentlich und die Begleichung der Miets- und Kapitalzinsen vierzehntägig statt vierteljährlich stattfinden zu lassen. Das Ei des Kolumbus!
Aber auf so einfache Weise lassen sich Handel und Wandel leider nicht beleben. Es gibt zwar naive Leute, die wirklich der Ansicht sind, man könne den „Geldmangel“, den sie wahrzunehmen glauben, dadurch beseitigen, daß man die Geldzeichen ihre Arbeit schneller verrichten lasse und es ist aus diesem Grunde schon häufig vorgeschlagen worden, die Lohn-, Miets- und Zinszahlungen in kürzeren Perioden stattfinden zu lassen. In Wirklichkeit würde aber niemand einen Vorteil von einer solchen Maßnahme haben. Weder der Arbeiter noch der Arbeitgeber, weder der Mieter noch der Hauswirt, weder der Gläubiger noch der Schuldner würden dadurch auch nur um einen Pfennig bereichert werden. Wenn überhaupt eine finanzielle Wirkung einträte, so könnte es nur eine ungünstige sein: Die Lohn-, Miets- und Zinsbeträge würden so sehr zusammenschrumpfen, daß es sich nicht mehr lohnte, sie vor der Auszahlung oder nach der Empfangnahme zur Bank zu geben, d.h. sie produktiv wirken zu lassen. Die Beträge würden sich vielmehr untätig in den Geldschränken und Portemonnaies verzetteln.
Daß es auf die bloße Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes nicht ankommt, erkennt man übrigens am besten, wenn man sich den Geldverkehr am sogenannten Kapitalmarkt und an der Börse vergegenwärtigt. Nirgends läuft das Geld schneller um als hier. In spekulativ erregten Zeiten kann eine Aktie an einem Tage zehnmal und mehr den Besitzer wechseln, was entsprechende Zahlungen auslöst. Aber hat dieser schnelle Geldumschlag den geringsten wirtschaftlichen Effekt? Nein. Damit ist nicht etwa gesagt, daß Geldmarkt und Börse nutzlose Einrichtungen seien. Aber der Nutzen, den sie etwa stiften, hat nichts mit der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu tun.
Es kommt also, wie Du siehst, mein Sohn, nicht darauf an, wie oft und wie schnell das Geld umläuft, sondern darauf, ob es „im Nutzlauf“ oder „im Leerlauf“ zirkuliert. Bringt der Bauer Getreide zu Markt, oder liefert der Handwerker seine Arbeit ab, so ist die Geldbewegung, die dieser Vorgang auslöst, Nutzlauf. Verkauft aber ein Spekulant Aktien, oder vermittelt ein Häusermakler den Besitzwechsel einer Villa, so handelt es sich um einen Leerlauf des Geldes. In einer gesunden Wirtschaft braucht das Geld gar nicht übermäßig schnell zu zirkulieren, wenn es nur bei einer möglichst großen Zahl der Umsätze wirtschaftliche Leistungen vermittelt.
Ob das geschieht oder nicht, hängt aber niemals vom Gelde ab. Weder die Menge noch die Umsatzzahl des Geldes entscheidet darüber, ob die Zahlungsakte, die es vermittelt, nützlich oder schädlich oder neutral sind. Wie sollte das auch möglich sein? Das Geld ist ja weiter nichts als ein verbrieftes Recht, ein Recht zum Bezuge von Gütern. Dieses Recht entsteht dadurch, daß jemand etwas geleistet und sich dadurch den Anspruch auf eine Gegenleistung erworben hat. Wenn das Recht aber erst einmal besteht, kann es durch zahllose Hände gehen, ohne daß notwendig eine Leistung, eine Bereicherung der Wirtschaft, damit verbunden ist. Der Vater kann es seinem Sohn, der Sohn kann es seinem Freunde, dieser kann es irgend einer Dame abtreten. Das sind dann drei Umlaufsakte ohne jeden wirtschaftlichen Nutzeffekt.
Es muß also unbedingt ein Element außerhalb des Geldes geben, das dessen Zirkulation regelt und dafür sorgt, daß die im Gelde dargestellten Güterbezugsrechte möglichst häufig in Erfüllung eines produktiven Zwecks den Inhaber wechseln. Und in der Tat existiert ein solcher Regulator. Er erfüllt die ganze Wirtschaft mit seiner Wirksamkeit, und es vergeht kein Tag, an dem nicht jeder von uns ihm mehrere Male begegnet. Dieser Regulator ist der Preis.
Auf welche Weise der Preis seine regelnde Funktion versieht, ist sehr leicht zu erkennen. Man braucht sich nur die Frage vorzulegen: Wann kauft der Kapitalist Aktien? Wann kauft er eine Villa? Mit an dem Worten, wann verwendet der Inhaber eines Güterbezugsrechts dasselbe unproduktiv, indem er längst bestehende Werte an sich bringt, statt es produktiv zu verwenden, d.h. die betreffenden Werte neu herstellen zu lassen und die Wirtschaft dadurch zu bereichern? Die Antwort lautet dann: Er wird Anteile an einem bestehenden Unternehmen (Aktien) erwerben, wenn diese am Ertrag gemessen billiger sind als die Anteile einer erst zu errichtenden Unternehmung und er wird eine fertige Villa kaufen, wenn diese ihn billiger zu stehen kommt als eine neu zu erbauende. Natürlich sprechen die etwaigen Annehmlichkeiten des sofortigen Besitzes alter Objekte bei der Abwägung des Preises ebenso mit, wie auf der anderen Seite die Vorteile (Modernität, längere Lebensdauer) neuer Objekte. Stellt sich unter Berücksichtigung dieser Momente der Preis der Beteiligung an einem neuen Unternehmen oder der Preis einer neu zu erbauenden Villa niedriger, als sich der Preis der alten Objekte stellt, so wird der Kapitalist geneigt sein, zu bauen oder bauen zu lassen, also sein Geld „produktiv“ zu verwenden.
Die meisten Menschen sind nun bekanntlich nicht gesättigte Kapitalisten, sondern Leute, die gezwungen sind, „sich ihr Geld zu verdienen“; das heißt Leute, die sich den Anspruch auf die Güter, die sie zum Leben brauchen, durch Leistungen erkaufen müssen. Die Umwelt hat aber für ihre Leistungen, wie wir gesehen haben, nur dann Verwendung, wenn sie zu einem Preise angeboten werden, der – unter Berücksichtigung aller hierbei mitsprechenden Momente – billiger ist als der Preis der alten, „versteinerten“ Leistungen, die in Gestalt von beweglichen und unbeweglichen Vorräten zum Angebot kommen. Neue und alte Produktion liegen also in ständiger Konkurrenz miteinander. Ich erinnere an ein bekanntes Beispiel: Wie ängstlich studiert der amerikanische Baumwoll-Farmer alljährlich die statistischen Berichte über die Weltvorräte an Baumwolle! Warum? Weil er genau weiß, daß der Preis, den man ihm bieten wird, ganz vom Preise und der Menge der Baumwolle vorjähriger Ernte abhängt. In derselben Lage sind mehr oder weniger alle Produzenten. Sie müssen ihren Preis, d.h. ihren Anspruch auf Gegenleistung, unter einer ganz bestimmten Höhe halten. Tun sie das nicht, so zirkulieren große Mengen Geld im „Leerlauf“ statt im „Nutzlauf“, und die Produktivität im Lande schrumpft ein.
Der Preis zieht also Geld an den Markt der neu produzierten Güter, wenn er niedrig ist, und er stößt Geld von diesem Markte ab, wenn er hoch ist. Im ersteren Falle erhöht, im zweiten ermäßigt er die wirkliche, wirksame Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Die Produzenten müssen also „billig“ erzeugen, sie müssen für jeden Anspruch, der aus einer Leistung entstanden ist und ihnen in Gestalt von Geld überlassen wird, eine große Gegenleistung hergeben. Das heißt nichts anderes als: Sie müssen viel erzeugen, wenn sie die wirksame Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes erhöhen wollen. Was ergibt sich hieraus? Es ergibt sich, daß nicht die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes über die Produktion, sondern umgekehrt die Produktion über die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes entscheidet.
Ja, es ergibt sich daraus noch mehr, und zwar eine sehr interessante Tatsache. Da der Produzent in dem Maße, wie er seine Erzeugung verstärkt, in immer schnellerem Tempo Geld an sich heranzieht, so wird er selbst immer konsumkräftiger. Jedes Mal, wenn das Geld in beschleunigtem Kreislauf seine Kasse passiert, gelangt er damit in den Besitz neuer Güterbezugsrechte, die er geltend machen kann. Hat er zunächst durch seine Preisstellung die fremde Nachfrage verstärkt und ihr sein Angebot entgegengesetzt, so verstärkt er jetzt seinerseits die Nachfrage, indem er das durch seine Leistung erworbene Recht auf Gegenleistung ausübt, also das eingenommene Geld wieder ausgibt. Er erhöht auf diese Weise nicht nur seine eigene, sondern die allgemeine Produktion. Die Leistungen werden immer größer und folgen sich immer schneller, und sie erzeugen Ansprüche auf Gegenleistungen, die gleichfalls immer größer und häufiger werden. Da aber ein Anspruch auf Gegenleistung nichts anderes ist als Geld, so folgt daraus, daß jede Zunahme der Produktion das zu ihrer Bewältigung erforderliche Geld selbst beschafft. Sie beschafft es auch dann, wenn keine äußerlich wahrnehmbare Vermehrung der Geldzeichen eintritt, und zwar dadurch, daß sie die vorhandenen Geldzeichen immer schneller anzieht und abstößt, d.h. ihre Umlaufsgeschwindigkeit erhöht.
Auf diese Weise erzeugt die Wirtschaft selbst, ohne Zutun von außen, ohne jede Einwirkung des Staats, neues Geld, sobald sie dessen bedarf, und in genau derjenigen Menge, deren sie bedarf. Wer also sagt, es könne jemals „zu viel“ oder „zu wenig“ Geld zur Bewältigung des Güterverkehrs geben, der hat weder das Wesen des Geldes noch das Wesen des Güterumlaufs erkannt. Geldzirkulation und Güterzirkulation sind ganz einfach identisch, wenn man auch aus Gründen der Bequemlichkeit, vor allem wegen des leichteren Eigentums-Nachweises, die abstrakten „Rechte“ an den zirkulierenden Gütern zu einem selbständigen, konkreten Wirtschaftsfaktor, nämlich zu „Geld“ gemacht hat. Um ein Bild zu gebrauchen: Produktion und Konsum sind der auf- und abgleitende Kolben der Wirtschaftsmaschine, und das Geld ist das Schwungrad, das vom Kolben bald in langsame, bald in schnelle Bewegung gesetzt wird. Diese Bewegung, Umlaufsgeschwindigkeit genannt, wird durch die Schnelligkeit der Kolbenbewegung reguliert. Der Kolben, nicht das Rad, treibt die Maschine. Das Rad ist nur ein technischer Behelf. Es ist vorteilhafter, den Kolben durch das Schwungrad auf den Gang der Maschine wirken zu lassen, als direkt. Es ist vorteilhafter, aber nicht unbedingt nötig. Man kann die Anrechte auf Güter auch ohne das Hilfsmittel des Geldes unter die Bevölkerung aufteilen; das wäre dann Tauschwirtschaft statt Geldwirtschaft. Aber die Tauschwirtschaft ist so schwerfällig und bedarf, da die auszutauschenden Güter fast niemals gleichwertig sind, so sehr der Ergänzung durch den im Kleinverkehr herzlich unbeliebten Kredit (vergl. meinen Brief vom 2. Januar), daß es eine ausschließliche Tauschwirtschaft nirgends gibt und meiner Ansicht nach auch niemals gegeben hat.
Kapiert?
Dein alter Papa .
8. Brief
Arbeitendes und ruhendes Geld – Die Zinsprämie – Produktion und Konsum
Berlin, am 17. Januar 1921.
Wenn jemand etwas leistet, d.h. eine Arbeit verrichtet oder ein Gut fortgibt, so erwirbt er dadurch einen Anspruch auf Gegenleistung, der die Gestalt von „Geld“ annimmt. Mit diesem Anspruch kann er auf verschiedene Weise verfahren. Er kann ihn sofort geltend machen, indem er das Geld wieder ausgibt und sich seinerseits ein Gut oder eine Arbeitsleistung dafür verschafft, also sich z.B. eine Uhr kauft oder einen Anzug machen lässt. In diesem Fall wird das Geld seiner Bestimmung, Güterumsätze zu vermitteln, zurückgegeben; es tut seinen Dienst, es „arbeitet“, wie man zu sagen pflegt. Der Mann kann aber auch anders handeln. Er kann den erworbenen Anspruch auf Gegenleistung unausgenutzt lassen, um erst bei späterer Gelegenheit Gebrauch von ihm zu machen, beispielsweise, um im nächsten Sommer eine Reise zu unternehmen oder sich ein Ruderboot zu kaufen. In diesem Falle liegt das Geld bis zum Sommer untätig im Schrank. Es vermittelt keine Güterumsätze, es arbeitet nicht, und die in ihm verkörperte Kaufkraft bleibt unausgenutzt. Die Kaufkraft „ruht“.
Wenn die meisten Menschen so handeln wie unser Mann im ersten Beispiel, also eingenommenes Geld sofort wieder verausgaben, so zirkuliert die im Lande vorhandene Geldmenge sehr schnell. Es kommen viel Umsätze zu Stande, und es herrscht rege Tätigkeit. Handeln die meisten Menschen aber wie im zweiten Beispiel, lassen sie das Geld also lange Zeit unausgenutzt liegen, so zirkuliert das Geld langsam, die Umsätze sind gering, und das gewerbliche Leben pulsiert schwach. Es kommt somit außerordentlich viel darauf an, ob die Menschen die Gewohnheit haben, die erworbenen Ansprüche auf Gegenleistung schnell oder langsam auszunutzen, d.h. ihr eingenommenes Geld kurze oder lange Zeit aufzubewahren.
Diese Gewohnheit unterliegt aber bestimmten Gesetzen. Es ist fast niemals reine Willkür, ob eine Volksgemeinschaft so oder anders handelt, sondern es hängt von der Eigenart der Wirtschaft ab. Eine Bevölkerung, die darauf rechnen kann, daß sie einen Geldbetrag, den sie heute ausgibt, morgen schon wieder einnimmt, wird mit der Ausgabe nicht lange zögern, sondern das Geld schnell wieder in den Verkehr zurückfließen lassen. Eine Bevölkerung dagegen, die nicht mit einer schnellen Rückkehr des Geldes rechnen kann, muß mit dem vorhandenen Gelde haushalten, wird es also nur allmählich und zögernd verausgaben. Mit anderen Worten: Schneller Verdienst gibt aus, langsamer Verdienst spart.
Aber die Schnelligkeit des Verdiensts ist ihrerseits wieder keine Zufallserscheinung, sondern wird gleichfalls von Wirtschaftsgesetzen bestimmt. Jede Einnahme von Geld, d.h. jeder Anspruch auf Gegenleistung, will durch eine Leistung erworben sein. Wer viel leistet, zu dem kehrt das Geld schnell, wer wenig leistet, zu dem kehrt es langsam zurück. Es genügt aber nicht, daß der einzelne Mann selbst intelligent und fleißig sei, damit ihm ein schneller Verdienst zufließt. Auch die anderen Männer, mit denen er im Erwerbsleben zu tun hat, also alle Glieder der Volksgemeinschaft, müssen sein wie er, auch sie müssen viel leisten. Denn wenn sie das nicht tun, haben sie nichts, womit sie die Arbeit des fleißigen Mannes bezahlen können; sie haben keine Gegenleistung, um seine Leistung zu honorieren. Voraussetzung für schnellen Verdienst und entsprechend schnelle Geldzirkulation ist also eine allgemeine Regsamkeit im Lande, ist eine große Güterproduktion. Und es ist ja auch ganz klar, daß jeder Einzelne umso schneller und umso mehr verbrauchen kann, je schneller und je mehr die ganze Volksgemeinschaft erzeugt.
Die Zirkulationsgeschwindigkeit des Geldes, d.h. die Tatsache, ob die einzelnen Geldzeichen lange oder kurze Zeit in ein und derselben besitzenden Hand bleiben, ist nicht nur entscheidend für die größere oder geringere Nachfrage, die am Markte herrscht und die Produktion anregt, sondern sie ist zugleich ihrerseits wieder abhängig vom Grade der Produktivität im Lande. Somit entscheidet im Grunde lediglich die nationale Erzeugungskraft über die Schnelligkeit und Größe der Nachfrage. Die Produktion bestimmt den Konsum, und ein schneller Geldumlauf, bei dem viel Geld „arbeitet“ und wenig Geld „ruht“, ist nur das äußere Zeichen einer lebhaften gewerblichen Tätigkeit. Den Anstoß zu dieser Tätigkeit liefert die geistige und körperliche Befähigung der Bevölkerung, neue Güter mit möglichst geringem Kraft- und Materialaufwand, d.h. zu billigem Preise, zu erzeugen. Und zwar muss der Preis so billig sein, daß es für die Bevölkerung vorteilhaft wird, sich nicht mehr mit den vorhandenen Gütern, wie Häusern, Bahnen, Schiffen, Maschinen usw., zu begnügen, sondern neben diesen alten Gütern neue in Benutzung zu nehmen. Die zunehmende Fähigkeit zu einer solchen Produktions-Verbilligung nennt man „Fortschritt“.
Sonach sind „Arbeit“ und „Ruhe“ des Geldes vom Stande der nationalen Produktivität abhängig. Sie sind Objekt“ nicht Subjekt der Betriebsamkeit. Aber obwohl es so ist“ gibt es doch ein Mittel, sie, wenigstens äußerlich und dem Anscheine nach, zum Subjekt der Betriebsamkeit zu machen, die Wirtschaft also vom Gelde aus zu beeinflussen. Es gibt ein Mittel, die Produktion dadurch zu beleben“ daß man künstlich „ruhendes“ Geld in „arbeitendes“ Geld umwandelt, also das Geld zu einer Tätigkeit zwingt, die es freiwillig nicht ausüben würde. Man kann zum Beispiel den Mann, von dem wir vorhin gesprochen haben, und der sein Geld zum Zweck einer Sommerreise oder späteren Ankaufs eines Boots ruhen lassen wollte, veranlassen, seine Absicht aufzugeben und das Geld wieder in Umlauf zu setzen, es sofort wieder arbeiten zu lassen. Das Mittel, mit dem man dies bewirkt, ist der Zins.
Der Zins ist weiter nichts als die Prämie, die man den Inhabern ruhenden Geldes dafür gewährt, daß sie den im Gelde verkörperten Güteranspruch, den sie selbst bis auf Weiteres nicht geltend machen wollen, interimistisch an Dritte abtreten, die ihn sofort auszunutzen beabsichtigen. Die Einführung des Zinses, d.h. der Leihgebühr für ruhende Güteransprüche, in die Wirtschaft ist ein höchst raffiniertes Mittel, mit dem man die Geldbesitzer zwingt, die Güteransprüche, die sie besitzen, sofort auszuüben oder ausüben zu lassen, und so eine Nachfrage am Markt zu erzeugen, die sonst fehlen würde. Der Zwang besteht in dem Appell an den menschlichen Eigennutz und erweist sich meist als sehr wirksam. Denn jeder Geldbesitzer, der sein Geld daran hindert, zu arbeiten, und es untätig im Kasten liegen läßt, wird dafür bestraft, indem er den Zins verliert, den er sonst erhalten würde.
Hier muss man nun aber genau Obacht geben, daß man nicht einem schweren Irrtum zum Opfer fällt. Denn es sieht angesichts des intimen Verhältnisses, in dem Zins und Geld zu einander stehen, ganz so aus, als sei das Geld der eigentliche Motor der Wirtschaft; ein so wichtiger Motor, daß man ein regelmäßiges und oft sehr hohes Entgelt für seine Benutzung bezahlt. Aber das ist eine Augentäuschung. Man schlägt auf den Sack und meint den Esel. Man spricht von Geld und denkt dabei nur an die Güter, auf die es ein Bezugsrecht gewährt. Das lässt sich übrigens ganz deutlich erkennen. Wenn ich heute einem Fabrikanten oder einem Bankier zehn Millionen Mark in Geldzeichen auf ein Jahr leihe, daran aber die Bedingung knüpfe, daß er das in den Geldzeichen verkörperte Güterbezugsrecht nicht ausübe, sondern das Geld ruhig liegen lasse, so wird mir der Fabrikant oder der Bankier nicht einen Pfennig Zinsen dafür zahlen. Warum nicht? Nun einfach deshalb, weil den Leuten nicht das Geringste am Gelde selbst liegt, um so mehr aber an den Gütern, auf die das Geld ein Anrecht gewährt, und die man sich nur dann verschaffen kann, wenn man das Geld wieder fortgibt, es an den Markt bringt.
Streng genommen sind es nicht einmal die Güter an sich, für die der Geldentleiher eine Gebühr, einen Zins, zahlt. Denn wenn ich dem Bankier oder Fabrikanten vorschreiben wollte, daß er nur dieses oder jenes Gut für meine zehn Millionen Mark beziehen dürfe, etwa ein Haus oder eine Münzsammlung, so wird er mir wiederum keinen Zins bewilligen. Er wird dies auch dann nicht tun, wenn ich ihm zwar die Güterauswahl freistelle, aber von ihm verlange, daß er die Güter konsumtiv verwerte, daß er z.B. gekauftes Holz verbrenne, gekauften Zucker verzehre. Er vergütet mir den Zins nur dann, wenn ich ihm das Geld für denjenigen Zweck überlasse, den er selbst im Auge hat. Und dieser Zweck ist nicht auf den Besitz und den Konsum eines bestimmten Gutes gerichtet, sondern auf die Arbeit, auf die Leistung, die ihm der Besitz des Gutes ermöglicht. Der Textilindustrielle z.B. bezahlt mir für mein Geld nicht deshalb einen Zins, weil er sich dafür soundsoviel Wollgarn hinlegen kann. An dem Besitz dieses Gams, an dessen Lagerung in seinen Räumen, ist ihm nicht das mindeste gelegen. Sondern er bezahlt mir den Zins, weil ich ihm mit meinem Gelde eine Leistung ermögliche, nämlich eine Veredelung des Gams zu Stoff. Das Garn ist wie das Geld nur Mittel zum Zweck. Die Leihgebühr erhalte ich für die Ermöglichung einer Leistung, und ich erhalte sie aus dem Nutzen, den die Leistung für die Allgemeinheit hat. Ich erhalte sie, exakt gesprochen, dafür, daß der Industrielle für seine Leistung mehr Güteransprüche erlöst, als er mir schuldet, indem er mehr Geld als meine zehn Millionen Mark einnimmt. Er tritt mir einen Teil des Güterzuwachses ab, um den er die Welt mit seiner Arbeit bereichert hat, zu der ich ihn mit meinem Gelde befähigt habe.
Der einzelne wirtschaftende Mensch hat also seine Pflicht noch nicht ganz erfüllt, wenn er viel geleistet und dadurch einen Anspruch auf viel Gegenleistungen erworben hat. Er muß, um ein nützliches Glied der Gesellschaft zu sein, den Anspruch auch geltend machen; er muß die Gegenleistung beziehen oder, wenn er sie selbst nicht sofort verwenden kann, den Bezug einem Dritten überlassen. Tut er das nicht, sondern bewahrt er den Anspruch in Form von Geld jahrelang auf, um das Güterbezugsrecht erst spät oder gar nicht auszuüben, so prellt er die Gesamtwirtschaft und verletzt er den Sinn des Geldverkehrs, der ein Austausch von Leistung und Gegenleistung ist. Hat die Umwelt ihm seine Leistung abgenommen, so hat sie Anspruch darauf, daß man ihr auch ihre Gegenleistung abnimmt. Sonst sucht sie für dieselbe vergeblich Abnehmer auf dem Markt, und die Produktivität nimmt mangels entsprechender Nachfrage ab. „Wer arbeitet, soll auch essen.“ Wer produziert, soll konsumieren. Sonst gerät die Wirtschaft in Unordnung.
Das wirtschaftliche Instrument, mit dem diese Gefahr einer Stockung in der Wirtschaft vermieden wird, ist der Zins, der eine Prämie auf den sofortigen Bezug von Gegenleistungen setzt, und zwar, – wie weise ist doch die Wirtschaft eingerichtet! – auf den produktiven Bezug von Gegenleistungen, also auf die sofortige Beschaffung von Gütern, die eine Anwendung von Arbeit gestatten und dadurch den Güterbestand im Lande erhöhen. Andrerseits sorgt aber der Zins auch dafür, daß nicht mehr Güter produziert werden, als die Konsumfähigkeit rechtfertigt. Würden beispielsweise alle Geldinhaber darauf verzichten, die Gegenleistung, auf die sie Anspruch haben, in Form von verzehrbaren und verbrauchbaren Gütern zu beziehen, sondern würden sie, um Zinsen einzunehmen, grundsätzlich die ganze Gegenleistung an die Produzenten abtreten, so würde die Erzeugung sehr bald über die Verbrauchsmöglichkeit hinausgehen. Die Produzenten würden vergeblich nach Abnehmern für ihre Waren suchen. Darum steigt der Zins, eben die Prämie für Überlassung von Güterbezugsrechten, sobald die Produktivität hinter dem Konsum zurückbleibt, und er sinkt, sobald das Umgekehrte eintritt. Er sinkt dann so lange, bis die Zinsprämie den Geldinhabern ungenügend erscheint, so daß diese es vorziehen, selbst zu konsumieren oder zum mindesten die Produktion nicht mehr durch Überlassung von Güterbezugsrechten zu verstärken.
Der Zins ist also, wie Du siehst, ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor, lieber James. Er bestimmt Tempo und Richtung der Produktion und stimmt Erzeugung und Verbrauch auf einander ab. Er zieht Güterbezugsrechte an, wenn er hoch ist, und stößt sie ab, wenn er niedrig ist, er füllt und leert auf diese Weise die Sammelbecken, aus denen die nationale Produktion die nötigen Antriebskräfte bezieht. Diese Sammelbecken aber sind der Geldmarkt und die Banken.
In Liebe
Dein alter Papa.
9. Brief
Die Voraussetzung des Geldmarkts – Die Güterbezugsrechte und die dritte Hand
Berlin, am 20. Januar 1921.
Wir haben uns daran gewöhnt, lieber James, den Geldmarkt als etwas Selbstverständliches anzusehen. Er gilt uns als der unentbehrliche Treffpunkt, an dem diejenigen, die im Besitz zeitweilig entbehrlichen Geldes sind, Leute suchen und finden, die für dieses Geld Verwendung haben und einen Zins dafür bezahlen. Auf seinen eigentlichen wirtschaftlichen Sinn reduziert heißt das: Der Geldmarkt scheint uns deshalb unentbehrlich, weil Jeder, der ein Bezugsrecht auf Güter besitzt, das Bezugsrecht aber noch nicht ausüben will, hier Gelegenheit hat, es Dritten gegen eine Leihgebühr abzutreten. Hier gibt es Leute, die Verwendung für produktive Güter wie Werkstätten, Maschinen und Fabrikate oder für Arbeit und Rohstoffe haben, aus denen Werkstätten, Maschinen und Fabrikate hergestellt werden, und die ihm dafür, daß er ihnen den Bezug dieser Dinge mit seinem Gelde ermöglicht, gern einen Anteil an ihrem Produktionsgewinn in Gestalt eines Zinses einräumen. Was sollte wohl, so argumentieren wir, Derjenige anfangen, der viele Güterbezugsrechte besitzt (viel Geld hat), sie aber selbst nicht zu verwenden vermag, wenn es keinen Geldmarkt gäbe, an dem er die Rechte ausleihen kann, und keinen Kapitalmarkt, an dem sich die Rechte verkaufen lassen? (Der Unterschied zwischen Geldmarkt und Kapitalmarkt wird in der Regel nicht beachtet. Er besteht darin, daß am Geldmarkt Gelder, d.h. Güterbezugsrechte auf Zeit ausgeliehen werden, während am Kapitalmarkt dieselben Gelder, dieselben Güterbezugsrechte, definitiv abgetreten, gegen sogenannte Anlagewerte ausgetauscht, also verkauft werden).
Trotzdem ist der Geldmarkt an sich entbehrlich. In einem Lande, wo die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung einigermaßen gleichmäßig sind, wird ein Geldmarkt nicht gebraucht, und wenn er dennoch existiert, so spielt er hier keine große Rolle. Wozu bedarf es eines Geldmarkts z.B. in einem Agrarlande, in dem fast jeder Einwohner sein Stück Land hat, das ihn heute ernährt, und das in dreißig Jahren seine Kinder nähren wird? Er tauscht seine Produkte in Geld, d.h. in Güterbezugsrechte, ein und bezieht dann dafür die Waren, die er braucht. Nimmt er viel Geld ein, so kauft er viel Waren, andernfalls kauft er wenig. Er hat keinen Grund, einen Teil der im Gelde verkörperten Bezugsrechte nicht auszuüben, auf den Kauf von Waren systematisch zu verzichten und das Geld zu „sparen“. Das kann anders werden, wenn sich im Lauf der Zeit so viel Grundbesitz in einer Hand vereinigt, daß der Besitzer mehr Geld einnimmt, als er, ohne zu verschwenden, für Waren ausgeben will oder kann. Aber dann findet er ohne weiteres einen Nachbarn, der ihm das Geld abnimmt und verzinst. Er besitzt nunmehr ein Kapital, dargestellt in einer Forderung an den Nachbarn, also etwa in einer Hypothek. Es ist nicht nötig, daß in einem solchen Lande der Leihgeldverkehr, der Austausch von Güterbezugsrechten, marktmäßig organisiert wird.
Auch in einem industriell fortgeschrittenen Lande kann es Brauch sein, daß jeder Gewerbetreibende das Recht zum Bezuge von Gütern, welches er mit seinen Produkten erwirbt, selbst ausübt, daß er also für sein Geld Verbrauchsgüter kauft und etwaige Überschüsse, die seinen Bedarf übersteigen, zur Erweiterung seines Betriebs verwendet, oder seinen Kindern damit eine Existenz schafft, indem er ihnen Betriebe einrichtet. Ein Ende hat es mit dieser patriarchalischen Verwendung der im Gelde dargestellten Bezugsrechte erst dann, wenn eine sehr große Ungleichheit des Besitzes die Regel geworden ist. In Ländern, wo die Bevölkerung in „Two nations“ zerfällt, nämlich in eine reiche Oberschicht, die den größten Teil des Bodens und aller Betriebsmittel besitzt, und ein entwurzeltes Proletariat, das nichts oder wenig hat außer der Arbeit seiner Hände, in solchen Ländern hört die Verwendung des Geldes durch den Eigentümer selbst notwendig auf.
Der Proletarier, der keinen Rückhalt an eigenem Besitz hat, und der stets befürchten muss, bei eintretendem Alter oder verminderter Arbeitsfähigkeit ohne Verdienst und ohne Existenzmittel dazustehen, der auch seinen Angehörigen keine Einkommensquelle hinterlässt, muss wohl oder übel einen Teil seines Einkommens unverbraucht lassen. Für ihn heißt es: „Spare in der Zeit, so hast Du in der Not!“ Er muss Bezugsrechte auf Güter für sein Alter und seine Familie reservieren, wenn er nicht sehr leichtfertig handeln will. Tut er es nicht selbst, so muss es der Staat im Wege der Sozialgesetzgebung für ihn tun. Beides läuft auf dasselbe hinaus. Es werden Güterbezugsrechte dem sofortigen Verbrauch durch ihre Eigentümer entzogen, für spätere Jahrzehnte aufgesammelt und bis zum Eintritt des Zeitpunkts ihrer Verwendung an Dritte ausgeliehen. Dabei handelt es sich um ganz gewaltige Summen, die in der Statistik der staatlichen Versicherungsanstalten, der Sparkassen, der kleinen Lebensversicherung usw. zum Ausdruck kommen. Ihre Bewegung erfordert eine Organisation, und diese Organisation ist der Geldmarkt.
Eine ganz ähnliche Veränderung tritt bei der entgegen gesetzten Bevölkerungsschicht, bei den Großkapitalisten, ein. Die Ursachen sind hier aber zum Teil anderer Art. Allerdings besteht auch in diesen Kreisen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, das Bestreben, sich Reserven für die Zukunft zu schaffen; denn in einem auf Industrie und Großkapitalismus eingestellten Land wechseln die Konjunkturen schnell, und ein Sturz in die Tiefe liegt für den Einzelnen durchaus im Bereich der Möglichkeit. In der Hauptsache aber ist der Verzicht auf sofortige und selbständige Geltendmachung der Güterbezugsrechte ganz einfach darauf zurückzuführen, daß sich in einer und derselben Hand viel mehr solcher Rechte ansammeln, als vernünftigerweise ausgenutzt werden können, viel mehr Geld, als selbst bei luxuriösen Lebensgewohnheiten für den Tagesbedarf ausgegeben werden kann. Das Geld in den eigenen Betrieb zu stecken, wie es der Landwirt gern tut, widerstrebt aber dem modernen Kapitalisten. Er setzt nicht gern alles „auf eine Karte“ und arbeitet, wenn er sein Unternehmen sehr stark ausdehnt, lieber mit fremdem Gelde als mit dem seinigen. Auch der Kapitalist, und er ganz besonders, braucht also einen Markt, an dem er sich seiner überschüssigen Güterbezugsrechte auf kürzere oder längere Zeit entledigen kann.
So sehen wir, daß der Geldmarkt ganz und gar kein Naturprodukt, keine wirtschaftliche Elementar -Erscheinung ist, sondern daß er nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu einem Bedürfnis wird. Heute ist das allerdings in allen Kulturländern der Fall, weil sie in den letzten Jahrzehnten eine ausgesprochen großkapitalistische Entwicklung durchgemacht haben. Das Geld muss heute einen besonderen Markt haben, weil auf der einen Seite ein immer größerer Überschuss Verwendung sucht, auf der andern Seite das Bedürfnis nach einer Reserve für die Zukunft immer dringender wird; beide Momente bewirken, daß die „dritte Hand“ bei der Geldverwendung nicht mehr entbehrt werden kann.
Tatsächlich hat jedes Land nicht nur einen Geldmarkt, sondern daneben noch zahlreiche kleine Märkte, von denen jeder einen Zu- und Abfluss zum großen Zentralmarkt hat. Die kleinen Märkte sind die Banken. Bei ihnen sammeln sich die Gelder der „Two nations“, in erster Linie fließen ihnen die Überschutzgelder der kapitalistischen Kreise zu. Ihre Aufgabe ist es, die dritte Hand zu suchen, welche die in den Geldern verkörperten Güterbezugsrechte so zweckmäßig ausnutzt, daß über den Zins, hinaus, der dem Eigentümer zu vergüten ist, ein hoher Überschuss für die Volksgemeinschaft erzielt wird. Von ihren Kreditprinzipien hängt es ab, welche Verwendung die Produktivgüter finden, und nach welcher Richtung hin sie die Wirtschaft des Landes entwickeln. Denn gleichviel, ob die Banken die dritte Hand selbst finden, welche die Güter verwalten und zu ertragreichem Kapital um wandeln soll, oder ob sie sich dabei der Mitwirkung des großen Zentralmarktes bedienen, immer ist die Auswahl unter den Verwaltungsberechtigten ihnen überlassen. Das macht die ungeheure Verantwortung der Banken und zugleich ihre Machtstellung aus, die sie oft zu einem Staat im Staate werden lässt.
Da die Banken vermittels ihrer Kredithoheit der wirtschaftlichen Entwicklung die Wege vorzeichnen, so hätten sie es eigentlich in der Hand, die bedenkliche Tendenz zu mildern, welche die Bevölkerung in zwei feindliche soziale Lager spaltet und dadurch den Bestand des Staats gefährdet. Sie hätten es in der Hand, die ihnen zur Verteilung überlassenen Güterbezugsrechte in solche Kreise zu leiten, die nicht an der Verstärkung des Proletariats mitwirken. Sie könnten den gewerblichen Mittelstand und das Handwerk fördern und dadurch dem rasenden Wachstum des Großkapitals Grenzen setzen. Leider verfahren die Banken aber in den meisten Ländern nicht so, sondern gerade entgegengesetzt. Sie führen die unverwendeten Überschüsse des Kapitals wiederum dem Kapital zu und verstärken so die geldkonzentrierende Tendenz, die zwar den Geldmarkt immer unentbehrlicher und mächtiger macht, die Wurzeln des Staats aber allmählich vollkommen untergräbt.
Zum Teil wirken hierbei egoistische Gründe mit. Aber um gerecht zu sein, eine erhebliche Mitschuld trifft dabei den Staat und seine Gesetzgebung. Da die Banken anvertrautes Gut verwalten und nicht nur aus privatrechtlichen Gründen, sondern auch infolge ihrer öffentlichen Stellung, als Herren der wirtschaftlichen Entwicklung im Lande, verantwortlich für die Intaktheit der ihnen überlassenen Gelder sind, so müssen sie ihr Hauptaugenmerk auf das Moment der Sicherheit legen. Als der geeignetste Verwalter der Gelder erscheint ihnen daher immer derjenige, der die größte Gewähr für pünktliche Rückerstattung bietet, und das ist naturgemäß der Großkapitalist. Der kleine Mann bietet eine solche Gewähr nicht, seitdem die Staatsgesetze, im Streben nach Humanität, den unzuverlässigen Schuldner in weitgehendem Maße vor der Verfolgung durch den Gläubiger schützen. Als es noch den Schuldturm gab, war der Handwerker und Kleingewerbler ein verhältnismäßig sicherer Debitor, dem Kredit ohne weiteres zur Verfügung stand. Die drohende Gefängnisstrafe machte ihn vorsichtig und zu einem verlässlichen Verwalter fremden Geldes. Heute droht ihm der Schuldturm nicht mehr, aber er selbst trägt den Schaden, denn er ist nun nicht mehr kreditwürdig. Es verhält sich mit diesem sozialen Akt der Gesetzgebung wie mit so vielen anderen: Er erschlägt diejenigen, die er schützen will, und ist daher in Wirklichkeit im höchsten Grade unsozial.
Das darf man nicht ganz außer Acht lassen, wenn man den Banken den Vorwurf macht, sie trieben großkapitalistische Kreditpolitik und handelten nach dem Prinzip: „Wer da hat, dem wird gegeben.“ Eins aber ist sicher: Auf dem jetzigen Wege der Überfütterung des Kapitals, sozusagen der kapitalistischen Inzucht, darf es nicht mehr lange weitergehen, wenn es nicht zum „Zusammenbruch des Abendlandes“ von innen heraus kommen soll.
Und noch in einem anderen Punkte haben die Banken umzulernen; das ist die Zinspolitik. Der Zins ist jener hochwichtige Faktor im Wirtschaftsleben, der darüber entscheidet, ob die im Gelde verkörperten Güterbezugsrechte jeweils in produktivem oder in konsumtivem Sinne ausgeübt werden müssen. Der Zins ist das Zünglein an der Waage des wirtschaftlichen Gleichgewichts und zeigt genau an, ob die Schale der Produktion oder die des Konsums entlastet werden muss. Wird dieser Index missbraucht, wird ihm zum Trotz die Produktion mit Hilfe der bei den Banken zentralisierten Gelder weiter gesteigert, obwohl ihre Schale sich längst gesenkt hat, so bricht eine Wirtschaftskrisis aus, die bei richtiger Politik vermieden werden könnte. Das wirkliche Verständnis für die Symptome der Konjunkturen wird in den Bankbüros heute noch allzu sehr durch Schematismus und Routine ersetzt.
Während der nächsten Tage muß ich mich der Bilanz meiner Bank widmen, lieber James. Wundere Dich also nicht, wenn zwischen diesem Brief und dem nächsten etwas mehr als die gewohnte Zeit vergeht.
Herzlichst
Dein Papa
10. Brief
Das Prinzip der Notenbank – Der „Goldwahn“ – Geldmenge und Dritteldeckung – Notenbank und Konversionskasse
Berlin, am 26. Januar 1921.
So alt wie das Geld, lieber James, so alt ist auch die Klage der Menschen, es gebe „zu wenig Geld“. Das ist ein Missverständnis, von dem ich nicht zu hoffen wage, daß es jemals ganz aus der Welt verschwinden wird. Es werden wohl immer nur ganz Vereinzelte sein, die erkennen, daß „zu wenig Geld“ ein Widersinn ist. Geld ist der Maßstab, nach dem sich die vorhandenen Güter auf die Bevölkerung verteilen, und man kann die einzelnen Güter-Portionen nur vergrößern, indem man die Gütermenge erhöht, nicht aber, indem man den Maßstab verlängert. Wer darüber klagt, daß er zu wenig Geld hat, klagt in Wirklichkeit nur darüber, daß er nicht genug Waren oder Leistungen hat absetzen und sich daher nur eine kleine Portion der vorhandenen Gütermenge hat beschaffen können. Das kann eine Frage der persönlichen Unfähigkeit oder eine Frage der sozialen Ungerechtigkeit sein, niemals aber eine Frage der Geldmenge.
Da die große Masse das aber nicht einsieht, so fordert sie vom Staat, daß er mehr Geldzeichen herstelle, und der Staat erkennt diese Forderung als grundsätzlich berechtigt an, indem er Notenbanken errichtet, die „nach Bedarf“ Geldzeichen ausgeben sollen. Dabei setzt er der Schöpfertätigkeit der Banken freilich gewisse Grenzen. Wenn aber schon seine Anerkennung des öffentlichen Geldverlangens uns ein wehmütiges Lächeln abnötigt, weil sie auf einem Irrtum beruht, so wirken die „Grenzen“ , die er dem Verlangen setzt, vollends humoristisch. Denn der Staat pfropft hiermit seinem ersten Irrtum einen zweiten auf.
Wie die beiden Irrtümer entstanden sind, ist durchsichtig genug. Der Staat hat sich im Laufe der Jahrhunderte, durch Schaden gewitzigt, zu der Erkenntnis durchgerungen, daß nicht jedes Geld den in ihm dargestellten Güteranspruch wirklich voll gewährleistet, also „wertbeständig“ ist. Er hat vielmehr erkannt, daß nur solch Geld, das entweder selbst aus Edelmetall (Gold) besteht, oder jederzeit in dieses Edelmetall umgetauscht werden kann, die Eigenschaft der Wertbeständigkeit hat. Dabei ist ihm jedoch der Grund dieser Tatsache verborgen geblieben. Er sieht darin nur den Ausfluss einer menschlichen Laune eines Vorurteils. Er führt die Wertbeständigkeit des Goldgeldes oder Gold gedeckten Geldes darauf zurück, daß die Menschen nun einmal nur ein Geld, für das sie jederzeit den vollen Gegenwert in dem edlen Weltmetall erhalten können, für wert echt halten. Wenn das auch nur eine Marotte sei, die wohl aus der traditionellen Überschätzung der Edelmetalle herrühre, so müsse man ihr doch Rechnung tragen und möglichst nur solch Geld ausgeben, das auf Wunsch seines Inhabers jederzeit in Metall umgetauscht werden könne.
Das ist aber ein Irrtum. Die tatsächliche Überlegenheit des Goldgeldes – im östlichen Weltteil des Silbergeldes – hat eine weit tiefere Ursache als die Laune oder den Eigensinn der großen Masse. Die verhältnismäßige Wertbeständigkeit des Goldgeldes rührt vielmehr daher, daß die Erzeugung solchen Geldes der staatlichen Willkür entzogen ist. Goldgeld kann nur entstehen, wenn Gold produziert und an den Markt gebracht, wenn also etwas geleistet wird. Die Forderung, daß die Leistung und nur die Leistung Geld entstehen lasse, ist beim Goldgelde (oder bei dem voll durch Gold gedeckten Gelde) in idealer Weise erfüllt. Es kann von solchem Gelde niemals mehr entstehen, als der menschliche Verkehr, der Leistung gegen Leistung austauscht, rechtfertigt und braucht. Und da die Menge des Geldes bzw. das Verhältnis zwischen dieser Menge und den Leistungen über die Kaufkraft, über den „Wert“ des Geldes entscheidet, so ist das Goldgeld, bei dem die Menge bzw. das Verhältnis keine willkürliche Verschiebung erfahren kann, wertbeständig. Genau so wertbeständig würde aber auch jedes andere Geld sein, daß ausschließlich aus der Leistung entsteht, das also vom Verkehr selbst erzeugt und nicht nach irgend welchen Prinzipien von außen her dem Verkehr auf gezwungen wird.
Das erkennt, wie gesagt, der Staat nicht. Er glaubt an eine fixe Idee der Völker, an eine Art „Goldwahn“, und versucht nun, diesem Vorurteil durch eine bestimmte Geldpolitik Rechnung zu tragen. Er ermächtigt also die Notenbanken, das Verlangen des Volks nach „mehr Geld“ unter der Voraussetzung zu erfüllen, daß die ausgegebenen Noten in gewisser Höhe durch Gold gedeckt seien. Die Notenmenge könne beliebig hoch gegriffen werden, wenn nur immer Gold genug vorhanden sei, um diejenigen Noteninhaber, die in ihrem „Goldwahn“ etwa einmal Metall zu erhalten wünschten, aus dem Bestände befriedigen zu können. Da erfahrungsgemäß in normalen Zeiten im Durchschnitt nur jeder zehnte oder fünfte, allerhöchstens jeder dritte Noteninhaber Gold gegen seine Noten verlange, so genüge es, wenn der Metallbestand ein Drittel des Gesamtbetrages der ausgegebenen Noten ausmache. Sei diese Bedingung erfüllt, so könnten die Banken ruhig jede Notenmenge in Umlauf setzen, die dem „Verkehrsbedürfnis“ entspreche; das letztere lasse sich am besten aus der Zahl der bei den Banken zur Diskontierung eingereichten kaufmännischen Wechsel erkennen.
Aus diesem Gedankengang heraus sind alle existierenden Notenbanken entstanden. Das Prinzip ist überall daßelbe, wenn man auch bei der einen Bank das Vorhandensein von 40 Prozent Gold statt von 33 1/3 Prozent zur Bedingung macht, bei einer anderen Bank wieder irgend eine Ziffern mäßige Höchstgrenze für die auszugebenden Noten festsetzt; eine Höchstgrenze die fast regelmäßig heraufgesetzt wird, sobald das „Verkehrsbedürfnis“ es zu fordern scheint. Das Privileg aller Notenbanken beruht also auf dem zweifachen Irrtum, daß der „Wert“ des Geldes mit der umlaufenden Geldmenge im Lande nichts zu tun habe, und daß nur das Gold bzw. die Möglichkeit eines Umtauschs in Gold dem Gelde seine Wertbeständigkeit verleihe. Während es sich in Wirklichkeit gerade umgekehrt verhält: Das Gold hat als solches gar keinen, die Geldmenge dagegen den alleinigen Einfluss auf den „Geldwert“.
Daher kommt es, mein Lieber, daß alle Notenbanken ohne Ausnahme versagt haben, sobald sie die Probe auf das Exempel machen und dem Verkehr – etwa im Kriege oder in einer Krisis – eine erheblich vermehrte Notenmenge zur Verfügung stellen wollten. Ihre Noten haben dann sofort einen Teil ihrer Kaufkraft eingebüßt, und die Noteninhaber haben die Banken wegen Umtauschs der Noten in Gold bestürmt, weil nur dieses, nicht nach Willkür vermehrbare internationale Geld seinen Wert behielt. (Es behielt seinen Wert nicht deshalb, weil es Gold war, sondern weil es das einzige nicht beliebig vernehmbares Geld und obenein ein internationales Geld war). Es hat sich dann sehr bald herausgestellt, daß die goldene Dritteldeckung nicht entfernt ausreichte, um alle Ansprüche zu befriedigen, und man hat daher den Umtausch eingestellt, die Einlösung der Noten in Gold suspendiert. Zu diesem Mittel, das ja den Bruch eines dem Volk gegebenen feierlichen Versprechens bedeutet, hat man allerdings immer erst gegriffen, nachdem andere, mildere Mittel versagt hatten. Vorher versuchte man es entweder mit einer kleinen Spitzbüberei, indem man den Noteninhabern statt vollwertiger goldener Münzen alte, abgegriffene und nicht mehr vollwichtige Stücke aushändigte, sie also um einen Teil ihrer Goldforderung brachte, nicht um sie zu schädigen, sondern um sie abzuschrecken. Oder man versuchte es mit dem Schandpfahl: Man erklärte jeden Noteninhaber, der in diesem kritischen Moment Goldansprüche an die Notenbank stellte, für einen Vaterlandsverräter. Tatsächlich waren aber alle diese Mittelchen bereits ein verschleierter Rechtsbruch und der erste Schritt auf dem Wege zur glatten, offenen Suspension der Goldzahlung.
In einigen Ländern haben denn auch die Regierungen allmählich erkannt, daß das ganze Notenbank- Prinzip auf einer fehlerhaften Kenntnis des Geldwesens beruhe. Aber nur einzig und allein England hat von allen europäischen Staaten die Energie aufgebracht, mit dem Prinzip zu brechen. Dort wurde 1844 durch die berühmte Peels Act bestimmt, daß außer den damals umlaufenden Noten keine neuen mehr in Verkehr gesetzt werden dürften. Nur gegen Gold sollten fortan neue Noten ausgegeben werden; für jede Note sollte ihr voller Betrag in Gold bei der Bank hinterliegen. Mit anderen Worten: Nicht mehr der Staat oder die von ihm privilegierten Banken, sondern der Verkehr sollte, wie es in der Natur der Dinge liegt, neues Geld erschaffen; Staat oder Bank sollten sich fortan darauf beschränken, die Tatsache, daß durch Übergabe von Gold, also durch eine Leistung, Gold entstanden sei, mittels Prägestempels oder mittels eines Gold-Zertifikats (Banknote) zu konstatieren. Weil England auf diese Weise die Bank als Geldschöpferin ausgeschaltet und sich ein Geld geschaffen hat, das aus dem lebendigen Verkehr heraus geboren wurde, hat das Land bis zum großen Kriege das beste Geld der Welt, das einzige wirklich wertbeständige Geld gehabt. Als man dann aber im Kriege die Gelderzeugung wieder zu einer Angelegenheit des Staats und seiner Notenpresse machte und dem Verkehr neue, nicht aus ihm selbst heraus entstandene Geldzeichen aufdrängte, war es natürlich mit der Vollwertigkeit des im Gelde dargestellten Güteranspruchs vorbei.
Daraus ergibt sich, lieber James, daß eine schlechte, geldausspeiende Notenbank schädlich, eine gute aber überflüssig ist. Denn die mechanische Aufgabe, das im Verkehr entstandene Geld zu beglaubigen, kann jedes Münzamt versehen. Es scheint auch, als wenn diese Erkenntnis hie und da zu keimen beginnt, weniger in Europa als in Südamerika. Dort haben einige Staaten, als sie an die Sanierung ihres Geldwesens gingen, bewusst auf die Gründung von Notenbanken verzichtet und statt dessen „Konversionskassen“ errichtet, d.h. Kassen, welche die Entstehung neuen Geldes lediglich beglaubigten, indem sie für deponiertes Gold Anerkenntnisse ausgaben, die im Verkehr wie Gold selbst zirkulierten. Vox populi, die immer nach „mehr Geld“ schreit, ist damit allerdings nicht zufrieden, und da es innerpolitische Augenblicke gibt, in denen man der „Straße“ nachgehen muss, so ist es fraglich, wie lange beispielsweise in Argentinien die Vernunft in Gelddingen die Oberhand behalten wird.
Und wir in Europa? Wir haben in den letzten Jahren so teures Lehrgeld gezahlt, daß wir eigentlich allmählich auf die Höhe der argentinischen Erkenntnis gelangen müssten. Aber meine Hoffnung ist in dieser Hinsicht nicht sehr groß. Bei uns wird zu viel geschwatzt und zu wenig gedacht.
In Liebe
Dein alter Papa.
11. Brief
Der bargeldlose Zahlungsverkehr – Das „Giralgeld“ – Unsichtbare Inflation
Berlin, am 28. Januar 1921.
Die schlimme Wirkung, lieber James, die eine willkürliche Geldvermehrung auf den „Geldwert“, d.h. auf die Größe des im Gelde verkörperten Güteranspruchs, ausübt, wird meist erst ziemlich spät erkannt. Die Wirkung muss schon recht tief gehen, die Geldverschlechterung einen unheilvollen Grad erreicht haben, bevor der Staat oder die Notenbanken zugeben, daß die Entwertung des Geldes eine Folge ihrer eigenen falschen Geldpolitik sei. Haben sie das aber erst einmal erkannt und den Zusammenhang zwischen der Geldentwertung und der sogenannten „Inflation“ öffentlich zugegeben, so ereignet sich allemal etwas, was man amüsant nennen könnte, wenn es nicht so ernste Folgen hätte. Staat oder Notenbank suchen dann nämlich die Inflation auf eine ganz bestimmte Weise zu mildem, und zwar auf eine Weise, die deutlich zeigt, daß man den Zusammenhang zwischen Geldverschlechterung und Inflation ahnen und doch sehr laienhafte Ansichten über das Geld haben kann.
Die Notenbank – wir wollen den Staat einmal aus dem Spiel lassen – argumentiert nämlich folgendermaßen: Es ist nicht daran zu zweifeln, daß es ein Fehler war, so große Mengen von Banknoten auszugeben und dadurch den Wert des Geldes zu schwächen. Man müsste also den Versuch machen, einen Teil der Banknoten wieder einzuziehen, aber so, daß keinem Inhaber einer Banknote daraus ein Verlust erwächst. Am besten eignet sich zu diesem Zweck der bargeldlose Zahlungsverkehr. Man bringt den Inhabern der eingezogenen Banknoten den Gegenwert auf einem Konto gut und veranlasst sie, ihre Zahlungen nunmehr nicht mehr in bar, d.h. mit Noten, sondern mittels Überweisung von ihrem eigenen Konto auf das Konto der anderen Bankkunden zu leisten. Auf diese Weise gewinnen alle Beteiligten: Der Verkehr wird einen Teil des übermäßigen Notenumlaufs los, was günstig auf den Geldwert einwirkt; die Bank weist entsprechend weniger Noten in ihren Ausweisen aus, was die Kritik verstummen läßt; und die Bankkunden, die ihre Noten gegen ein Konto ausgetauscht haben, genießen die Vorzüge des Überweisungsverkehrs gegenüber dem Barverkehr. Jeder hat einen Vorteil, niemand einen Verlust. Probatum est.
Darum, mein lieber Sohn, wirst Du stets, wenn die Inflation und die Währungsnot einen hohen Grad erreicht haben, das Loblied des bargeldlosen Zahlungsverkehrs singen hören. Mit Bitten und Drohungen, mit aufklärenden Schriften und mit den bekannten Imperativen („Zahle bargeldlos!!“ „Fördere den Überweisungsverkehr“ „Bekämpfe die Inflation!“) wird auf die Öffentlichkeit eingewirkt, damit sie ihre Noten abliefere und sich dafür ein Konto einrichten lasse, sei es bei der Notenbank selbst, sei es bei einer andern Bank, die ihrerseits in unbarem Verkehr mit der Notenbank steht. Tatsächlich hat die Propaganda auch meist Erfolg. Die Privatguthaben bei den Banken, die Bankguthaben bei der Notenbank erfahren eine nennenswerte Steigerung, die deutlich zeigt, wie viel Noten man hätte ausgeben müssen, wenn das Publikum jetzt nicht vielfach mit Scheck und Überweisung statt mit Banknoten zahlte.
Nur eins bleibt aus, und das ist der – Erfolg. Die Tatsache, daß man so und so viel Milliarden Noten einziehen kann, oder nicht auszugeben braucht, weil der Verkehr sich statt ihrer jetzt des Kontos für seine Zahlungen bedient, übt nicht die geringste Wirkung auf den Geldwert und auf die Preise aus. Und man fragt sich mit Sorge, welchen Fehler man denn jetzt wieder begangen habe. Denn da es feststehe, daß nur die übergroße Zahl der Geldzeichen schuld an der Geldverschlechterung und der damit identischen Teuerung sei, so müsse die Verringerung der Notenzahl doch eine Geldverbesserung und einen Preisabbau herbeiführen. Man findet aber in der Regel keinen triftigen Grund, sondern kommt schließlich zu der Ansicht, man habe wohl noch nicht genug auf dem Gebiet des bargeldlosen Verkehrs geleistet. Es müsse noch ungleich mehr unbar gezahlt werden, die Banknote müsse allmählich vollständig aus dem Großverkehr verschwinden. Und von neuem setzt die Propaganda ein: „Zahle bargeldlos!“
Wie gesagt, das wäre sehr amüsant, wenn es nicht in so erschreckender Weise zeigte, auf welchem Tiefstand die Erkenntnis des Geldes und seiner Gesetze auch dann noch steht, wenn man endlich den Zusammenhang zwischen Inflation und Währungsnot begriffen hat. Denn, um es kurz zu sagen, mein Lieber: Der ganze Gedanke, die Inflation durch die Förderung des bargeldlosen Verkehrs bekämpfen zu wollen, ist hanebüchener Unsinn. Der bargeldlose Verkehr mag unter Umständen (durchaus nicht immer!) eine sehr nützliche Einrichtung sein. Aber der Inflation kann er aus einem sehr einfachen Grunde nicht entgegenwirken, nämlich weil er – selbst ein Teil der Inflation ist.
Geld ist ja, das kann gar nicht oft und laut genug gesagt werden, nicht etwa nur identisch mit den Geldzeichen, die man im Verkehr antrifft. Das Geld ist seinem Wesen nach gar nichts Materielles, sondern etwas Abstraktes: Ein Recht zum Bezuge von Gütern. Ob dieses Recht sich in Goldbarren, in Münzen, in Kassenscheinen, in Banknoten, oder endlich in Giroguthaben verkörpert, ist vollständig gleichgültig. Worauf es ankommt, ist immer einzig und allein, daß nur so viel Güterbezugsrechte existieren, wie der Verkehr mit seinen täglichen Leistungen und Gegenleistungen aus sich selbst heraus erzeugt. Jede Note und jedes Giroguthaben, das auf diese natürliche Weise entsteht, ist gutes, gesundes Geld. Und jede Note, jedes Giroguthaben, das vom Staate oder einer Bank willkürlich geschaffen wird, ist überschüssiges, schlechtes Geld. Ob man die willkürlich ausgegebenen Banknoten ruhig im Umlauf lässt, oder ob man sie einzieht und durch Buchguthaben, sogenanntes „Giralgeld“ ersetzt, ist ohne jeden Belang. Oder sind etwa die zu Unrecht ausgegebenen Bezugsrechte auf Güter aus der Welt geschafft, weil man sie nun nicht mehr körperlich in Noten, sondern unkörperlich im Giroverfahren von Hand zu Hand gehen lässt? Wird auch nur eine einzige Kaufkraft im Lande weniger ausgeübt, wenn unbar statt bar gezahlt wird? Und nur darauf kommt es doch an: Es muss weniger Kaufkraft ausgeübt werden, wenn man die Güterpreise ermäßigen, oder, was daßelbe ist, den „Geldwert“ erhöhen will.
Man tut, wenn man die Unlogik eines Gedankens nachweisen will, immer gut, den Gedanken bis in seine letzten Konsequenzen hinein zu verfolgen. Wir wollen uns deshalb einmal vorstellen, der Appell, den die Regierungen und die Notenbanken an die Öffentlichkeit richten, hätte den außerordentlichen Erfolg, daß nunmehr sämtliche Zahlungen, außer den allerkleinsten, nicht mehr mit Bargeld, sondern im Giroverkehr geleistet werden. Man würde also nunmehr alle Geldzeichen, die 50 Centimes oder 2 Mark übersteigen, einziehen und dadurch den Geldumlauf um neun Zehntel oder noch mehr einschränken können. Was wäre die Folge? Würde eine einzige Nachfrage deshalb unterbleiben? Würden die Giroguthaben, welche die Notenbank nunmehr den Beamten und Staatslieferanten neu einräumt, auf den Verkehrsumfang und auf die Preise aller Waren anders einwirken als vorher die Noten? Und stellen wir uns, um bis ans Ende zu gehen, einmal vor, ein drakonisches Gesetz verbiete alle baren Zahlungen ohne Ausnahme, zwinge also den Kleinverkehr, mit Postschecks zu zahlen, wie der Großverkehr jetzt mit Bankschecks zahlt: Was wäre die Folge? Die Banknoten, die zur Begründung eines Postscheckkontos oder eines Bankkontos eingereicht werden müssten, könnten nunmehr allerdings ohne Ausnahme eingestampft werden. Das sichtbare Geld würde verschwinden, und mit ihm die sichtbare Inflation. Aber wir würden dagegen nichts anderes eingetauscht haben als unsichtbares Geld und eine unsichtbare Inflation. Der Verkehr würde genau so kaufen, liefern und bezahlen wie vorher, nur daß die einzelne Zahlung nicht mehr durch Übergabe eines Geldzeichens, sondern durch eine Buchung erfolgt. Technisch hätte sich alles, sachlich absolut nichts geändert.
Also Vorsicht bei der Beurteilung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs! Es wird viel Missbrauch mit ihm getrieben, und viele Irrtümer sind mit der Propaganda für ihn verbunden. Geld ist Geld, auch wenn es unkörperlich auftritt. Ja, es kommt in der Form des Bankguthabens, in der Form des „Giralgeldes“, dem eigentlichen Geldbegriff sogar noch näher als in der körperlichen Form der Münze oder der Note. Denn erst jetzt, wenn es als Forderung in einem Buche steht und als Überweisung bald diesem, bald jenem „gutgeschrieben“ wird, tritt der wahre Charakter des Geldes als eines abstrakten Rechts, eines Rechts zum Bezuge von Gütern, deutlich hervor; während es bisher noch immer eine Konfusion zwischen diesem Recht und seinem körperlichen Vertreter, zwischen dem Gelde selbst und den Geldzeichen, gegeben hat.
In Liebe
Dein alter Papa.
12. Brief
Wirkungen der Geldverschlechterung – Inflation und Moral – Ausstrahlungen der Währung und Wirtschaftsleben
Berlin, am 31. Januar 1921.
Es ist eine altbekannte Erscheinung, lieber James, daß in einem Hause, in dem ein Schwerkranker liegt, meist eine einzige Person den ganzen Ernst der Krankheit nicht erkennt, nämlich der Kranke selbst. Er glaubt sich leidlich wohl zu befinden, sobald er etwas Appetit hat. Wie diesem Kranken, so geht es auch den Völkern, die am Gelde krank sind, am Verfall ihrer Währung leiden: Weil sie essen, trinken und Geschäfte machen wie früher, glauben sie es könne nicht so schlimm um sie bestellt sein; der Niedergang des Geldwerts sei ja freilich unangenehm und habe manche üblen Folgen, aber schließlich gebe es ernstere Krankheiten für ein Volk. Besehe man nämlich die Sache bei Licht, so sei die ganze Währungsfrage im Grunde nur ein harmloses Multiplikations-Exempel. Man müsse einfach alle seine Ausgaben mit 10 oder 100 oder 1000 multiplizieren, entsprechend der Geldentwertung bzw. der Steigerung der Preise. Sachlich habe das gar nichts zu bedeuten, denn jede Ausgabe des Einen sei eine Einnahme des Andern, und demnach stiegen auch die Einnahmen auf das 10, 100 oder 1000fache. Man müsse sich nur daran gewöhnen, allen Zahlen im Verkehrsleben eine Null anzuhängen.
Diese harmlose Auffassung kann man vielfach äußern hören. Und in der Tat: Schadet es einem Volke viel, wenn es mit dem großen statt mit dem kleinen Einmaleins rechnet, und wenn alle seine Umsätze sich verzehnfachen? Schließlich ist doch auch zehnmal so viel Geld im Lande wie früher, um die Umsätze zu bewältigen. Die Aufblähung aller Ziffern ist ja überhaupt erst die Folge dieser gewaltigen Geldzunahme.
Dieser Harmlosigkeit, mein Sohn, kann man gar nicht nachdrücklich genug entgegentreten, denn die Unkenntnis, die sich in ihr äußert, grenzt ans Verbrecherische. Es ist schlimm genug, wenn ein Volk in ahnungslosem Leichtsinn die schiefe Ebene der Inflation hinuntergleitet. Wenn es dann aber die Folgen, die dieses Hinab gleiten mit sich bringt, geflissentlich ignoriert oder ihnen die beste Seite abzugewinnen sucht, statt dem Staat in die Zügel zu fallen und rechtzeitig zu bremsen, so eilt das Volk seinem Verhängnis entgegen. Denn um es in dürren Worten zu sagen: Der Verfall seiner Währung ist wohl das größte Unglück, das ein Volk treffen kann. Selbst ein verlorener Krieg bringt ihm nicht so schweren unmittelbaren Schaden, wie der Ruin seines Geldwesens.
Die Leute, die in der ganzen Frage nur ein belangloses Rechenexempel erblicken, übersehen nämlich einige begleitende Momente des Währungsverfalls. Sie übersehen vor allem den einen, bedeutungsvollen Umstand: Die Entwertung des Geldes, also die Multiplikation der Ausgaben, trifft die Gesamtheit. Das Gegenstück hierzu, die Steigerung der Einnahmen, kommt aber nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugute, diesem freilich in solchem Maße, daß das Verhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe sich bei ihm ganz außerordentlich verbessert. Und zwar ist es in der Hauptsache das Kapital, soweit es Sachwerte besitzt, das in dieser Weise profitiert. Auf der anderen Seite, die von der Geldentwertung lediglich das Moment der Ausgabensteigerung kennen lernt, befinden sich aber, abgesehen von den Rentnern, die besonders schwer geschädigt werden, in der Hauptsache die geistig und körperlich arbeitenden Klassen, die Beamten und die Staatspensionäre.
Wie es kommt, daß die Einen die Inflation als einen nie wiederkehrenden Glücksfall, die Anderen dagegen dieselbe Inflation als eine Katastrophe empfinden, lässt sich nicht in wenig Worten darlegen. Der Mechanismus, der das bewirkt, ist ziemlich kompliziert. Aber wenn man den Vorgang roh skizzieren will, so kann man wohl sagen: Jeder, der in Geld ausgedrückte Ansprüche, wie Zins, Rente, Gehalt, Lohn, Pension u. dergl. besitzt, wird in dem Maße der Geldverschlechterung geschädigt. Jeder, der gewisse Realwerte, wie Grundbesitz, Vieh, Mobiliar, Lagervorräte u. dergl. besitzt, wird normalerweise weder geschädigt noch begünstigt, weil die Realwerte um ungefähr so viel im Preise steigen, wie das Geld, in dem der Preis ausgedrückt wird, an Kaufkraft verliert. (Gewaltsame Schädigungen, wie die der Hausbesitzer durch die Wohnungspolitik des Staats, bleiben hier außer Betracht). Jeder endlich, der werbende Werte, also Fabrikanlagen und Maschinen, besitzt und mit ihnen Realwerte erzeugt, sowie jeder, der diese Erzeugnisse vertreibt, profitiert von der Inflation; und zwar deshalb, weil die Verkaufspreise seiner Produkte, also seine Einnahmen, sich dem sinkenden Geldwert schneller anpassen, d.h. schneller steigen, als seine Ausgaben für Lohn, Miete, Zins, Abgaben usw., und weil dieses günstige Verhältnis nicht einmal, sondern viele Male, mit jedem Verkaufsakt von neuem, in Erscheinung tritt. Kurz gesagt: Die erste Klasse wird durch die Inflation zu Gunsten der dritten Klasse enteignet.
Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, Mitleid sei nicht Sache der Volkswirtschaft, und man dürfe den Vorgang nicht durch die Brille der Sentimentalität ansehen. Der eine steige hoch, der Andere sinke herab, das sei nun einmal Menschenschicksal. Es komme nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesamtheit an. Aber gerade hier sitzt der Haken: die Gesamtheit nimmt nämlich bei diesen Vorgängen, obwohl sie nur bestimmte Volksklassen anzugehen scheinen, den allerschwersten Schaden.
Zunächst in moralischer Hinsicht: Im ganzen Volke, selbst wenn es die Geradheit und Ehrlichkeit selbst ist, schwindet allmählich jedes Gefühl für Recht und Billigkeit. Nämlich deshalb, weil alle Klassen, sogar die Inflationsgewinnler, sich vom Staat betrogen glauben. Und in der Tat, wir wissen, daß das Geld ein Recht ist, nämlich ein Recht zum Bezuge von Gütern ganz bestimmten Werts. Und was Recht ist, muss bekanntlich in einem Ordnungsstaat auch Recht bleiben. Kein Recht aber muss sicherer stehen und längeren Bestand haben, als das Besitzrecht, das im Gelde verkörpert ist, denn im Vertrauen auf seinen Bestand schließen Staaten und Völker heilige Verträge ab, die 100 Jahre und mehr Gültigkeit haben. Dieses Recht, dieses Recht aller Rechte, hat der Staat, der den Geldwert durch Inflation dezimiert hat, auf das Gröblichste verletzt. Jeder Arbeiter, jeder Beamte, jeder Rentner, jeder Pensionär fühlt sich durch den Staat, der doch das Recht schützen soll, um das Seinige geprellt. Aber auch die Nutznießer der Geldverschlechterung, die sozusagen vom Fett der Allgemeinheit zehren, fühlen sich durch den Staat in ihren Rechten bedroht, denn von ihnen fordert der Staat die Steuern, die er braucht, um das von ihm selbst verschuldete Elend wenigstens einigermaßen zu lindern. Da nun nur wenige der Nutznießer den wirklichen Zusammenhang zwischen ihren Einnahmen und dem Unglück der Anderen kennen, die meisten vielmehr ihrer eigenen Tüchtigkeit zuschreiben, was nur die Wirkung der Inflation ist, so betrachten sie es als einen Gewaltakt und eine Entrechtung, wenn der Staat ihnen einen Teil ihres Gewinns fortsteuern will. Daher die allgemeine „Steuerflucht“, in der die Rechtsverwirrung der Inflationsgewinnler zum Ausdruck kommt. Die Rechtsverwirrung der Inflationsopfer gelangt in Unbotsamkeit, Gesetzesverletzung, Arbeitsverweigerung, Diebstahl, schließlich Revolution und Mord zum Ausdruck. Es kommt zu einem Kampf aller gegen alle, der den Staat erschüttert und oft genug zum Auseinanderfallen bringt.
Denn wenn wir heute sehen, daß das Unrecht, das die Inflation den Arbeitern, den Beamten, den Angestellten usw. zugefügt hat, zu einem größeren oder kleineren Teil durch Lohn- und Gehaltsaufbesserungen wieder gutgemacht worden ist, – wodurch ist das erreicht worden? Nur durch Kämpfe, durch unausgesetzte, erbitterte, rücksichtslose Kämpfe. Freiwillig findet ein Ausgleich zwischen den Nutznießern und den Opfern der Inflation niemals statt; der Ausgleich muß Schritt für Schritt durch Streiks, Drohungen, Hetzreden, Aufpeitschungen der Volksleidenschaften erkämpft werden. Heute ficht der Arbeiter gegen den Arbeitgeber, morgen der Bauer gegen den Städter, übermorgen das Stadtvolk gegen den „wucherischen“ Händler, der Mieter gegen den Hausbesitzer, und so fort. Das ganze Land zerfallt in unzählige Brandherde, und jeder dieser Brandherde bedeutet eine Feuersgefahr für den Staat. Das ist die soziale und politische Seite der Geldverschlechterung.
Ich habe, wie Du weißt, lieber James, in meinem Bibliothekzimmer ein Archiv, dem ich Zeitungsmeldungen über wichtige oder interessante Vorgänge einverleibe. Jeder, der Einblick in dieses Archiv, und zwar in das Rubrum „Geld, Währung“, nimmt, der sieht mich befremdet an. Denn er findet unter diesem Stichwort Meldungen über Streiks, Putsche, Eisenbahnüberfälle, Raub, Defraudation, Selbstmord, Wucher, Hungertot und vieles andere, was ihm ganz und gar nicht hierher zu gehören scheint. Es gehört aber doch alles dahin. Denn die Wirkungen des Währungselends brechen an den scheinbar ab gelegensten Stellen des Wirtschaftskörpers durch. Da lese ich z.B. etwas über Wohnungsnot. Wohin damit? Unter „Geld“. Denn die Mietpreispolitik des Staats, die das Bauen neuer Häuser verhindert, ist die notwendige Folge der Enteignung des halben Volks durch die Geldentwertung. Ich lese etwas über ein 16 Milliarden-Defizit der Eisenbahnen. Wohin? Unter „Geld“. Denn das Defizit rührt zum Teil daher, daß die Bahnen ihre durch die Inflation geschädigten Beamten hoch entlohnen müssen, und daß andererseits der größere, „enteignete Teil der Bevölkerung die entsprechenden Fahrpreise und Gütertarife nicht bezahlen kann. Ich lese etwas über Kohlennot: Nicht unter „Spa“, sondern unter „Geld“! Ich lese etwas über Kindereiend. Nicht „Versailles“, sondern „Geld“! Ich lese etwas über Abfallbestrebungen des Rheinlandes. Nicht „Dorten“, sondern „Geld“! Korruption, Zwangswirtschaft, Schiebertum, Sittenverrohung – alles kommt in die Rubrik „Geld“. So, sehe ich die Wirkungen einer in Verfall geratenen Währung an. Es gibt kaum ein Gebiet der Volkswirtschaft, ja selbst der Politik, das sich diesen Wirkungen entziehen kann.
Schlechtes Geld ist, ich wiederhole es, so ziemlich das größte Unglück, das ein Volk treffen kann. Der für Deutschland so unglückliche Ausgang des Weltkriegs stellt gewiss eine Katastrophe dar, wie sie ein Volk nur alle paar hundert Jahre einmal erlebt. Und doch weiß ich nicht, was im Moment verhängnisvoller für Deutschland ist, die Kriegstragödie oder die Geldkomödie. Freilich, die unheilvollen politischen und wirtschaftlichen Kriegsfolgen bleiben für lange, lange Zeit bestehen, die Geldentwertung und ihre Wirkungen dagegen gehen vorbei oder werden wenigstens in einigen Jahrzehnten nicht mehr in ihrer ganzen Schwere empfunden; der Enkel des Mannes, der heute enteignet worden ist, wächst als Proletarier auf und meint, es müsse so sein. Aber heute ist das Währungselend Deutschlands furchtbarste Geißel, wobei es vielleicht einigen Trost gewährt, daß auch andere Länder diese Geißel spüren.
So, mein lieber James, jetzt weißt Du, was „Geld“ ist! Es ist keineswegs alles, was Du wissen musst, bevor Du reif für den Posten eines Bankdirektors bist, das heißt eines Bankdirektors, wie ich ihn mir vorstelle. Es ist lediglich die Eingangspforte zum Bankwesen, zum Geldmarkt, zur Börse, zum Unternehmertum, die ich Dir in der hiermit beendeten Briefserie geöffnet habe; und sogar erst halb geöffnet habe, denn wir haben bisher nur über das Geld im Lande selbst, über den sogenannten „Binnenwert“ des Geldes gesprochen, nicht über den „Außenwert“, die Valuta. Wenn Gott will, so holen wir diese Versäumnis bald nach.
Somit erkläre ich die erste Lektion für beendet und lege die Feder nieder.
In alter Liebe
Dein Papa.
II. Teil: Valuta
1. Brief
Das wirtschaftliche Einmaleins – Außenwert und Binnenwert des Geldes – Abnormitäten
Berlin, am 1. September 1921.
Zwei wundervoll schöne Sommermonate liegen hinter uns, lieber James. Ich entsinne mich aus meinem ganzen Leben keiner derartig langen Kette in Blau und Gold strahlender Tage. Unbekümmert um den sorgenvollen Blick des Bauern und ebenso gleichgültig gegenüber dem zufriedenen Schmunzeln des Obstzüchters hat die Sonne herabgebrannt, gehorsam irgend einem Naturgesetz, das wir nicht kennen. Wir haben uns in den Schatten geflüchtet, wir haben die Glut mit Wasser bekämpft, wo es anging. Aber wir haben den Feuerball nicht zwingen können, seine Strahlen zu dämpfen, wir haben den Winden nicht gebieten können, einen schützenden Wolkenvorhang vor das brennende Licht zu ziehen. Uns dem höheren Walten bescheiden unterordnen, uns den Tatsachen klug anpassen: das war alles, was wir vermocht haben.
Die meisten Menschen sehen das auch ein und machen keinen Versuch, sich in einem nutzlosen Kampfe mit der Natur zu zerreiben. Sie lehnen sich gegen die Gesetze nicht auf, die sie als ewig und unabänderlich erkannt haben. Warum handeln sie aber so vernünftig nur auf dem Gebiet der Naturgewalten, nicht auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet? Warum glauben sie hier der Entwickelung durch willkürliche Eingriffe und Gewaltmaßregeln nach Gutdünken die Richtung vorschreiben zu können? Warum übersehen sie geflissentlich, daß auch die Wirtschaft ihre ewigen Gesetze hat, denen gegenüber es keine andere Klugheit gibt als Unterordnung und Anpassung? Ist unsere Wirtschaftswissenschaft wirklich noch so in den Kinderschuhen, daß sie glaubt, imperativ auftreten und dem Staate vorschreiben zu dürfen: „Tue dies und lasse jenes, damit diese oder jene unerwünschte Folge bestimmter Ursachen verschwinde“? Statt von Jahrtausende alten Erkenntnissen auszugehen und zu sagen: „Die Wirtschaftsgesetze lassen aus dieser Ursache unfehlbar jene Wirkung hervorgehen. Beachte diesen Kausalzusammenhang, respektiere ihn, richte dich nach ihm, vermeide die Ursache, wenn du die Wirkung nicht willst, aber vermiß dich nicht, den Zusammenhang ändern und in eine dir genehme Richtung abbiegen zu wollen.“ Auch die wirtschaftliche Entwicklung hat ihr Einmaleins und geht nichtachtend über denjenigen hinweg, der gegen den Grundsatz „zweimal zwei ist vier“ verstößt.
In den Briefen, die ich Dir zu Beginn dieses Jahres schrieb, habe ich Dir klar zu machen gesucht, wie gröblich fast alle europäischen Regierungen gegen das eherne Wirtschaftsgesetz verstoßen haben, demzufolge die Güterbezugsscheine, die wir „Geld“ nennen, einzig und allein aus dem Verkehr heraus entstehen können, der die Güter erzeugt und verteilt. Ich habe Dir gezeigt, wie der Aberglaube, daß der Staat es sei, der das Geld schaffe, und daß bei ihm die Entscheidung über Art und Menge des Geldes liege, sich in der verhängnisvollsten Weise gerächt hat, indem der Wert des Geldes durch diese Anmaßung des Staates, Schöpfer spielen zu wollen, tief herab, vielfach in’s Bodenlose, gesunken ist: daß ein großer Teil der Bevölkerung dadurch um Hab und Gut gebracht, also je nach der Auffassung enteignet oder bestohlenworden ist: daß fast alle unsere sozialen Kämpfe mit ihren Begleiterscheinungen von politischer Verhetzung, öffentlicher Unmoral, allgemeiner Skrupellosigkeit beim Erwerb, epidemischen Raubens und Mordens, eine Folge dieser Mißachtung der Wirtschaftsgesetze sind: ja daß selbst die deutsche Revolution von 1918 zum großen Teil auf das Konto dieser Mißachtung gehört, weil durch die willkürliche Manipulation mit dem Gelbe noch mehr als durch den Krieg jene Zweiteilung des Volkes in die Gruppe der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten herbeigeführt und dadurch die seelische Disposition für den Zusammenbruch geschaffen worden ist. Vor allem aber habe ich Dir gezeigt, in welch groteskem Maße die Regierungen sich allenthalben selbst betrogen haben, als sie glaubten, sie hätten durch Überschwemmung der Länder mit Unmassen von Bank- und Staatsnoten selbstherrlich „neues Geld“ und „neue Kaufkraft“ geschaffen; wie sie vielmehr in Wirklichkeit nichts anderes getan haben, als die Kaufkraft des alten Geldes zu verwässern, um den größeren Teil davon von ihren rechtmäßigen Eigentümern auf sich selbst und dann weiter auf bestimmte privilegierte Bevölkerungsschichten zu übertragen.
Aber mit der Feststellung aller dieser Tatsachen, lieber James, haben wir das Geldproblem keineswegs erschöpft. Da ein moderner Industrie- und Handelsstaat kein isoliertes Gebiet, kein in sich abgeschlossenes Gebilde, sondern einen Teil des großen wirtschaftlichen Völkerverbandes darstellt, so ist auch sein Geldwesen keine interne Angelegenheit mit lediglich binnenwirtschaftlichen Ausstrahlungen, sondern es wirkt zugleich nach außen. Jeder willkürliche Eingriff in das Geldwesen muß neben den verhängnisvollen Folgen im Innern notwendigerweise auch einen weittragenden Einfluß auf alle merkantilen und finanziellen Beziehungen des Inlandes zum gesamten Auslande haben. Denn wenn die Waren im Inlande ihren Preis verzehnfachen oder vertausendfachen und ein ander Mal wieder halbieren, so kann das nicht ohne irgendwelche Wirkungen auf den Weltmarkt bleiben, den die Waren aufsuchen, oder von dem sie in’s Land strömen, und ebenfalls nicht ohne Wirkung auf den Preis der fremden Geldsorten, in denen die Auslandswaren und etwaige Schulden im Auslande bezahlt werden müssen. Es knüpft sich also eine ganze Kette von Problemen an das Hauptproblem des Landesgeldes und seines Werts im Lande selbst.
Wir brauchen nur um uns zu blicken, und sofort drängen sich uns die seltsamsten und widerspruchsvollsten Erscheinungen auf. So zum Beispiel, wenn wir auf den Kurszettel sehen, der uns die Devisenkurse und damit zugleich den Wert mitteilt, den das Ausland unserem eigenen Gelde beimißt. Daß dieser Auslandswert sinken muß, wenn unser Geld im Lande selbst an Wert verloren hat, versteht sich von selbst. Denn wollte das Ausland die deutsche Mark noch zu ihrem alten Goldwerte einschätzen und bezahlen, so würde das deutsche Geld nach dem Auslande wandern, wo es überwertet wird, dort enorme Warenmassen aufkaufen und Deutschland mit seinen Erzeugnissen überschwemmen. Dadurch würde das deutsche Preisniveau gewaltsam heruntergedrückt, oder mit anderen Worten der Wert der Mark in Deutschland wieder gehoben werden. Kaum wäre das aber geschehen, so würde der umgekehrte Prozeß einsehen: die ausgeflossenen Markmassen würden nach Deutschland zurückströmen, sich hier kaufend auf die Märkte ergießen und die Preise von neuem in die Höhe, den Geldwert aber entsprechend in die Tiefe jagen, worauf das Spiel von neuem beginnen würde. Das ist natürlich eine Unmöglichkeit. So wenig der Preis eines Wertpapieres, eines Wechsels oder eines Edelmetalles in einem Lande erheblich von dem Preise in einem benachbarten Lande abweichen kann, so wenig kann das Geld eines Staatswesens außerhalb seiner Grenzen wesentlich höher oder niedriger bewertet werden, als in dem Staatswesen selbst. Sein Preis wird, wie Wasser in kommunizierenden Röhren, im In- und Auslande ungefähr denselben Pegelstand einnehmen müssen.
Das ist eine glatte Selbstverständlichkeit, nicht wahr? Aber wenn wir dann daran gehen, diese Selbstverständlichkeit an Hand der Tatsachen. nachzuprüfen, so stutzen wir. Irgend etwas stimmt da nicht. Denn was sehen wir in Wirklichkeit, mein Lieber? Wir sehen, daß tatsächlich ganz erhebliche Bewertungs-Unterschiede Vorkommen. Bald wird die Mark im Auslande höher, bald wird sie niedriger bezahlt, als ihrem Wert im Inlande entspricht. Im Sommer 1920 beispielsweise war die Mark im Auslande zeitweilig erheblich kaufkräftiger als in Deutschland. Bei uns konnte man für eine Mark nur noch ungefähr den zehnten oder zwölften Teil dessen kaufen, was man vor dem Kriege dafür erhalten hatte; im Auslande dagegen bekam man, da die Mark damals mit ungefähr 1/33 Dollar oder 1/7 Shilling bewertet wurde, noch immer etwa ein Siebentel oder Achtel der früheren Warenmenge. Und Heute verhält es sich gerade umgekehrt: Jetzt hat Hie Mark im Inlande etwa ein Dreizehntel oder Vierzehntel ihrer ehemaligen Kaufkraft, im Auslande dagegen kaum noch ein Zwanzigstel; eine Tatsache, die vollkommen Wider die natürliche Ordnung der Dinge verstößt, der nur eine vollständige oder zum mindesten annähernde Übereinstimmung zwischen dem Binnenwert und dem Außenwert des Geldes gemäß ist, die aber doch wohl ihre Gründe haben muß. Denn was ist, ist vernünftig und die Folge irgend einer Ursache.
Aber kaum haben wir diese Abnormität wahrgenommen, als sich uns schon wieder neue Probleme aufdrängen. Wenn der Außenwert des deutschen Geldes so erheblich niedriger ist als sein Binnenwert, so bedeutet dies, daß die deutschen Inlandspreise niedriger sind als die entsprechenden Preise im Ausland. Infolgedessen muß deutsche Ware in gewaltigen Mengen auf den Weltmarkt hinausströmen. Und wir sehen in der Tat, daß das heute der Fall ist; die ganze Welt klagt über deutsche Schleuderkonkurrenz und sucht sich gegen sie zu schützen. Wie kommt es dann aber, daß der Außenwert der Mark sich nicht jetzt wenigstens auf die Höhe des Binnenwertes erhebt? Die starke deutsche Warenausfuhr muß Loch bezahlt werben und im Auslande eine entsprechend starke Nachfrage nach deutschen Zahlungsmitteln hervorrufen, also den Markkurs mindestens auf die Höhe des Inlands-Markwerts steigern. Warum geschieht das nicht? Warum bleibt die Divergenz zwischen Binnen- und Außenwert der Mark auch jetzt noch bestehen?
Hierauf wirst Du mir natürlich antworten, lieber James, was so ziemlich Alle an Deiner Stelle antworten würden: daß nämlich der Minderwert der Mark im Auslande gar kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit sei, weil Deutschland ja in unerhörter Weise mit Zahlungsverpflichtungen belastet ist und allein im Juni, Juli und August dieses Jahres 1 Milliarde Goldmark oder 19 bis 20 Milliarden Papiermark als „Reparation“ an die Entente hat entrichten müssen. Diese Tatsache ist mir natürlich nicht ganz unbekannt, und ich kenne auch ihre Wirkungen auf den Markkurs. Wie kommt es dann aber, mein Lieber, daß im vorigen Jahre, als wir ebenso große oder noch größere Summen für Getreide, Baumwolle, Kupfer und ähnliche notwendige Dinge an das Ausland haben zahlen müssen, nicht dieselbe Wirkung eingetreten ist wie jetzt? Wenn Du Dir die Handelsstatistik ansiehst, so wirst Du finden, daß Deutschland allein an regulär genehmigten und richtig verzollten Maren für etwa 40 Milliarden Mark mehr eingeführt als ausgeführt hat. Dazu kommen die zahlreichen Milliarden an geschmuggelter oder durch das „Loch im Westen“ herübergeschobener Waren. Alles das und noch viel mehr haben wir bezahlen müssen, und doch ist die Mark im Sommer 1920 im Auslande höher bewertet worden als im Inlande! Hier muß also wiederum irgend etwas nicht stimmen.
Vor allem aber: Wenn der Deutschland auferlegte Reparationstribut wirklich und unbedingt zur Folge hat, daß die Mark auf dem Weltmarkt einem ständigen starken Angebot ausgesetzt und dadurch unter ihren Binnenwert heruntergedrückt wird, dann müßten wir ja unter Umständen dreißig Jahre und länger mit zweierlei Markwert, einem höheren inländischen und hinein niedrigeren ausländischen, rechnen! Denn die Reparation soll sich bekanntlich über mehrere Jahrzehnte erstrecken. Wir würden mithin dreißig Jahre lang und länger nicht daran denken können, wieder eine gesunde, wertbeständige deutsche Währung aufzubauen. Tatsächlich besteht aber heute schon eine starke Strömung für die baldige Inangriffnahme der Währungsreform, und recht kluge Leute glauben, daß wir das deutsche Geldwesen sehr schnell befestigen Können, wenn wir ernstlich wollen, – trotz unserer Auslandsverschuldung und trotz der Reparation. Wie Kommen wir über diesen neuen Widerspruch hinweg?
And ferner: Nehmen wir einmal an, die Reparation käme aus irgend einem Grunde plötzlich in Wegfall; die Weltgeschichte steht ja seit dem Frieden von Versailles Keineswegs still, sondern schafft immer neue, bizarre Konstellationen und allerhand unvorhergesehene Möglichkeiten. Wie also, wenn wir schon morgen nicht mehr zu zahlen brauchten? Wäre dann die Übereinstimmung zwischen Binnen- und Außenwert der Mark mit einem Schlage wiederhergestellt? Oder würden dann wieder andere störende Momente sich dem Ausgleich in den Weg stellen? Und gibt es Voraussetzungen, unter denen die Störungen ausbleiben, und andere, unter denen sie eintreten?
Und wiederum: Wenn es richtig ist, daß infolge der Reparation oder sonstiger ungünstiger Umstände der Außenwert der Mark dauernd unter den Binnenwert heruntergedrückt wird, muß es dann nicht notwendig zu einem gewaltigen Handelskrieg zwischen Deutschland und dem Auslande kommen? Höherer Binnenwert der Mark heißt ja billige Preise der deutschen Ware, heißt mithin Massenexport, der auf dem Weltmarkt als Schleuderkonkurrenz („Dumping“) empfunden wird, und heißt endlich gewaltsame Abwehrmaßregeln der fremden Länder, die sich ihre Industrien nicht durch diese Schleuderkonkurrenz ruinieren lassen wollen. Also ein erbitterter Kampf, in dem Einfuhrverbote und Prohibitivzölle die Munition bilden, der aber dennoch wirkungslos bleiben muß, weil der schlechte Außenwert der Mark, der gleichbedeutend mit deutscher Verschuldung und Zahlungspflicht ist, wie ein mächtiger Saugapparat die deutsche Ware immer wieder in das Ausland pumpt. Oder löst sich dieser Konflikt auf eine andere, friedlichere Weise?
Du siehst, mein Sohn, die Probleme häufen und komplizieren sich. And wenn man nicht ein festes Fundament unter den Füßen und eine genaue Kenntnis dessen hat, was „Geld“ und was „Valuta“, nämlich Außenwert des Geldes ist, so fährt man auf diesem Meer der Probleme unfehlbar in die Irre. Kaum ist man mit der einen Woge fertig geworden, da naht schon die nächste, höhere, und hinter ihr. ballt sich bereits die dritte. Da heißt es klug steuern. Für mich, der ich nun einmal Dein Steuermann bin, bedeutet das die Pflicht, systematisch zu Werke zu gehen und das Alphabet der Valutafrage nicht mit einem beliebigen Buchstaben, sondern von vorn, mit dem A anzufangen. Ohne Elementarunterricht geht es nun einmal auf diesem Gebiete nicht, weil schon ein kleiner Irrtum in einer scheinbar nebensächlichen Grundfrage uns sofort in eine falsche Richtung führt und den rechten Weg nicht wiederfinden läßt.
Meine nächsten Briefe werden also mit dem Fundament beginnen: Wie verkehren die Völker? Womit zahlen sie? Was ist das sogen. Weltgeld? Wenn wir in diesen Grundfragen Bescheid wissen, können wir, ohne ein Beirren zu fürchten, getrost auf dem Wege weitergehen, der zur eigentlichen Valutafrage führt. Du wirst dann sehen, wie einfach, wie selbstverständlich die Dinge im Grunde sind. Es verhält sich mit diesem scheinbar so schwierigen Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft wie mit den übrigen: Alles ist im Grunde ganz klar, und das eine ergibt sich immer aus dem anderen. Nicht die Dinge sind kompliziert, kompliziert ist vielmehr unsere Art, an sie heranzugehen. Merke es Dir ein für alle Mal, mein Sohn: Schwer ist immer nur das, was man nicht kann, und verwickelt sind nur diejenigen Probleme, die man nicht übersieht.
In Liebe
Dein alter Papa.
2. Brief
Der internationale Tauschverkehr – Die Ware als Weltgeld – Der Platzhalter-Dienst des Wechsels
Berlin, am 4. September 1921.
Jeder geschäftliche Verkehr zwischen Menschen, lieber James, ist ein Tauschverkehr, ein fortgesetztes wechselseitiges Geben und Nehmen von Waren oder Leistungen gegen andere Waren oder Leistungen. Das haben wir bereits damals festgestellt, als wir uns mit dem Wesen des Geldes beschäftigten, wobei wir zu dem Ergebnis kamen, daß das Geld letzten Endes weiter nichts ist als ein Stellvertreter; nämlich der Stellvertreter von Waren und Leistungen, auf die man einen Anspruch hat, weil man selbst etwas geleistet, das Äquivalent aber noch nicht empfangen hat; daß die Hingabe von Geld also gewissermaßen ein Provisorium ist, das früher oder später durch das Definitivum einer Leistung oder einer Ware abgelöst wird. Erst wenn dies geschieht, ist der Tauschakt vollendet, findet die eigentliche Bezahlung für die Leistung oder Ware statt, die den Anlaß zur Hingabe gegeben hat.
Nicht anders als mit dem Verkehr zwischen Angehörigen eines und desselben Staatswesens verhält es sich mit dem Verkehr von Land zu Land. Auch hier wird Ware und Leistung gegen Ware und Leistung getauscht. Du erkennst das ohne Weiteres, wenn Du Dir die Einzelheiten des internationalen Verkehrs vergegenwärtigst. Den größten Bestandteil bildet die Ein- und Ausfuhr von Waren, über die in den Zollämtern und statistischen Büros sorgfältig Buch geführt wird. Einen weiteren Teil bilden die Transport- und Vermittelungsdienste, welche die Eisenbahnen, Schiffahrtsgesellschaften und Banken den Angehörigen anderer Länder leisten, und die entweder mit ähnlichen Diensten oder mit einer entsprechenden Wareneinfuhr bezahlt werden. Bei diesen beiden Hauptposten der Verkehrsbilanz liegt der Tauschcharakter klar zu Tage.
Aber auch alle übrigen Posten haben diesen Tauschcharakter, wenngleich er hier nicht so deutlich erkennbar ist, weil man allerhand Dokumente, insbesondere Staatspapiere und Privatobligationen, Aktien und ähnliche Effekten, von Land zu Land wandern sieht, mit denen es scheinbar eine andere Bewandtnis hat. Tatsächlich stehen aber alle diese Dokumente in genau: derselben Weise im Dienste des internationalen Austauschs, wie sie im Dienste des binnenstaatlichen Tauschs stehen. Aus meinen Briefköpfen ersehe ich, daß ich Dir schon am 2. Januar d. 3. auseinandergesetzt habe, was Aktien, Obligationen, Hypotheken und alle sonstigen Kredit- und Beteiligungsinstrumente in Wirklichkeit sind: nämlich Rechte an Häusern, Maschinen, Maren, Vorräten bezw. an den Unternehmungen, in deren Besitz diese Dinge sich befinden. Es sind Urkunden, aus denen hervorgeht, daß bestimmte Güter nicht das ausschließliche Eigentum derjenigen Person sind, die gerade über sie verfügt, sondern das Miteigentum oder Unterpfand des Besitzers der Urkunde. Wer solche Dokumente versendet, der versendet das abstrakte Eigentums- oder Pfandrecht an bestimmten konkreten Gütern, was in seinen wirtschaftlichen Wirkungen genau daßelbe ist, als ob er diese Güter in natura zum Versand bringt. Und wenn eine Einzelperson oder eine Staatsbehörde derartige Eigentums- oder Forderungspapiere in das Ausland sendet, um auf diese Meise kurz zuvor eingeführte Baumwolle, Spitzen oder Apfelsinen zu bezahlen, so ist in Wirklichkeit ein glatter Tausch von Gut gegen Gut zustande gekommen.
Neben solchen Dokumenten, die ein Eigentum oder eine langfristige Forderung beurkunden, geht auch noch eine andere Art Dokumente von Land zu Land, in denen ein kurzfristiges Kreditverhältnis verbrieft wird. Diese Papiere besagen wirtschaftlich weiter nichts, als daß eine Leistung statt in der Gegenwart erst in der Zukunft, etwa nach drei oder sechs Monaten, erfolgen soll, und daß daher eine Mare, die ein Land bezogen hat, nicht sofort, sondern später mit einer anderen Ware bezahlt werden wird. Daher kommt es, daß im Außenhandel eines Landes sich die Aktiv- und Passivseite nicht immer genau ausgleichen, wie es nach dem Prinzip „Ware gegen Ware“ eigentlich der Fall sein müßte, sondern daß bald die eine, bald die andere Seite überwiegt. Die Differenz wird Lurch die Kreditpapiere, d.h. durch das Versprechen einer späteren Zahlung, provisorisch ausgeglichen, und so lange das -er Fall ist und die Differenz, noch besteht, ist ein entsprechendes Quantum Ware oder Dienstleistung faktisch unbezahlt. Früher oder später jedoch muß die definitive Bezahlung in der allein möglichen Form der Warensendung oder Dienstleistung erfolgen, .sonst begeht die Zahlungspflichtige Person, Gesellschaft oder Volksgemeinschlaft einen Treubruch.
Wenn der normale und rechtliche Verkehr zwischen den einzelnen Ländern stets ein Tauschverkehr ist, so kommt es doch gelegentlich auch vor, daß anormale Verhältnisse Platz greifen, die aus dem Rahmen des Rechts herausfallen. So kann ein Land von anderen Ländern gezwungen werden, Leistungen zu bewirken, denen keine Gegenleistung gegenübersteht. Das bekannteste Beispiel für solche Vorgänge, bei denen die Gewalt das Recht ersetzt und ein Land zu einseitigen Leistungen verurteilt, ist das, was das Altertum „Tribut“ nannte, und was man heute etwas verlogener als „Kriegsentschädigung“, „Reparation“ oder ähnlich bezeichnet. Hier wollen die Empfängerländer von dem Zahlungspflichtigen Lande „Geld“ haben, d.h. Bezugsscheine auf Waren und Dienste, mit deren Hilfe sie sich in den Besitz beliebiger Güter setzen können. Aber auch in diesem Falle, in dem sie doch brutale Gewalt anwenden, gelingt es ihnen nicht, das Wirtschaftsgesetz umzustoßen, nach dem der Verkehr von Land zu Land sich ausschließlich im Wege des Warenaustauschs abspielt. Denn das zur Zahlung verurteilte Land hat, um zahlen zu können, weiter nichts als Waren oder Dienste. Selbst wenn es scheinbar in Geld zahlt, das heißt den empfangsberechtigten Ländern den ganzen Tribut in seinem Landesgelde entrichtet, gibt es in Wirklichkeit Ware hin. Denn Du weißt ja, sofern meine früheren Briefe ihren Zweck erfüllt haben, daß das Landesgeld nur eine Anweisung auf Landesgüter oder ein Unterpfand für diese Güter ist, und daß es nur insofern einen Wert hat, als das in ihm verkörperte Bezugsrecht auf die Landesgüter ausgeübt wird. In dem Gelde, das ihnen übergeben wird, empfangen also die Tributnehmenden Länder lediglich einen Bon auf Waren und Leistungen des tributpflichtigen Landes, und sie müssen, um zu ihrem „Gelde“ zu kommen, den Bon präsentieren, d.h. das Landesgeld zurückgeben und dafür Waren oder Dienste beziehen.
Das ist niemals deutlicher zu erkennen gewesen als eben jetzt, wo Deutschland der ihm auferlegten Reparationspflicht genügt und der Aufforderung der verbündeten Siegerstaaten nachkommt, jährlich mehrere Milliarden Goldmark in amerikanischem, englischem und sonstigem Velde zu bezahlen. Deutschland bringt die erforderlichen Dollar, Pfund Sterling usw. in der Weise auf, daß es seinen Exporteuren die Devisen, die sie als Gegenwert ihrer Ausfuhr erhalten, und seinen Banken die Guthaben, die sie im Auslande haben, abkauft und als Tribut an die Sieger abführt. Es bezahlt alle diese Devisen und Guthaben in deutschem Gelde, in Mark, die es im Wege der Steuer und der Anleihe und leider auch, sogar hauptsächlich, im Wege des Rotendruckens beschafft. Aber das ist ja nur der technische Hergang. Sachlich liegen die Dinge so, daß Deutschland mit den Waren bezahlt, die seine Exporteure ausführen müssen, um die erforderlichen Devisen zu erhalten, und mit den ausgeführten Anleihen, Aktien und sonstigen Vermögenswerten, für die seine Banken sich in den Besitz der dringend benötigten Auslandsguthaben sehen. Die eigentliche Zahlung erfolgt also, wie jede Zahlung von Land zu Land, in Waren bezw. Gütern, und die Empfängerländer, welche die anbefohlenen deutschen Reparationszahlungen schon triumphieren als Einnahme gebucht haben, sehen jetzt mit Schrecken, daß „Geld empfangen“ nichts anderes heißt als „mit Ware überschwemmt werden“. Wie Goethe’s Zauberlehrling haben sie die Tragweite ihres Befehls nicht begriffen. Sie wissen nun nicht, wie sie die ungeahnten Folgen ihres täppischen Zahlungsverlangens beseitigen und ihre Industrien vor der vernichtenden Konkurrenz der deutschen Reparationsware schützen sollen. Zwei Seelen wohnen in ihrer Brust: die eine verlangt „zahle!“, die andere jammert „zahle nicht in Ware!“ Es ist auf Jahrhunderte hinaus ein Schandmal für die europäische Finanzwissenschaft der Gegenwart, daß sie die Regierungen in diesem Punkte nicht rechtzeitig belehrt und ihnen gesagt hat: Keine Person und kein Volk kann anders zahlen als in Gütern oder Diensten. Verurteilt Ihr Deutschland zu mehreren Milliarden Goldmark jährlich, so verurteilt Ihr die Zahlungsempfänger zur Annahme der entsprechenden Menge deutscher Ware oder deutscher Arbeit. Ihr müßt also Ware und Arbeit nehmen, da Gold in solchen Mengen nicht zu beschaffen und überdies nutzlos, ja sogar ein Unglück für Euch sein würde — auf diesen Punkt, lieber James, kommen wir später noch ausführlich zu sprechen, oder aber Ihr müht auf die ganze Reparation verzichten.“ Das hat niemand den Regierungen rechtzeitig gesagt; aber jetzt erkennen diese es selbst, und sie bemühen sich, den deutschen Warenstrom aus jede, mögliche und. unmögliche Weise zurückzudämmen.
Alles das, lieber James, nur zur Illustration der Tatsache, daß die Zahlungen von Land zu Land, auch wenn sie in Geld stipuliert sind, sich in Wirklichkeit in der Warenform vollziehen. Einem Lande also, das einem anderen verschuldet ist, und dem weder das Gläubiger noch ein drittes Land einen entsprechenden Kredit einräumen will, bleibt nichts anderes übrig, als Güter zu exportieren oder Dienste zu leisten. Nun stößt aber diese Zahlungsweise auf Hindernisse, namentlich wenn es sich um außergewöhnlich große Beträge handelt. Denn zum Exportieren gehören, wie zum Küssen, immer zwei: Einer, der exportiert, und einer, der die Exporte annimmt. Dem Angebot der Güter und Dienste aus dem Zahlungspflichtigen Lande muß eine Nachfrage des Auslands gegenüberstehen, sonst nützt dem ersteren Lande der beste Ausfuhrwille nichts; es kann dann nicht exportieren und infolgedessen nicht zahlen. Dem Auslande bleibt in solchem Falle nichts anderes übrig, als die Schuld zu stunden, also Kredit zu geben. Aber auch hierzu ist es häufig nicht bereit. Es gibt Konstellationen, unter denen ein Land weder seine Mare los wird, weil diese den anderen Ländern zu teuer ist, noch Kredit erhält, weil dieser den anderen Ländern ein finanzielles Wagnis zu sein scheint. Mas geschieht dann? Vermag das Schuldnerland trotzdem zu zahlen, oder vermag es das nicht, so daß es seinen Bankrott erklären muß?
Ich will Dir das lange Nachdenken über diesen heiklen Punkt ersparen, lieber James, und Dir gleich sagen, daß es ein solches Dilemma, wie ich es hier eben skizziert habe, in Wirklichkeit nicht gibt. Ich bin von einer unmöglichen Voraussetzung ausgegangen. Denn daß das Ausland einem Schuldnerlande weder seine Ware abnehmen noch Kredit bewilligen will, kommet niemals vor. Ein Schuldnerland, dem es Ernst mit seinem Zahlungswillen ist, findet stets entweder Abnehmer für seine Waren oder genügenden Kredit. Das mag Dir seltsam erscheinen, und ich gebe zu, daß es absonderlich klingt, wenn ich sage, daß das Ausland nicht frei in seinen Entschließungen ist, sondern einem Zwange gegenüber steht, der ihm nur die Wahl läßt, ob es kaufen oder Kredit geben will. Aber es ist in der Tat so. Und wenn Du mich fragst: „Wer kann das Ausland zwingen, eine Ware zu kaufen, die zu teuer ist, oder einen Kredit zu bewilligen, der ihm zu gefährlich scheint?“, so antworte ich Dir: „der Wechselkurs“.
Der Wechselkurs ist der Preis der ausländischen Zahlungsmittel – mit denen ein Land seine Schuld abdecken kann, und die es erhält, indem es Ware exportiert, – ausgedrückt in einem bestimmten Betrage seiner eigenen Zahlungsmittel. Da Zahlungsmittel nichts anderes sind als Warenbezugsscheine, so zeigt der Wechselkurs an, wieviel Ware das Schuldnerland hergeben muß, um seine Schuld zu bezahlen. Ist der Wechselkurs günstig, d.h. sind die ausländischen Zahlungsmittel billig, so bedeutet dies, daß das Schuldnerland wenig eigene Ware hinzugeben braucht, um einen bestimmten Betrag damit abzudecken. Ist dagegen der Wechselkurs ungünstig, der Preis der ausländischen Zahlungsmittel also hoch, so muß das Schuldnerland für dieselbe Schuld entsprechend mehr Ware hingeben. Von der Seite des Auslands gesehen heißt das: Im ersten Falle kommt das Ausland in die unvorteilhafte Lage, wenig Ware für eine Einheit seines Geldes zu erhalten, also teuer einzukaufen, im zweiten Fall dagegen in die vorteilhafte Lage, viel Ware für dieselbe Einheit zu erhalten, also billig einzukaufen. Je schlechter der Stand der Wechselkurse für das Schuldnerland, um so besser die Einkaufsgelegenheit in diesem Lande für das gesamte Ausland.
Nun wollen wir einmal annehmen, meine Voraussetzung, daß das Ausland als Ganzes genommen dem Schuldnerlande weder Ware abkaufen noch Kredit einräumen will, sei in einem konkreten Falle wirklich eingetreten. Was würde die Folge sein? Das Schuldnerland würde in Verlegenheit geraten. Weder könnten ihm seine Exporteure die ausländischen Warenwechsel (Devisen), noch seine Banken die Auslandsguthaben zur Verfügung stellen, deren es zur Abdeckung seiner Schuld bedarf. Das Land oder die von ihm beauftragten Finanzinstitute würden am Devisenmarkt vergeblich nach der erforderlichen Menge fremder Zahlungsmittel suchen und daher notgedrungen allen denen eine hohe Prämie zahlen, die ihnen solche Zahlungsmittel überlassen können und wollen. Sie würden beispielsweise. ür Dollarwechsel, die bei einem Kurse von 40 Mark per Dollar nicht zu beschaffen sind, 60 oder 80 Mark bieten. Gemäß dem Gesetz, daß starke Nachfrage bei unzureichendem Angebot den Preis steigert, würden die fremden Zahlungsmittel, d.h. die Wechselkurse, sich im Schuldnerlande ganz außerordentlich verteuern.
Was wäre die Folge? Wenn Du mir hier gegenüber sähest, mein Sohn, so würdest Du mir den weiteren Gang der Geschehnisse jetzt selbst schildern müssen, denn es entwickelt sich alles ganz logisch aus Tatsachen, die wir bereits kennen. Da ich Dir aber leider die Lektion nicht par Distanze abhören kann, so muß ich notgedrungen den logischen Faden selbst weiter spinnen. Also: Wir haben gesehen, daß ungünstige Wechselkurse des Schuldnerlandes für das gesamte Ausland eine Chance bedeuten, nämlich die Chance des billigen Warenkaufs im Schuldnerlande. Nehmen wir an, der Preis, einer bestimmten deutschen Maschine betrage 400 000 Mark. Das machte bei einem Dollarkurse von 40 Mark genau 10 000 Dollar aus. Verschlechtert sich nun der Dollarkurs in Berlin auf 80, so kostet dieselbe Maschine den amerikanischen Importeur nur noch die Hälfte, nämlich 5000 Dollar. Und wenn ihm der Preis von 10 000 Dollar zu hoch erschien, um die Maschine zu kaufen, so wird er einen Preis von 5000 Dollar vermutlich nicht mehr zu hoch finden. Woraus sich der Lehrsatz ergibt: Die Verschlechterung des Wechselkurses bei unverändert bleibendem Inlandspreis verstärkt die Kaufneigung des Auslandes und bewirkt eine Zunahme des Exports.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder genügt die Steigerung des Dollarkurses von 40 auf 80 Mark (und eine entsprechende Steigerung aller übrigen Wechselkurse), um die bisher fehlende Kaufneigung des Auslandes wachzurufen und den Export im erforderlichen Maße zu beleben: Dann findet das Schuldnerland, in diesem Falle Deutschland, die nötige Devisenmenge, um seine Schuld zu begleichen. Denn jede exportierte Ware bringt ihm naturgemäß eine ihrem Preise entsprechende Summe in fremden Zahlungsmitteln ein. Der Wechselkurs hat dann seine Schuldigkeit getan. Oder aber, zweite Möglichkeit: Trotz des starken Steigens der Devisenkurse hebt sich der Export nicht hinreichend, sei es, weil die Preisverbilligung der Waren den ausländischen Importeuren nicht genügt, sei es, weil die fremden Negierungen die deutsche Ware mit hohen Zöllen belegt haben. Dann fehlt dem Zahlungspflichtigen Deutschland noch immer ein Teil des erforderlichen Devisenmaterials, die Nachfrage nach fremden Zahlungsmitteln am Devisenmarkt hält an und treibt die Wechselkurse weiter in die Höhe. Der Dollarkurs macht dann nicht bei 80 Mark Halt, sondern klettert auf 100, 120 oder noch höher. Auf diese Weise verschlechtern sich die Wechselkurse so lange, oder, was gleichbedeutend ist, verbilligen sich die Preise der deutschen Ware für das Ausland bis zu solchem Grade, daß jede Abneigung der fremden Importeure und jeder noch so hohe Zoll der fremden Negierungen schließlich überwunden wird, die deutsche Ware sich in breitem Strome über das Ausland ergießt, und Deutschland dadurch die Verfügung über das erforderliche Quantum Devisen erhält. Will das Ausland diesem Einbruch deutscher Ware, der seine Industrien bedroht, ein Ende machen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als Deutschland der Notwendigkeit des formierten Devisenkaufs zu entheben, das heißt ihm die nötigen Kredite einzuräumen.
Auf diese Weise, lieber James, zwingt die innere Logik der Dinge vermittels des Wechselkurses das Ausland, dem Schuldnerlande entweder die Abtragung seiner Schuld in Ware zu gestatten, oder ihm diese Schuld zu stunden. Es gibt keine andere Möglichkeit. Denn nehmen wir selbst an, es sei denkbar, daß die ganze Welt sich einmütig durch Einfuhrverbote gegen die Ware des Schuldnerlandes verschanzt, und daß sie ebenso einmütig jeden Kredit ablehnt, – eine Voraussetzung, die jeder Praktiker als Phantasterei verlachen wird, – so würde die deutsche Mare auf Schleichwegen und in den absonderlichsten Verkleidungen dennoch in das Ausland dringen. Die Gewalt des preisverbilligenden Wechselkurses ist schlechthin unüberwindlich, und so lange ein Schuldnerland zahlen will, kann keine Macht der Erde es daran hindern, in der Weise zu zahlen, die im Verkehr von Land zu Land die einzig denkbare ist, nämlich durch Hergabe von Ware.
So sehen wir denn, daß die vermittelnde Rolle, die im Binnenhandel das Geld spielt, im Weltverkehr vom Wechsel gespielt wird. Aber so wenig wie das Geld ist der Wechsel ein definitives Zahlungsmittel. Wie jenes ist er vielmehr ein Provisorium, ein Platzhalter, der die Ware (im weitesten Sinne, also einschließlich aller irgendwie gearteten Leistungen) vertritt, bis sie, die den alleinigen Gegenstand jeglichen Verkehrs ausmacht, ihn durch das Geld ablösen läßt, das sie dann späterhin selbst wieder ablöst. Der Wechsel ist sonach im Unterschied vom Gelde ein Provisorium zweiten Ranges, das zum Gelde in demselben Verhältnis steht, wie dieses zur Ware.
Soviel für heute. In Liebe
Dein alter Papa.
3. Brief
Das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz – Die Weltware „Gold“ – Das Gold und seine drei Eigenschaften
Berlin, den 6. September 1921.
Wir haben gesehen, lieber James, daß der Wechselkurs, der den Wert eines Landesgeldes in Einheiten eines anderen Landesgeldes ausdrückt, durchaus von der Zahlungsbilanz des Landes abhängt: daß er sich verbessert, wenn das Land mehr zu fordern als zu zahlen hat, und daß er sich verschlechtert, wenn es sich umgekehrt verhält. Wir haben aber ferner gesehen, daß der Wechselkurs den Stand der Zahlungsbilanz nicht nur registriert, sondern zugleich korrigiert, indem er das Preisniveau in den Gläubiger- und Schuldnerländern in dasjenige Verhältnis zu einander setzt, das den Ausfluß von Ware aus den Schuldnerländern in die Gläubigerländer ermöglicht und auf diese Weise die Zahlungsbilanz ausgleicht.
Daraus ergeben sich nun verschiedene wichtige Folgerungen. Es ergibt sich erstens, daß die Gunst oder Ungunst der Wechselkurse nicht etwa ausschließlich davon abhängt, ob ein Land anderen Ländern sehr hoch oder sehr niedrig oder gar nicht verschuldet ist, sondern weit mehr davon, ob es ihm im gegebenen Falle leicht oder schwerer fällt, einen Schuldsaldö durch Warenausfuhr auszugleichen oder durch Inanspruchnahme von Kredit für den Moment gegenstandslos zu machen. Das eine Land wird spielend mit einem hohen Passivsaldo fertig, dem andern macht bereits die Begleichung eines kleinen Saldos Schwierigkeiten: das ist eine Frage der Exportfähigkeit und der Kreditwürdigkeit. Infolgedessen genügt in dem einen Lande bereits eine geringe Verschlechterung der Wechselkurse, um den gewünschten Effekt hervorzurufen, während in dem andern Lande eine ganz beträchtliche Verschlechterung der Wechselkurse eintreten muß, um einen verhältnismäßig unbedeutenden Passivsaldo der Zahlungsbilanz aus der Welt zu schaffen.
Es ergibt sich zweitens, daß es einem Lande grundsätzlich um so leichter fallen wird, eine Schuld im Ausland zu tilgen, und daß es unter um so geringeren Wechselkursschwankungen zu leiden haben wird, je mehr es über bestimmte Waren verfügt, die sich hervorragend zu Exportzwecken eignen. Die Wechselkurse haben die Aufgabe, den Wert der einzelnen nationalen Geldsorten und damit das Preisverhältnis zwischen den Ländern so zu gestalten, wie es der Stand der Zahlungsbilanz erfordert, und sie werden diese Aufgabe umso leichter und schneller erfüllen, je beweglicher die Maren sind, die als Vermittler des Zahlungsausgleichs von Land zu Land wandern. In dem Lande, das über die beweglichsten, das heißt überall mit größter Vorliebe genommenen Waren – oder einen unbeschränkten Kredit – verfügt, stellt schon eine ganz geringfügige Verbesserung oder Verschlechterung der Wechselkurse das Gleichgewicht in der Zahlungsbilanz her.
Es ergibt sich drittens, daß die Waren, denen es hauptsächlich obliegt, den Ausgleich der Zahlungsbilanz durch ihren Ab- und Zufluß herbeizuführen, noch eine andere Eigenschaft haken müssen als diejenige der großen Beweglichkeit. Erinnere Dich, lieber James, auf welche Weise der Wechselkurs den Passivsaldo des Schuldnerlandes beseitigt. Er tut dies, indem er durch seine eigene Bewegung bewirkt, daß der Durchschnittspreis der exportfähigen Waren des Schuldnerlandes sich für das Ausland verbilligt. Steigt in Berlin die Dollarnotiz von 40 auf 80 M., so kostet für den Amerikaner ein Posten deutscher Farbstoffe, dessen Preis 1200 Mark beträgt, nicht mehr 30 Dollar, sondern nur noch 15 Dollar. Der Preis hat sich, obwohl er in Mark ausgedrückt unverändert geblieben ist, für den Amerikaner um die Hälfte ermäßigt. Du stehst aber aus diesem Beispiel zugleich, mein Sohn, daß diese Verbilligung nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung eintritt; nämlich nur dann, wenn die betreffenden Waren, in diesem Falle also die Farbstoffe, ihren alten Preis in Mark beibehalten und sich nicht etwa verteuern. Denn wenn die Farbstoffe in Deutschland nicht mehr 1200 Mark kosten, sondern auf 1800 Mark steigen, so fällt für den Amerikaner die Hälfte der Verbilligung weg. Und steigen sie auf 2400 Mark, so hak überhaupt keine Verbilligung stattgefunden.
Die Waren, die den Ausgleich der Zahlungsbilanz herbeiführen, müssen also nicht nur sehr beweglich, sondern zu gleicher Zeit auch sehr preisbestandig sein. Sie dürfen sich in dem Moment, wo die Nachfrage des Auslandes nach ihnen einseht, nicht verteuern, oder zum mindesten nicht erheblich verteuern. Die ideale Ware wäre diejenige, die bei eintretender Nachfrage des Auslandes entweder ihren eigenen Inlandspreis oder das allgemeine inländische Preisniveau nicht nur nicht erhöht, sondern im Gegenteil noch ermäßigt. Denn in diesem Falle würde die Exportware sich für das Ausland nicht nur um den Betrag der Wechselkurs-Steigerung, sondern außerdem noch um den Betrag des inländischen Preisrückgangs verbilligen; es würde dann keiner besonders fühlbaren Verschlechterung des Wechselkurses bedürfen, weil der Zweck dieser Verschlechterung, nämlich die Verbilligung der Exportware, zum Teil schon durch den Preisrückgang der Ware im Inlande erfüllt und der Wechselkurs dadurch entlastet wird. Würde sich also, uni zu unseren: Beispiel zurückzukehren, der Preis der Farbstoffe von 1200 Mark auf 900 Mark ermäßigen, so würde der Dollarkurs nicht mehr auf 80 Mark, sondern nur auf 60 Mark zu steigen brauchen, um die Amerikaner zum Kauf zu .veranlassen; denn 900 Mark zum Umrechnungskurs von 60 ergeben denselben Dollarpreis wie 1200 Mark zum Kurs von 80, nämlich 15 Dollar.
Ich sehe jetzt förmlich, lieber James, wie sich Dein Gesicht zu einem Lächeln verzieht, weil Du denkst: „Die Ware möchte ich kennen lernen, die sich im Moment, wo das Ausland sie zu kaufen beginnt, verbilligt oder gar das allgemeine Preisniveau im Lande ermäßigt! Soviel habe ich nun nachgerade doch schon gelernt, daß bei einsetzender Nachfrage eine Ware im Preise anzieht und nicht heruntergeht! Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß wenn der Dollarkurs in Berlin sich verschlechtert und die Amerikaner infolgedessen deutsche Farbstoffe aufzukaufen beginnen, der Preis der Farbstoffe von 1200 auf 1800 Mark oder noch höher steigen, aber nicht auf 900 Mark zurückgehen wird. Die Voraussetzung, daß bei verstärkter Nachfrage die Preise sich ermäßigen, ist ein Unding, ist eine logische Unmöglichkeit, und mein alter Papa scheint hier einem verhängnisvollen Denkfehler zum Opfer gefallen zu sein.“ Ich wette 10 gegen 1, mein Lieber, daß das Deine Argumentation ist, wenn Du diese Zeilen liest.
Aber Dein alter Papa denkt trotz seiner Jahre noch immer ziemlich klar und weiß, was er sagt und schreibt. Im Prinzip hast Du natürlich Recht: Verstärkte Nachfrage steigert die Preise und senkt sie nicht, und es müssen ganz absonderliche Waren sein, die in dem Moment, wo sie in’s Ausland gesandt und daher im Inlands knapp werden, zu einer Preisermäßigung führen. Aber es gibt solche absonderlichen Waren. Und vor allem gibt es eine derartige Ware, die Dir praktisch aus eigener Anschauung und theoretisch aus meinen früheren Briefen sehr geläufig ist: das Gold.
Das Gold ist dasjenige Gut, welches nicht nur die beiden schätzbarsten Eigenschaften jeder Exportware, nämlich die Beweglichkeit und die Preisbeständigkeit, in vollkommenster Weise in sich vereinigt, sondern welches darüber hinaus sogar noch die besondere Eigentümlichkeit hat, preisdrückend zu wirken, sobald sie stark begehrt und in das Ausland versandt wird. Und Du wirst sehr schnell erkennen, woher diese Häufung schätzbarer Eigenschaften beim Golde kommt.
Also erstens die große Beweglichkeit. Du weißt, daß die meisten Kulturstaaten ihr Geldwesen irgendwie in Verbindung mit dem Golde gebracht haben, obschon das Geld, das Du als einen Rechtstitel kennen gelernt hast, der seinem Inhaber den Anspruch auf die einer früheren Leistung entsprechende Gegenleistung sichert, an und für sich eine Verbindung mit dem Golde nicht braucht. Es hat sich eben in praxi herausgestellt, daß das Geld, sobald es aus Gold besteht oder jederzeit in Gold umtauschbar ist, seine wichtigste Funktion viel besser erfüllt, als wenn dies nicht der Fall ist. Die wichtigste Funktion des Geldes besteht, wie wir wissen, darin, den Wert der Gegenleistung, die in ihm verkörpert ist, genau dem Werte der vorangegangenen Leistung anzupassen, also für eine möglichst vollkommene Beharrung des Preisniveaus im Lande zu sorgen. Und man glaubt diese Beharrung auf keine bessere Weise herbeiführen zu können, als indem man das Geld, das die Preise mißt und ausdrückt, mit dem Golde identifiziert, das aus vielen Gründen geringeren Wertschwankungen unterliegt als die übrigen Waren.
Wir brauchen auf die Gründe dieser Hochschätzung des Goldes unfeiner Verbindung mit dem Gelde an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Es genügt vielmehr, wenn Du Dir die Tatsache vergegenwärtigst, daß das Gold in allen Kulturstaaten dem Landesgelde gleich erachtet wird, weil es jederzeit in solches Geld verwandelt werden kann. Denn diese Tatsache ist der eigentliche Grund für die überaus große, fast unbeschränkte Beweglichkeit des Goldes. Da es in den wichtigsten Ländern dem Währungsgelde mindestens gleichsteht, so wird es allenthalben gern genommen. Ein Land, das über hinreichende Mengen dieses Metalls verfügt, besitzt also eine Ware, mit der es stets und unter allen Umständen einen Passivsaldo seiner Bilanz abdecken kann, ohne daß es die Kauflust des Auslandes durch einen Preisnachlaß zu reizen braucht. Denn für Gold ist stets genügende Kauflust vorhanden.
Daß diese Kaufkraft aber nicht nur an sich vorhanden ist, sondern auch zu ganz bestimmten, unveränderlichen und überall bekannten Bedingungen auftritt, das macht den zweiten Vorzug der Ware „Gold“, nämlich ihre Preisbeständigkeit, aus. Man kann stets damit rechnen, daß das Gold zu dem Preise genommen wird, der dem gesetzlichen Verhältnis entspricht, in dem es in das jeweils höchstwertige Landesgeld, augenblicklich also Dollar, umgewandelt werden kann. Unter diesen Preis sinkt es nicht, auch wenn es in den größten Posten angeboten wird. Das Land, das hinreichend Gold besitzt, kann also nicht nur seine Zahlungsbilanz mühelos damit abdecken, ohne hinsichtlich des Preises dieser Exportware irgendwelche Konzessionen machen zu müssen, sondern es kann auch das Stimulationsmittel der Wechselkurs-Verschlechterung entbehren. Bei jeder anderen Exportware muß die Kaufneigung des Auslandes dadurch geweckt oder verstärkt werden, daß der Wechselkurs das Währungsgeld des Schuldnerlandes im Werte drückt, die in diesem Gelde festgesetzten Preise also dem Ausländer niedriger erscheinen läßt, obwohl sie im Inlande keine Ermäßigung erfahren haben. Beim Golde bedarf es einer solchen Verstärkung der Kaufneigung nicht, denn diese ist ohnehin unbegrenzt vorhanden. Wenn also ein Gold besitzendes Land große Auslandszahlungen zu leisten hat, so braucht es nicht angstvoll nach Devisen zu suchen, ihren Kurs durch seine Nachfrage zu steigern und den Wert des eigenen Landesgeldes entsprechend zu verringern, bis endlich das Ausland sich zum Kauf der stark verbilligten Landesware bereit erklärt, sondern es kann sich die benötigten Devisen ohne weiteres dadurch beschaffen, daß es Gold in’s Ausland sendet. Für dieses Gold erhält es dann die Devisen, deren es zur Deckung seiner Schuld bedarf, ohne daß es zu einer Steigerung des Wechselkurses und einer Verschlechterung der Landeswährung kommt.
„Gibt es denn aber ein Land, das über so gewaltige Goldmengen verfügt, wie sie erforderlich sind, um jeden noch so hohen Passivsaldo seiner Zahlungsbilanz damit decken zu können?“ Diese Frage liegt so nahe, daß ich es Dir sehr übelnehmen würde, lieber James, wenn Du sie nicht stellen wolltest. Sicherlich gibt es viele Länder, die derartig große Goldmengen nicht besitzen. Deutschland z.B. ist heute nicht im Stande, die Reparationszahlungen eines einzigen Jahres aus seinen Goldbeständen zu decken, obwohl mehr als eine Milliarde Goldmark lauteres Gold in der Reichsbank ruhen. Daraus darfst Du aber nicht etwa folgern, daß ein Goldbestand in dieser Höhe unter allen Umständen unzureichend wäre, um eine Schuld von 3 1/2 oder 4 Milliarden Goldmark damit zu begleichen. Unter normalen Verhältnissen genügt vielmehr schon ein ganz kleiner Bruchteil jenes Goldbestandes, um noch ungleich größere Zahlungen zu ermöglichen. Daß das in Deutschland heute Nicht der Fall ist, liegt einzig und allein daran, daß hier eben keine normalen Verhältnisse herrschen, das deutsche Geldwesen vielmehr durch und durch krank ist, und daher das deutsche Gold die dritte und wertvollste Eigenschaft des Goldes vollständig eingebüßt hat. Und zwar ist das die Eigenschaft des Goldes, bei seiner Ausfuhr einen Preisdruck im Ausfuhrlande zu erzeugen. Hier sind wir bei einem so wichtigen Punkte angelangt, daß ich Dich bitten muß, das Folgende mit größter Aufmerksamkeit zu lesen.
Ein Land, in dem die Goldwährung herrscht, das heißt, dessen Landesgeld entweder aus Gold besteht oder jederzeit in Gold eingelöst wird – wie es vor dem Kriege in Deutschland der Fall war – kann jede beliebige Schuldsumme an das Ausland zahlen, ohne daß die Wechselkurse über den sog. „oberen Goldpunkt“ steigen. Es ist dies derjenige Wechselkurs, bei dem es vorteilhafter ist, Gold in’s Ausland zu senden und sich dadurch entsprechende Auslandsguthaben zu schaffen, als am Wechselmarkt Devisen zu kaufen. In Deutschland betrug früher der Normalpreis eines Pfund Sterling 20,43 Mark, und zwar deshalb, weil in einem englischen Sovereign für 43 Pfennige mehr Gold enthalten war bezw. ist, als in einem deutschen Zwanzigmarkstück. Von dieser Parität wich der „obere Goldpunkt“ nur um etwa 6 oder 7 Pfennige ab; d.h. der Wechselkurs auf London konnte normalerweise – gelegentliche Abweichungen sind hier unbeachtlich – nicht über 20,50 Mark steigen. Weshalb nicht? Weil jede Importfirma oder Bank, die mehr als 20,50 Mark für einen Sterling-Wechsel gezahlt hätte, bares Geld zum Fenster hinausgeworfen haben würde. Denn für 20,50 Mark konnte sie soviel Gold von der Reichsbank abheben und nach London schicken, wie nötig war, um aus dem Golde einen Sovereign, gleich einem Pfund Sterling, prägen zu lassen. Und wenn man für 20,50 Mark ein Pfund Sterling in Gold erhalten und zur Zahlung verwenden kann, so handelt man sicherlich töricht, sofern man mehr als diesen Betrag aufwendet, um einen Wechsel auf London zu kaufen, der bestenfalls denselben Wert hat wie jenes Pfund Sterling in Gold.
Ergo: Wo Goldwährung herrscht, kann der Preis der fremden Wechsel sich niemals weit über die Parität erheben, d.h. über den Goldwert einer fremden Münze, ausgedrückt in Inlandsgeld. Denn sobald der Wechselkurs die Neigung zeigt, die Parität um mehr als das drittel Prozent zu übersteigen, das die Fracht, der Zinsverlust und die Versicherung einer Goldrimesse etwa ausmachen, also über den oberen Goldpunkt hinauszugehen, weiß die gesamte Handelswelt, daß es vorteilhafter für sie ist, Gold zu exportieren als Devisen zu kaufen. Sofort setzt die Goldausfuhr ein, während die Nachfrage nach Devisen aufhört. Eine Steigerung des Wechselkurses über den oberen Goldpunkt, auch Exportgoldpunkt genannt, hinaus ist in einem Lande mit gesunder Goldwährung, wie sie ja vor dem Kriege in fast alten Industriestaaten herrschte, ein solches Ding der Unmöglichkeit, daß, wenn einmal in einem Lande der Exportgoldpunkt dennoch überschritten wird, dies ein untrügliches Zeichen für die Abkehr des Landes von der Goldwährung ist. Es kann dann gar nicht anders sein, als daß die Staatsbank das Landesgeld nicht mehr auf Verlangen prompt in Gold einlöst.
Goldwährungsländer können also aus mehreren Gründen ihre Auslandsschulden jederzeit mühelos begleichen. Erstens verfügen sie im Golde über eine höchst bewegliche Ware, die beliebig auswandern und wieder zurückwandern kann, da alle Länder sie mit Freuden an Zahlungsstatt annehmen. Zweitens haben sie im Golde eine preisbeständige Ware, deren Bewertung weder im Inlande noch im Auslande nennenswert schwankt. Sie schwankt im Inlande nicht, weil sie hier beliebig für Landesgeld genommen oder gegen solches hingegeben wird, also niemals mehr oder weniger als ihr feststehendes Äquivalent in Landesgeld wert sein kann. Und ihre Bewertung durch das Ausland schwankt nicht oder nur ganz unwesentlich, weil die Wechselkurse, deren Besserung oder Verschlechterung auf eine Preis-Erhöhung oder -Verbilligung aller Handelsware hinausläuft, zwischen dem oberen und dem unteren Goldpunkt (Export- und Import-Goldpunkt) verankert sind und immer nur auf dem winzigen Raume zwischen diesen beiden Punkten hin- und herpendeln können.
Aus diesen Gründen können die Goldwährungsländer jede noch so hohe Zahlung nach dem Auslande leisten. Nur darfst Du nicht glauben, die Abdeckung der Auslandsschulden eines Goldwährungslandes gehe in der primitiven Meise vor sich, daß das Land den ganzen Betrag seiner Schuld in effektivem Golde auszahlt. Das ist natürlich eine glatte Unmöglichkeit, denn über soviel Gold, wie in diesem Falle unter Umständen gezahlt werden müßte, verfügt kein einziges Land. Die Abdeckung der Auslandsschulden geht in Wirklichkeit ganz anders vor sich, und zwar in einer technisch höchst interessanten und für die Geldtheorie höchst lehrreichen Weise, wobei den Goldwährungsländern eine sehr wichtige dritteEigenschaft der Ware Gold zustatten kommt. Es ist dies die von mir bereits erwähnte Eigenschaft des Goldes, beim Verlassen des Goldwährungslandes in diesem einen allgemeinen Preisdruck zu erzeugen.
Ich kann Dir den Vorgang, da der Begriff und das Wesen des Geldes kein Geheimnis mehr für Dich sind, mit wenig Worten erläutern. In einem Lande, in dem die Goldwährung herrscht, bildet das vorhandene Gold, gleichviel ob es im Verkehr oder bei den Banken oder in einer Staatskasse ist, einen Bestandteil des Landesgeldes. Nun erinnerst Du Dich aber, daß der Wert des Landesgeldes und damit das Preisniveau im Lande in absoluter Abhängigkeit von der Menge des Geldes stehen. Wenn also Gold aus dem Lande flieht, so verringert sich hier die Geldmenge, was unausbleiblich zur Folge hat, daß der Wert dieser verbleibenden Geldmenge, ihre Kaufkraft, sich hebt oder, was dasselbe ist, das Preisniveau im Lande sich-ermäßigt. Goldausfuhr heißt daher Preisrückgang.
In dieser Eigenschaft des Goldes, bei seinem Austritt aus einem Goldwährungslande das Preisniveau herunterzudrücken, haben wir den Hebel zu erblicken, der die Wirtschaft des Landes derartig umschaltet, daß sie nunmehr im Stande ist, jede beliebige Zahlung, auch eine Zahlung allergrößten Umfanges, an das Ausland zu leisten. Nicht mit dem ausfliehenden Golde leistet das Land die Zahlung: Der mit Gold gezahlte Betrag wird immer nur den allerkleinsten Teil der Schuldsumme ausmachen. Gezahlt wird vielmehr mit den Waren, die durch das Ausfliehen eines verhältnismäßig kleinen Teils des Landesgeldes dermaßen verbilligt werden, daß sie die Kaufkraft des Auslandes reizen. Eine kleine, verhältnismäßig harmlose Goldausfuhr hat also genau denselben Effekt wie eine katastrophale Verschlechterung der Wechselkurse und genügt – kleine Ursachen, große Wirkungen –, um das Land zur Zahlung der denkbar bedeutendsten Summen zu befähigen, sofern nur seine Produktion leistungsfähig ist. Nicht der Goldausgang als solcher also ist der Heilfaktor, der das Land von einer passiven Zahlungsbilanz genesen läßt, sondern der Goldausgang in seiner Eigenschaft als Preisregulator. In dieser Eigenschaft öffnet er, ähnlich der Reißleine am Ballon, im Fall der Not ein Ventil, durch das Ware in hinreichender Menge in das Ausland abströmen kann, um die Schuld des Landes abzudecken.
Aber wohlgemerkt: Nur in Ländern der Goldwährung hat ein Goldexport die wohltätige Wirkung, den Ausgleich der Zahlungsbilanz zu ermöglichen, ohne daß eine scharfe Verschlechterung der Wechselkurse und damit ein Verfall der Landeswährung eintritt. In Ländern, deren Geldwesen vom Golde losgelöst ist, übt selbst eine Milliardenausfuhr von Gold keine andere Wirkung aus, als sie die Ausfuhr irgend einer anderen Ware ausüben würde. In diesen Ländern geht die Exportfördernde Preisverbilligung nicht vom Golde, sondern vom Wechselkurse aus; starke Verschuldung ist hier identisch mit Währungselend und dessen verhängnisvollen ethischen, sozialen und politischen Folgen. Die Furcht vor diesem Elend und seinen Folgen, lieber James, und nicht etwa irgend ein währungstheoretisches Vorurteil oder ein „Goldwahn“, ist einer der vielen triftigen Gründe, weshalb die Länder immer wieder instinktiv zur Goldwährung zurückstreben, wie das Tier zur Futterkrippe, wenn sie ihr einmal aus Not oder Unverstand den Rücken gekehrt haben…
Uff! Die Feder fällt mir aus der Hand. Lies diesen langen Brief zweimal durch, lieber James, denn sein Inhalt bildet das eigentliche Gerüst der ganzen Valutafrage. Und damit gute Nacht!
Dein äußerst ermüdeter Papa.
4. Brief
Goldwährung und Papierwährung – Gold, Wechsel und Zahlungsbilanz – Die „kurze Golddecke“
Berlin, am 10. September 1921.
In meinen Briefen vom letzten Winter, lieber James, hatte ich Dir auseinandergesetzt, warum jedes Land gut daran tut, die Goldwährung zu akzeptieren, obwohl rein geldtheoretisch jede andere Währung genau denselben Zweck erfüllt. Der Hauptgrund war, daß die Identifizierung des Geldwesens mit dem Golde das Land vor der Willkür seiner Regierung schützt. Regierungen sind erfahrungsgemäß nur zu leicht geneigt, das Grundgesetz zu verletzen, demzufolge echtes, wertbeständiges Geld ausschließlich aus dem Verkehr heraus entstehen und vergehen kann, und ihre Machtbefugnisse dazu auszuruhen, sich zu Gunsten irgend welcher Interessen nach eigenem Ermessen geldschöpferisch zu betätigen. Dieser Unfug ist in einem Lande, in dem das Geld aus Gold besteht oder durch Gold gedeckt und in solches austauschbar ist, nicht möglich. Jetzt haben wir aber noch einen zweiten, ebenso wichtigen Grund kennen gelernt, der die Goldwährung jeder anderen Währung überlegen macht: Die Tatsache nämlich, daß ein Goldwährungsland seine Zahlungsbilanz auch unter den ungünstigsten Verhältnissen aufrecht erhalten kann, ohne die Wechselkurse, das heißt das Wertverhältnis zwischen seinem eigenen Gelde und dem Gelde der anderen Länder, stärken Schwankungen auszusetzen und dadurch alle merkantilen, produktiven und sozialen Grundlagen im Lande zu erschüttern.
Freilich, ganz ohne innere Störungen geht die Zahlung einer ungewöhnlich großen Schuldsumme an das Ausland auch in einem Goldwährungslande nicht vor sich. Gerät ein Land – etwa infolge eines verlorenen Krieges – in die Zwangslage, gewaltige Summen ohne jede Gegenleistung an ein anderes Land zahlen zu müssen, so ist das ein nationales Unglück, das auch durch die beste Währung nicht beseitigt werden kann. Denn da jede Zahlung von Land zu Land in Ware geleistet werden muß, so läuft die Operation unter allen Umständen darauf hinaus, daß das zahlende Land zu Gunsten des empfangenden Landes auf gewisse Güter von Kapital-, Gebrauchs- oder Affektionswert verzichten, sich also Entbehrungen auferlegen muß. Aber wenn die Goldwährung auch die peinlichen Folgen eines starken Zahlungszwanges nicht beseitigenkann, so vermag sie doch dieselben ganz erheblich zu mildern.
Wir haben gesehen, daß die Goldausfuhr, mit der ein Goldwährungsland einen kleinen Teil seiner Schuldverpflichtung abdeckt, den großen Rest der Schuldsumme grundsätzlich .auf dieselbe Meise beschafft, wie es in einem Papierwährungslande der Wechselkurs tut: Indem sie nämlich die Preise im zahlenden Lande so lange herunterbrückt, bis das Ausland zu den ermäßigten Preisen Ware kauft, oder, um die unliebsam empfundene Warenzufuhr zu verringern, Kredit -gewährt. Die Goldausfuhr erzeugt diesen Preisdruck -sogar auf einem sichtbareren, offenkundigeren Wege als der Wechselkurs und bringt weit mehr als dieser den Preisdruck, der für einzelne Industrien leicht zur Krise ausarten kann, zum Bewußtsein der Bevölkerung. Sie drückt, indem sie dl? Kaufkraft im Lande und dadurch die inländische Nachfrage verringert, direkt auf die Preise, während die Verschlechterung des Wechselkurses das nur indirekt, sozusagen auf einem heimtückischen Wege tut. Denn der schlechte Wechselkurs verbilligt die Ware dadurch, daß er dem Landesgeld, in dem die Preise ausgedrückt find, einen Teil seines Werts nimmt. Das Ausland, das nunmehr in der Lage, ist, das Landesgeld billig zu kaufen und mit seiner Hilfe auch die Waren billig zu erwerben, obwohl ihr Preis nominell unverändert geblieben ist, merkt den eingetretenen Preisdruck sehr schnell und macht ihn sich zu Nutze. Das Inland dagegen läßt sich durch den unveränderten Nominalpreis der Waren leicht täuschen, glaubt, daß auf dem heimischen Markt alles beim alten geblieben sei, und daß nur der Wert seines Geldes sich aus irgend welchen Gründen verschlechtert habe. Daß diese Geldverschlechterung lediglich ein anderer Ausdruck für den tatsächlich eingetretenen Preisrückgang der Ware ist, wird nur von wenigen geldtheoretisch durchgebildeten Leuten, niemals jedoch von der großen Masse der Bevölkerung erkannt.
Aber obwohl die Goldausfuhr in einem Goldwährungsbande ihre preisdrückende Wirkung offener zeigt, ist sie doch ein ungleich milderes und zweckmäßigeres Mittel zur Durchführung großer Auslandszahlungen als die heimlich wirkende Wechselkurs-Verschlechterung in den Papierwährungsländern. Denn sie erreicht den Zweck, Inlandsware zur Ausfuhr zu bringen, ungleich schneller und auf einem verhältnismäßig höheren Preisniveau, als es der vom Wechselkurs ausgehende Antrieb vermag. And zwar deshalb, weil das Ausland in einem Lande mit gesunder, stabiler Valuta erheblich bereitwilliger kauft als in einem Lande, dessen Währung starken Schwankungen unterliegt. Da nämlich der ausländische Importeur niemals weiß, wie der Wechselkurs des exportierenden Landes mit Papierwährung in dem Augenblick sein wird, wo die bestellte, oft erst anzufertigende Ware zum Versand kommt, also auch nicht weiß, wie hoch der Effektivpreis der bestellten Mare sich für ihn ausrechnen wird, so muß er mit einem erheblichen Risiko rechnen und dies in seine Preise hineinkalkulieren. Ein weiteres beträchtliches Risiko erwächst ihm daraus, daß er nicht einmal weiß, ob ihm die bestellte Ware überhaupt geliefert werden wird. Denn in einem Lande mit jäh veränderlichem Geldwert, kommt es aus Gründen, die ich Dir früher ausführlich auseinandergesetzt habe, stets zu Lohnkämpfen, Streiks und sozialen Unruhen, die dem Fabrikanten die Einhaltung der vereinbarten Lieferbedingungen erschweren oder unmöglich machen. In einem solchen Lande wird das Ausland daher bei einer nur geringen Verbilligung der Waren nicht kaufen. Der Preisrückgang muß vielmehr schon ein so erheblicher sein, daß er den Käufer: für alle genannten und etwaigen sonstigen Risiken – ich kann sie Dir unmöglich alle aufzählen – reichlich schadlos hält. Die Verschlechterung des Wechselkurses muß sich also viel weiter fortsetzen und die Warenpreise für den Ausländer viel tiefer herunterdrücken, als es bei einem rein zahlenmäßigen Vergleich der Inlands- und Auslandspreise nötig erscheint.
Dagegen erreicht die Goldausfuhr im Goldwährungslande ihren Zweck bereits, sobald sie den Inlandspreis um ein geringes unter den Weltmarktpreis gedrückt hat. Denn hier gibt es keine gefährlichen Schwankungen des Wechselkurses, die im Preise berücksichtigt werden müssen, und auch die sonstigen Risiken des ausländischen Käufers sind entweder überhaupt nicht oder in unendlich geringerem Maße vorhanden als bei den Papierwährungsländern. Es genügt hier also ein weit geringerer Preisdruck, um die Landesausfuhr in dem Maße zu verstärken, wie es die Zahlungsbilanz fordert. Damit geht aber auch eine ungleich promptere, größere und kulantere Kreditwilligkeit des Auslandes Hand in Hand. Denn je schneller und intensiver die Waren, des Schuldnerlandes im Auslande einbrechen und hier den Heimatsindustrien Konkurrenz machen, um so eher entschließt sich das Ausland auch, die erforderlichen Kredite zu bewilligen und das Schuldnerland von dem lästigen Exportzwange zu befreien, lind diese Kredite werden dem Goldwährungslande nicht nur bereitwilliger, sondern auch in viel größerem Umfange und zu viel günstigeren Bedingungen gewährt als den Ländern mit Papierwährung, weil auch hier wieder die am Wechselkurs haftenden Risiken fortfallen und ein Goldwährungsland fast stets ein sichererer Schuldner ist als ein Papierwährungsland, in dem es notwendigerweise gährt, sobald die Wechselkurse anfangen, aus Gründen der Zahlungsbilanz mit dem Wert des Landesgeldes und den Preisen Fangball zu spielen.
Die Überlegenheit der Goldwährung über die der Willkür unverständiger Regierungen ausgelieferte und fast regelmäßig zur Inflation führende Papierwährung ist also in handelspolitischer, finanzieller und zahlungstechnischer Hinsicht eine ganz ungeheure. Und wenn die Goldwährung auch in einem vernunftgemäß regierten Lande, in dem man weiß, was Geld ist, für den Binnenverkehr zur Rot entbehrt werden kann, so ist sie doch für den Außenverkehr unerläßlich, wenn das Land nicht in empfindlichen Nachteil gegen seine Wettbewerber am internationalen Waren-, Kapital- und Kreditmarkt geraten will. Daher kommt es auch, daß viele Länder, die sich den Luxus einer Voll-Goldwährung nicht leisten können, zu einer Papierwährung mit Goldrand übergegangen sind, also im Inlande in Papier, im Ausland aber in Gold rechnen und zahlen. Ich erinnere Dich nur an Argentinien und Brasilien: auch Indien mit seinem Kern aus Silber bezw. Silber-gedecktem Papier und seinem Rand aus Gold gehört hierher.
Ich bin mir nicht ganz klar darüber, ob Du mir nicht auch jetzt wieder mit der Frage in die Parade fährst: „Ja, reicht denn die vorhandene Goldmenge aus, um allen Ländern die Adoptierung der Goldwährung, sei es auch nur einer Rand-Goldwährung, zu ermöglichen?“ Die Frage wäre, wenn Du sie wirklich stellen solltest, außerordentlich naiv, was aber nicht hindert, daß die Gelehrten sich ernstlich mit ihr herumschlagen und sich den Kopf über die „zu kurze Golddecke“ zerbrechen. Nun, bündig gesagt, das Gold kann aus dem sehr einfachen Grunde niemals zu knapp werden, weil es Subjekt, nicht Objekt des Geldwesens ist, das heißt, weil der Geldbedarf sich nach ihm, dem Golde richtet, und daher das Gold sich nicht nach dem Geldbedarf zu richten braucht.
In den Ländern der Goldwährung empfängt das Geld feinen Wert vom Golde, mit dem es identisch ist. Ist das Gold in starker Nachfrage und daher teuer, so wird auch die Geldeinheit, in der so und so viel Gramm Gold enthalten oder dargestellt sind, teuer werden und eine entsprechend große Kaufkraft ausüben. Sollte also – Du weißt, ich bin ein Freund der Anschaulichkeit – das Gold demnächst in überaus starker Nachfrage stehen, weil alle geldsündigen Länder pater peccavi sagen und zur Geldehrlichkeit zurückkehren wollen, so wäre die Folge, daß das Gold im Werte stiege, sagen wir auf das Doppelte seines Ietztwerts, und daß man mithin für einen englischen Sovereign doppelt soviel Ware erhielte wie jetzt. Anders ausgedrückt: Wenn nur halb soviel Gold vorhanden ist, wie die Gesamtheit aller Länder zu haben wünscht, so fallen in den Goldwährungsländern die Warenpreise um 50 Prozent, so daß nunmehr jedes Land mit der Hälfte derjenigen Goldmenge auskommt, die es ursprünglich zu haben wünschte und beim alten Preisstandard auch gebraucht hätte. Der wechselnde Goldwert sorgt also schon selbst dafür, daß der Bedarf der Länder sich der vorhandenen Goldmenge anpaßt und mit ihr auskommt, wie groß oder wie klein diese Menge auch immer sein mag.
Aber selbst wenn es nicht so wäre, würde nichtsdestoweniger die Besorgnis, daß die Welt eines Tages vor einer akuten Goldknappheit stehen könne, ein Hirngespinst sein. Schon häufig hat man geglaubt, sich unmittelbar vor dieser Kalamität oder sogar mitten .in ihr darin zu befinden. Immer wieder hat man in den letzten drei oder vier Jahrzehnten über die „zu kurze Golddecke“ gejammert, so daß man annehmen müßte, der Wert des Goldes sei in dieser Zeit infolge der starken Nachfrage bei knappem Vorrat auf das Doppelte oder Dreifache gestiegen, und die Preise dementsprechend aus die Hälfte oder ein Drittel gesunken. Tatsächlich finde ich aber, wenn ich an die gute alte Zeit meiner Jugend zurückdenke, daß die Preise in den Ländern der Goldwährung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt teurer geworden sind, das Gold sich also verbilligt hat. Ich schließe daraus, daß das Gold unmöglich knapp sein kann, sondern im Gegenteil den Bedarf heute weit reichlicher deckt als vor einigen Jahrzehnten. Und tatsächlich sagt uns die Edelmetall-Statistik, daß von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wachsende Mengen von Gold industriell verarbeitet worden sind, was nicht hätte der Fall sein können, wenn der Münzbedarf der Länder nicht voll gedeckt gewesen wäre.
Man pflegt den Goldbedarf eines Goldwährungslandes überhaupt ungeheuerlich zu überschätzen und hat vor allem phantastische Vorstellungen von den Goldmengen, die zur Aufrechterhaltung der Zahlungsbilanz erforderlich sind. In Wirklichkeit ist England, das vor dem Kriege nicht nur der größte Handelsstaat, sondern vor allem der wichtigste Kapitalmarkt gewesen ist, mit einem zentralisierten Goldbestände von durchschnittlich 35 Millionen Pfund Sterling ausgekommen. (Die deutsche Reichsbank hatte bei Kriegsausbruch etwa 1300 Millionen Mark in Gold im Bestände, also erheblich mehr.) Und dieser Goldvorrat hat kaum jemals um mehr als zehn Millionen Pfund im Jahre geschwankt; mit dieser minimalen Summe, die aus privaten Goldbeständen gelegentlich noch ein kleine Verstärkung erfahren haben mag, hat England die ganze Welt zu finanzieren vermocht.
Der Grund muß Dir geläufig sein: Er beruht auf den drei Eigenschaften des Goldes, die ich Dir in meinem vorigen Briefe geschildert habe; insbesondere auf der dritten, daß das Gold bei seinem Austritt aus einem Goldwährungslande hier einen Preisdruck erzeugt, der die Warenausfuhr verstärkt, so daß der weitaus größte Teil aller Zahlungen entweder sofort in Ware geleistet, oder in Erwartung einer späteren Warenausfuhr einstweilen aus Krediten bestritten wird. Je zuverlässiger die Goldwährung eines Landes und je größer das Vertrauen des Auslandes zu ihr, desto geringer braucht der Preisdruck zu sein, der die notwendigen Exporte und Kredite auslöst, desto kleiner braucht infolgedessen auch der jeweilige Goldexport und in weiterer Folge der Goldvorrat des Landes zu sein. Eine zuverlässige Goldwährung – merke Dir das, mein Junge! – erkennt man nicht an einem hohem Goldbestand, sondern daran, daß die Zahlungsbilanz des Landes sich schon mit verhältnismäßig deinen Goldexporten im Gleichgewicht halten läßt, und daß das ausgeflossene Gold zurückkehrt, sobald das gestörte Gleichgewicht wieder hergestellt ist.
Nun möchtest Du sicherlich wissen, weshalb und auf welchem Wege das Gold in sein Herkunftsland zurückfließt, wenn es seine Aufgabe, den Schrittmacher für den Export und den Kredit abzugeben, erfüllt hat. Noch ein wenig Geduld, mein Sohn, und Du wirst auch dies wissen. Für heute muß ich das Plauderstündchen abbrechen.
In Liebe
Dein alter Papa.
5. Brief
Generalgut „Ware“ und Spezialgut „Gold“ – Preis, Zins und Arbitrage
Berlin, am 15. September 1921.
Was ist „Weltgeld“, lieber James? Wenn die Volkswirte und Finanzmänner das Wort gebrauchen, so verstehen sie darunter immer das Gold. Ist das aber korrekt? Werden die Zahlungen von Land zu Land wirklich in Gold geleistet? Wir haben gesehen, daß das normalerweise nicht der Fall ist, daß es vielmehr nur ganz unbedeutende Spitzen des Zahlungsverkehrs sind, die in Gold abgetragen werden. Und wir haben ferner gesehen, daß das Gold bei einer derartigen Spitzenregulierung seinen Hauptdienst nicht etwa in seiner Eigenschaft als international geschätztes Zahlungsmittel, also als eine Art Weltgeld, verrichtet, sondern als Bestandteil des Währungsgeldes im exportierenden Goldwährungslande, mithin als Binnengeld; indem es nämlich durch sein Ausfließen die Geldmenge im Lande verringert, auf diese Meise das Preisniveau senkt und so die Voraussetzungen dafür schafft, daß das Land seiner Zahlungspflicht auf andere Weise als durch Goldrimesse genügen kann.
Das Gold kann also nicht als das Weltgeld, sondern lediglich als dessen Schrittmacher bezeichnet werden. Was haben wir aber dann als das Weltzahlungsmittel anzusehen, in dem die Länder -ihre Schulden und Forderungen ausgleichen? Du wirst mir vermutlich erwidern: Den Wechsel. Wir sehen ja in der Tat, daß der Privatmann, die Bank, die Regierung, kurz jeder, der eine Zahlung im Ausland zu leisten hat, sich zu diesem Zweck einen Auslandswechsel, eine sog. Devise, beschafft und an seinen Gläubiger sendet, womit er alsdann seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen ist. Aber überlege Dir bitte, was ein Auslandswechsel im Grunde ist, und warum er allgemein an Zahlungsstatt genommen wird. Du brauchst Dir nur den Wechseltext durchzulesen, der in allen Ländern ungefähr gleich lautet. Dann siehst Du, daß der Wechsel eine Aufforderung an eine inländische Person oder Firma ist, cm dem und dem Tage den und den Betrag in Dollar, Pfund, Francs etc. an den legitimen Inhaber des Wechsels auszuzahlen. In einem Wechsel besitzest Du also ein Papier, das keinen Eigenwert, sondern nur einen abgeleiteten Wert hat, abgeleitet nämlich von dem Dollar-, Pfund oder Francsbetrage, auf den er ein Anrecht gibt. Mithin spielen nicht die Wechsel die Rolle des „Weltgeldes“; sondern die verschiedenen nationalen Geldsorten, auf die sie lauten, und in die sie erst umgetauscht werden müssen, damit es sich ergibt, ob die Wechsel „gut“ oder „faul“ sind, teilen sich in diese Rolle. Die Geldsorten aber sind, wie wir früher gesehen haben, ebenfalls ohne selbständigen Wert; sie sind Bezugsscheine auf Waren, die das Land dem Inhaber der ihm eigentümlichen Geldsorten auf Verlangen zu liefern hat. Erst wenn diese Lieferung erfolgt ist und der Inhaber des für den Wechsel empfangenen Geldes das Quantum und den Wert der gelieferten Ware kennt, ist die Zahlung aus einem Lande in das andere endgültig vollzogen. Somit ist letzten Endes die Ware das „Weltgeld“.
Unter den unzähligen Warengattungen, aus denen sich dieses Weltgeld zusammensetzt, befindet sich auch das Gold, von dem der Anstoß zu der Zahlungsregulierung durch Ware ausgegangen ist. Denn auch das Gold ist nichts anderes als eine Ware, sobald es aus dem Geldumlauf des zahlenden Landes ausgeschieden und in das Ausland gewandert ist. Nur hat diese Ware vor den übrigen Waren den Vorzug der größeren Beweglichkeit, weil alle Länder sie zu einem festen Preise annehmen. Daß dies lediglich deshalb der Fall ist, weil das Gold in vielen Ländern identisch mit dem Landesgelde ist, stempelt das Gold nicht etwa zu einer besonderen Kategorie, entkleidet es nicht seines Warencharakters. Denn wenn es zu Zahlungszwecken versandt wird, so wird es als Ware, nicht als Geld versandt. Kein Goldexporteur kann sagen, welche Verwendung sein Gold im Empfängerlande finden wird. Es kann dort allerdings zu Landesmünzen ausgeprägt werden. Es kann aber ebenso gut an die Goldindustrie weitergehen und sich in Uhrendeckel und Goldpokale verwandeln. Oder es kann in Barrenform bei irgend einer Bank liegen bleiben, bis es sich später einmal entscheidet, wohin es seinen Weg. fortsetzt. Nur im ersteren Falle wird die Ware Gold zu Geld, aber auch dann erst durch einen Umwandlungsprozeß, den es im Empfängerlande durchmacht. Während seines Transports von Land zu Land ist das Gold stets Ware und nichts als Ware, selbst wenn es bereits die Form irgend einer Münze angenommen haben sollte, die das Empfängerland ihm nach freiem Ermessen belassen oder nehmen kann.
Das eigentliche Weltgeld, lieber James, ist also die Ware, eingeteilt in zahllose Gruppen von verschiedener Beweglichkeit und geführt durch die beweglichste Ware Gold. Zu ihrer Eigenschaft als Weltgeld hat die Ware die Aufgabe, die Zahlungsbilanz der Länder auszugleichen. Und das ist eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Denn damit die Rechtsordnung in der Weltwirtschaft erhalten bleibt, und jeder Mann in jedem Staate das empfängt, was ihm zusteht, muß die Zahlungsbilanz jedes einzelnen Landes mit null saldieren. Ist ein Land dem anderen etwas schuldig, so muß es zahlen, oder es ist bankerott. Es sei denn, daß seine Gläubiger ihm ausdrücklich einen Zahlungsaufschub bewilligen, ihm also Kredit einräumen. Dieser Kredit ist dann gleichbedeutend mit einer Streichung des entsprechenden Schuldpostens in der Gegenwart und seiner Neueintragung auf einem Kontoblatt der Zukunft. Die Gegenwartsbilanz wird dadurch entlastet, ihr Passivsaldo verkleinert. Diesen verkleinerten Passivsaldo muß das Land aber unter allen Umständen zahlen, denn in Höhe seines Betrages haben irgend welche ausländischen Gläubiger eine fällige Forderung in Händen, auf deren sofortiger Begleichung sie unerbittlich bestehen. Denn täten sie das nicht, so hätten sie ja dem Lande einen entsprechenden Kredit bewilligt, d.h. sich mit der Übertragung des Schuldpostens auf ein Folio der Zukunft einverstanden erklärt und die gegenwärtige Zahlungsbilanz dadurch entlastet.
Das vielgestaltige, aus unzähligen Gattungen zusammengesetzte Weltgeld „Ware“ erfüllt nun seine Aufgabe, die Forderungen und Schulden der Länder auszugleichen, im allgemeinen so gut, daß es nur in Ausnahmefällen nötig ist, das beweglichste Spezialgut „Gold“ zur Mitwirkung heranzuziehen. Bis auf unbedeutende Spitzen gleichen sich vielmehr die ungeheuren Forderungen, welche die Länder wechselseitig gegen einander haben, und die Hunderte von Milliarden (Goldmilliarden!) im Jahre ausmachen, durch die Bewegung der übrigen Waren aus, unterstützt durch den Kredit, der Teilforderungen auf kürzere oder längere Zeit stundet, ihre Begleichung also von der Warenbewegung der Gegenwart auf diejenige der Zukunft verschiebt. Ich brauche Dir wohl nicht immer wieder in Erinnerung zu bringen, daß der Begriff „Ware“ stets im weitesten Sinne verstanden werden muß, daß er also alle Leistungen (Transporte, Bankvermittelungen, Versicherungsdienste etc.) in sich schließt, welche die Länder sich gegenseitig erweisen, und ebenso alle dokumentierten Eigentumsrechte (Aktien, Hypotheken und dergl.), die ja nichts anderes als Rechtstitel an Waren bezw. Gütern sind, die sich in der Verwaltung dritter Personen befinden. In diesem umfassendsten Sinne verstanden erfüllt, wie gesagt, das Generalgut „Ware“ seine Funktion des Schuldenausgleichs so gut, daß es nur ausnahmsweise nötig ist, das Spezialgut „Gold“ mit seinen drei besonderen Eigenschaften – Beweglichkeit, Preisbeständigkeit und Beeinflussung des Preisniveaus im Ausfuhrlande – zu Hilfe zu rufen.
Woher das kommt, ist Dir in großen Umrissen bereits bekannt. Es ist die Wirkung der Preisveränderungen, die in Ländern der Papierwährung durch die starken Schwankungen des Wechselkurses, und in Ländern der Goldwährung durch das gelegentliche Ein- und Auswandern kleiner Goldmengen hervorgerufen werden. Durch diese Preisveränderungen wird die Nachfrage nach der Ware verstärkt oder abgeschwächt, wie es zur Ausbalanzierung der gegenseitigen Guthaben und Schulden durch dieses Weltzahlungsmittel erforderlich ist. Aber damit hast Du eigentlich erst die beiden letzten Stützen der Zahlungsbilanz kennen gelernt, gewissermaßen das grobe Geschütz, das immer dann aufgefahren wird, wenn milder wirkende Mittel ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Das ist indes in normalen Zeiten nur selten der Fall. In der Regel genügt vielmehr schon der kleine Anreiz, den gewisse mildere Mittel auf die Kauf- und Verkaufsneigung ausüben, vollkommen, um die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten.
Da ist zunächst der Zins, ein wahrer Teufelskerl, der mit Schwankungen um den Bruchteil eines Prozents, also mit einem subtilen Instrument, die außerordentlichsten Wirkungen hervorruft. Wir haben ihn bereits kennen gelernt, als wir uns mit dem Wert des Landesgeldes beschäftigten, und haben damals (in meinem Brief vom 17. Januar) gesehen, daß er auf diesen Wert und damit auf das Preisniveau einen ganz gewaltigen Einfluß ausübt. Je nachdem der Zins sich erhöht oder ermäßigt, überführt er „ruhendes“ Geld in den Umlauf oder versetzt er „umlaufendes“ Geld in den Zustand der Ruhe, was den Preis im ersten Falle erhöht, im zweiten verbilligt. Auf diese Weise stimmt er Produktion und Konsum ungleich zweckmäßiger auf einander ab, als es die exakteste Planwirtschaft mit all ihren Wirtschaftsprovinzen und Selbstverwaltungskörpern zu tun vermag. Dieser so unscheinbare und doch so mächtige Zins übt auch auf die wirtschaftlichen Außenbeziehungen der Länder einen gewaltigen Einfluß aus und trägt in hohem Grade dazu bei, daß die Zahlungsbilanz der Länder im Gleichgewicht bleibt.
Hat ein Land dem Auslande außergewöhnlich große Zahlungen zu leisten, und muß mithin ein bedeutender Teil der vorhandenen Kaufkraft (d.h. des flüssigen Geldes) für den Ankauf von Devisen reserviert werden, so daß die für den Inlandsverkehr verbleibende Kaufkraft knapp wird und die Preise infolgedessen solange sinken, bis das Ausland kaufend eingreift und dem Lande die zur Zahlungsleistung erforderlichen Devisen zur Verfügung stellt, – dann mildert der Zins diesen Preisdruck, der immer störend empfunden wird und sich leicht zur Krisis auswächst. Er mildert ihn, indem er selbst in die Höhe geht. Die unmittelbare Ursacheseines Steigens ist die eben erwähnte Verknappung der Kaufkraft, die den Leihpreis für verfügbares Geld – nichts anderes ist der Zins – entsprechend erhöht. Und die Wirkung seines Steigens ist, daß das Ausland nunmehr eine größere Bereitwilligkeit zeigt als vorher, Kredit zu gewähren und dadurch einen Teil der Devisenkäufe überflüssig zu machen. Manche Auslandsbank, die bei 4 1/2 Prozent Zins jeden Kredit rundweg verweigert, weil das Geld in ihrem eigenen Lande denselben Ertrag abwirft, läßt sich bei einem Steigen des Zinses auf 5 oder 5 1/2 Prozent zur Hergabe eines Darlehns bereit finden. Das milde Mittel des Zinses erseht hier das schärfere Mittel des Preisdrucks zum Vorteil der Landeswirtschaft.
Freilich ist auch hier wieder zwischen Goldwährungsland und Papierwährungsland zu unterscheiden. In dem ersteren reagiert der Kredit auf das Reizmittel des Zinses ungleich schneller und zuverlässiger als in dem letzteren, entsprechend dem verschiedenen Grade der Wechselkursschwankungen und des mit dem Kredit verbundenen Valutarisikos. Wo die Goldwährung herrscht und die Wechselkursdifferenzen daher immer nur Pfennige ausmachen können, pflegt eine Zinsaufbesserung um 1/4 bis 1/2 Prozent bereits sehr wirksam zu sein. Wo dagegen die Sicherung durch das Gold fehlt und infolgedessen jähe Valutaschwankungen in Rechnung gezogen werden müssen, erzielen häufig selbst 2 und 3, ja 5 Prozent Mehrzins nur einen unbedeutenden Effekt. Hier muß das Reizmittel des Zinses, um wirksam zu sein, oft so stark dosiert werden, daß es praktisch auf eine Abdankung des Zinses hinausläuft, und man den Zahlungsausgleich notgedrungen dem brutaleren Mittel des Preisdrucks – via Wechselkurs – überlassen muß.
Ein weiterer, sehr milder und doch wirksamer Hilfsfaktor der Schuldausgleichung ist die Arbitrage, für die ich Dir leider ein entsprechend kurzes deutsches Wort nicht nennen kann. Sie beruht auf der Ausnutzung der Bewertungsdifferenzen eines und desselben internationalen Handelsobjekts in den verschiedenen Ländern. Auch sie steht mit dem Kredit in Verbindung, genau wie der Zins, nur daß ihr Reizmittel nicht der Zins nutzen, sondern der Kurs nutzen ist. Das Feld ihrer Tätigkeit bilden in der Hauptsache Devisen, Börsenwerte und Kupons. So nutzt z.B. die Devisen– Arbitrage den Umstand aus, daß ein Land mit starker Augenblicksverschuldung die Wechsel des Gläubigerlandes zu einem höheren als dem gewöhnlichen Kurse sucht, indem sie ihm diese Wechsel, die sie in Ländern mit aktiver Zahlungsbilanz billiger anzuschaffen vermag, sei es käuflich, sei es leihweise anbietet. Insoweit sie dies tut, erspart sie dem Schuldnerlande den Rückgriff auf den Zins und auf den Preisdruck. Die Effekten-Arbitrage macht sich den Umstand zu Nutze, daß in einem Lande mit starker Augenblicksverschuldung die internationalen Wertpapiere einem Kursdruck zu unterliegen pflegen, und kauft an den Börsen des Landes solche Wertpapiere auf, um sie an anderen Börsen mit einem gewissen, meist ganz geringfügigen, Kursvorteil sofort wieder zu verkaufen. Und ebenso handelt die Kupons-Arbitrage, die solche Kupons, die in mehreren Währungen zu festem Umrechnungsverhältnis zahlbar sind, im Schuldnerlande relativ billig ankauft und in Ländern, deren Valuta gerade besonders hochwertig ist, verkauft oder zur Einlösung bringt. Aus allen diesen Operationen entstehen für das Schuldnerland Auslandsguthaben, die es zur Abdeckung seines Debetsaldos mit verwenden kann.
Auch die Arbitrage arbeitet naturgemäß in einem Goldwährungslande ungleich prompter und vorteilhafter als dort, wo das Valuta-Risiko groß ist. Da ihr Profit immer nur ein bescheidener ist – bei der Arbitrage muß es die Menge bringen –, so genügt schon die Gefahr verhältnismäßig kleiner Wechselkursschwankungen, um ihr das Arbeiten unmöglich zu machen oder sie in nackte Spekulation zu verwandeln, wobei sie dann aber nicht mehr nach Promille, sondern nach vielen Prozenten rechnet und sich auf Kosten des Schuldnerlandes zu bereichern sucht.
Alle diese Hilfsmittel, die ich Dir hier genannt habe, lieber James, dienen entweder dem Zweck, die Mare, und zwar Ware der allerverschiedensten Art, vom 50 000 Tonnen-Schiff bis zur Stecknadel und von der Millionen-Obligation bis zum 5 Shilling-Coupon, in „Weltgeld“ umzuwandeln und zur Abdeckung des Passivsaldos der nationalen Zahlungsbilanz zu benutzen; oder sie dienen dem Zweck, Auslandskredite zu beschaffen, die den Passivsaldo der Gegenwartsbilanz verkleinern und Len ausgemerzten Schuldenbetrag gewissermaßen „auf neue Rechnung vortragen“. Wobei die neue Rechnung freilich bereits im nächsten Vierteljahr einen Gegenstand der Sorge bildet, wenn der Kredit kurzfristig ist, dagegen eine cura posterior, eine erst in Jahrzehnten akut werdende Frage ist, wenn es dem Schuldnerlande mit Hilfe der geschilderten Mittel gelungen ist, langfristige Kredite zu erhalten.
Hoffentlich habe ich mich in diesem Briefe hinreichend deutlich ausgedrückt, sodaß Dir der Sachverhalt klar geworden ist. Solltest Du zu meinem Bedauern nicht alles verstanden haben, so liegt die Schuld nicht an Dir, sondern an mir und meinem unzureichenden Talent für gemeinverständliche Darstellung. Denn die Dinge selbst sind überaus einfach und durchsichtig.
In Liebe
Dein alter Papa.
6. Brief
Ist das Gold entbehrlich? – Ausgleichung der Zahlungsbilanz auf technischem Wege – Goldwährung und Galgenwährung
Berlin, am 17. September 1921.
Folgendes, lieber James, sind die bisherigen Resultate unseres brieflichen Lehrkursus:
Weder das Gold noch der Wechsel sind „Weltgeld“. Beide sind vielmehr nur Mittel zu dem Zwecke, das eigentliche Weltgeld, das die Debet- und Kreditsalden in den Zahlungsbilanzen der Länder durch seinen Ab- und Zufluß ausgleicht, in Bewegung zu setzen. Dieses eigentliche Weltgeld, in dem alle Forderungen einkassiert und alle Schulden abgetragen werden, ist die Ware. Der Regel nach genügen ganz geringe Reizmittel, um die Ware zu veranlassen, aus den Schuldnerländern in die Gläubigerländer abzuwandern und so ihren Dienst als Weltgeld zu verrichten. Die bekanntesten sind der Zins und die Ausnutzung kleinster Preisunterschiede durch die Arbitrage. Erst wenn die Ware auf diese harmlosen Reizmittel nicht voll reagiert, und auch der Kredit durch sie nicht veranlaßt wird, seinen wichtigen Hilfsdienst zu verrichten, treten andere, kräftigere Reize in Funktion, nämlich der Wechselkurs und in Goldwährungsländern die Goldbewegung.
Der Wechselkurs, dessen Verschlechterung gleichbedeutend mit einer Verbilligung der Mare in dem Zahlungspflichtigen Lande ist, geht direkt und mit brutaler Gewalt zu Werke. Er wirkt auf die Mare wie ein Ausweisungsbefehl und wirft sie, indem er ihren Preis drückt, in den zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz erforderlichen Mengen in die Länder mit höheren Preisen. Die Goldbewegung wirkt zwar gleichfalls mit unwiderstehlicher Kraft, aber nur mittelbar und immerhin schonender. Sie verringert, indem sie Gold abfließen läßt, im Goldwährungslande die vorhandene Geldmenge und die Kaufkraft, läßt das Preisniveau entsprechend sinken und öffnet dadurch ebenfalls das Ausfuhrventil für die Ware, die nun als das eigentliche Weltgeld in das Ausland strömt.
Daher kommt es, mein Lieber, daß so überaus geringe Mengen Gold genügen, um selbst eine außerordentlich passive Zahlungsbilanz ins Gleichgewicht zu bringen. Wäre das Gold an sich das Weltgeld, so würde auch der größte Goldbestand eines Landes nicht ausreichen, um eine nationale Milliardenschuld zu bezahlen. Da aber in Wirklichkeit nicht das Gold, sondern die Ware die Milliardenschuld begleicht, und das Gold nur den Schrittmacher für die Ware abgibt, so bedarf es keiner allzu großen Goldmengen, um die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten. Mir haben gesehen, daß selbst in England, dessen gewaltiger Handel und ausgedehnte Kreditbeziehungen das Land mit Riesensummen bald aktiv, bald passiv werden lassen, vor dem Kriege ein paar Millionen Pfund Sterling Gold jeden Schuld- oder Forderungssaldo aus der Welt geschafft haben. Sobald Zins und Arbitrage versagten, haben wenige Prozent der Schuldsumme in Gold genügt, um so viel Ware in Bewegung zu sehen, wie nötig war, um das Totale der Schuld abzudecken.
Eine Goldwährung kann also, sofern sonst alles beim Geldwesen in Ordnung ist, mit einem verhältnismäßig kleinen Metallvorrat aufrecht erhalten werden. Für den inneren Verkehr bedarf es eines Goldbestandes überhaupt nicht; hier genügt die Vorsorge, daß die Geldmenge, die allein über Geldwert und Preishöhe entscheidet, ausschließlich vom Verkehr bestimmt und durch keinen noch so wohlgemeinten Willkürakt des Staates verändert wird. Und im äußeren Verkehr bedarf es, wie wir gesehen haben, nur geringfügiger Goldmengen, weil die Hauptzahlungen von Land zu Land nicht in Gold, sondern in Ware geleistet werden.
Wäre es nun – diese Frage drängt sich Dir hier sicherlich auf – nicht möglich, auch noch auf die geringen Goldmengen zu verzichten, die im internationalen Zahlungsverkehr die Schrittmacherdienste tun? Wäre es mit anderen Worten nicht möglich, daß ein Land die Goldwährung nach außen wie nach innen aufgibt, ohne dadurch seine Zahlungsbilanz irgendwie zu gefährden? Oder ist ein gewisser Goldbestand mit Rücksicht auf den Zahlungsausgleich für ein in den Weltverkehr verflochtenes Land nicht zu entbehren?
Ich habe hier nicht die selbstverständliche Möglichkeit im Auge, daß ein Land statt des Vorrats an barem Golde einen Vorrat an fremden Goldwechseln, an Golddevisen, unterhält. Da Golddevisen sich jederzeit durch Diskontierung bei den Banken ihres Ursprungslandes in Gold umwandeln taffen, so sind sie normalerweise in jeder Hinsicht dem Golde gleich zu achten. Eine auf Golddevisen gegründete Währung ist – außer in Kriegszeiten – nichts anderes als eine Goldwährung, bedeutet also nicht die Abkehr von diesem Prinzip, sondern das Festhalten daran.
Die Frage, ob ein Land sich ohne Schaden für sein Geldwesen und seine Zahlungsbilanz völlig vom Golde trennen kann, beantwortet sich nach dem früher Gesagten eigentlich von selbst. Denn da das Gold im Außenverkehr eines Landes eine fest umrissene Aufgabe hat – die Aufgabe nämlich, durch Beeinflussung des Preisniveaus im Lande das Weltgeld Ware zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu zwingen – so kann es nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung entbehrt werden. Wenn es ein Mittel gibt, das den vom Golde herbeigeführten Effekt ebenso bequem und zuverlässig auslöst wie das Gold, so ist dieses letztere entbehrlich. Gibt es ein solches Mittel nicht, so ist das Gold unentbehrlich.
Es hängt also alles von der Antwort auf die Frage ab, ob die Möglichkeit besteht, den Geldumlauf im Lande einschrumpfen zu lasten, wenn die Zahlungsbilanz passiv ist, und auszudehnen, wenn sie aktiv ist. Denn auf dem Umwege über die Geldmenge wirken ja Goldabfluß und Goldzufluß in einem Goldwährungslande auf die Preise und auf die Warenbewegung ein. Nun unterliegt es keinem Zweifel, daß grundsätzlich die Geldmenge in einem Lande vergrößert und verringert werden kann, auch ohne daß es des Dazwischentretens des Goldes bedarf. Wir sehen ja, daß tatsächlich alle Länder bald mit einem größeren, bald mit einem geringeren Geldumlauf wirtschaften. Eine andere Frage über ist die des Maßes. Ob die Vergrößerung bezw. Verringerung sich ebenso genau und in ebenso schonender Weise auf die Zahlungsbilanz einstellen läßt, wie es durch das Gold geschieht, das erscheint immerhin zweifelhaft. Und zweifelhaft erscheint es auch, ob diese Einstellung der Geldmenge auf die Erfordernisse des Zahlungsausgleichs sich selbsttätig, aus dem Verkehr heraus, vollzieht. Denn wir wissen, daß nur der Verkehr in freier Selbstbestimmung die Geldmenge verändern darf, und daß jeder willkürliche Eingriff von außen das Geldwesen des Landes unfehlbar ruiniert.
An diese Frage lassen sich sehr interessante Untersuchungen anknüpfen, die uns indes heute nur vom Thema ablenken würden. Ich nehme deshalb gleich das Ergebnis vorweg, indem ich sage: Es gibt ein ausgezeichnetes Mittel, um die Geldmenge im Lande jederzeit «in genauer Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Zahlungsbilanz zu halten. Ist nämlich die Zahlungsbilanz passiv, und sind daher die ausländischen Zahlungsmittel (Devisen) gesucht, so daß sie im Preise zu steigen beginnen, so ist das ein Zeichen, daß der Verkehr mit Geld übersättigt ist, d.h. daß die Warenpreise zu hoch sind und das Weltgeld „Ware“ am Ausfließen hindern. Man muß also vorsichtig Geld aus dem Verkehr herausheben – ob durch eine Steuer oder eine Anleihe ist vollkommen gleichgültig – und in den Zustand der Ruhe versehen. Der zunächst unmerkliche, dann langsam zunehmende Preisdruck, der von dieser Verringerung der Kaufkraft ausgeht, fördert die Ausfuhr und tilgt so den Passivsaldo, der sich in der Knappheit der Devisen geäußert hat. Sobald dieser Zweck erreicht ist, die Devisen also ausreichend angeboten sind und auf ihren normalen Preis zurückgehen, ist dies ein untrügliches Zeichen, daß Geldumlauf und Zahlungsbilanz nunmehr in Übereinstimmung stehen, und daß der Verkehr eine weitere Verringerung des Landesgeldes nicht fordert. Gehen die Devisenkurse noch unter den Normalstand hinunter, so bedeutet das nichts anderes, als daß die bisher passive Zahlungsbilanz aktiv zu werden beginnt, und daß man daher durch Freigabe eines Teils des eingezogenen Geldes das Gleichgewicht wieder Herstellen muh. Denn wenn man dies nicht tut, das Kommando des Verkehrs also nicht respektiert, so hält man das Preisniveau unnötig unter Druck und entblößt das Land mehr als erforderlich von Ware.
Die Aufgaben, die das Gold automatisch erfüllt, lassen sich also auch auf andere Weise, ohne das Dazwischentreten dieses Metalls, bewältigen. Und ein Theoretiker wäre daher durchaus berechtigt zu sagen: Das Gold kann nicht nur im Binnenverkehr eines Landes, sondern auch in seinem Außenverkehr entbehrt werden. Eine gesunde Währung und eine solide Stellung im internationalen Zahlungsverkehr haben an und für sich durchaus nicht zur Voraussetzung, daß das betreffende Land die Goldwährung hat oder auch nur über ein gewisses Goldquantum verfügt. Es bringt weder Schaden noch Unbequemlichkeit mit sich, wenn ein Land seine Zahlungsbilanz statt durch Gold auf einem anderen, sozusagen technischen Wege im Gleichgewicht hält. Aber – und das ist der wunde Punkt – eine Grundbedingung muß erfüllt sein: Zusammenziehung und Wiederausdehnung des Geldumlaufs dürfen einzig und allein dem Kommando der Zahlungsbilanz, ausgedrückt in den Devisenkursen, unterstellt werden. Nur der Stand der Wechselkurse und nichts anderes darf den bestimmenden Einfluß auf die jeweils umlaufende Geldmenge haben. Der Staat mit seinen finanziellen, handelspolitischen und sozialen Bedürfnissen, Zielen und Zwecken hat grundsätzlich die Hand vom Geldwesen zu lassen. Er muß im Gelde etwas außerhalb seiner Machtsphäre Stehendes, besonderen Elementargesetzen Unterworfenes respektieren, ein Verkehrgeborenes Warenbezugsrecht, dem gegenüber er die strikteste Neutralität zu beobachten hat. Er darf immer nur aufpassen, Hemmungen aus dem Wege räumen, dem Kommando des Wechselkurses Respekt sichern, niemals aber sich selbst schöpferische Funktionen anmaßen. Denn sobald er dies tut, sobald er an dem im Gelde verkörperten Recht nach eigener Willkür herumzumodeln beginnt, fälscht er nicht nur dieses Recht, indem er dessen Inhalt ändert, sondern stört er auch die Harmonie zwischen Geld und Zahlungsbilanz, zerrüttet er in unheilvoller Weise das Geldwesen des Landes, wofür wir heute die traurigsten Beispiele vor Augen haben.
Ich kann mir nun in abstracto sehr wohl ein Land vorstellen, in dem die vorstehende Forderung erfüllt und das Geldwesen aufs strengste vom Staate getrennt ist. Ich kann mir vorstellen, daß ein weiser Gesetzgeber, ein neuer Solon, der da weih. Wie ungeheuer groß die Versuchung für den Staat ist, die Geldmaschine für seine Zwecke zu mißbrauchen, und der gleichzeitig die verderblichen Wirkungen dieses Mißbrauchs kennt, eine unübersteigbare Mauer zwischen dem Gelde und der Staatsgewalt aufrichtet. Etwa, indem er die Acht und Aberacht über jeden Staatsleiter verhängt, der es sich beikommen lassen wollte, eigenmächtige Veränderungen an der Geldmenge vorzunehmen. Ich kann mir vorstellen, daß dieser Solon auf dem Markte der Landeshauptstadt einen hohen Galgen errichtet mit der Inschrift: „An diesen Galgen kommt ohne Ansehen der Person und des Standes, wer durch willkürliche Vermehrung des Geldes die Bevölkerung um einen Teil der im Gelde dargestellten Kaufkraft betrügt!“ Und ich kann mir schließlich und endlich auch vorstellen, daß diese drakonische Maßregel ihren Zweck erfüllt, daß also das Geld, vom Staate nicht angetastet, in derjenigen Menge umläuft, die der Verkehr auf die früher von mir geschilderte Weise erzeugt[3], und die sich lediglich gemäß den Zuckungen der Zahlungsbilanz bald zusammenzieht, bald wieder ausdehnt. In einem solchen Lande würde eine durchaus gesunde Währung herrschen, auch wenn kein Gramm Gold zu Zahlungszwecken zur Verfügung stände. Es würde sich hier erweisen, daß eine im Zeichen des Galgens stehende, d.h. durch drakonische Srafen vor jedem obrigkeitlichen Mißbrauch geschützte Währung – nennen wir sie der Kürze halber „Galgenwährung“ – der Goldwährung völlig ebenbürtig ist.
Aber ich kann mir nicht helfen, lieber James: Ich vermag mir eine solche Währung nur in abstracto, nur theoretisch, nicht in lebendiger Wirklichkeit, vorzustellen. Jedes Staatswesen durchläuft Zeilen, in denen die Versuchung, Hand an das Geld zu legen, so groß wird, daß alle moralischen und wirtschaftlichen Bedenken nicht mehr gegen sie aufkommen. Selbst wenn der Galgen, das Sinnbild des Geldschutzes, hier drohen- aufgerichtet wäre, würde er nichts nutzen, denn die Staatsgewalt würde ihn im kritischen Moment niederreißen. Gibt es schon für den. einfachen, von Strafgesetzen umhegten Bürger in der Not kein Gebot, um wie viel weniger für den souveränen Staat. Bald aus Unkenntnis des. Geldwesens, bald aus Bequemlichkeit – es gibt ja keine einfachere unwirksamere Besteuerung des Volkes, als die Fortnahme eines Teils seiner Kaufkraft durch Geldvermehrung – wird der Staat sich der Geldmaschine bemächtigen, um sie seinen Bedürfnissen entsprechend arbeiten zu lassen. Und es wird dann immer Theoretiker geben, die schwarz in weiß und Unrecht in Recht verwandeln, indem sie in gelehrten Deduktionen den Staat als den Herrn über das Geld anerkennen und das Geld, das in Wirklichkeit nur der Verkehr zu erzeugen vermag, zu einem Geschöpf des Staats und seiner willkürlichen Rechtsordnung stempeln.
Aus diesem Grunde, mein Sohn, weil nämlich die menschlichen Einrichtungen von schwachen oder kurzsichtigen Menschen geregelt und gelegentlich mißbraucht werden, hat sich die an sich durchaus brauchbare Papierwährung noch stets der Goldwährung als unterlegen erwiesen. Aus diesem Grunde würde sie auch in ihrer vollkommensten und bestgesicherten Form, in der Form nämlich, die wir eben „Galgenwährung“ genannt haben, früher oder später Fiasko machen. Freilich läßt sich auch die Goldwährung mißbrauchen. Aber sie trägt dadurch, daß sie den Staat zwingt, ein bestimmtes Mengenverhältnis zwischen Geld und Gold anzuerkennen und nicht zu verletzen, ein Element -es Selbstschutzes in sich. Sie ist bis zu einem gewissen Grabe immun gegen das Gift verderblicher Lehrmeinungen und fahrlässiger Staatspragmatik. Deshalb kehren auch alle großen Handelsvölker immer reuig zur Goldwährung zurück, nachdem sie in kürzeren oder längeren Perioden währungspolitischer Mißwirtschaft an ihrem eigenen Wirtschaftskörper erfahren haben, was es heißt, Experimente mit dem Gelbe zu machen.
Hiermit Gott befohlen!
Dein alter Papa.
7. Brief
Zahlungsbilanz und Notenbank – Diskont-, Gold-, Devisen- und Reserve-Politik
Berlin, am 19. September 1921.
Worin, lieber James, besteht die praktische Überlegenheit der Goldwährung über alle nicht-metallischen Währungen? Sie besteht, um es kurz zu sagen, in der unübertrefflichen Elastizität, die sie dem Geldumlauf verleiht. In einem Goldwährungslande zieht sich der Geldumlauf immer dann automatisch zusammen, wenn die Zahlungsbilanz des Landes passiv ist, um sich ebenso automatisch wieder auszudehnen, sobald die Zahlungsbilanz aktiv wird. Bewirkt wird dieser Prozeß des abwechselnden Einschrumpfens und Ausweitens des Geldumlaufs durch die sogenannte „Goldbewegung“, das heißt dadurch, daß Gold in dem einen Falle aus dem Lande ausfließt, in dem anderen Falle dagegen in das Land einfließt. Da das Gold im Goldwährungslande einen Bestandteil des Zahlungsmittel-Ganzen ausmacht, so verringert sein Ausfließen die umlaufende Geldsubstanz und die in ihm verkörperte Kaufkraft, während sein Einfließen beides vermehrt. Diese Elastizität, die das Gold dem Landesgelde verleiht, wirkt so prompt, daß die Zahlungsbilanz des Landes sich mit ihrer Hilfe immer wieder automatisch ausbalanziert, und daß es zu einer stärkeren Aktivität oder Passivität überhaupt nicht kommen kann. Dementsprechend können auch die Wechselkurse in einem Goldwährungslande nur unerheblich steigen oder fallen. Sie können immer nur zwischen zwei eng zusammenliegenden Polen hin- und herpendeln. nämlich zwischen dem Pol, bei dem die Goldeinfuhr einsetzt (unterer Goldpunkt), und dem anderen Pol, bei dem die Goldausfuhr beginnt (oberer Goldpunkt).
„Welch ein feiner und zuverlässiger Verkehrsregulator!“ wirst. Du hier denken. Und sicherlich kann der Wert der Goldbewegung kaum je zu hoch eingeschätzt werden. Wer für sich allein genügt sie doch nicht, um die Zahlungsbilanz mit derjenigen Schnelligkeit und Leichtigkeit auszugleichen, die wünschenswert ist. Eine gesunde Verkehrswirtschaft in einem Lande mit gesundem Geldwesen ist überaus feinnervig. Sie reagiert auf die leisesten Reizungen, und die Goldbewegung, der bei all ihrer Zuverlässigkeit immerhin noch eine gewisse Schwerfälligkeit anhaftet, ist ihr für den Normalfall noch viel zu plump. So eng auch die beiden Goldpunkte, bei denen das Gold sich hinüber oder herüber in Bewegung setzt, bei einander liegen – die Differenz zwischen ihnen beträgt fort Goldwährungslande etwa 1/2-3/4 Prozent – und so wenig daher auch die Wechselkurse sich über ihren mittleren Stand erheben oder sich unter ihn senken können, tatsächlich empfindet eine gesunde Wirtschaft dieses geringe Schwanken des Geldwerts noch als eine viel zu große Störung und als eine Erschwerung bei ihren Kalkulationen.
Wenn wir an die schönen Tage zurückdenken, mein Sohn, in denen Deutschland sich einer echten, rechten Goldwährung erfreut hat. so werden wir uns der Tatsache erinnern, daß damals nur in seltenen Ausnahmefällen die Wechselkurse gegen den oberen oder unteren Goldpunkt gestoßen sind, obwohl die deutsche Zahlungsbilanz fast niemals ganz im Gleichgewicht war. In der Regel schwankten die Wechselkurse damals nur um wenige Tausendstel um den Mittelpunkt, um die sogenannte Goldparität herum, d.h. um den Preis, den ein bestimmtes Quantum Gold laut Münzgesetz in deutschem Gelde kostete. Für die 7 1/3 Gramm Gold, die in einem englischen Sovereign enthalten sind, betrug dieser Preis etwa 20,43 Mark, und von diesem Mittelpunkt ist der Kurs des Sterlingwechsels in Berlin meist nur um wenige Pfennige abgewichen. Den oberen Goldpunkt von 20,51 Mark hat er nur ausnahmsweise, den unteren von 20,34 Mark meiner Erinnerung nach überhaupt nur ein einziges Mal, und zwar im Jahre 1904, erreicht. Das bedeutet, daß das Gold nur verhältnismäßig selten als Regulator der Zahlungsbilanz in Aktion zu treten brauchte, weil andere Ausgleichsmittel ihm diese Aufgabe abgenommen hatten; und zwar Ausgleichsmittel, die schneller wirkten als das schwerfällige, nur auf Wechselkurse von 20,51 oder 20,34 reagierende Gold. Es handelt sich bei diesen schneller und daher milder wirkenden Mitteln um alte Bekannte, nämlich um den Zins, den Kredit und die geschäftliche Ausnutzung der beiden durch die Arbitrage.
Der wichtigste und elementarste dieser drei Faktoren ist der Zins, weil er der Motor ist, der die beiden anderen erst in Tätigkeit setzt. Der Zins ist überhaupt der wirksamste Regulator, Über den die gesunde Wirtschaft verfügt. Wohin wir auch blicken, immer steht er irgendwo als treibende Kraft im Hintergrunde. Beim Geldwesen haben wir ihn bereits als den Magnet kennen gelernt, der den Geldumlauf bald beschleunigt, bald verlangsamt und ihn dadurch den Bedürfnissen der Produktion anpaßt. Er ist derjenige Faktor, der dem Gelde die erforderliche Elastizität im Binnenverkehr gibt; nicht, indem er seine Menge ändert – das vermag der Zins nicht –, sondern indem er vorhandenes Geld durch die hohe oder niedrige Prämie, die er auf intensive Geldverwendung, aus energische Ausnutzung vorhandener Kaufkraft setzt, bald schneller, bald langsamer ins Rollen bringt. (Bei Papiergeld muß man wohl sagen: „ins Flattern“.) Heute nun, wo wir uns mit dem Außenverkehr befassen, finden wir wiederum den Zins ,auf unserem Wege, als den leichtbeschwingten Ariel, der dem schwerfälligen Caliban „Gold“ die Sorge um die Ausgleichung der Zahlungsbilanz abnimmt; und zwar tut der Zins dies, indem er den Kredit magnetisch anzieht oder abstößt und bald allein, bald mit diesem gemeinsam die Arbitrage in den beweglichsten Gütern (Effekten, Edelmetalle, Coupons, spekulative Stapelartikel) veranlaßt, die Warenbewegung in diejenige Richtung zu lenken, die geeignet ist, die Zahlungsdifferenzen zwischen den Ländern zu begleichen. Denn das eigentliche Weltzahlungsmittel – vergiß das keinen Moment, mein Sohn! – ist und bleibt die Ware.
Es hat sich nun, und zwar nicht nur in Goldwährungsländern, die Gepflogenheit herausgebildet, den Zins in anbetracht seiner Wichtigkeit für den Zahlungsverkehr unter Kontrolle, zu nehmen, also eine zielbewußte „Zinspolitik“ zu treiben. In der Regel hat man diese Aufgabe denselben Instituten anvertraut, in deren Händen auch die sonstige Überwachung und Regelung des Geldverkehrs liegt, nämlich den Notenbanken. Man wollte auf diese Weise alle Elemente, die bestimmend für das nationale Geldwesen und seine Beziehungen zum Auslande sind, in einer Hand vereinigen, sodaß dieselbe Stelle, die den inneren Geldumlauf beherrscht, nicht nur den zentralisierten Goldvorrat -es Landes verwalten und die internationale Goldbewegung überblicken, sondern auch den maßgebenden Einfluß auf den anderen wichtigen Faktor der Zahlungsbilanz, den Zins, ausüben kann. Die Notenbanken machen diesen Einfluß geltend, indem sie den Zins nach Maßgabe des vom Wechselkurs ablesbaren Standes der Zahlungsbilanz bald erhöhen, bald ermäßigen, dadurch den Handelskredit, den sie als größtes Geldreservoir im Lande gewähren können, bald reichlicher, bald spärlicher fließen lassen, und auf diese Weise auch den Zins des offenen Geldmarktes in eine der Zahlungsbilanz entsprechende Richtung lenken. Man nennt diese ihre Tätigkeit „Diskontpolitik“, weil sie ihren Kredit vorzugsweise im Wege der Diskontierung kaufmännischer Wechsel gewähren.
Sonach ist die Zentralnotenbank diejenige Instanz, welche die Verbindung zwischen dem Zahlungsverkehr im Inlande und im Auslande zwar nicht ausschließlich aufrecht erhält – der vielgestaltige „Markt“ wirkt hierbei entscheidend mit – aber sie doch maßgebend beeinflußt. Denn sie hat nicht weniger als vier Machtmittel in der Hand, um die nationale Zahlungsbilanz im jeweils erforderlichen Sinne zu korrigieren. Sie verfügt über das Machtmittel des Zinses oder der „Diskontpolitik“, ferner über dasjenige der „Goldpolitik“, drittens, wenigstens wenn sie es für erwünscht hält, über das wichtige Hilfsinstrument der „Devisenpolitik“, und endlich über die „Reservepolitik“, die unter Umständen von ganz erheblicher Bedeutung werden kann. Wir wollen uns die Wirksamkeit dieser vier Bestandteile der Notenbankpolitik in ihrer Beziehung zur Zahlungsbilanz und zum Außenwert des Geldes einmal, wenn auch nur kurz, vergegenwärtigen; ausführlicher werde ich darauf eingehen, wenn wir das Thema „Valuta“ erledigt haben und uns mit den Notenbanken als wirtschaftlicher Einrichtung beschäftigen werden.
Zeigt der Stand der Wechselkurse an, daß die Zahlungsbilanz passiv, das Land also dem Auslande augenblicklich zahlungspflichtig ist, so pflegt die Notenbank als erstes Gegenmittel die Diskontpolitik in Wirksamkeit zu setzen. Sie erhöht den Zins, den sie von ihren Kreditnehmern fordert, in solchem Grade, wie nötig ist, um einen Teil der Kreditnehmer zu veranlassen, ihre Schuld bei der Notenbank abzuzahlen und sich am offenen Geldmarkt oder bei den Privatbanken nach Ersatzkredit umzusehen. Dadurch verteuert sich auch hier die Zins, so daß mancher Geschäftsmann es vorzieht, im Moment auf jeden Kredit zu verzichten und etwa beabsichtigte Käufe nur im engen Rahmen seiner eigenen Mattel vornehmen, oder sich die hierfür erforderlichen Gelder durch den teilweisen Bergauf seines Warenlagers zu beschaffen. Die Kauflust flaut also ab, und das Warenangebot steigt. Folge: Eine Senkung des Preisniveaus, das heißt eine verbilligte Kaufgelegenheit für das Ausland, das zunächst die leichtbeweglichen Warenkategorien (Effekten, spekulative Stapelartikel usw.) im Wege der Arbitrage erwirbt, um dann je nach dem Grade der Preissenkung auch auf schwerfälligere Warengattungen zurückzugreifen; bis die Schuld des Inlandes an das Ausland durch die so entstandenen Gegenforderungen ausgeglichen, die Zahlungsbilanz also durch Warenausfuhr wieder in ihr Gleichgewicht gebracht ist.
Das ist wenigstens der Zweck, den die Notenbanken, oft mehr Instinkt- als verstandesmäßig, mit ihrer Diskontpolitik verfolgen, den sie indes nicht immer durchsetzen. Denn in Zeiten der Hochkonjunktur und der Überspekulation versagt der offene Markt sehr oft die Gefolgschaft. Immerhin erfreut sich die Diskontpolitik bei meinen Kollegen und bei den Volkswirten des Aufs eines äußerst wirksamen Mittels, und wenn Du Dir einmal die Mühe nehmen willst, lieber James, den lesenswerten Bericht einer im Jahre 1917 eingesetzten englischen Währungskommission, des sog. „Cunliffe-Committee“ zu studieren, so wirst Du darin ein Loblied auf die Diskontpolitik finden. Es heißt hier an einer Stelle wörtlich: „Die Erhöhung des Banksatzes und die Maßnahmen ihn am Markte wirksam zu machen, führten mit Notwendigkeit zu einer Erhöhung des Landeszinsfußes und zu einer Einschränkung der Leihtätigkeit. … Das Ergebnis war ein Nachlassen der meisten Preise am heimischen Markte, das die Einfuhr hinderte, dagegen die Ausfuhr anregte und so die ungünstige Handelsbilanz ausglich.“
Aber, wie gesagt, trotz der ihr hier erteilten guten Zensur bleibt, die Diskontpolitik oft unwirksam, und in diesem Falle muß sie durch ein schärferes Mittel, die Goldpolitik, ersetzt werden. Da die. Eindämmung der Kauflust auf dem direkten Wege über den Zins nicht, gelungen und die Ausfuhr nicht im erforderlichen Maße verstärkt worden ist, so erreichen die Wechselkurse den sogen, oberen Goldpunkt, die Goldausfuhr wird also lohnend, und die Notenbank schreitet zur Versendung von Barren- oder Münzgold, das zunächst wie jede andere Ware einen Teil der Landesschuld durch Begründung einer Gegenforderung tilgt. Zögert die Bank mit der Goldversendung, so wird sie von den Spezialisten des Edelmetallhandels durch Präsentation von Noten zur Hergabe von Gold zu Exportzwecken gezwungen. Wollte sie das Gold verweigern, so würde dies das Ende der Goldwährung bedeuten. Am den Betrag des hergegebenen Goldes verringern sich der Metallschatz, die Notendeckung und daher auch die Kreditmöglichkeit der Bank. Selbst wenn also der Markt gewillt wäre, jeden noch so hohen Zins für den Bankkredit zu zahlen, würde die Notenbank ihm angesichts ihres verringerten Goldbestandes den Kredit verweigern, ja sogar die Erneuerung fällig werdender Kredite abschlagen müssen. And hierdurch erfährt die Kaufkraft im Lande eine ganz empfindliche Verringerung. Der Goldexport wirkt mithin nach zwei Richtungen: einmal dadurch, daß er wie jeder andere Export Auslandsguthaben erzeugt und die Landesverschuldung entsprechend mildert, dann aber, und zwar hauptsächlich, durch die intensive Rückwirkung, die er auf den Umfang der Kaufkraft, dadurch auf das Preisniveau und dadurch wieder auf den Export ausübt.
In ähnlicher Weise wie diese Goldpolitik wirkt die Devisenpolitik. Sie besteht darin, einen großen Bestand ausländischer Zahlungsmittel in Wechselform anzusammeln und bei steigendem Wechselkurs dem Markt damit zu Hilfe zu kommen. Die Devisen sind, da sie in diesem Falle fast immer auf Gold lauten, dem Golde gleich zu erachten, und ihr Abfluß hat daher im allgemeinen dieselben Wirkungen wie die Goldausfuhr. Einige Notenbanken bevorzugen die Devisen vor dem Golde, weil sie leicht transportabel, zinstragend und im Bedarfsfall ohne Zeitverlust im Lande ihres Ursprungs verwertbar sind. Ich persönlich bin auf keinem Gebiete ein Freund von Surrogaten und ziehe das Gold dem Goldersatz vor. Im übrigen muß jede Notenbank damit rechnen, daß es ihr eines Tages so geht wie der Deutschen Reichsbank mit ihren englischen Devisen, die bei Kriegsausbruch plötzlich kein Goldersah mehr waren, sondern aus das Niveau von Kellerwechseln herabsanken, weil die englischen Akzeptanten sie nach dem Kriegsgesetz nicht einlösen durften.
Das vierte und letzte, sehr wirksame, aber verhältnismäßig selten angewandte Mittel im Dienste des Zahlungsausgleichs ist schließlich die Reserve-Politik. Sie besteht darin, daß die Zentralnotenbank des Landes bei ungünstiger Gestaltung der Wechselkurse die private Bankwelt zwingt, ihre Barreserven (Giroguthaben oder Depositen) bei ihr zu erhöhen. Die Wirkung ist dieselbe wie im Falle der Einschränkung der Kredittätigkeit, nur daß sie eine noch promptere ist: Die Kaufkraft im Lande verringert sich in dem Maße, wie die Notenbank Geld einfordert und aufspeichert- die Preise sinken, die Ausfuhr steigt, und die Zahlungsbilanz bessert sich. Diese Politik ist begreiflicherweise bei uns Bankdirektoren sehr unbeliebt. Wir geben nicht gern unsere Gelder gerade dann her, wenn wir sie am besten gebrauchen können. Infolgedessen kann nur eine Notenbank, hinter der eine sehr starke und von den Privatbanken unabhängige Negierung steht, die Reservepolitik in Anwendung bringen. Die Bank von England bedient sich ihrer von Zeit zu Zeit auf eine besondere Art, indem sie ihre Consol-Bestände an der Börse verkauft und das so eingenommene Geld zur Stärkung ihrer Reserve verwendet. Die englischen Privatbanken, die dieses Geld direkt oder indirekt hergeben müssen, sind von einer solchen Politik natürlich durchaus nicht entzückt. Aber ihr Einfluß auf die „Old Lady“ ist nicht entfernt so groß, wie derjenige der kontinentalen Bankherren auf die Notenbanken ihrer respektiven Länder. Sie knurren wohl, aber sie zahlen.
Mit Hilfe der angegebenen vier Mittel, lieber James, ist in einem Goldwährungslande jede Notenbank im Stande, die Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu erhalten, ohne daß die Wechselkurse in mehr als ganz geringfügigem Maße schwanken. Das ist ein großer Vorteil für das Land, den man aber weit weniger der Geschicklichkeit der Notenbank zu danken hat, als der Tatsache, daß in dem Lande die Goldwährung herrscht. Wenn die Notenbank fehlen würde, so würde das nicht allzuviel schaden, denn jede Goldwährung schützt sich selbst. Durch den automatisch einsehenden Abfluß und Zufluß von Gold hält sie das Preisniveau auf derjenigen Höhe, die jeweils erforderlich ist, um das Weltzahlungsmittel, die Ware, zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu zwingen. Alles, was eine Notenbank über diesen Selbstschutz der Goldwährung hinaus vermag, besteht darin, daß sie die zur Herstellung des Gleichgewichts in der Zahlungsbilanz erforderliche Warenbewegung mit etwas milderen Mitteln herbeiführt, so daß das ziemlich rohe Mittel der Goldwanderung .selten in Funktion zu treten braucht, und infolgedessen auch die Wechselkurse nicht bis auf den oberen Goldpunkt zu steigen oder bis auf den unteren zu fallen brauchen. Das ist immerhin ein nicht unerheblicher Vorteil, den eine gut organisierte Notenbank dem Lande zu verschaffen vermag. Wenn man sich aber andererseits vergegenwärtigt, welch ungeheures Elen- eine nach falschen Prinzipien verwaltete oder vom Staat mißbrauchte Notenbank über ein Land heraufbeschwören kann, so muß man sich unwillkürlich fragen, ob jener Vorteil es eigentlich rechtfertigt, daß ein Land sich seinethalber mit einem Instrument belastet, das eine so außerordentliche Gefahrenquelle darstellt, und ob ein Goldwährungsland nicht auch recht gut ohne Notenbank fertig werden könnte. Jedenfalls ist es für ein Land unendlich besser, keine Notenbank zu haben, als eine falsch geleitete.
In Liebe
Dein alter Papa.
8. Brief
Noch einmal der „Goldwahn“ – Gold, Papier und Valuta
Berlin, am 22. September 1921.
Es ist weder ein veraltetes Vorurteil, lieber. James, noch eine irrige Lehrmeinung oder ein volkswirtschaftlicher „Goldwahn“, was die Kulturvölker immer wieder zur Goldwährung zurückführt, nachdem sie eine vieljährige odysseische Irrfahrt auf dem stürmischen Meere der nichtmetallischen Währung durchgemacht haben. So richtig es auch ist, daß es beim Geldwesen eines Landes an und für sich nicht auf den Stoff ankommt, aus dem die einzelnen Geldzeichen bestehen, sondern auf die Menge dieser Zeichen, so unwiderleglich ist doch die Tatsache, daß die Wertbeständigkeit des Geldes und aller in ihm ausgedrückten Rechte de facto nur dann über jeden Zweifel erhaben ist, wenn das Gold die Grundlage der Landeswährung bildet.
Stellen wir uns einmal zwei Länder vor, von denen das eine die Vollgoldwährung hat, das andere dagegen eine Papierwährung. Wir wollen voraussetzen, daß beide Länder eine gleich einsichtige Negierung haben, daß also auch im Lande der Papierwährung keine willkürliche Zettelwirtschaft, keine gewissenlose oder gedankenlose Inflationspolitik getrieben, sondern das im Gelde verkörperte Recht zum Bezuge von Gütern streng respektiert wird, mithin jede willkürliche Neuschöpfung solcher Rechte mit Hilfe der Notenpresse grundsätzlich unterbleibt. In beiden Fällen handelt es sich also um eine in sich gefestigte, gesunde Währung; dort um eine gesunde Goldwährung, hier um eine gesunde Papierwährung. Wie sieht es in diesen beiden Ländern um den Stand der Valuta, das heißt um die Bewertung des Landesgeldes auf dem Weltmarkt aus, wie sie sich in den Wechselkursen ausdrückt?
Maßgebend für die Bewegung der Wechselkurse ist die Zahlungsbilanz. Ist sie in einem Lande passiv, hat also das Land mehr Zahlungen an das Ausland zu leisten als von diesem zu empfangen, so verteuert sich der Preis der fremden Geldsorten und Wechsel, und der Wert des eigenen Landesgeldes auf dem Weltmarkt fällt. Denn das Land mit der passiven Zahlungsbilanz muß, um seine Schuld abtragen zu können, mehr fremde Zahlungsmittel ankaufen, als ihm zum Normalpreise angeboten werden, während nach seinem eigenen Gelde keine Nachfrage besteht, weil das Ausland ihm nichts schuldet. Passive Zahlungsbilanz bedeutet, gleichviel welchen Ursprungs sie ist, ein Sinken der Valuta des Zahlungspflichtigen Landes, und zwar im Goldwährungslande genau so wie im Lande der Papierwährung. An der Geltung dieses ehernen Gesetzes vermag die Konstitution des Geldes nicht das mindeste zu ändern.
Auch das Mittel, mit dem die passive Zahlungsbilanz beseitigt und die Valuta wieder auf ihren Normalstand zurückgeführt wird, ist in beiden Ländern genau das gleiche. Es besteht hier wie dort in einer Steigerung der Ausfuhr (oder, was in der Wirkung genau daßelbe ist, einer Verminderung der Einfuhr), so daß sich für das Zahlungspflichtige Land ein Ausfuhrüberschuß ergibt. Da das Ausland diesen Überschuß mit seinen Geldsorten und Wechseln begleichen muß, so sind die fremden Zahlungsmittel, die ursprünglich fehlten und zu steigenden Preisen vergeblich gesucht wurden, nunmehr vorhanden; die Nachfrage nach ihnen läßt nach, ihr Preis senkt sich, und der Normalstand der Valuta ist wieder hergestellt.
Die Verschiedenheit beginnt aber bei dem technischen Teil des Problems. Wenn auch das Wirtschaftsgesetz, daß die Zahlungsbilanz durch das Mittel der Warenbewegung ausgeglichen wird, für alle Länder gleichmäßig gilt, so ist doch die Methode, wie jene Warenbewegung herbeigeführt wird, keineswegs in allen Fällen dieselbe. Es gibt da vielmehr eine ganze Reihe von Spielarten. And zwar steht es nicht im Belieben der Finanz- und Handelskreisen oder der Regierungen, ob sie im gegebenen Falle diese oder jene Methode anwenden wollen, sondern die jeweils geeignetste Methode drängt sich ihnen gewaltsam auf. Der Mensch ist nicht Herr über die Warenbewegung, die den Zahlungsausgleich herbeiführt, sondern er ist der Diener jener Bewegung, die sich noch ihren eigenen Gesehen vollzieht. Und diese Gesetze sind in einem Lande mit Goldwährung andere als in einem Lande mit Papierwährung.
Wo die Goldwährung herrscht, regeln sich die Dinge höchst einfach, man möchte sagen, mechanisch. Hier ist stets eine Ware vorhanden, welche die Neigung hat, schon bei einer ganz kleinen Verschlechterung aus dem Lande zu fließen und umgekehrt bei einer ganz kleinen Besserung wieder zurückzukehren. Als diese wanderungslustige, stets sprungbereite Ware haben wir das Gold kennen gelernt. Sie hat in allen Ländern der Goldwährung ihren festen Preis. In England beispielsweise hat, solange dort die Goldwährung intakt war, der Preis 77 Shilling 10 1/2 Pence für eine Unze betragen. Sobald sich nun der Wechselkurs eines Goldwährungslandes, sagen wir, um bei unserem Beispiel zu bleiben, in England, verschlechtert, wird es für das Ausland vorteilhaft, dort Gold zu kaufen, weil die 77 Shilling 10 1/2 Pence, die eine Unze kostet, unter Normalpreis zu haben sind. Das Gold drängt also mit unwiderstehlicher Gewalt aus dem Lande.
Diese Auswanderung des Goldes bei passiver und Rückwanderung bei aktiver Zahlungsbilanz hat – wie ich Dir in meinen früheren Briefen auseinandergesetzt habe – allerhand höchst wichtige Folgen für die Kaufkraft des im Lande umlaufenden Geldes, Folgen, die ihrerseits dazu beitragen, die Ausgleichung der Zahlungsbilanz zu beschleunigen. Aber wir brauchen uns heute nicht bei diesen Folgen aufzuhalten, weil es uns ja im Moment nur darauf ankommt, uns das für die Goldwährung besonders Charakteristische der Zahlungsbilanz-Regulierung zu vergegenwärtigen. Und da müssen wir als erste und wichtigste Eigentümlichkeit dieser Währung feststellen, daß in einem Lande, in dem sie herrscht, die Wechselkurse niemals um mehr als 1/4 oder höchstens 1/2 Prozent von ihrem normalen Stande abweichen können, weil bei der geringsten Neigung dieser Kurse, sich weiter vom Normalstande zu entfernen, das immer sprungbereite Gold unwiderstehlich aus dem Lande hinaus- oder in das Land hineindrängt und die Wechselkurse gewaltsam auf ihren alten Stand zurückdrückt. Die Valuta eines Goldwährungslandes kann also niemals um mehr als den Bruchteil eines Prozentes schwanken; sie hat einen festen, verläßlichen Stand, und alle Forderungen, die in dieser Valuta zahlbar sind, können als absolut wertbeständig angesehen werden.
Das ist aber nicht nur an und für sich ein ungeheurer Vorteil für ein in den internationalen Handel und Kredit verflochtenes Land, sondern hat auch weittragende Folgen für die Frage, die uns hier beschäftigt, nämlich für die Ausgleichung der Zahlungsbilanz. Ein Land, dessen Währung im internationalen Verkehr als „rocher de bronce“ gilt, hat stets Kredit, und mit Hilfe dieses Kredits und feines treuen Trabanken, der Arbitrage, lassen sich sehr erhebliche Differenzen der Zahlungsbilanz regulieren, ohne daß es zur Warenausfuhr im eigentlichen Sinne, zur Ausfuhr von Gold oder von schwerer beweglichen Gütern, zu kommen braucht. Wir gelangen somit zu dem Resultat, daß in einem Goldwährungslande die Zahlungsbilanz sich sehr leicht im Gleichgewicht erhalten läßt, weil seine Valuta stabil ist, und daß andererseits wieder seine Valuta stabil ist, weil seine Zahlungsbilanz sich immer sehr leicht, äußerstenfalls durch Goldversendung, im Gleichgewicht erhalten läßt. Wie so oft in der Wirtschaft herrscht auch hier ein Gegenseitigkeitsverhältnis und ist das eine Moment gleichzeitig Ursache und Wirkung des andern.
Wie steht es dagegen in einem Lande mit Papierwährung um die Ausgleichung der Zahlungsbilanz? Das Laufgewicht „Gold“, das durch einfache Verlegung seines Ruhepunktes regulierend wirkt, fehlt hier oder ist nur ganz ausnahmsweise vorhanden. (Wäre es stets zur Stelle und ausgleichsbereit, .so würde es sich ja um kein Papierwährungsland, sondern um ein Land mit Goldwährung oder mindestens mit Goldrandwährung handeln.) Es fehlt mithin auch die feste Verankerung der Valuta. Denn es gibt keine Ware außer Gold, für die alle maßgebenden Länder bereit sind, einen bestimmten Normalpreis zu zahlen. Die Wechselkurse schwanken hier ganz unverhältnismäßig stark, weil sie ihre Steigerung oder ihr Sinken erst dann einstellen, wenn so viel Ware in das Land oder aus dem Lande geflossen ist, wie die Zahlungsbilanz zur Wiederherstellung ihres Gleichgewichts bedarf. Und die meisten Waren reagieren nur sehr schwerfällig auf das vom Wechselkurs ausgehende Kommando, jedenfalls ungleich schwerfälliger als das Gold.
Allerdings bieten auch im Papierwährungslande die beiden wichtigen Verkehrselemente „Kredit“ und „Arbitrage“ ihre guten Dienste an. Aber sie, die wir im Goldwährungslande als überaus leichtflüssig, von geradezu quecksilberiger Beweglichkeit kennen gelernt haben, büßen unter der Herrschaft der Papierwährung diese ihre Eigenschaft in ganz außerordentlichem Maße ein. Waren sie dort noch ungleich schneller zur Stelle, als das doch ebenfalls sehr rege Gold, so sind sie hier meist noch langsamer als die schwerfällige Normalware. Das kommt daher, daß sich im Papierwährungslande das Element des Risikoswie ein Bleigewicht an sie hängt. Da die Valuta hier bei stark passiver Zahlungsbilanz zu entsprechend starker Verschlechterung neigt, so muß jeder ausländische Kreditgeber und Arbitrageur mit der Möglichkeit rechnen, daß er bei Fälligwerden des Kredits oder bei der Endabrechnung über das Arbitragegeschäft in einem minderwertigen Gelde bezahlt wird. And wenn der Geldgeber sich gegen diese Verlustgefahr sichert, indem er sich Rückzahlung in dem wertbeständigen Gelde seines eigenen Landes ausbedingt, so hat der Geldnehmer das Risiko. Infolgedessen reagieren Kredit und Arbitrage nicht, wie im Goldwährungslande, schon auf ganz kleine Zins- oder Preisvorteile, sondern nur dann, wenn ihnen ein so hoher Zins oder ein so großer Mehrpreis winkt, daß das Valutarisiko in Kauf genommen werden kann.
In einem Land mit relativ gesunder Papierwährung – nur von einem solchen reden wir hier – besteht freilich die Möglichkeit, daß der Staat oder ein von ihm beauftragtes Institut (die Zentralnotenbank) sich einen Vorrat an leicht beweglichen Waren sichert, um diese bei einer etwaigen Passivität der Zahlungsbilanz ins Ausland zu senden, noch bevor die Wechselkurse sich allzu sehr verschlechtert haben. Die Ansammlung eines großen Bestandes von Golddevisen müssen wir hier außer Betracht lassen; sie läuft praktisch auf eine Ansammlung von Gold hinaus, in das man die Devisen ja, außer im Kriegsfälle, stets umwandeln kann, so daß es sich hier um die schon erwähnte Abart der Goldwährung, die Goldrandwährung, handelt. Daßelbe gilt von sonstigen Goldwerten, wie es z.B. die englischen Konsols in normalen Zeiten sind. Wir haben hier also lediglich an neutrale Warengattungen zu denken, die sich mit Hilfe der Arbitrage oder auch des glatten Verkaufs leicht in Auslandsforderungen verwandeln lassen, wie beispielsweise Silber, Platin, Kupfer oder Getreide. Wenn die Negierung (oder die Zentralnotenbank) trotz der mit solchen Artikeln verknüpften Verlustgefahr dauernd mit großen Beständen dieser Art operiert, oder wenn sie auf irgend eine andere Weise dafür sorgt, daß im Lande schnell realisierbare Reserven für den Fall einer starken Auslandsverschuldung -parat stehen, so kann sie die Wechselkurse verhältnismäßig stabil erhalten. Sie kann denselben Effekt auch, wie wir früher gesehen haben, durch systematische Verringerung des Geldumlaufs herbeiführen. Aber eine solche Politik ist außerordentlich schwer, weit schwerer als ein Übergang zur Goldwährung, und daher meines Wissens noch niemals praktisch durchzuführen versucht worden.
So sehen wir denn, daß die Goldwährung neben ihrem Hauptvorteil, der darin besteht, daß sie das Land ihrer Geltung vor der Überschwemmung mit Papier und daher vor einer Geldverschlechterung von innen heraus schützt, noch den zweiten großen Vorteil hat, dem Lande eine stabile Valuta, einen beständigen Außenwert seines Geldes, zu sichern. Selbst eine noch so gute, technisch noch so geschickt geregelte Papierwährung ist nicht im Stande, in dieser Hinsicht mit der Goldwährung zu konkurrieren. Deshalb kehren alle Länder, nachdem sie ihre Erfahrungen mit dem Papier gemacht haben, früher oder später zur Goldwährung zurück, obwohl es theoretisch eigentlich gleichgültig ist, aus welchem Stoff die Geldzeichen bestehen, in denen sich die Güterbezugsrechte der Bevölkerung verkörpern.
In Liebe
Dein alter Papa.
9. Brief
Binnenwert und Außenwert des Geldes – „Geldwert mit doppeltem Boden“ – Das Fakturieren in Auslandswährung
Berlin, am 24. September 1921.
Gerade in diesen Wochen, lieber James, in denen wir beide uns so intensiv mit der Valuta beschäftigen, geht unser vielgeprüftes Deutschland durch das Zwischenstadium einer valutarischen Abnormität hindurch, die für den Laien wie für den Volkswirt gleichermaßen interessant ist.
Diese Abnormität besteht nicht etwa darin, daß der Wert der Reichsmark sich neuerdings gewaltig verschlechtert hat. Der letzte Niedergang der Mark ist vielmehr als ein ganz natürlicher, ja selbstverständlicher Vorgang anzusehen. Denn wenn die Währung eines Landes, das Milliardenzahlungen nach dem Auslande zu leisten hat, nicht durch Gold gesichert ist, so muß sie im Verfolg der Zahlungen notwendig einen Entwertungsprozeß durchmachen. Aber man sollte doch meinen, daß das Geld eines Landes, auch wenn die ihm innewohnende Kaufkraft sinkt, unter allen Umständen einen bestimmten Werthaben muß, gleichviel, ob dieser Wert die Hälfte oder ein Zehntel oder ein Hundertstel des gesetzlichen Goldpari beträgt. Tatsächlich sehen wir indes mit Verwunderung, daß die deutsche Reichsmark heute nicht einen Wert, sondern zwei Werte hat, nämlich einen Inlandswert und einen davon ganz verschiedenen, erheblich niedrigeren Auslandswert.
Der Inlandswert, das heißt die Kaufkraft, welche die Mark in Deutschland selbst hat, ist im Lauf der Zeit auf etwa ein Zwölftel ihres Vorkriegswertes gesunken, und dementsprechend sind die Preise und Löhne auf durchschnittlich das Zwölffache gestiegen. Der Auslandswert dagegen, will sagen die Kaufkraft, welche die Mark im Auslande hat, ist weit mehr gesunken, nämlich auf etwa ein Fünfundzwanzigstel des Vorkriegswerts. Das läßt sich vom Wechselkurs auf New Bork und vom Goldpreis ganz genau ablesen. Im Auslande ist die Mark also doppelt so stark entwertet, wie im Inlande.
Das ist eine Abnormität, die in gleicher Kraßheit nur sehr selten zu beobachten ist. Denn sie widerstreitet eigentlich allen Wirtschaftsgesetzen. Sie widerstreitet vor allem der Tatsache, daß die Ware durch ihr Ein- und Ausströmen den Binnenwert des Landesgeldes seinem Außenwerte andauernd anzupassen strebt. Der äußere und der innere Wert des Geldes werden normalerweise durch den Außenhandel im Gleichgewicht gehalten, und eine ganz einfache Überlegung sagt uns, da es im Grund auch gar nicht anders sein kann.
Wenn nämlich in einem Lande die Kaufkraft des Geldes auf ein Zehntel sinkt, also die Preise hier auf das Zehnfache steigen, erscheinen alle Auslandswaren billig, weil ihr Preis ja unverändert geblieben ist. Es setzt demgemäß eine starke Einfuhr ein. Du wirst stets sehen, lieber James, daß auf eine Geldentwertung im Inlande zunächst eine Einfuhrsteigerung und eine passive Handelsbilanz folgt. Die Mehreinfuhr muß aber bezahlt werden, und zwar in ausländischem Gelde. Infolgedessen setzt eine starke Nachfrage nach fremden Wechseln und Geldsorten ein, so daß deren Preise steigen, was nichts anderes bedeutet, als daß die Bewertung des Landesgeldes im Auslande, kurz der „Außenwert“ des Geldes genannt, entsprechend fällt.
Sinkt nun der Außenwert des Geldes auf ein Fünftel seines ursprünglichen Werts, muß man also für importierte Güter den fünffachen Preis anlegen, so erscheint die ausländische Ware, an der zehnfachverteuerten Inlandsware gemessen, noch immer billig, und ihre Einfuhr dauert an. Infolgedessen dauert auch die Devisenteuerung bezw. der Rückgang des Geld-Außenwertes an, und zwar so lange, bis der letztere auf ein Zehntel seines ursprünglichen Werts gesunken ist. Denn dann, erst hat sich für den inländischen Käufer auch die Auslandsware um das Zehnfache verteuert, und dann erst kommt die Einfuhr ins Stocken, weil die Niveaugleichheit zwischen den Preisen im Inland und Ausland eingetreten ist.
Wir sehen also, daß die Zahlungsbilanz eines Landes nicht ihr Gleichgewicht findet, bevor nicht die Wechselkurse sich in demselben Grabe verschlechtert haben, wie das Landesgeldes an Kaufkraft verloren hat; mit anderen Worten, bevor der Außenwert des Landesgeldes auf denselben Tiefstand gesunken ist wie sein Binnenwert. Noch tiefer konnte der Außenwert normalerweise nicht sinken, denn das hätte sonst ein Steigen der Auslandspreise über die Inlandspreise bedeutet und sofort zu einer verstärkten Ausfuhr geführt; und dadurch wäre -er Außenwert wieder gehoben worden^ Er konnte aber auch nicht weniger sinken als der Binnenwert des Landesgeldes, denn die Mehreinfuhr, die in diesem Falle andauert, erzeugt eine Verschuldung an das Ausland und eine Nachfrage nach Devisen, die den Außenwert schließlich mit Gewalt auf den Tiefstand des Binnenwerts herunterdrückt.
Der Binnen- und der Außenwert des Geldes streben also nach Übereinstimmung. Der Außenhandel in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erzwingt diese Übereinstimmung immer wieder und läßt sich von seiner Obliegenheit, die beiden schwankenden Geldwerte einessm gemeinsamen Mittelpunkt entgegenzuführen, auch durch Zollschranken und Ausfuhrverbote nicht abhalten.
Ich weiß, lieber James, daß ich mit dem eben Gesagten Dein Vertrauen zu mir auf eine etwas harte Probe stelle. Denn eben erst habe ich selbst festgestellt, daß die Kaufkraft der Mark im Ausland nur noch etwa ein Fünfundzwanzigstel ihres Vorkriegswertes beträgt, während sie in Deutschland immerhin noch ungefähr ein Zwölftel desselben ausmacht; daß man also mit einem und demselben Geldschein bei uns doppelt so viel kaufen kann, wie im Ausland. Dieses Faktum, das von keiner nationalökonomischen Theorie aus der Welt geschafft wird, verträgt sich tatsächlich schlecht mit der von mir behaupteten grundsätzlichen Übereinstimmung von Geld-Außenwert und Binnenwert.
Es kommt hinzu, daß man nicht einmal sagen kann, es handle sich hier um eine jener bekannten Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Denn die Divergenz der beiden Werte ist keineswegs neuen Datums, sondern läßt sich geraume Zeit zurückverfolgen, fast so lange, wie wir eine notleidende Währung haben. Nur daß das Verhältnis zwischen Binnen- und Außenwert fortgesetzt wechselt, indem bald dem einen, bald dem anderen die höhere Kaufkraft innewohnt. Anfang 1920 beispielsweise war der Außenwert der Mark kaum halb so groß wie ihr Binnenwert. Aber ein paar Monate später, im Sommer 1920, war das Gegenteil der Fall: Man konnte mit einem deutschen Geldschein im Auslande ganz erheblich mehr kaufen als im Inlande. Und heute liegen die Dinge wieder ungefähr wie im Februar 1920. Die beiden Wertkategorien schaukeln immer an einander vorbei, und wenn sie sich beim Auf- und Niedergehen auch einmal vorübergehend treffen, so besteht doch meistens ein erheblicher Abstand zwischen ihnen. Nicht die Übereinstimmung, sondern die Abweichung ist hier das Normale.
Wie reimt sich aber diese Divergenz zwischen Binnenwert und Außenwert des Geldes mit dem Lehrsatz, daß die beiden Werte dauernd nach Übereinstimmung streben? Nun, sie reimt sich sehr gut damit, sobald man nur den Lehrsatz richtig liest und den Nachdruck auf das Wort „streben“ legt. Dann ergibt sich nämlich der höchst einfache Tatbestand, daß der Binnenwert und der Außenwert einer Währung sich zwar dauernd auf einem bestimmten Punkte zu treffen suchen, daß sie aber an diesem Punkte immer wieder vorbeipendeln, sich von dem gemeinsamen Mittelwert also nach oben und nach unten immer wieder entfernen, sobald das Geldwesen im Lande so beschaffen ist, wie gegenwärtig in Deutschland.
Der Sachverhalt ist so klar wie nur möglich. Hat die Entwertung des Währungsgeldes in einem Lande einen bestimmten Grad, sagen wir neun Zehntel des Normalwerts, erreicht, so streben die innere und die äußere Kaufkraft des Geldes auf die zu Eingang dieses Briefes geschilderte Weise danach, sich auf der neuen Basis von einem Zehntel zu treffen. Eine Zeitlang ist es dann zwar möglich, daß die Wechselkurse auf die fünfzehnfache Höhe steigen, während die Preise im Lande nur auf das Siebenfache gestiegen sind. Diese Anomalie ist aber nicht von Dauer. Sehr bald werden die Wechselkurse fallen, etwa auf das Zwölffache, die Binnenpreise dagegen sich heben, etwa auf das Neunfache; bis eines Tages die beiden Wertgrößen sich auf dem der realen Geldentwertung entsprechenden neuen Pari, nämlich dem Zehnfachen, treffen. Diese Begegnung ist unvermeidlich und tritt sogar ziemlich schnell ein, wenn – eben wenn die angenommene Voraussetzung zutrifft, daß nämlich der Wert des Landesgeldes wirklich ein Zehntel seines früheren Werts, nicht mehr und nicht weniger, beträgt.
Diese Voraussetzung trifft aber immer nur dann zu, wenn der Realwert des Landesgeldes sich auf seiner neuen Basis befestigt, gewissermaßen hier vor Anker geht. And das ist heute in Deutschland genau so wenig der Fall, wie in den meisten valutakranken europäischen Oststaaten. In allen diesen Ländern arbeitet die Notenpresse unverdrossen weiter, vergrößert sich infolgedessen die Geldmenge und sinkt der Realwert der Landeswährung dementsprechend immer tiefer. Hat der Realwert eben noch ein Zehntel des alten Goldwertes betragen, und haben der Außenwert und der Binnenwert der Währung, also die Wechselkurse und die Preise, eben begonnen, sich auf dieses Zehntel einzustellen, so sinkt der Realwert bereits unter dem Einfluß der Notenpresse auf ein Zwölftel. Und bevor jene beiden Wertgrößen diesem neuen Pari auch nur einigermaßen nahegekommen sind, ist das Pari bereits wieder gesunken, auf ein Fünfzehntel, auf ein Achtzehntel, auf ein Zwanzigstel. Jedes neue Sinken verhindert aber nicht nur die Übereinstimmung des Binnenwerts mit dem Außenwert des Geldes, indem es den gemeinsamen Ruhepunkt, dem sie zustreben, immer wieder verschiebt, sondern es trägt sogar eine neue, verschärfte Störung in den Prozeß der Wertausgleichung hinein; es stößt bald den Binnen-, bald den Außenwert in eine Richtung, die der Ausgleichung entgegengesetzt ist und läßt dadurch den Abstand zwischen den beiden Werken, der sich eben erst verringert hat, wieder beträchtliche Dimensionen annehmen.
Wir haben uns diesen Vorgang in großen Umrissen folgend ermaßen zu denken: Sobald die Notenpresse neue Geldmassen auf den Markt schüttet, also neue Kaufkraft entstehen läßt, geht entweder auf dem Markt der Waren oder auf dem der Auslandswechsel eine Erschütterung vor sich. Denn entweder wendet sich die neu entstandene Kaufkraft vorzugsweise dem inländischen Gütermarkt zu, dann steigen hier alle Preise, und man spricht von einer neuen „Teuerung“. Oder die neue Kaufkraft wendet sich vorzugsweise dem Markt der ausländischen Waren und dem Markt der fremden Zahlungsmittel zu, dann steigen die Devisenkurse, und man spricht von einem neuen „Rückgang der Valuta“. In dem ersten Falle verschlechtert sich also der Binnenwert des Geldes, in dem zweiten der Außenwert. Aber welcher dieser beiden Werte sich auch verschlechtern mag, auf jeden Fall wird der Abstand zwischen ihnen vergrößert und die Annäherung an den Realwert. der Währung erschwert. Dieser Vorgang wiederholt und verschärft sich in dem Maße, wie die Notenpresse in neue Tätigkeit tritt und die Inflation im Lande zunimmt.
Hier haben wir den eigentlichen Grund, warum heute in Deutschland nicht ein Geldwert, sondern zwei scharf gesonderte Geldwerte existieren. Die Notenpresse setzt nach kurzen Intervallen ihre verhängnisvolle Arbeit immer wieder fort, hetzt dadurch neue Kaufkraft – oder, um exakt zu sprechen: von den alten, rechtmäßigen Geldinhabern auf die neuen Geldinhaber übertragene Kaufkraft – bald auf den Warenmarkt, bald auf den Devisenmarkt und ruft so die Divergenz zwischen dem Binnen- und dem Außenwert des Geldes hervor. Die Divergenz hat zwar die natürliche Tendenz, sich fortgesetzt zu verringern und schließlich ganz zu verschwinden. Aber bevor es dazu kommen kann, durchkreuzt eine neue Inflationswelle diese Tendenz und treibt einen neuen Keil zwischen die beiden Werte.
Es ist also, wenn ich so sagen darf, eine ganz „normale Abnormität“, daß in einem Lande, in dem der Prozeß der Geldentwertung noch nicht abgeschlossen ist, zwei grundverschiedene Geldwerte neben einander existieren. Die Folgen dieser Abnormität muten uns zwar grotesk an, sind aber unvermeidlich. Wenn in Deutschland heute der Ausländer alles für den halben Preis kaufen kann, den der Inländer bezahlen, muß, so ist das die natürliche Folge der Tatsache, daß der Außenwert der Mark momentan (sicherlich nicht lange) halb so groß ist wie ihr Innenwert. And wenn die Zeitungen melden, daß der Tscheche an der polnischen Grenze sich lieber auf polnischem Gebiet für 30 poln. Mark rasieren läßt, statt es in seinem Lande für 2 Kronen zu tun, so sehen wir hier den umgekehrten Sachverhalt vor uns: Die tschechische Krone, hat momentan im Auslande einen weit höheren Wert als im Inlande. Man kann sich für zwei Kronen im Inlande nur einmal, in Polen dagegen zwei- oder sogar dreimal rasieren lassen.
Da der eigentliche. Grund und das Gesetzmäßige der Spannung zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes nur selten erkannt werden, wird von Zeit zu Zeit in allen von dieser eigentümlichen Krankheit befallenen Ländern versucht, die Spannung durch künstliche Mittel oder – was ja heute besonders beliebt ist – auf dem Verordnungswege zu beseitigen. So wird beispielsweise in Deutschland immer dann, wenn der Außenwert der Mark besonders tief unter dem Binnenwert steht And Devisen weit teurer bezahlt werden müssen, als es dem Realwert der Mark entspricht, der Exporthandel aufgefordert, feine, Rechnungen nicht in Mark auszustellen, sondern „in Auslandswährung zu fakturieren“. Das Ausland soll also nicht im Wege der Remisse, sondern in dem der Tratte, d.h. nicht in Mark, sondern in Dollar, Pfund und Gulden zahlen und. dadurch den deutschen Markt der Notwendigkeit entheben, seinen Bedarf an diesen Geldsorten am Devisenmarkt zu decken. Geht hier infolgedessen die Nachfrage zurück, dann fallen – so wird argumentiert – die Preise der fremden Zahlungsmittel, d.h. der Außenwert der Mark hebt sich wieder auf die Höhe ihres Binnenwerts. Das klingt auch ziemlich plausibel. Wer aber weih, daß die Spannung zwischen Binnen- und Außenwert, obwohl sie eine Abnormität ist, dennoch ihre guten wirtschaftlichen Gründe hat, wird über den Erfolg des „Fakturierens in Auslandswährung“ recht skeptisch denken.
Und in der Tat sind die Bemühungen, durch die Zahlungsweise auf den Außenwert des Geldes zu wirken, ebenso kindlich wie vergeblich. Es ist in Wirklichkeit vollkommen gleichgültig, ob die amerikanischen Schuldner an Deutschland in Mark oder in Dollar zahlen. Zahlen sie in Mark, so fehlen in Deutschland allerdings die entsprechenden Dollarbeträge, und die deutsche Nachfrage nach ihnen steigert den Kurs des Dollar und verschlechtert dadurch den Außenwert der Mark. Dafür müssen die Amerikaner aber ihrerseits Marknoten kaufen, wodurch sie den Außenwert der Mark um genau soviel bessern, wie die deutsche Dollarnachfrage ihn verschlechtert. Zahlen dagegen die Amerikaner in Dollar, so kann freilich eine entsprechende deutsche Dollarnachfrage befriedigt werden, ohne daß der Wechselkurs steigt und der Markwert entsprechend fällt. Auf der anderen Seite kommt aber die amerikanische Nachfrage nach Mark in Fortfall, und es bleibt daher ein Besserungsfaktor aus, der den Markwert sonst gehoben haben würde, auch in diesem Falle heben sich mithin Vorteil und Nachteil gegenseitig auf.
Durch technische Hilfsmittel und Verordnungen, lieber James, läßt sich das Übel des „Geldwerts mit doppeltem Boden“ nicht beseitigen; wie ja überhaupt organische Störungen durch mechanische Eingriffe niemals behoben, sondern weit eher verschlimmert werden. Wer Außenwert und Binnenwert einer Währung zur Übereinstimmung bringen und das Geldwesen auf der Basis seines Realwerts befestigen will, der muß dafür sorgen, daß die Notenpresse zum Stillstand kommt. Dann, aber nur dann, verschwindet mit so vielen anderen Übeln auch die Abnormität, daß ein und daßelbe Landesgeld zwei verschiedenen Bewertungen unterliegt.
Begriffen?
Dein alter Papa.
10. Brief
Zahlungsbilanz und Reparation – Valuta und Finanzpolitik
Berlin, am 28. September 1921.
Es gibt Zeiten, lieber James, in denen es außerordentlich schwer ist, sich den klaren Blick für die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu bewahren. Es sind das regelmäßig Zeiten, in denen irgend ein politisches oder finanzielles Geschehnis von weltgeschichtlicher Größe sich derart in den Vordergrund schiebt, daß es das ganze geistige Gesichtsfeld bedeckt. Dann können selbst gescheidte Menschen oft nicht mehr unterscheiden, welche wirtschaftlichen Vorgänge auf dieses gewaltige Geschehnis, und welche auf andere Ursachen zurückgeführt werden müssen. Sie sind dann geneigt, die Wurzel und den Ursprung aller abnormen Erscheinungen einzig und allein in jenem weltgeschichtlichen Ereignis zu erblicken, dessen gewaltiger Schatten sich verdunkelnd auf das ganze zeitgenössische Fühlen und Denken legt. Deutschland macht augenblicklich eine solche Periode geistiger Schielkrankheit durch. Es gibt kaum einen wirtschaftlichen Vorgang, den der gebildete Deutsche nicht als unmittelbare Folge des alles beherrschenden Problems der „Reparation“, der jährlichen Zahlung von mehreren Goldmilliarden an die Länder der Entente, auffaßt.
So unterliegt es denn auch für die meisten Volkswirte nicht dem geringsten Zweifel, daß der akute Sturz, den die deutsche Valuta im vergangenen Vierteljahr durchgemacht hat, die direkte Folge der Reparation gewesen ist. Deutschland hat von Mitte Mai bis zum 31. August eine Goldmilliarde an das Ausland zahlen und sich in der darauf folgenden Zeit auf weitere große Zahlungen vorbereiten müssen. Gleichzeitig ist der Kurs des Dollar in Berlin von 60 auf 120 Mark, der Kurs des Pfundes Sterling von 260 auf 460 Mark gestiegen, das heißt, die Kaufkraft der Reichsmark im Auslande ist auf weniger als ein Fünfundzwanzigstel ihres Vorkriegswertes gesunken. Daß diese beiden Vorgänge – Reparation und Valutasturz – im engsten Zusammenhang miteinander stehen, scheint den Meisten so selbstverständlich zu sein, daß sie über einen- Volkswirt, der den Zusammenhang in Zweifel ziehen wollte, mitleidig die Achseln zucken würden. Und in der Tat: Das Deutsche Reich hat binnen weniger Monate 1 Milliarde Goldmark in Dollar, Pfund und anderen Devisen zu zahlen gehabt; es hat diese Zahlungsmittel, da sie ihm nur zum allerkleinsten Teile zur Verfügung standen, am Devisenmarkt kaufen müssen; was war unter diesen Umständen natürlicher, als daß die Devisen, der starken Nachfrage bei geringem Angebot entsprechend, sprunghaft in die Höhe gingen, und daß gleichzeitig an allen Weltmärkten deutsche Reichsmark zu Schleuderpreisen verkauft wurden, um dagegen die dringend benötigten ausländischen Zahlungsmittel herbeizuschaffen?
Der Kausalzusammenhang zwischen Reparation und Valutasturz muß auch denen ganz selbstverständlich scheinen, die da wissen, daß Zahlungen von Land zu Land nur scheinbar in Wechseln und sonstigen Zahlungsmitteln, in Wirklichkeit vielmehr in Ware geleistet werden. Denn wenn die Zahlung von 1 Goldmilliarde gleichbedeutend mit einem Warenexport in gleicher Höhe ist – soweit nicht Kredite helfend eingreifen –, so muß die deutsche Ware ganz gewaltig verbilligt werden, damit das Ausland sie im nötigen Umfange kaust. Der Importeur im Auslande kauft ja naturgemäß nicht dann, wenn Deutschland eine Schuld zu zahlen hat und seinen Wechsel hierzu braucht, sondern dann, wenn ihm die deutsche Ware billig erscheint; andernfalls unterläßt er den Kauf, so dringend Deutschland auch auf ihn angewiesen ist. Und so scheint sich denn aus diesem logischen Gedankengange gleichfalls zu ergeben, daß der Valutasturz die direkte und unvermeidliche Folge der Reparation ist.
Und dennoch… und dennoch…
Ich behaupte und werde es sogleich beweisen, daß der Valutasturz keine Folge der Reparation, sondern die Folge eines Fehlers bei Aufbringung der Reparationssumme gewesen ist; daß überhaupt keine Zahlung an das Ausland, selbst wenn sie zehnmal so groß wäre wie die Summe, um die es sich jetzt gehandelt hat, die Valuta des zahlenden Landes verschlechtert, wenn bei der Zahlung der gebotene gerade, vernunftgemäße und natürliche Weg eingeschlagen wird.
Wir müssen hier sorgfältig zwischen zwei grundverschiedenen Dingen unterscheiden, lieber James, nämlich zwischen der Möglichkeit, eine bestimmte Summe aufzubringen, und zwischen der anderen Möglichkeit, die aufgebrachte Summe in das Ausland zu übertragen. Es gibt selbstverständlich Zahlungen, welche die Leistungsfähigkeit eines Landes übersteigen. Ich will mich hier nicht auf die Frage einlassen, ob dies bei den Deutschland auferlegten Jahreszahlungen der Fall ist oder nicht, denn die Frage hat mit unserem Gegenstände nichts zu tun, zumal ja Deutschland in dem Falle, der uns beschäftigt, die kritische Milliarde tatsächlich aufgebracht hat. Aber die Möglichkeit ist naturgemäß stets da, daß ein Land beim besten Willen nicht im Stande ist, eine vorgeschriebene Zahlung zu leisten. Von dieser Frage der „Beschaffung“ ist indes die Frage der „Übertragung“ streng zu trennen. Denn hier gibt es keine Unmöglichkeit. Ist es einem Lande erst einmal gelungen, eine für das Ausland bestimmte Summe im Inlande aufzubringen, so macht die technische Überführung der Summe in das Ausland nicht die mindesten Schwierigkeiten. Sie vollzieht sich dann auf die denkbar einfachste Weise, ja sogar ganz automatisch, ohne daß es zu irgendwelchen Verlegenheiten am Devisenmarkt kommt. Von einer Valutakatastrophe kann überhaupt gar keine Rede sein. Ein praktisches Beispiel wird Dir die Sache deutlich machen:
Nehmen wir an, ein Land, in dem die Frankenwährung herrscht, habe binnen einer bestimmten Frist 1 Milliarde Gulden nach Holland zu zahlen. Zu diesem Zwecke hat es zunächst einen entsprechenden Betrag, sagen wir 2 Milliarden Francs, im Inlande zu beschaffen. Gelingt ihm dies nicht, weil so hohe Steuern und Anleihen sich nicht eintreiben lassen, so muß das Land sich zahlungsunfähig erklären; nicht etwa, weil 1 Milliarde holl. Gulden sich in der kurzen Zeit nicht beschaffen lassen, sondern deshalb, weil seine Wirtschaft nicht imstande ist, 2 Milliarden Francs aufzubringen. Gelingt es dagegen, diese 2 Milliarden Francs, sei es durch Steuern, sei es durch Anleihen, sei es durch beide Beschaffungsarten bereitzustellen, so steht das Land vor der Aufgabe, die Umwandlung der Francs in Gulden zu bewerkstelligen. Wie wird diese Aufgabe gelöst?
Sie wird auf eine höchst einfache Weise gelöst, wie wir sofort erkennen, wenn wir uns die ganze Transaktion in ihren Einzelheiten vergegenwärtigen. Die erste Finanzmahnahme war, wie wir gesehen haben, die Beschaffung von 2 Millionen Francs durch Steuern oder Anleihen. Um diesen Betrag hat der Staat die Kaufkraft im Lande geschwächt. Er hat dem Geldmarkt große Summen entzogen, so daß ein Teil der Banken gezwungen ist, Aktien, Obligationen etc. aus ihren Beständen zu verkaufen, andere Banken dagegen ihre Kredite einschränken müssen, was wiederum viele Industrielle, Kaufleute und Kapitalisten zwingt, auch ihrerseits Effekten zu veräußern. Folge: Ein starker Preisdruck am Effektenmarkt mit der Wirkung, daß die internationalen Werte und die Papiere von Weltruf in das Ausland abfließen, wo die Effektenmärkte noch in besserer Verfassung sind. Ein weiterer Teil der dem Staate überlassenen Summe fehlt den Großhändlern, Importeuren und Warenspekulanten, die sich infolgedessen gezwungen sehen, ihre Lager zu verringern, was auch auf dem Gebiete der Weltwaren (Baumwolle, Metalle und sonstige Stapelartikel) einen Preisdruck hervorruft, der die Waren in das Ausland abströmen läßt und weitere große Warenmengen, die unter anderen Umständen in das Land geflossen fein würden, von diesem fernhält. Auf die gleiche Weise werden alle übrigen Wirtschaftsgebiete von einem empfindlichen Geldmangel betroffen, der Verkäufe erzwingt und Käufe verhindert, so daß schließlich das ganze Preisniveau im Lande unter einem Druck steht, der Ware der allerverschiedensten Art zum Abfließen in das Ausland mit feinen unverändert hohen Preisen bringt. Alle diese Effekten, Stapelartikel und sonstigen Waren muß das Ausland aber bezahlen. Es kommen also große Mengen fremder Zahlungsmittel zum Angebot, und der Staat, der 1 Milliarde Gulden zu zahlen hat, braucht weiter nichts zu tun, als diese angebotenen Zahlungsmittel mit Hilfe der vorher beschafften 2 Milliarden Francs anzukaufen und im Auslande – mit Hilfe der Devisenarbitrage – in Gulden umzutauschen.
Gibt es etwas einfacheres als diesen Vorgang? Die Waren, die im Inland nicht mehr gekauft werden können, weil der Staat der Wirtschaft 2 Milliarden Francs Kaufkraft entzogen hat, fließen – irgendwo müssen sie bleiben – in das Ausland, und der Kaufpreis, den das Ausland dafür zahlt, macht die 1 Milliarde Gulden aus, die der Staat für seine Zahlung braucht. Der Staat zahlt also in Wirklichkeit mit der Ware, die zu exportieren er seine Bevölkerung dadurch zwingt, daß er Steuern ausschreibt oder Anleihen auflegt. Das Ganze vollzieht sich, wenn erst der Ertrag der Steuern und der Erlös der Anleihen eingegangen ist, vollständig automatisch, ohne die geringste technische Schmierigkeit, und ohne daß es am Devisenmarkt zu irgendwelcher Erschütterung kommt. Eine geschickte Finanzpolitik wird die Devisen sogar zu sehr günstigen Bedingungen beschaffen können, weil infolge des starken Warenexports ein entsprechendes Angebot an fremden Wechseln herrscht. Allerdings kommt es – das ist die Kehrseite – zu einem nicht unerheblichen Preisrückgang im Lande, denn der sinkende Preis ist der Magnet, der die Auslandsnachfrage anzieht und dadurch die Ausfuhr fördert. Die Ware wird in diesem Falle statt auf dem Umwege über den Wechselkurs direkt durch das Moment der Preisbewegung veranlaßt, ihren Dienst als internationales Zahlungsmittel zu erfüllen. Aber der Preisrückgang nimmt keinerlei katastrophale Formen an, sondern macht sofort halt, sobald sein wirtschaftlicher Zweck, die Ausfuhrförderung, erreicht ist. Denn für jeden Auslandswechsel. den die Ausfuhr dem Staate übermittelt, gibt dieser den entsprechenden Frankenbetrag her, der sofort seine Kaufkraft wieder ausübt und das Preisniveau stützt. Hat der Staat am Ende der ganzen Operation die benötigten 1 Milliarde Gulden in Empfang genommen, so hat er auch die aus dem Verkehr herausgehobenen 2 Milliarden Francs wieder hergegeben, sodaß die Kaufkraft im Lande ihren ursprünglichen Umfang zurückerhält.
Dieses Beispiel zeigt uns, lieber James, daß die 1 Milliarde Goldmark, die Deutschland im August bezahlt hat, unmöglich die Schuld an der jüngsten Valutakrisis tragen kann. Bei Anwendung der richtigen Finanzpolitik hätte ein empfindlicher Preisrückgang in Deutschland die Folge sein müssen, bei gleichzeitiger Valutabeständigkeit. Statt dessen haben wir das gerade Gegenteil erlebt: Die Preise sind erheblich in die Höhe gegangen, und die Valuta hat sich katastrophal verschlechtert. Die notwendige Warenausfuhr ist nicht auf dem natürlichen Wege über die Preise, sondern auf dem abnormen Wege über die Devisenkurse herbeigeführt worden, mit dem verhängnisvollen Resultat, daß sich zwischen dem Binnen- und dem Außenwert der Mark ein klaffender Spalt geöffnet hat. And der Grund? Das Reich hat die zur Zahlung der Reparation erforderlichen Beträge zwar beschafft, aber nicht auf dem allein statthaften Wege der Steuer und der Anleihe, sondern auf dem unstatthaften der Notenpresse.
Indem das Reich es unterlassen hat, dem Markt genügend Kaufkraft zu entziehen – es sind nur ganz unzulängliche Beträge Schatzwechsel am Geldmarkt untergebracht worden –, hat es verhindert, daß; die Preise in Deutschland sich auf „Exportfuß“ stellten. Infolgedessen konnte keine Ware abfließen und kein Devisenmaterial herbeigeschafft wenden. So blieb denn dem Reiche nichts anderes übrig, als so phantastische Preise für Devisen zu bieten, daß der Außenwert der Mark um die Hälfte fiel. Dadurch erst trat, auf indirektem Wege, endlich diejenige Verbilligung der deutschen Mare auf dem Weltmarkt ein, die nötig war, um das Ausland zum Kauf zu veranlassen. Diese Verbilligung mußte ganz enorm sein, wenn sie wirken sollte. Denn ein Preisdruck der kein natürliches Marktprodukt ist, sondern durch das scharfe Kunstmittel der Valutakrisis, sozusagen mit Brachialgewalt, herbeigeführt wird, übt auf die Kauflust des Auslandes nur einen sehr geringen Reiz aus, weil das Valutarisiko und andere Risiken den Nutzen des kaufenden Auslandes unter Umständen erheblich schmälern oder gar in Verlust verwandeln. Auf den vom Wechselkurs ausgehenden Preisdruck reagiert die Exportware nur dann, wenn der Preis außerordentlich tief unter die Vergleichspreise des Auslandes sinkt. Das bedeutet aber nicht nur einen unmittelbaren Schaden für das Zahlungspflichtige Land, in unserem Falle also Deutschland, das seine Produkte auf diese Weise halb verschenken muß, sondern erzeugt zugleich eine feindliche Atmosphäre im ganzen Ausland, das die abnorm billigen Preise als „Schleuderei“ und „Dumping“ empfindet und sich dagegen zur Mehr setzt. Daß Deutschland nicht freiwillig schleudert, sondern unter dem Zwange handelt, den eine unrichtige Finanzpolitik auslöst, wird im Auslande naturgemäß noch weniger klar erkannt als im Inlande.
Also auch hier wieder, lieber James, stoßen wir auf den Erzfeind jeder gesunden Wirtschaft, auf die Inflation. Wäre die Menschheit sich auch nur annähernd klar über die verhängnisvollen Wirkungen, welche die Notenpresse selbst auf Gebieten ausübt, die scheinbar gar nichts mit ihr zu tun haben – jeder gewissenhafte Staatsmann würde seine Hand lieber verdorren lassen, ehe er sie zur Inbetriebsetzung solcher Höllenmaschine böte. Und ich selbst… nun ich brauchte Dir dann diesen Brief nicht zu schreiben.
In Liebe
Dein alter Papa.
11. Brief
Valuta und „Dumping“ – Antidumping-Maßnahmen
Berlin, am 1. Oktober 1921.
Es gibt, wie wir gesehen haben, nichts natürlicheres, lieber James, als daß der Geldwert in einem Lande sich in einen Binnenwert und einen hiervon abweichenden Außenwert spaltet, sobald durch andauernden Zetteldruck Menge, Zusammensetzung und Kaufkraft des Geldes immerfort verändert werden. Denn je nachdem die in den neuen Zetteln verkörperte Kaufkraft vorzugsweise im Inlands oder im Auslande geltend gemacht wird, treibt sie entweder das Preisniveau oder die Wechselkurse in die Höhe, stört sie also die Übereinstimmung zwischen dem Binnenwert und dem Außenwert des Landesgeldes.
In politisch und wirtschaftlich ruhigen Zeiten pflegt die neue Kaufkraft sich zuerst im Inlande zu betätigen und hier die Preise zu steigern, so daß das Geld in den Händen der Landeskinder bereits an Wert verliert, wenn es im Auslande noch immer zu seinem bisherigen Wert eingeschätzt und bezahlt wird. Umgekehrt in Zeiten politischer Zerrüttung, allgemeiner Panikstimmung und insbesondere tiefgehenden Mißtrauens in die Wertentwicklung des Landesgeldes. In solchen Zeiten pflegt bei andauernder Inflation die neugeschaffene Kaufkraft sich den ausländischen Kapitalsanlagen und Zahlungsmitteln zuzuwenden und dadurch den Auslandswert des Geldes tief unter seinen Binnenwert zu drücken. Die Warenbewegung korrigiert zwar nach und nach diese Disparität, aber die Korrektur ist schmerzhaft für das Inland und nicht minder für das Ausland. Denn sie wird im Inland als Warenmangel, im Ausland als Schleuderausfuhr, als „Dumping“ empfunden und führt zu Zollkriegen und sonstigen internationalen Verwickelungen.
Da nun gerade jetzt Deutschland solche Zeiten eines einseitig niedrigen Auslandswertes seines Geldes und infolgedessen einer unfreiwilligen Schleuderausfuhr durchwacht, so liegt die Frage nahe, ob beides, nämlich Geldwert-Disparität und Schleuderausfuhr, sich nicht durch geeignete Maßnahmen beseitigen läßt; etwa in der Meise, daß man die Annäherung des noch relativ hohen Binnenwertes des Geldes an -den niedrigeren Außenwert, die ja mit der Zeit ohnehin erfolgt, künstlich beschleunigt. Hilfsmittel zu einer solchen beschleunigten Korrektur stehen zu Gebote. So kann man beispielsweise durch eine allgemeine Lohnerhöhung im Lande eine Steigerung des Preisniveaus, also eine Geldwerkminderung auch im Inlande, erzwingen und dadurch indirekt der Ausfuhr zu übertriebenen billigen Preisen einen Riegel vorschieben. Oder man kann durch Erhebung von Exportabgaben die Landesware für den auswärtigen Bezieher so stark verteuern, daß von einer Schleuderausfuhr nicht mehr die Rede ist.
In der Theorie scheint eine derartige Bekämpfung des als schädlich empfundenen Dumping sehr zweckmäßig zu sein. In der Praxis stellt es sich aber immer wieder heraus, daß eine künstliche Unterdrückung natürlichen Folgen wirtschaftlicher Vorgänge ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das Verderbliche derartiger Bemühungen liegt gerade in diesem Falle klar zu Tage.
Denn sehen wir einmal den Fall, es sei durch eine künstliche Preiserhöhung im Lande oder durch einen hohen Ausfuhrzoll tatsächlich gelungen, die Warenausfuhr erheblich einzuschränken. Die erste Folge, die sich bemerkbar machen würde, wäre ein Minderangebot ausländischer Zahlungsmittel am Devisenmarkt, da das Ausland naturgemäß weniger bezahlt, sobald es weniger kauft. Nun hatten wir aber gesehen, daß am Devisenmarkt eine überaus starke Nachfrage nach ausländischen Zahlungsmitteln herrscht, ja, daß gerade diese Nachfrage, die von der Landesflucht der neugeschaffenen Kaufkraft ausgeht, die eigentliche Ursache des überschnellen Valutaverfalls und damit auch des Dumping ist, das bekämpft werden soll. Diese Nachfrage wird durch die preis- und zollpolitischen Maßnahmen gegen das Dumping in keiner Weise abgeschwächt, sondern eher noch verstärkt. Stehen ihr nun am Devisenmarkt die begehrten Zahlungsmittel infolge des Exportrückganges nur noch in verringertem Umfange gegenüber, so ist es unvermeidlich, daß dieses Mißverhältnis die Wechselkurse auf’s neue erheblich verschlechtert, den Außenwert des Landesgeldes also weiter schwächt. And zwar muß diese Entwertung notwendig anhalten, bis die unterbundene Warenausfuhr aufs neue einsetzt und dem Devisenmarkt das fehlende Quantum ausländischer Zahlungsmittel liefert.
Ergo: Wenn es nicht gelingt, die Quelle zuzuschütten, der die Disparität zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes entspringt, das heißt die Landesflucht der Inflation-geborenen Kaufkraft zu verhindern, so lassen sich auch die Disparität selbst und ihre notwendige Folge, die Schleuderausfuhr, nicht beseitigen. Im Gegenteil: Jeder Versuch, die Schleuderausfuhr künstlich einzudämmen, führt nur eine weitere Verschärfung der Disparität, eine vergrößerte Spannung zwischen Außen- und Binnen-Geldwert, herbei.
Auch das Ausland ist dem Dumping gegenüber machtlos. Seine Einfuhrverbote und Abwehrzölle können wohl ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Industrie vor der Schleuderkonkurrenz schützen, aber nur, indem sie diese auf andere Länder oder andere Industrien ablenken. Sie völlig zu unterbinden ist das Ausland selbst mit den rigorosesten Maßnahmen nicht im Stande. Sobald das im Zeichen der Inflation stehende Land im Auslande Zahlungen leisten will oder muß, kann niemand das Weltzahlungsmittel „Ware“ daran hindern, seinen Zahlungsdienst zu v-errichten, und zwar zu Preisen, die tief unter dem Preisniveau des Weltmarkts liegen.
Wir wollen uns einmal den Verlauf eines ausländischen Kampfes gegen das Dumping vergegenwärtigen. Nehmen wir an, die größten Außenhandelsstaaten wären übereingekommen, die Ausfuhr aus einem Lande mit einseitig niedrigem Außenwert des Geldes und infolgedessen mit Export-Schleuderpreisen durch einen Prohibitivzoll von 300 Prozent, dem Dreifachen des Warenwerts, von sich fernzuhalten. Nehmen wir, um den ungünstigsten Fall zu wählen, ferner an, es sei dem Ausfuhrlande nicht möglich, sich an Stelle der auf diese Weise verriegelten großen Einfuhrländer andere Absatzgebiete zu sichern. Was ist die Folge? Im ersten Stadium natürlich ein vollständiges Stocken der Ausfuhr. Denn so billig die Waren auch sein mögen, ein Zoll-Zuschlag von 300 Prozent, also eine Vervierfachung ihres Preises, macht sie ohne weiteres unverkäuflich; der Zoll wirkt wie ein Boykott.
Infolgedessen beginnen auf dem Devisenmarkt des boykottierten Landes die fremden Zahlungsmittel zu fehlen, und die Nachfrage bei mangelndem Angebot läßt die Wechselkurse scharf ansteigen, sagen wir um 100 Prozent. Die Disparität zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes nimmt dementsprechend zu, aber ohne daß das angebotene Devisenmaterial sich nennenswert erhöhte, denn die ausländische Zollsperre läßt auch in diesem zweiten Stadium noch keine Ware durch, oder bestenfalls nur Ware mit so hohem Liebhaberwert, daß die ausländischen Käufer den Preisaufschlag willig auf sich nehmen.
Die unausbleibliche Folge ist ein fortgesetztes weiteres Steigen der Wechselkurse, eine fortgesetzte Vergrößerung der Spannung zwischen Binnen- und Außenwert des Geldes. Bis schließlich das dritte Stadium erreicht ist, das Stadium nämlich, in dem die Wechselkurse (bezw. die Spannung) denjenigen Punkt erreichen, bei dem der dreihundertprozentige Zoll des Auslandes unwirksam wird, weil nunmehr das Landesgeld für den Ausländer so billig geworden ist, daß er selbst bei Einrechnung des Zolls noch immer erheblich unter Weltmarktpreis kauft. Und jetzt strömt die Ware wieder in das Ausland, als ob der Zoll gar nicht vorhanden wäre.
Mit Gewalt kann also das Ausland nichts gegen das Dumping ausrichten. Statt des angestrebten Zweckes erreicht es lediglich, daß die Valuta des schleudernden Landes völlig ruiniert wird. Und damit wird nicht nur dieses Land, sondern auch das Ausland selbst empfindlich geschädigt, weil in dem Maße, wie der Außenwert des Geldes im „dumpenden“ Lande fällt, jede Einfuhr dorthin erschwert wird. Denn die Auslandsware verteuert sich für dieses Land um genau so viel, wie der Preis der fremden Wechsel steigt, mit denen die Ware bezahlt werden muß. Der Prohibitivzoll erschlägt also nicht die Ausfuhr des Landes, gegen das er sich richtet, sondern ganz im Gegenteil die Ausfuhr des Auslandes – dieses als Ganzes genommen –, das den Zoll verhängt hat.
Wenn wir uns nun, lieber James, um bis an das Ende des Problems zu gehen, die Frage vorlegen, was in dem (praktisch ganz unmöglichen) Falle geschehen würde, daß das gesamte Ausland sich gegen die Einfuhr aus dem Dumpinglande durch radikale Importverbote verschließt, so liegt die Antwort auf der Hand. Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder tritt im Dumpinglande ein derartiger Valutasturz ein, daß die Ausfuhrpreise auf ein Minimum sinken, wodurch im Auslande eine bedeutende Prämie auf die Einfuhr im Schleichwege entsteht, der legitime Handel also durch den Schmuggel abgelöst wird. In diesem Falle erweisen sich die Einfuhrverbote als wirkungslos. Oder aber die Einfuhr wird tatsächlich unterbunden, – eine sehr unwahrscheinliche Voraussetzung, da ja die Ausfuhr sich auch auf abstrakte Rechte, z.B. Kapitalbeteiligungen, sowie Dienste erstreckt –, dann hört die Schleuderausfuhr im Dumpinglande faktisch auf. Aber nicht etwa infolge irgend einer Abänderung der Zahlungsweise, in der das Dumpingland seine freiwillige oder erzwungene Leistung an das Ausland bewirkt) nicht infolge der Ersetzung des Zahlungsmittels „Ware“ durch irgend ein anderes Zahlungsmittel. Sondern einfach dadurch, daß das Dumpingland nunmehr überhaupt nicht mehr zahlt. Da ihm jetzt jede Möglichkeit benommen ist, Ware auszuführen und dadurch das zu Zahlungszwecken benötigte Devisenmaterial entstehen zu lassen, so kann es, so lief seine Valuta auch stürzen mag, keine freunden Zahlungsmittel mehr auftreiben. Trotz des besten Zahlungswillens ist es tatsächlich insolvent. Das Ausland hat sich also, indem es die Schleuderausfuhr erschlug, lediglich selbst um die Zahlungen gebracht, die es sonst erhalten haben würde.
Die praktische Nutzanwendung im Falle der deutschen Reparationen ist, daß das Ausland, solange es auf der Zahlungsleistung besteht, sich auch die entsprechende deutsche Ausfuhr gefallen lassen muß. And so lange Deutschland die Mittel für die Reparation im Inlande durch Notenausgabe beschafft, also Inflation treibt, muß seine Reparationsausfuhr notwendig den Charakter einer Schleuderausfuhr haben.
Heute bietet sich dem vorurteilsfreien Beschauer das närrische Bild, daß alle Länder Zahlungen verlangen, aber gleichzeitig die Ware ablehnen, in der diese Zahlungen allein geleistet werden können. So wenig beherrschen ihre maßgebenden Finanzleute und Volkswirte das ABC der Wirtschaft, und so wenig erkennen sie die zwingende Gewalt der ökonomischen Gesetze, daß sie diese Gesetze durch ihr Diktat und durch Ströme von Tinte ersetzen zu können glauben! Schade, daß wir beide den Tag nicht mehr erleben werden, an dem unsere Urenkel in ein homerisches Gelächter ausbrechen, wenn sie von diesem Aberwitz in ihren Lehrbüchern lesen!
Schluß — ich kann heute keine Tinte mehr sehen!
Dein alter Papa.
12. Brief
Zurück zur Goldwährung? – Zweckmäßigkeit und Möglichkeit der Rückkehr
Berlin, am 5. Oktober 1921.
Alle Länder, lieber James, die heute unter den Geißelhieben des Valutaverfalls seufzen, werden sehr bald vor der bedeutsamen Frage stehen: „Zurück zur Goldwährung oder nicht?“ Und diese Frage wird sich für sie in zwei Unterfragen spalten, nämlich erstens: Ist die Rückkehr ratsam und lohnt sie die hierfür etwa zu bringenden finanziellen Opfer? Und zweitens: Ist, falls diese Frage bejaht werden muß, die Rückkehr denn überhaupt möglich, ohne daß unifassende organisatorische Vorbereitungen und gewaltige wirtschaftliche Umwälzungen vorangegangen sind?
Wie die Antwort auf die Frage nach der Zweckmäßigkeit ausfallen wird, kann keinen Moment zweifelhaft sein. Denn die völlige Zerrüttung des Geldwesens, die überall da eingetreten ist, wo man dem Golde den Rücken gekehrt hat, hat die Überlegenheit der Goldwährung über die Papierwährung, trotz der theoretischen Gleichwertigkeit der letzteren, zum Greifen deutlich werden lassen. Und zwar ist die Überlegenheit der Goldwährung, wie wir aus den vorangegangenen Briefen wissen, eine dreifache.
Zunächst garantiert sie eine gesunde Geldverfassung einfach durch die Tatsache, daß sie da ist. Sie wirkt, wie der Engländer sagt, „in being“. Selbst wenn sie eine hinkende Goldwährung ist, wie sie es vor dem Kriege außer in England in allen sogenannten Goldwährungsländern war – weil überall eine Papierpyramide sich auf der Goldbasis aufbaute –, gewährt sie doch einen wertvollen Schutz gegen alle allzu kühnen Geldexperimente und gegen eine weitgetriebene Inflation. Auch da, wo die ziffernmäßige Übereinstimmung zwischen Geldumlauf und Goldvorrat, welche die Vollgoldwährung charakterisiert, nicht vorhanden ist, sondern nur das ziemlich fragwürdige Prinzip der Dritteldeckung herrscht, seht das Gold der Geldmenge im Lande bestimmte, ziemlich enge Grenzen, so daß eine willkürliche Überflutung des Landes mit Geldzeichen ausgeschlossen ist. Auch übt die Goldwährung überall da, wo sie adoptiert worden ist, eine Art Selbstschutz aus, die es den Regierungen erschwert, nach freiem Belieben mit ihr zu brechen. Sie erzeugt sehr schnell eine Goldtradition, eine Art wohltätigen „Goldfetischismus“ die auch geldwirtschaftlich unerfahrene Regierungen vor Attentaten gegen die Goldwährung zurückschrecken läßt und den Bestand dieses Inflationsschutzes gewährleistet, so lange nicht politische Katastrophen eine Diktatur der Tollkühnheit herbeiführen.
Daneben stehen die wertvollen aktiven Dienste, welche die Goldwährung der Valuta, der Bewertung des Landesgeldes im Auslande, und dadurch den internationalen Verkehrsbeziehungen des Landes leistet. Wo die Goldwährung herrscht, können die Wechselkurse, die den Wert des Landesgeldes in fremder Währung ausdrücken, nur um Bruchteile eines Prozents schwanken, weil bei Erreichung des oberen oder unteren „Goldpunktes“ sofort Gold ausströmt oder einfließt. Dadurch wird der Geldumlauf im Lande in die genaueste Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Zahlungsbilanz gebracht, so daß die Wechselkurse schnell auf ihren Normalstand zurück kehren. Im Inland und Ausland weiß also Jedermann, mit welchem Wert des heimischen Geldes im Verhältnis zum fremden er zu rechnen hat, was dem Außenhandel und dem Kapitalverkehr die Sicherheit gibt, ohne die sie zum Schaden des Landes in Spekulation ausarten.
Der dritte Dienst, den die Goldwährung dem Lande leistet, ergibt sich aus den beiden ersten. Da sie das Geldwesen gegen Inflation schützt und die Valuta auf einem festen Normalstand verankert, macht sie das Land in hohem Grade kreditwürdig. Schon ein geringes Zins-Mehrgebot, das die Banken des Landes abgeben, zieht große Auslandskapitalien herbei, während in einen: Lande mit stark schwankender Währung -selbst ein hoher Mehrzins wirkungslos bleibt, weil das Valutarisiko hier den Zinsnutzen aufzufressen droht. Die Zahlungsbilanz wird also im Goldwährungslande nicht nur durch die Goldein- und Ausfuhr, sondern auch durch den Kredit (und die mit ihm eng verbundene Arbitrage) im Gleichgewicht erhalten. Und es gibt in Friedenszeiten kaum einen Geldbedarf, sei es ein öffentlicher oder privater, den das Ausland nicht bereitwilligst befriedigt, wenn das Kredit-suchende Land die Goldwährung hat.
Die Frage „Zurück zur Goldwährung oder nicht?“ wird daher wohl überall mit einem überzeugten „Ja“ beantwortet werden. Wie steht es aber um die Möglichkeit hierzu in den Ländern, die ihre Währung durch ungeheure Papiermassen um vierzehn Fünfzehntel oder neunundneunzig Hundertstel entwertet haben?
Nun, die Möglichkeit, lieber James, ist überall vorhanden, auch in den durch Inflation am stärksten zerrütteten Ländern, sofern man hier nur zu einer vernünftigen Finanzwirtschaft zurückkehrt. Die Goldwährung ist ein anspruchsloses Gewächs und gedeiht auch auf dürrem Boden, wenn er nur gesund ist. Es ist nichts weiter nötig, als daß die Länder, die Heimweh nach der Goldwährung haben, so wirtschaften, wie man es von jedem sorgsamen Hausvater verlangt, nämlich so, daß die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen. Denn dann braucht man seine Zuflucht nicht zur Notenpresse zu nehmen. Und überall da, wo dies nicht geschieht, stellt sich die Goldwährung beim leisesten Verlangen nach ihr ganz von selbst ein.
Und zwar vollzieht sich dieser Vorgang auf höchst einfache Weise. Sobald in einem Lande die Notenpresse endgültig stillgelegt ist, kommt die Valuta, der Auslandswerk des Landesgeldes, der sich bis dahin unter starken Schwankungen fortgesetzt verschlechtert hat, zum Stehen. Denn wenn die Geldzeichen und die den Geldzeichen innewohnende Kaufkraft keiner willkürlichen Veränderung mehr durch das Auftauchen immer neuer Zettelmassen ausgesetzt sind, befestigen sich die Preise im Lande auf derjenigen Basis, die dem nunmehr stabilen Geldwert entspricht. Die Waren fließen ruhiger aus dem Lande hinaus und in das Land hinein, es bildet sich eine gewisse Niveaugleichheit mit den Weltmarktpreisen, und es kommt zu einer Konsolidierung der Wechselkurse, deren bisher so heftige Pendelschwingungen kleiner und immer kleiner werden. Ganz hören diese Schwingungen allerdings nicht auf, denn noch fehlt es an einem Element, das auf jede noch so kleine Schwingung reagiert und durch seine entsprechende Verlagerung das Pendel zur Ruhe bringt. Aber es wird doch erkennbar, daß die Schwingungen sich um einen bestimmten Mittelpunkt herum vollziehen, und zwar ist das derjenige Punkt, der dem neuen Weltwert des Landesgeldes entspricht.
Diesen Punkt festzustellen, ist Sache der experimentellen Devisenpolitik. Irgend eine Zentralstelle im Lande kauft fremde Wechsel immer dann an, wenn die Wechselkurse unter dem vorausgesetzten Mittelpunkt stehen, und gibt sie wieder fort, wenn die Wechselkurse diesen Punkt überschreiten. Es kann sein, daß das so beschaffene, sehr einfache Verfahren nicht beim ersten Anhieb glückt, daß also beispielsweise die Zentralstelle ihren Wechselvorrat sehr schnell erschöpft sieht, weil die Wechselkurse sich weit häufiger über als unter dem Mittelpunkt, der neuen Goldwert-Parität, befinden. Dann ist das ein Zeichen, daß man diese Parität noch nicht ganz richtig ermittelt hat, und daß sie in Wirklichkeit etwas höher liegt, als vorausgesetzt. Man muß also das Experiment fortsetzen und einen neuen Mittelpunkt suchen, bis man ihn da findet, wo sich Abfluß und Zufluß des Wechselmaterials die Wage halten. Ist dieser Punkt, diese neue Parität, festgestellt, und ist es dann durch fortgesetzte Devisenkäufe gelungen, einen Wechselbestand anzusammeln, den die gelegentlichen Abflüsse nicht mehr erschöpfen können, so hat man – die neue Goldwährung. Denn die Zentralstelle kann dann zu jeder Zeit ihren Bestand an Auslandswechseln in Gold verwandeln, indem sie ihn im Ausland diskontiert oder verkauft und sich den Gegenwert in Gold remittieren läßt.
Allerdings ist dies noch keine „Voll-Goldwährung“, sondern nur eine Goldrandwährung, d.h. eine Währung, die einen Kern aus Papiergeld und einen Rand aus Gold hat, der durch Ab- und Zufluß die Wertäquivalenz des Papiergeldes mit dem neu ermittelten Goldpari gewährleistet. Aber für den Anfang genügt eine solche Goldrandwährunq. Sie erfüllt ihren Zweck, die Wechselkurse stabil zu erhalten, alle Außenbeziehungen des Landes auf die sichere Grundlage eines festen Geldwerts zu stellen und dem Lande seine internationale Kreditwürdigkeit zurückzugeben. Große Länder, wie z.B. die alte Oesterr.-Ungarische Monarchie, sind Jahrzehnte-lang mit einer solchen Goldrandwährung ausgekommen.
Nach und nach kann man dann stufenweise zur Vollgoldwährung übergehen. Die Zentralstelle verstärkt ihren Devisenbestand, bezieht bei Fälligkeit der Wechsel oder auch schon vorher – im Wege des Verkaufs oder Diskonts – die Goldbeträge, auf welche die Wechsel lauten, bis sie sich eines Tages stark genug fühlt, um den Schritt zu tun, den man „Wiederaufnahme der Barzahlungen“ nennt. Die Zentralstelle, die zweckmäßigerweise mit der Zentralnotenbank identisch sein wird, wo eine solche existiert, erklärt sich bereit, jedem Inhaber von Zettelgeld auf Verlangen Gold gegen Noten auszuhändigen. Nach einem allen Erfahrungssatze genügt ein Goldbestand in Höhe eines Drittels des Papierumlaufs, um die Goldeinlösung hinreichend sicherzustellen. Auch in diesem Falle handelt es sich zwar nicht um eine Vollgoldwährung im orthodoxen Sinne, denn diese verlangt, daß jedes Geldzeichen im Lande Stück für Stück durch Gold gedeckt sei. Immerhin ist es die praktischen Anforderungen genügende Normal-Goldwährung, wie Deutschland sie bis zum Kriegsausbruch gehabt hat.
Wie viel Gold gehört nun dazu, um eine solche, auf dem Dritteldeckungs-Prinzip beruhende Goldwährung in Deutschland aufzurichten? Es sind hierüber die abenteuerlichsten Vorstellungen verbreitet. Tatsächlich läßt sich in Deutschland die Goldwährung mir einem Goldbestände aufrichten, der nur unwesentlich größer ist als der Goldbestand, den die Deutsche Reichsbank heute bereits hat. Ein kleines Rechenexempel wird Dir das schnell klarmachen, mein Sohn.
In Deutschland sind bis heute, Anfang Oktober 1921, rund 90 Milliarden Mark Papiergeld in Umlauf gesetzt worden. Davon liegen annähernd 10 Milliarden in Belgien und Frankreich fest, wo man sie nach Kriegsende in Francs umgetauscht hat. Ein weiterer, ganz ungeheuerer Betrag befindet sich in den Händen der Internationalen Spekulation. Man schätzt ihn auf 30 bis 40 Milliarden, doch wollen wir Ihn vorsichtigerweise nur auf 20 Milliarden veranschlagen, zumal in den letzten Wochen große Beträge nach Deutschland zurückgeströmt sind. (Diese Noten wird Deutschland, bevor es zu einer Währungsreform schreitet, gegen Anleihe umzutauschen und endgültig aus dem Verkehr zu ziehen haben). Sonach bleiben noch rund 60 Milliarden, die den eigentlichen Umlauf in Deutschland bilden. Ihnen steht heute ein Goldbestand der Reichsbank in Höhe von mehr als 1 Milliarde gegenüber. Nun betrug der Wert einer Papiermark noch vor wenig Wochen etwa den zwölften oder dreizehnten Teil einer Goldmark. Wie sich aus der allgemeinen Preisbewegung ergibt, ist ihr Wert aber neuerdings stark gesunken, etwa auf den fünfzehnten Teil einer Goldmark: wenigstens ist dies ihr Binnenwert, den wir unter Außerachtlassung des – weit niedrigeren Außenwerts als maßgebend ansehen wollen. Der 1 Milliarde Goldmark im Besitz der Reichsbank stehen also rund 4 Milliarden Goldmark Papiergeld gegenüber. Man kann auch sagen, daß den 60 Milliarden Papiermark im Umlauf rund 15 Milliarden Papiermark in Gold bei der Reichsbank gegenüberstehen. Das eine wie das andere drückt dieselbe Tatsache aus, daß nämlich der deutsche Geldumlauf heute mit etwa 25 Prozent in Gold gedeckt ist, und daß die Reichsbank ihren Goldbestand von 1 Milliarde auf etwa 1 1/3 Milliarde steigern müßte, um eine Dritteldeckung herbeizuführen. Deutschland kann also heute zur Goldwährung zurückkehren und die Barzahlungen wieder aufnehmen, wenn die Reichsbank ihren Goldbestand um Milliarde Goldmark erhöht, und wenn – dieses „wenn“ ist freilich sehr bedeutsam – die Notenpresse sofort stillgelegt wird.
Geschieht letzteres nicht, so ist das nicht etwa gleichbedeutend mit einem notwendigen Scheitern der Rückkehr zum Golde, sondern es hat nur zur Folge, daß die Geldwert-Basis, auf der diese Rückkehr erfolgen kann, sich immer mehr verschlechtert. Man kann dann nicht, wie jetzt, etwa je 15 Papiermark in eine Goldmark verwandeln, sondern es kommt dann zu einer Zusammenlegung von 100 oder 1000 oder noch mehr Papiermark zu einer Goldmark. Die Inflation macht nirgends und in keinem noch so vorgeschrittenen Stadium die Geldreform unmöglich. Sie verschlechtert nur die Sanierungsbedingungen. Selbst Rußland kann binnen eines halben Jahres wieder nach Gold rechnen, wenn es will. Hier wird allerdings der Umtausch von Sowjetrubeln in Goldrubel kaum anders als nach Gewicht erfolgen können: 1 kg Zehnrubelscheine gleich 1 Goldrubel.
Für mich, lieber James, unterliegt es nicht dem mindesten Zweifel, daß alte europäischen Länder, die Anspruch auf die Bezeichnung einer Großmacht oder auch nur einer Mittelmacht erheben, binnen weniger Jahre die Goldwährung wieder einführen werden. Denn Handel und Wandel kehren erst dann wieder in ihre normalen, von Dumping, Wucher und Spekulativität befreiten Bahnen zurück, und der Weltkredit nimmt erst dann in vollem Umfange seine Funktion als Regulator der Zahlungsbilanz wieder auf, wenn die Valuta der Länder ihre alte Wertbeständigkeit zurückgewinnt: und diese kann sich die Valuta auf die Dauer nur dann sichern, wenn der goldene Riegel wieder angebracht ist, der das Geldwesen der Länder vor Willkür und Dilettantismus schützt.
Womit ich die Feder für diesmal aus der Hand lege.
In Liebe
Dein alter Papa.
III. Teil: Die Notenbank
1. Brief.
Begriff und Entstehung – Girobank und Notenbank – Metallquittung – Banknote
Berlin, am 1. Juni 1922.
Hast Du, lieber James, jemals darüber nachgedacht, warum die wirtschaftlichen Einrichtungen der Menschen ein so außerordentliches Beharrungsvermögen haben und die politischen Einrichtungen bei weitem zu überdauern pflegen? Regierungen kommen und gehen, Verwaltungssysteme wechseln, ganze Staatengebilde entstehen und verschwinden wieder, aber die Einrichtungen, die der wirtschaftende Mensch sich geschaffen hat, die bleiben. Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung üben keinen Einfluß auf sie aus; die tiefgreifenden Wirkungen der Völkerkriege und Revolutionen gleiten von ihnen ab wie Wasser von einem ölgetränkten Tuch. Das alte Römerreich ist seit 16 Jahrhunderten tot, aber die gewerblichen Einrichtungen, die es geschaffen hat, die Rechtsbegriffe, die es für den Handelsverkehr geprägt hat, leben noch heute. Wo einst Babylon und Ninive gestanden haben, da weiden setzt die Schafe; aber das komplizierte Bankwesen jener Tage hat sich durch die Jahrtausende erhalten, ebenso wie der Giroverkehr der alten Ägypter und der Getreideterminhandel des biblischen Wirtschaftsdiktators Joseph.
Woher kommt das, mein Sohn? Wie ist es zu erklären, daß die Bolschewisten in Rußland, die politisch das Unterste zu oberst gekehrt und den heiligen Baal „Eigentum“ gestürzt haben, vor den Verkehrseinrichtungen Halt machen mußten? Sie haben zwar Prinzips halber versucht, das Bankwesen, dieses verhaßte Sinnbild des Hochkapitalismus, aus der Privathand in Staatsbesitz zu überführen und bei der Bank der Volksbeauftragten zu zentralisieren. Aber das hatte so verhängnisvolle Folgen für das ganze gewerbliche Leben, daß sie den Versuch bald aufgaben. Sie sind jetzt dabei, das Bankwesen wieder in seine alten Kanäle zurückzuleiten. Und wenn ein paar Jahrzehnte vergangen sein werden, so wird in wirtschaftlicherHinsicht nichts mehr an die größte sozialpolitische Umwälzung erinnern, die jemals in Europa vor sich gegangen ist.
Man muß sich vor der Versuchung hüten, diese Zählebigkeit der Verkehrseinrichtungen auf ihre absolute Unübertrefflichkeit zurückzuführen. Alles, was der Mensch geschaffen hat, ist ein Produkt von Kompromissen, die er hat schließen müssen: Kompromissen zwischen Wollen und Können, zwischen Erkenntnis und Vorurteil, zwischen Neuerungsdrang und trägem Festhalten am Hergebrachten. Deshalb existiert nichts in der Welt, was nicht besser und zweckmäßiger sein könnte. Kein Eisenbahnnetz in Europa ist so vollkommen, daß inan sagen könnte, es seien keine Verbesserungen denkbar; im Gegenteil, gerade die wichtigsten Verbindungen, die Strecken zwischen den Hauptzentren des Verkehrs, sind mangelhaft, weil sie nicht gradlinig, sondern gewunden laufen, was Verluste an Zeit und Kraftaufwand zur Folge hat. Trotzdem müssen die Eisenbahnen bleiben, wie sie sind, weil der Verkehr sich auf sie eingespielt und sich sogar ihren Mängeln derartig angepaßt hat, daß diese Mängel jetzt nicht mehr beseitigt werden können, ohne daß wichtigste Teile der Wirtschaft geschädigt werden. Genau so verhält es sich mit den übrigen Verkehrseinrichtungen. Sie mögen mit noch so viel Unvollkommenheiten behaftet sein – man kann und will sie nicht entbehren, weil sie nicht nur organische Bestandteile der Wirtschaft geworden sind, sondern weil auch erhebliche Interessen, liebgewordene Gewohnheiten und volkstümliche Vorurteile, die geschont sein wollen, an ihnen hasten. Und so halten sich denn wirtschaftliche Einrichtungen durch ihr eigenes Schwergewicht, kraft eines Trägheitsgesetzes, das hier weit wirksamer ist als auf den Gebieten der politisch-nationalen Entwicklung und der Staatsverwaltung.
Auf dieses Trägheitsgesetz, lieber James, müssen wir es zurückführen, daß die Einrichtung der Notenbanken sich in den Ländern, in denen sie einmal besteht, von größerer Dauerhaftigkeit erweist als der Staat, der sie geschaffen hat. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie ist in Trümmer geschlagen. Aber die von ihr errichtete Notenbank existiert noch, und wenn das Stadium der Liquidation, in dem sie sich zur Zeit befindet, beendet sein wird, so werden an ihrer Stelle vier oder fünf neue Notenbanken tätig sein, denn keiner der Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns will auf eine Einrichtung verzichten, an die sich Handel und Wandel in dem betr. Landesgebiet gewöhnt haben. Zum Teil wirkt auch das Vorurteil mit, eine Notenbank gehöre zu einem modernen Staatswesen genau wie ein Münzamt und eine Staatskasse, und ohne Notenbank gehe es einfach nicht. Das ist nun freilich ein Irrtum. Notenbanken sind keineswegs unentbehrlich, und gerade in Ländern, deren Geldwesen auf einer gesunden Grundlage beruht, sind sie überflüssig. Immerhin bieten sie der Wirtschaft solcher Staatswesen, die sich ihrer in kluger Weise zu bedienen verstehen, eine Reihe von Annehmlichkeiten, und diese Tatsache in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Trägheitsgesetz bewirkt, daß sie wie die Stehaufmännchen sich immer wieder aufrichten, wenn ein ökonomischer oder politischer Umsturz sie einmal zu Boden geworfen hat. Daß sie unendlich mehr Schaden als Nutzen stiften, sobald sie unvernünftig geleitet oder gewissenlos in den Dienst bestimmter Interessen gestellt werden, tut dieser Zählebigkeit keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Möglichkeit, dieses wichtige Instrument gelegentlich einmal für besondere Zwecke mißbrauchen zu können, ist nur noch ein Grund mehr für die Regierungen, die Einrichtung der Notenbank beizubehalten. Zumal die meisten nur sehr unklare Vorstellungen davon haben, wo der statthafte Gebrauch aufhört und der unstatthafte beginnt.
Ich bin sehr im Zweifel, ob die meisten der heute existierenden Notenbanken errichtet worden wären, wenn ihre Gründer gewußt hätten, was eine Notenbank darf, und was sie nicht darf. Denn die Aufgaben, die man den Instituten zugedacht hat, als man sie in’s Leben rief, gehen fast überall erheblich über das hinaus, was eine Notenbank leisten kann, ohne Schaden anzurichten. Dabei denke ich noch nicht einmal an diejenigen Zwecke, die man hie und da im Auge gehabt, aber nicht gewagt hat, der Öffentlichkeit zu nennen, also an solche Zwecke, die man besser als „Hintergedanken“ bezeichnet. Ich denke beispielsweise nicht an die besonderen Nebenabsichten, die das Napoleonische Konsulat mit der Bank von Frankreich und das Zarentum mit der Russischen Reichsbank verfolgt haben. In beiden Fällen sprach die Erwägung mit, daß eine zentrale Notenbank im Stande sein würde, Staatsaktionen aller, auch kriegerischer Art zu finanzieren und den Staat so von dem Odium zu befreien, das ihm anhaften würde, wenn er selbst staatliches Papiergeld in Umlauf sehen wollte; ein Gedankengang, den man der Öffentlichkeit gegenüber natürlich niemals zugegeben hat. An solche geheimen Nebenabsichten denke ich, wie gesagt, nicht, wenn ich sage, daß den meisten Notenbanken bei der Gründung Aufgaben zugewiesen worden sind, die sich mit einer gesunden Volkswirtschaft nicht vereinbaren lassen. Ich habe vielmehr nur diejenigen Absichten im Auge, die man als solche bei der Gründung laut verkündet hat, und von denen ihre Verkünder glaubten, daß ihre Verwirklichung einer normal geleiteten Notenbank ohne weiteres und ohne üble Folgen für die Wirtschaft möglich sein würde. Da sich aber die Gründer in diesem Punkte in einem Irrtum befanden, und die Notenbanken einzelne der ihnen zugewiesenen Aufgaben nur per nefas und nur unter Verletzung wichtiger Allgemeininteressen erfüllen können, so muß inan sagen, daß die meisten Notenbanken ihre Existenz einem Mißverständnis verdanken.
Du wirst Dich vielleicht darüber wundern, lieber James, daß ich meinen Versuch, das Wesen und die Wirksamkeit der Notenbanken Deinem Verständnis nahe zu bringen, mit einer Feststellung beginne, die in Dir von vornherein Zweifel an der Existenzberechtigung der Notenbanken wecken muß. Aber wir stehen nun einmal vor der nicht wegzuleugnenden Tatsache, daß fast alle europäischen Notenbanken in den letzten Jahren eine vorwiegend schädliche Tätigkeit ausgeübt haben. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Banken die Währungen ihrer Länder teils ruiniert, teils stark gefährdet, zum mindesten aber der Stetigkeit und Wertbeständigkeit beraubt haben, ohne die es kein Recht und keine Billigkeit gibt; denn ein Land, das mit einem wertveränderlichen Gelds wirtschaftet, gleicht einem Kaufmann, der mit ungeeichten Gewichten von wechselnder Schwere wägt oder mit einem verstellbaren Metermaß mißt. Wir stehen aber außerdem vor der Tatsache, daß diese schädliche Tätigkeit der Notenbanken durchaus keine neuartige Erscheinung ist, die man mit dem Weltkrieg entschuldigen und als einmalige Ausnahme hinnehmen könnte, ohne deshalb das Prinzip als solches zu verwerfen; sondern daß wir es hier mit einer altbekannten Erscheinung zu tun haben, die periodisch immer wiederkehrt, also nicht mit einer akuten, sondern mit einer chronischen Krankheit. Das ist bereits vor mehr als hundert Jahren von einer der wenigen Autoritäten des Geld- und Bankwesens, nämlich von Ricardo, festgestellt worden, der den Lapidarsatz geprägt hat: „Noch niemals hat eine Bank die unbeschränkte Machtbefugnis gehabt, Papiergeld in Umlauf zu setzen, ohne sie zu mißbrauchen.“ Ricardo glaubte, daß nicht sowohl die Funktion der Notenbanken an sich, als vielmehr lediglich die menschliche Schwäche, die Banken zu überanstrengen, wirtschaftsschädlich sei. Er forderte infolgedessen, daß die Machtbefugnisse der Bankleiter in bestimmter Weise eingeschränkt würden, was späterhin bei der Bank von England auch geschehen ist. Ich selbst glaube aber, daß man weit mehr das Prinzip selbst als den Mißbrauch des Prinzips für die Schäden des Notenbankwesens verantwortlich machen muß, weil die Aufgaben, mit denen belastet die Notenbanken in’s Leben treten, zum Teil an sich schon einen wirtschaftlichen Widersinn darstellen und vielfach geradezu die Aufforderung in sich schließen, einen Mißbrauch zu begehen.
Welches sind nun diese Aufgaben? In welcher Absicht und zu welchen Zwecken werden Notenbanken errichtet? Darauf könnte ich kurz antworten: Damit sie kreditbedürftigen Teilen der Volkswirtschaft mit Darlehen aushelfen, zu denen sie sich die nötigen Geldmittel beschaffen, indem sie ihre Noten in Umlauf setzen. Aber diese Antwort würde weder vollständig sein, noch den Gedankengang, der zur Entstehung der Notenbanken geführt hat, richtig wiedergeben. Denn die Idee der Notenbank Ist keineswegs das Resultat eines geradlinigen, streng logischen Denkprozesses. Sie ist dem Kopf der Wirtschaftsreformer nicht eines Tages fix und fertig entsprungen, wie Pallas Athene dem Kopfe des olympischen Zeus. Sondern sie hat eine komplizierte Vorgeschichte und Ist gewissermaßen in Etappen entstanden. Es ist keine Rede von einem vorgefaßten Plan, der an irgend einem historischen Datum von irgend einer historischen Person verwirklicht worden ist, so daß man etwa sagen dürfte: Das Notenbankwesen der neueren Zeit ist entstanden, als im Juli 1694 die Bank von England nach den Ideen des Schotten William Patterson errichtet wurde. Vielmehr sind die Notenbanken das letzte Glied in einer längeren Kette von Einrichtungen, von denen sich immer die eine aus der andern herauskristallisiert hat, so daß wir es hier mit dem Endprodukt einer längeren Entwickelung zu „tun haben. Am Leitseil dieser Entwickelung ist die wirtschaftende Menschheit ganz allmählich, und zwar mehr zufällig als planmäßig, zu der Einrichtung der Notenbanken gelangt. Ich will Dir den Verlauf der Dinge und den logischen Zusammenhang zwischen ihnen kurz schildern.
Dabei müssen wir naturgemäß vom Gelde ausgehen. Du weißte mein Sohn, daß das Geld der unentbehrliche Vermittler jedes Güterverkehrs ist; daß es einen Rechtsanspruch auf Gegenleistung verkörpert, der auf Grund einer Leistung erworben worden ist, und daß es sich so als Zwischenglied zwischen alle Leistungen und Gegenleistungen schiebt. Du weißt ferner, daß das Geld umläuft, wenn seine jeweiligen Besitzer den darin verkörperten Anspruch sofort geltend machen, sodaß es zwischen Käufern und Verkäufern hin- und herwandert; und daß es ruht, wenn seine Besitzer zeitweilig darauf verzichten, den im Gelde verkörperten Anspruch geltend zu machen, weil sie es vorziehen, diesen Anspruch, der eine bestimmte Kaufkraft darstellt, erst an einem künftigen Zeitpunkt zu verwerten. Es gibt stets solche Leute, die ihr Geld „ruhen“ lassen, um für die Zukunft vorzusorgen, ein Verfahren, das man als „Sparen“ zu bezeichnen pflegt. Andrerseits gibt es Leute, die das Geld, das ihnen auf Grund noch zu vollbringender Leistungen erst später zufließen wird, heute bereits zu empfangen wünschen, weil sie glauben, es eben jetzt vorteilhaft verwenden zu können. Es stehen sich also zwei Gruppen gegenüber, von denen die eine in der Gegenwart Geld hat, das sie erst in der Zukunft einmal brauchen wird, und die andere in der Gegenwart Geld braucht, das sie erst in der Zukunft haben wird. Was liegt da näher, als daß die beiden Gruppen einen Tausch vornehmen, indem die eine, sparende Gruppe, der anderen, Geld brauchenden Gruppe ihr müßig liegendes Geld überläßt, unter der Bedingung, daß sie es zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt zurückerhält?
Ein solcher Tausch bewirkt, daß aus dem ruhenden Gelde umlaufendes Geld wird, und die Folge ist eine Bereicherung der ganzen wirtschaftenden Gemeinschaft. Denn die Geld brauchende Gruppe muß nach der vereinbarten Zeit nicht nur das empfangene Geld (Darlehen), sondern in der Regel noch ein gewisses Aufgeld (Zins) zurückzahlen, und um dies zu können, muß sie das Geld, wie man zu sagen pflegt, „arbeiten lassen“. Das heißt, sie muß aus den Gütern, die sie für das empfangene Geld gekauft hat, mit Hilfe von körperlicher oder geistiger Veredelungsarbeit Qualitätsgüter herstellen, für die man ihr einen so hohen Anspruch auf Gegenleistung, will sagen so viel Geld, bewilligt, daß sie nicht nur Darlehen plus Zins zurückzahlen kann, sondern noch einen Überschuß für sich selbst behält. Produktion und Konsum erfahren also durch den geschilderten Tausch, den wir einen „Kreditvorgang“ nennen, eine entsprechende Anregung, und ein Land, in dem dieser Kreditvorgang so zur Volksgewohnheit geworden ist, daß es kaum noch ruhendes, sondern fast nur umlaufendes Geld gibt, muß notwendig zu einer hohen gewerblichen Blüte kommen. Der Zins, der die Kreditnehmer zur produktiven Arbeit zwingt, ist ein strenger Herr, der keinen Müßiggang duldet.
Da nun in den meisten Ländern das, was wir „gewerbliche Blüte“ nennen, als ein erstrebenswerter Zustand angesehen wird – im Gegensatz zu dem buddhistischen Ideal des Nirvana –, so ist man frühzeitig daran gegangen, jenen Kreditvorgang zu organisieren und durch Spezialinstitute zu erleichtern. Schon im klassischen und vorklassischen Altertum hat es zahllose Bankiers und Sparkassen – in Ägypten waren dies die Tempel – gegeben, die ruhendes Geld in umlaufendes Geld verwandelten, indem sie Geldüberfluß und Kreditbedarf ausglichen. Schließlich überzogen diese Bankiers und Kassenstellen die ganze alte Kulturwelt wie mit einem Netz. And da stellte es sich heraus, daß diese Organisation, sich noch zu anderen Zwecken trefflich ausnützen ließe: Man konnte die schwerfällige Geldübertragung von Ort zu Ort vereinfachen, indem man eine Geldsumme bei einem Bankier, etwa in Alexandria, einzahlte, der dann dafür sorgte, daß eine ebenso große Summe bei einem mit ihm in Verbindung stehenden Bankier, etwa in Antiocha oder Ktesiphon, in. gleichem oder gleichwertigem Gelde zur Auszahlung kam. Dadurch wurden die „Kreditbanken“ allgemach zu „Depositen- und Wechselbanken“. Denn die Bequemlichkeit dieser Geldübertragung führte schließlich dahin, daß man sich der Bankiers geradezu als Kassierer bediente, d.h. Zahlungen nur noch durch ihre Vermittelung leistete, und zwar mittels Wechsel, Scheck und Anweisung. Einige, altertümliche Exemplare solcher Anweisungen sind uns heute noch erhalten.
Die Gewohnheit, das Geld zum Bankier zu tragen, hatte aber noch eine Reihe anderer Vorteile. So erwies es sich, daß eine Geldsumme, die beim Bankier deponiert war, sich viel schneller ausnutzen ließ als es der Fall war, wenn sie in der Hand des Eigentümers blieb. Durch Hingabe und Entgegennahme von Anweisungen konnte man dieselbe Summe an einem Tage mehrere Mal die Besitzer wechseln lassen, auch wenn diese in ganz verschiedenen Orten wohnten, sofern nur ihre Bankiers an einem und demselben Zentralplatze eine Vertretung unterhielten. Der Geldumlauf wurde also durch die Kassenführung des Publikums beim Bankier und der Bankiers beim Zentralbankier erheblich beschleunigt, d.h. die Kaufkraft des einzelnen Geldzeichens wurde intensiver ausgenutzt, wodurch die gewerbliche Tätigkeit im denkbar höchsten Grade angeregt wurde. Es stellte sich aber ferner heraus, daß das Publikum bei dieser Zahlungsweise auch gewisse Gefahren vermied, die mit der baren Geldzahlung verbunden waren. So brauchte man, sobald man mittels Anweisung zahlte, nicht mehr bei jeder einzelnen Zahlung ängstlich darauf zu achten, daß die Geldzeichen der Vorschrift entsprachen. Man brauchte nicht zu prüfen, ob sie die richtige Menge Edelmetall enthielten, wenn es sich um Münzen handelte, oder ob sie von einer befugten Stelle ausgegeben waren, wenn Papiergeld in Frage kam. Eine Bankanweisung bedeutete immer eine Garantie für ordnungsmäßiges Geld.
Diese Garantiefunktion der Banken, lieber James, hat dann wieder einen Schritt weiter geführt, und zwar zunächst in solchen Ländern, deren Regierungen eine skrupellose Geldpolitik trieben. Hier sah der Kaufmannsland sich ständig durch die Experimente bedroht, die der Staat mit dem Gelde anstellte, indem er entweder dessen Feingehalt heruntersetzte oder Zettelgel- in beliebigen Mengen ausgab, worunter die Kaufkraft des einzelnen Geldzeichens litt. Der Kaufmann wußte nie, wie viel das Geld, in dem er Zahlung versprach oder erwartete, am Zahltage wert sein würde; insbesondere wurde sein Verkehr mit dem Auslande dadurch sehr erschwert. Da verfiel man auf den Ausweg, sich die Garantiefunktion der Banken nutzbar zu machen. Jeder, der sich gegen die Geldentwertung schützen wollte, hinterlegte bei einer ausdrücklich für diesen Zweck bestimmten Bank eine größere Summe in gutem Gelde oder in Gold oder Silber und leistete dann seine Zahlungen nur noch mit Anweisungen auf die Bank. Da die meisten angesehenen Kaufleute dieses praktische Zahlungssystem adoptierten, also ein Konto bei der Bank unterhielten, so traten an die Stelle der Anweisungen (Schecks) sehr bald „Umschreibungsaufträge“ (Girozettel), das heißt man zahlte, indem man den Betrag von seinem Guthaben abschreiben und dem Konto des Empfängers zuschreiben ließ. Nun mochte der Staat mit seinem Kurantgelde und seinem Zettelgelde anstellen, was er wollte, das „Banko-Geld“ behielt seinen Wert unter allen Umständen und wurde als Spezialwährung der ehrenhaften Kaufleute im In- und Ausland hoch geachtet. So gelangte man von den Kreditbanken und Depositenbanken zu den Girobanken; die berühmtesten hatten ihren Sitz in Venedig, Genua, Amsterdam und Hamburg.
Diese Spezies von Banken, lieber James, verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, weil sie sich von den übrigen Banken, die wir bisher kennen gelernt haben, dadurch unterscheidet, daß sie aktiv in die Gestaltung der Landeswährung eingreift. Durch die Girobanken haben die Länder neben dem offiziellen, staatlichen Gelde ein zweites, privates Geld erhalten, und zwar ein besseres Geld. Es ist sehr interessant, daß überall da, wo der Verkehr sich aus einem Akt der Selbsthilfe heraus ein solches Bankogeld, also ein Privatgeld, geschaffen hat, dieses Privatgeld wertbeständiger, angesehener und international besser verwertbar war als das offizielle Währungsgeld des Staats. Die Wertbeständigkeit des Bankogeldes war dadurch garantiert, daß jeder Kontoinhaber sein Guthaben in Gold bezw. Silber abheben konnte, wenn er wollte. Infolgedessen konnte z.B. der Wert der Bankomark – die wohlgemerkt gar kein Geldzeichen, sondern nur eine abstrakte, von Konto zu Konto buchmäßig übertragbare Rechnungseinheit war – niemals weniger wert sein, als das Edelmetall, für das man sie dem Einreicher gutgeschrieben Halle, und in das sie jederzeit zurückgetauscht werden konnte. Wir haben es hier geradezu mit einem Idealgeld zu tun, weil seine Menge und seine Zirkulationsgeschwindigkeit immer genau so groß sein muhten, wie es den Zwecken des Verkehrs entsprach, der mit seinen Einreichungen und Abhebungen von Edelmetall völlig autonom darüber entschied, in welchem Grade die Wirtschaft mit Bankogeld zu sättigen war.
In diese vorzügliche Geldverfassung wurde aber sofort Bresche gelegt, sobald man dazu überging, einen Teil der Metallbestände der Girobanken auszuleihen, aus den Instituten also eine Mischung von Girobank und Kreditbank zu machen. Denn nun entschied nicht mehr der Verkehr (durch Metallhergabe und -Rücknahme) über die Menge des Bankogeldes, sondern die Kreditpolitik der Bankleiter. Indem dieses Metall im Wege des Darlehns hergaben und bei Rücklieferung desselben Metalls dem Einreicher Banko-Geld gutschrieben, vergrößerten sie die Menge des kontomäßig existierenden Banko-Geldes über die Metalldeckung und damit über den Verkehrswillen hinaus. Und daßelbe taten sie, wenn sie Darlehen nicht in Metall, sondern in Banko-Geld gewährten. Sie begingen damit denselben Fehler der willkürlichen Geldschöpfung, wie ihn bisher der Staat begangen hatte. Da sie sich dabei aber in ziemlich engen Grenzen hielten, blieb das Banko-Geld dem Staatsgelde immerhin noch überlegen, wenn es auch seiner absoluten Wertbeständigkeit verlustig ging.
Einen weiteren Schritt vom Wege bedeutete es, als man bei einzelnen Girobanken die buchmäßige Übertragung aller in Banko-Geld zu bewirkenden Zahlungen für zu schwerfällig und mühsam zu Hallen begann und daher dazu überging, die über die eingelegten Metallmengen ausgestellten Quittungen der Banken zu Zahlungszwecken zu verwenden. Man übergab dem Zahlungsempfänger keinen Girozettel mehr, sondern eine Metallquittung, die einen bestimmten, meist abgerundeten Betrag Banko-Geld darstellte. Aus dem abstrakten Banko-Geld wurde auf diese Weise konkretes Papiergeld. Auch viele Depositenbanken, namentlich in Schottland, pflegten solche Scheine auszustellen, und die Quittungen der englischen Goldschmiede, die im Mittelalter und bis in die neuere Zeit hinein Bankierdienste leisteten, waren vor der Gründung der Bank von England ein außerordentlich beliebtes Geld.
And damit, mein lieber James, sind wir glücklich bei den Notenbanken angekommen. Denn die Schuldurkunden, welche die Girobanken, Depositenbanken und Goldschmiede in Umlauf gesetzt haben, sind im Grunde nichts anderes gewesen als Banknoten, die auf Verlangen einzulösen waren. Indem die Girobanken anstelle des Giroverkehrs oder neben ihm den Zettelverkehr einführten, wurden sie ganz von selbst zu Notenbanken. So sind die ältesten, der heute noch bestehenden Notenbanken, nämlich die Bank von England und die Bank von Schottland, anfangs eine Art Girobank mit dem Recht der Zettelausgabe gewesen. Sie wurden gegründet, weil gegen Ende des 17. Jahrhunderts der Unfug des „Kippens und Wippens“ des silbernen Währungsgeldes in England und Schottland solchen Umfang annahm, daß die Münzen ca. 25 Prozent ihres ursprünglichen Realwertes einbüßten, und Handel und Gewerbe sich nach einer Bank ähnlich der berühmten Amsterdamschen sehnten, um sich gegen Metalleinlage Buchkonten und Noten zu verschaffen, deren Wert durch keine Regierungswillkür geschmälert werden konnte. Daneben knüpften freilich auch andere Wünsche an die Gründung an, und zwar dieselben Wünsche, die sich schon bei den Girobanken durchgesetzt und diese allgemach zu Kreditbanken gemacht hatten: Mit Hilfe ihrer Buchgutschriften und Noten sollten die Banken den Unternehmern Umlaufsmittel, d.h. Kaufkraft, zur Verfügung stellen, sobald die Bevölkerung nicht so viel Kaufkraft hergeben wollte, wie jene zu erhalten wünschten; oder, um bei meiner früheren Ausdrucksweise zu bleiben: sobald die Bevölkerung nicht so viel „ruhendes Geld“ hergab, wie jene in „tätiges Geld“ umwandeln und produktiv verwerten wollten.
So sind denn die Notenbanken gewissermaßen aus zwei verschiedenen Wurzeln hervorgewachsen. Die eine Wurzel reicht tief in die Entwickelungsgeschichte des Bankwesens hinein und läßt die Notenbanken als die organische Weiterbildung der Girobanken erscheinen. Die andere Wurzel hat ihren Ursprung in dem Kreditbegehr des Unternehmertums. Je mehr sich die Bankgeschichte der neueren Zeit nähert, um so mehr verkümmert die erste und erstarkt die zweite Wurzel. Das Verlangen der Gewerbetreibenden, mit Hilfe der Notenbank Kredite zu erlangen, die ihnen die auf sich selbst gestellte Wirtschaft nicht gewähren kann oder will, steht als wichtigster Geburtshelfer an der Wiege der neueren Notenbanken, anerkannt und begünstigt vom Staate, der hier ein bequemes und ungefährliches Hilfsmittel seiner Politik der Gewerbeförderung gefunden zu haben glaubt. Nur wenige Regierungen haben die nötige Verstandesschärfe gehabt, um zu erkennen, daß dieses Hilfsmittel keineswegs harmlos ist, sondern ein äußerst bedenkliches Prinzip, nämlich das Prinzip der willkürlichen Geldschöpfung, verkörpert; und daß überall da, wo man dieses Prinzip grundsätzlich adoptiert hat, die dringende Gefahr des Mißbrauchs besteht, weil es kein verläßliches Kriterium dafür gibt, bis zu welchem Umfang die Notenausgabe zu Kreditzwecken getrieben werden kann, ohne daß die Landeswährung zu Schaden kommt. Wann und zu welchen Zwecken eine Notenbank nützlich ist, und wann sie es nicht ist, darüber bestehen so außerordentlich verschiedene, und zwar überwiegend irrige Ansichten, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn die meisten der bestehenden Notenbanken im Laufe ihrer Wirksamkeit mehr Schaden als Nutzen gestiftet haben. Das hat schließlich dazu geführt, daß selbständig denkende Leute vielfach das ganze Prinzip der Notenbank verwerfen und diese Einrichtung in jeder Gestalt rundweg ablehnen. Du wirst schon aus meinem nächsten Brief ersehen, lieber James, daß ich so weit nicht gehe, die Notenbanken vielmehr unter ganz bestimmten Voraussetzungen und in ganz bestimmten Formen für nützlich halle., Aber so viel steht auch für mich fest: Es ist für ein Staatswesen ungleich besser, gar keine Notenbank zu haben, als eine auf falschen Grundideen aufgebaute.
Womit ich unser Plauderstündchen für diesmal beenden muß.
In Liebe
Dem älter Papa.
2. Brief
Der Aufgabenkreis der Notenbank – Legitime Funktionen – Der Ersparnis-Gedanke und der Nothelfer-Dienst
Berlin, am 5. 3uni 1922.
Wenn ich, mein lieber James, in dem ersten Teil dieses Briefes den Versuch mache, Dir in aller Kürze zu schildern, unter welchen Voraussetzungen eine Notenbank volkswirtschaftlich vorteilhaft wirken kann, so muß ich Dich bitten, bei dieser Schilderung in keinem Moment an. die gegenwärtig existierenden Notenbanken zu denken; denn keine einzige Bank, selbst die Bank von England nicht ausgenommen, entspricht dem Muster einer Notenbank, wie sie beschaffen sein muß, wenn sie dem Lande stets nur Nutzen und niemals Schaden bringen soll. Die Aufgaben, die man einer Notenbank heute stellt, sind in allen Ländern, so beschaffen, daß kein Institut sie erfüllen kann, ohne gegen irgend ein wichtiges wirtschaftliches Gesetz zu verstoßen.
Der Kreis der Aufgaben, die man einer Notenbank übertragen darf, ohne die Gebote der wirtschaftlichen Vernunft zu verletzen, ist eng begrenzt und leicht zu übersehen. Jedes Kind kann auf den ersten Blick erkennen, ob eine bestimmte Aufgabe, die man einer Bank stellt, sich innerhalb des Rahmens der Wirtschaftsgesetze hält oder nicht. Der Prüfstein hierfür besteht in einer einzigen kurzen Frage, welche lautet: „Kann die Bank die betreffende Aufgabe erfüllen, ohne das geringste an der Geldmenge zu ändern, die im Lande vorhanden ist, oder bedingt die Durchführung der Aufgabe eine willkürliche Vermehrung oder Verminderung dieser Geldmenge?“ Lautet die Antwort: „Die Geldmenge bleibt unangetastet“, so kann die Bank die ihr übertragene Funktion getrost ausüben. Lautet die Antwort aber entgegengesetzt, so handelt es sich um eine grundsätzlich und unter normalen Umständen unstatthafte Funktion. Denn die im Lande umlaufende Geldmenge deckt sich bis auf den Pfennig genau mit den Rechtsansprüchen auf Dienste und Güter, die durch vorangegangene Leistungen erworben und im gegebenen Moment noch nicht geltend gemacht worden sind; und die Summe dieser Rechtsansprüche darf durch keinen noch so gutgemeinten Willkürakt einer Bank vergrößert oder verkleinert werden. Warum das nicht geschehen darf, und welche Folgen eintreten, wenn es dennoch geschieht, das habe ich Dir in meinen Briefen über das „Geld“ ausführlich auseinandergesetzt.
So steht es denn ganz außer Frage, daß eine Notenbank durchaus nützlich wirkt, wenn sie die Aufgabe hat, den Geldverkehr im Lande zu regeln und zu erleichtern, ohne quantitativ etwas an ihm zu ändern. Eine Notenbank darf also ohne weiteres Teile des umlaufenden Geldes, wenn dieses aus Gold und Silber besteht, an sich ziehen und durch ihre eigenen Noten ersetzen, die man leichter von Ort zu Ort senden kann als das schwere Metall, und die sich vor allem weit genauer den einzelnen Umsätzen des Verkehrs anpassen lassen. Eine englische 50 Pfund-Note im Gewicht von 2 Gramm ermöglicht denselben Umsatz wie 50 einzelne Gold-Sovereigns, die etwa zwei Fünftel Kilogramm wiegen. Und eine 5 Shilling-Note ist einerseits handlicher und transportfähiger als die entsprechende Menge Silber, Nickel oder Kupfer, andererseits zweckmäßiger, als es eine 5 Shilling-Münze aus Gold sein würde, die nur die Größe eines Fingernagels haben könnte und daher häufig verloren gehen müßte.
Ebenso nützlich wirkt eine Notenbank, die auf Grund der bei ihr deponierten Summen harten Geldes den Einlegern Buchkonten eröffnet und die Zahlungen, die sich diese Einleger untereinander leisten, durch Zu- und Abschreiben von diesen Konten bewerkstelligt. Beschränkt ein Institut seine Tätigkeit auf diese Umschreibungen (Giro-Funktion), so ist es allerdings keine Notenbank, sondern eine Girobank. Zur Notenbank wird es erst, wenn es diese Funktion mit der Notenausgabe kombiniert, also je nach Wunsch Zahlung durch Umschreibung oder durch Aushändigung von Noten leistet: im ersten Fall bewirkt das Institut die Kassenführung für seine Einleger ganz allein, im zweiten überläßt es diese Arbeit denen, die sich ihrer Noten bedienen wollen.
Überaus nützlich wirkt eine Notenbank ferner, wenn sie die bei ihr bar hinterlegten Geldsummen dazu benutzt, um darlehensbedürftigen Geschäftsleuten Kredite einzuräumen. Hier nützt sie freilich weniger kraft ihres Notenprivilegs als Kraft ihrer Eigenschaft als Kreditinstitut, also nicht als Notenbank, sondern als Bank schlechthin. Ihr Recht, Noten auszugeben, wirkt hier aber insofern mit, als dieses Recht eine gewisse Solidität der Geschäftsführung und meist auch eine staatliche Kontrolle, mithin eine Vertrauenswürdigkeit verbürgt, die man bei einer anderen Bank nicht ohne weiteres voraussetzen darf; was die Depositen reichlicher einfließen läßt und eine ausgiebigere Kreditmöglichkeit schafft, als es sonst der Fall wäre, so daß es mittelbar doch wieder der besondere Charakter als Notenbank ist, der es dem Institut gestattet, einen ausgiebigen Kredit zu gewähren, d.h. „ruhendes“ Geld in „tätiges Geld“ umzuwandeln.
In allen diesen Fällen kann der Nutzen einer Notenbank nicht gut bestritten werden. In anderen Fällen läßt sich ein Nutzen zwar gleichfalls konstatieren, aber nicht unbedingt, sondern nur unter gewissen Voraussetzungen und mit mancherlei Vorbehalten. Ich denke hierbei vor allem an den vielgenannten Vorteil der nationalen Ersparnis, erzielt durch die Verwendung eines Metall-Ersatzes als Umlaufsmittel, sowie an den Nothelfer-Dienst, den das papierene Bankgeld in Zeiten der höchsten Bedrängnis einem Volke leisten kann.
Ich nehme an, lieber James, daß Du Deinen Adam Smith kennst, und insbesondere dasjenige Kapitel seines „Wealth of nations“, in dem er sich mit der Geschichte der Bank von England beschäftigt. Hier findet sich das berühmt gewordene Gleichnis, das die Ersetzung des Metallgeldes durch die Banknote als ebenso nützlich für ein Volk bezeichnet, wie die Ersetzung der Landstraßen und Ackerwege mittels eines „Fahrweges durch die Lust“. Wenn es möglich wäre, meint Smith, jeglichen Transport in den Lüsten statt auf den üblichen Beförderungswegen zu bewerkstelligen, so könnten alle Straßen, die heute für den Verkehr reserviert sind, und die einen großen Teil des anbaufähigen Bodens der landwirtschaftlichen Bestellung entziehen, als Korn- und Weideland ausgenutzt werden, wodurch das Land um viele Quadratkilometer Nutzfläche bereichert werden würde. Eine ganz ähnliche Bereicherung stelle .es für ein Land dar, wenn ein Teil des Metallgeldes, das als „totes Vermögen“ im Verkehr gebunden ist, durch Papier erseht und auf diese Meise freigegeben wird, so daß es nunmehr „Nutzvermögen“ darstellt und gegen beliebige Güter ausgetauscht werden kann.
Smith selbst macht aber hierbei sofort die Einschränkung, daß ein „von den Dädalusflügeln des Papiergeldes“ getragener Verkehr immerhin nicht die sichere Grundlage habe wie ein auf dem festen Boden von Gold und Silber ruhender Verkehr. And diese Einschränkung ist in der Tat am Platze. Denn wenn es auch an sich ganz gleichgültig ist, ob sich der Zahlungsverkehr eines Landes des Hartgeldes oder des Papiergeldes bedient, – bezw. ob, in anderer Terminologie, metallistisch oder nominalistisch gewirtschaftet wird –, so besteht doch das schwere Bedenken, daß der Papierwirtschaft die natürliche Elastizität fehlt, die der Metallwirtschaft innewohnt. Bei dieser erhält das automatische Ab- und Zufließen von Metall die Geldmenge immer in genauer Übereinstimmung mit dem Verkehrsbedarf; es werden also unliebsame Schwankungen der Kaufkraft des Geldes verhindert. Theoretisch ist es zwar durchaus möglich, diese natürliche Elastizität durch eine geschickte Währungspolitik, d.h. durch abwechselnde Vermehrung oder Verminderung der papierenen Geldmenge, und somit durch eine künstliche Elastizität zu ersetzen. Aber die Praxis hat gezeigt, daß eine solche Währungspolitik fast immer an der Unzulänglichkeit der menschlichen Einsicht oder an der Schwäche der Währungspolitiker gegenüber den egoistischen Wünschen maßgebender Wirtschaftskreise Schiffbruch leidet.
Noch bedenklicher steht es um den sog. „Nothelferdienst“ der Banknote. Diesen Dienst kann die Banknote deshalb leisten, weil sie im Gegensatz zum Metallgeld jederzeit und in jedem beliebigen Umfange vermehrbar ist. Die beliebige Vermehrbarkeit der Banknote – wie jeder Art von Papiergeld – bildet ihre Schwäche und zugleich ihre Stärke. Ihre Schwäche insofern, als jede willkürliche Vermehrung des Landesgeldes den Geldwert verändert, alle in Geld ausgedrückten Rechte und Pflichten fälscht und die Grundlagen jeglichen Verkehrs schwer erschüttert. Ihre Stärke andererseits besteht darin, daß sie dank ihrer schnellen Vermehrbarkeit dem Staate über momentane Schicksalskrisen hinweghelfen kann. Jeder Staat macht Tage durch, in denen seine Existenz von der sofortigen Geldbeschaffung abhängt) das ist insbesondere beim plötzlichen Ausbruch eines Krieges der Fall. Dann heißt es: Not kennt kein Gebot. Der Umstand, daß eine willkürliche Geldvermehrung durch Ausgabe großer Notenmengen eine Erschütterung aller Rechtsgrundlagen bedeutet, die Bevölkerung einer Art schärfsten Steuerzwanges unterwirft und weite Kreise zu Gunsten des Staats geradezu enteignet, wiegt dann nicht so schwer wie der Vorteil, daß der Staat über die momentane Krisis hinwegkommt. Es ist besser, daß der Staat am Leben bleibt, sei es auch mit Hilfe eines Rechtsbruches, – den er unter Umständen nach Überwindung der Krisis heilen kann –, als daß er unter strenger Beobachtung des Rechts zu Grunde geht.
Dieser Gedankengang, lieber James, führt naturgemäß dazu, daß auch solche Leute, die von der Banknote als einem zu gefährlichen Ersatz des Metallgeldes im Grunde nichts wissen wollen, sich mit ihr als einem Helfer in der Not abfinden. Und es wäre in der Tat gar nicht so übel, wenn man die Geldwirtschaft auf die Formel festlegen könnte: Grundsätzlich Metallgeld, im Fall der höchsten Not ein Zusatz von Papiergeld. Aber unglücklicherweise ist diese Formel nicht brauchbar. Denn eine Bevölkerung, die sich daran gewöhnt hat, ausschließlich mit metallischem Gelde zu zahlen, weigert sich entschieden, das ihr fremde Papiergeld als ebenbürtiges Zahlungsmittel zu betrachten und zu verwenden, wenn man es ihr in den Tagen einer Katastrophe aufdrängen will. Im siebenjährigen Kriege hat Friedrich der Große von Preußen wiederholt den Plan erwogen, die umlaufenden Taler, Gulden und Dukaten durch Papier zu ersetzen. Aber die an Hartgeld gewöhnte Bevölkerung würde die ihr völlig ungewohnten Noten mit stärkstem Mißtrauen betrachtet und aus ihrer Ausgabe auf einen unglücklichen Kriegsausgang geschlossen haben. Der König mußte daher wohl oder übel beim Hartgeld bleiben; daß er dieses Geld beträchtlich verschlechterte, störte die Bevölkerung nicht, (obwohl sachlich kein Unterschied zwischen einer Geldentwertung durch Münzverschlechterung und einer solchen durch Notendruck besteht), denn das Hartgeld war ihr auch in der neuen, schlechten Qualität ein bekanntes Zahlungsmittel. Deshalb muß ein Staat, der die Banknoten als einen unentbehrlichen Faktor der Kriegs- und Krisenbereitschaft betrachtet, die Bevölkerung von langer Hand an die Banknoten gewöhnen. Ein Volk, das den Gebrauch der Banknote kennt, macht keinen Unterschied zwischen der normalen gedeckten Note, die ein Metall-Zertifikat ist, und der ungedeckten Note der Krisenzeit, die Zettelgeld ist.
Wir könnten also die Notenbank auch unter diesem Gesichtspunkt als eine nützliche Einrichtung betrachten, wenn sich uns nicht ein wichtiges Bedenken aufdrängen würde. Das ist die Gefahr des Mißbrauchs. Es ist dringend zu fürchten, daß ein Staat, der den willkürlichen Notendruck als ein erlaubtes politisches Hilfsmittel betrachtet, sich dieses Mittels nicht nur im Falle der äußersten Lebensgefahr, sondern auch schon bei minder wichtigen Anlässen bedienen wird; und daß er, nachdem er es einmal angewandt hat, nicht mit der gebotenen Energie und Schnelligkeit zu den statthaften und unschädlichen Mitteln der Geldbeschaffung zurückkehren wird. Die Notenausgabe ist, sobald sie einem Obrigkeitswillen oder einer Zweckpolitik und nicht dem Willen des autonomen Verkehrs entspringt, ein heimtückisches Gift. Und wenn man dieses Gift auch – genau wie die Erzübel Krieg, Zwangswirtschast, Staatsumwälzung usw. – in einem Moment in Kauf nimmt, wo das Vaterland auf andere Weise schlechterdings nicht zu retten ist, so muß man doch seine sofortige Wiederausmerzung aus dem Volkskörper fordern, sobald jener Moment vorüber ist. Da aber die Notenausgabe für den, der sich ihrer bedient, gewissermaßen ein „Tischlein deck dich“ ist, ein verlockend bequemer Ersatz für staatsmännisches Können und finanzpolitische Fähigkeiten, so gehören zum Verzicht auf dieses tückische Gift ein streng redlicher Sinn, ein starker Arm und hohe wirtschaftliche Einsicht, d.h. Dinge, über die ein Staat nur selten zur gleichen Zeit verfügt.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen: Die Tätigkeit einer Notenbank ist nützlich und in keiner Hinsicht bedenklich, wenn sie zum Zweck hat, dem schwerfälligen Metall ein leichter zu handhabendes Zahlungsmittel zu substituieren, seien dies nun Noten, die an Stelle des bei ihr deponierten Metallgeldes zirkulieren, seien es Giro-Umschreibungen, die auf Grund dieses Metalldepots vorgenommen werden. Uneingeschränkt nützlich wirkt die Notenbank ferner, wenn sie bar hinterlegte Geldsummen, sei es in natura, sei es in Form vollgedeckter Noten oder Gutschriften, zur Kreditgewährung benutzt, wobei natürlich vorausgesetzt werden muß, daß sie die Grundregeln des bankmäßigen Kreditverkehrs genau so streng beobachtet, wie eine Bank ohne Notenprivileg. Solange also eine Notenbank sich auf die Funktionen der Geldverteilung, der Kassenführung und der Kreditgewährung (im Sinne der Nutzbarmachung verfügbarer Geldbestände) beschränkt, fördert sie die Wirtschaft, ohne schädliche Nebenwirkungen auszulösen.
Nur bedingungsweise nützlich ist eine Notenbank, wenn sie im Dienste des Ersparnis-Gedankens steht, also Metallgeld zunächst durch Noten ersetzt, dann aber das Metall nicht als Deckung aufbewahrt, sondern wirtschaftlich nutzbar macht; etwa indem sie das Metall ins Ausland sendet und den Gegenwert dem Staat überläßt, der nunmehr im Besitz von Auslandsguthaben ist, ohne daß irgendwer im Lande auf einen Pfennig Kaufkraft verzichtet hätte. Die Nation als Ganzes hat in diesem Falle eine Bereicherung – in Höhe der neuen Auslandsguthaben – dadurch erfahren, daß sie sich statt des Metalls eines minder kostbaren Zahlungsmittels bedient. Das ist statthaft und unschädlich, solange die Leitung der Notenbank imstande ist, den Geldumlauf im Lande auf genau derjenigen Höhe zu erhalten, auf der er sein würde, wenn noch immer das Metall umliefe. Die Gefahr aber, daß diese Voraussetzung verletzt wird, und daß eine unfähige, leichtfertige oder von außenstehenden Instanzen mißbrauchte Notenbank mehr oder weniger Geld im Umlauf beläßt, als der Verkehr im Lande halten würde, wenn er sich selbst überlassen wäre, diese Gefahr ist so groß, daß ich für meine Person eine ständige Bedrohung des nationalen Geldwesens in einer solchen Notenbank erblicken würde. Immerhin läßt sich die grundsätzliche Möglichkeit einer Metall-ersparenden und dennoch unschädlichen Notenbank nicht in Abrede stellen, und es gibt sogar Situationen, in denen faute de mieux eine derartige Bank, zum mindesten vorübergehend, willkommen geheißen werden muß.
Schließlich kann eine Notenbank noch unter dem besonderen Gesichtspunkt der Krisenreserve als nützlich angesehen werden. Aber hier sind die allerstärksten Vorbehalte am Platz, und ich mache Dich mit größtem Nachdruck darauf aufmerksam, lieber James, daß es sich in diesem Falle um eine rein politischeNützlichkeit handelt, die unter Umständen mit den ernstesten wirtschaftlichen Gefahren erkauft wird. Jeder Staat sollte Zusehen, daß er sich Krisenreserven anderer, wenn auch kostspieligerer Art schafft, etwa in Gestalt besonderer Metallvorräte, die nur in Zeiten stärkster Bedrängnis angetastet werden dürfen. Es ist besser, auf das Ersparnis-Prinzip zu verzichten und den Vorwurf einer gewissen Verschwendung auf sich zu nehmen, als die Gefahr heraufzubeschwören, daß die systematische Gewöhnung der Bevölkerung an die Banknote eines Tages zu gewissenloser Überschwemmung des Verkehrs mit Zettelgeld führt. Denn die Krisenreserve besteht ja darin, das Volk mit der Note vertraut zu machen in der vorgefaßten Absicht, diese Vertrautheit im Notfälle zu mißbrauchen. Deshalb erblicke ich in der Notenbank eine herzlich, schlechte Krisenreserve. Aber ich gebe zu, daß eine schlechte Reserve immer noch besser ist als gar keine, und daß daher ein Staat, dem unglücklicherweise kein Solon eine für alle Wechselfälle geeignete Finanzverfassung geschenkt hat, eine Notenbank als Krisenreserve nicht entbehren kann.
Du siehst, mein Sohn, welche Kompromisse man unter Umständen schließen muß. Aber -dann muß man um so peinlicher auf das Grundsätzliche achten, damit man niemals notgeborene Kompromisse mit wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten verwechselt.
In Liebe
Dein alter Vater.
3. Brief
Die „Elastizität“ der Währung – Der Warenwechsel als Inder – Ein falsches Prinzip
Berlin, am 9. Juni 1922
Wir haben gesehen, lieber James, daß es eine Reihe von Aufgaben gibt, die eine Notenbank zum Vorteil der Wirtschaft erfüllen kann, ohne daß dieser Vorteil von Nachteilen begleitet ist oder bedenkliche Möglichkeiten schafft; und daß es andere Aufgaben gibt, die das Bestehen einer Notenbank zwar rechtfertigen, die aber mit gewissen Gefahren verknüpft sind und ein hohes Maß von Verantwortung in die Hand der Bankenleiter und der überwachenden Staatsmänner legen. Alle diese Aufgaben, die harmlosen wie die bedenklicheren, haben das eine gemeinsam, daß sie klar Umrissen sind und keinen Anlaß zu Mißverständnissen geben. Jedermann weiß, was es bedeutet, wenn eine Notenbank den Zweck hat, den Zahlungsverkehr zu erleichtern, Kassendienste zu verrichten, verfügbare Gelder im Wege des Kredits nutzbar zu machen, Gold und Silber zu ersparen oder als Krisenreserve zu dienen.
Daneben weist man den Notenbanken aber auch Aufgaben zu, die nicht klar und eindeutig sind, bei denen sich vielmehr der Eine dieses, der Andere jenes denkt, und über deren Durchführung daher die größten Meinungsverschiedenheiten herrschen. Es kommt sogar vor, daß man an die Notenbanken Anforderungen stellt, die grundfalschen volkswirtschaftlichen Anschauungen entspringen, und deren Erfüllung infolgedessen von vornherein eine logische Unmöglichkeit bildet. Mit der wichtigsten unbekanntesten dieser Anschauungen, die lediglich einem groben Mißverständnis entspringen und schuld daran sind, daß das Notenbankwesen gerade bei. den scharfsinnigsten Volkswirten um seinen ganzen Kredit zu kommen droht, werden wir uns sehr eingehend beschäftigen müssen, lieber James. Denn möglicherweise bist Du selbst in dieser Anschauung befangen. Sie ist überaus weitverbreitet und umschreibt die Aufgabe der Notenbanken dahin, daß sie das Landesgeld elastisch zu machen, d.h. es dem wechselnden Bedarf der Wirtschaft mengenmäßig anzupassen hätten.
Wer den Notenbanken diese Zweckbestimmung zumeist, der geht von der Vorstellung aus, die Edelmetallmenge, über welche die einzelnen Länder verfügen, sei weder groß genug, um die berechtigte Nachfrage nach Geld zu decken, noch sei sie so dehnbar, wie es der veränderliche Umfang der Produktion erfordert. Da seien die Noten der Zettelbanken eine willkommene Ergänzung. Mit ihrer Hilfe könne man die kurze Gold- und Silberdecke der Wirtschaft verlängern und den Geldumlauf trefflich auf das jeweilige Bedürfnis zuschneiden, indem man die Menge der ausgegebenen Noten bei wachsender Nachfrage vergrößert und bei abnehmender Nachfrage wieder verkleinert. Wie die menschliche Brust sich der wechselnden Atemstärke entsprechend hebt- und senkt, so hebt und senkt sich nach dieser Auffassung auch der durch Papier ergänzte Geldumlauf im Lande entsprechend jedem Atemzuge des Wirtschaftskörpers.
Das klingt so bestechend, lieber James, daß die meisten Volkswirte es glattweg für eine Selbstverständlichkeit halten, und daß die Leiter fast sämtlicher Notenbanken die Hauptaufgabe ihrer Institute darin erblicken, die Wirtschaft jeweils mit derjenigen Menge an Zahlungsmitteln zu versehen, die dem Wechsel der Verkehrsintensität entspricht. Sie leben und weben in der Vorstellung, daß zwischen der Hartgeldmenge in einem Lande und dem natürlichen Bedarf an Zahlungsmitteln ein ganz unvermeidlicher Zwiespalt bestehe, und zwar deshalb, weil die Hartgeldmenge einen festbestimmten, der Geldbedarf dagegen einen veränderlichen Umfang habe, somit ein elastischer Anspruch einem starren Vorrat gegenüberstehe. Wir können uns diese Vorstellung sehr gut zahlenmäßig vergegenwärtigen: Der Umlauf an Hartgeld beträgt in einem beliebigen Lande ein für alle Mal 1 Milliarde, der Bedarf der Wirtschaft dagegen beträgt in normalen Zeiten nur 3/4 Milliarde, steigt periodisch auf 1 1/2 Milliarden und in kritischen Tagen auf 2 Milliarden. Es läuft also einmal 1/4 Milliarde zu viel und ein ander Mal 1/2 oder eine ganze Milliarde zu wenig Geld im Lande um. Dieser Zwiespalt zwischen Vorrat und Bedarf und die Störungen, die sich aus ihm naturgemäß ergeben, lassen sich auf die einfachste Weise beseitigen, wenn eine Notenbank besteht, die in ruhigen Zeiten die überschüssige 1/4 Milliarde Hartgeld aufsaugt und in bewegten Zeiten die fehlende halbe oder ganze Milliarde in Gestalt von Banknoten in die Wirtschaft pumpt. Das ist die Funktion, die den meisten Notenbankleitern den Hauptinhalt ihrer Tätigkeit zu bilden scheint, und die ihnen unendlich wichtiger, nützlicher und verantwortungsvoller dünkt als Kassendienst, Zahlungsvermittlung, Metallersparung usw.
Die herrschende Auffassung geht also dahin, daß die Notenbank der Wirtschaft ungefähr so gegenüberstehe wie der Arzt dem Patienten: Sie habe wie dieser zwei Hauptpflichten, nämlich erstens die Diagnose zu stellen, der Wirtschaft sozusagen den Puls zu fühlen, und zweitens auf Grund dieser Diagnose zur Therapie zu schreiten, also bald Blutüberfluß, bald Blutmangel zu beseitigen. Sonach sei auch die Verantwortlichkeit der Bank eine doppelte. Es hänge alles davon ab, daß sie richtig beobachte, den Zustand der Wirtschaft zutreffend erkenne, und daß sie alsdann in der gebotenem Weise aktiv eingreife, der Wirtschaft also gerade dasjenige Quantum Umlaufsmittel zuführe, dessen sie bedürfe, um normal zu funktionieren. Jedes Zuviel oder Zuwenig werde verhängnisvoll für das ganze Land und zeige an, daß entweder falsch beobachtet oder falsch behandelt worden sei.
Von dieser Grundanschauung ausgehend behandeln die Notenbanken den ihnen anvertrauten Wirtschaftskörper nach bestimmten, von Theorie und Praxis als zweckmäßig anerkannten Methoden. Es haben sich hier, ganz wie in der ärztlichen Wissenschaft, feste Regeln herausgebildet, und insbesondere die Symptome, aus denen ein Mehr- oder Minderbedarf an Zahlungsmitteln herauszulesen ist, sind für fast alle Notenbanken dieselben. Was das Fieberthermometer für den Arzt, das ist für sie das Steigen oder Fallen der Menge guter Handelswechsel. Der Wechselumlauf, so argumentiert man fast allgemein, zeige mit unübertrefflicher Deutlichkeit an, wie groß das jeweilige Geldbedürfnis des Wirtschaftslebens sei, und eine gut geleitete Notenbank, d.h. eine Bank, die den soliden Handelswechsel vom minder soliden Finanzwechsel und vom schwindelhaften Reitwechsel zu unterscheiden wisse, habe daher gar nichts anderes zu tun, als dafür zu sorgen, daß ihr Notenumlauf sich dem so dokumentierten Geldbedürfnis automatisch anpasse. Das sei am besten durch eine konsequente Diskontpolitik zu erreichen. Nehme der Wechselumlauf im Lande derartig zu, daß die Wirtschaft, repräsentiert durch die Handelsbanken, ihn mit den vorhandenen Geldmitteln nicht mehr aufnehmen könne, so sei das ein Signal, daß weitere Geldmittel erforderlich seien; die Notenbank habe dann den vom Verkehr nicht aufgenommenen Teil der Wechsel selbst anzukaufen bezw. zu diskontieren und mit ihren Noten zu bezahlen, die dadurch in den Verkehr flössen und hier die erwünschte Erweiterung des Geldumlaufs herbeiführten. Nehme dagegen der Wechselumlauf ab, das heißt, bleibe die Summe der bei der Bank zum Diskont eingereichten Wechsel hinter der Summe der fällig werdenden Wechsel aus der vorhergehenden Periode zurück, so sei umgekehrt zu verfahren: Die Bank habe dann die Noten, mit denen die fällig werdenden Wechsel bezahlt würden, und die zum Diskont neuer Wechsel nicht erforderlich seien, einzuziehen und nicht wieder auszugeben, wodurch der Geldumlauf sich der verringerten Handelstätigkeit entsprechend reduziere.
Diese Elastizitätstheorie, lieber James, ist grundfalsch. Allerdings nicht in ihrer Voraussetzung: Daß das Geldwesen elastisch sein und sich dem Umfang der gewerblichen Tätigkeit anpassen muß, ist richtig, und daher kommt es, daß jene Theorie so bestechend klingt. Ader sie baut auf der richtigen Voraussetzung eine grundverkehrte Folgerung auf. Gerade weil das Geldwesen elastisch sein soll, darf man ihm, soweit es aus Metall besteht, kein nach Belieben dehnbares Anhängsel aus Papier geben, sondern muß es so lassen, wie es ist, weil es an sich schon den denkbar höchsten Grad von Elastizität besitzt, und zwar eine Elastizität zweifacher Art. Wenn Du, wie ich hoffe, den Inhalt meiner früheren Briefe in Dich ausgenommen hast, so weißt Du, daß der Verkehr sich das Geld, dessen er zur Bewältigung seiner Umsätze bedarf, selbst erzeugt, und zwar entweder auf zirkulatorischem oder auf quantitativem Wege. Im ersteren Falle bringt er, wenn der bisherige Geldumlauf nicht im richtigen Verhältnis zum Verkehrsumfang steht, die vorhandene Geldmenge in schnellere Zirkulation, indem er Geld, das sich im Zustande der Ruhe befindet, in arbeitendes Geld verwandelt. Den äußeren Anlaß zu dieser Umwandlung liefert der Preis, der es den produzierenden Volkskreisen nützlicher erscheinen läßt, Geld zum Ankauf von Rohstoffen, Hilfsmaterial und Arbeitskraft zu verwenden, als es unfruchtbar im Geldschrank liegen zu lassen. Und den wirksamsten Anreiz zu der Umwandlung bietet der Zins, der die Prämie dafür ist, daß jemand sein tot im Kasten liegendes Geld, dessen Kaufkraft er selbst nicht ausüben will oder kann, anderen Leuten überläßt, die unter dem Anreiz des Preises zu verstärkter Produktion schreiten wollen. So verschafft sich eine lebhafte Erwerbstätigkeit das erforderliche Geld dadurch, daß sie die Gesamtheit des Landesgeldes in schnellere Bewegung versetzt) wie ein Wagenführer die Geschwindigkeit erhöht, indem er die Räder des Wagens schneller rotieren läßt. Daneben paßt der Verkehr das Landesgeld aber auch auf einem zweiten, quantitativen Wege seinem Umfange an, indem er bald Geld in das Land zieht, bald solches in das Ausland abstößt. Auch hierbei wirken Preis und Zins als Regulatoren. Ein verhältnismäßig hoher Preis, der anzeigt, daß die Nachfrage größer als das Angebot, mithin die gewerbliche Tätigkeit zu klein im Verhältnis zur Kaufkraft ist, zieht Auslandsware in’s Land, macht so die Zahlungsbilanz stärker passiv, als sie es sonst wäre, und läßt zur Abdeckung Geld in das Ausland fließen, wodurch die Kaufkraft im Lande sich verringert und die Preise entsprechend sinken. Und nach der gleichen Richtung wirkt ein niedriger Zins, der ebenfalls anzeigt, daß mehr Kaufkraft vorhanden ist und sich zu Produktionszwecken (als Leih- oder Beteiligungskapital) anbietet, als die Poren der Erwerbswirtschaft aufzusaugen vermögen) auch hier wird die Zahlungsbilanz passiv – diesmal infolge der Neigung des Kapitals, nach Ländern mit höherem Zins abzuwandern –, so daß Metallgeld aus dem Lande fließt. Und nach der umgekehrten Richtung, d.h. der quantitativen Verstärkung des Geldumlaufs durch Einfuhr von Metallgeld, wirken Zins und Preis, sobald ihr Stand anzeigt, daß die Kaufkraft verhältnismäßig geringer ist, als es dem Intensitätsgrade der Produktion entspricht. Denn gerade darin, mein Sohn, besteht die Überlegenheit einer metallischen Währung über eine nicht metallische, daß sie das Landesgeld nicht nur zirkulatorisch, durch Regelung seiner Umlaufsgeschwindigkeit, sondern auch quantitativ, durch Vermehrung oder Verminderung der Geldmenge, somit von zwei Seiten her, in Übereinstimmung mit dem Bedarf der Wirtschaft bringt, und zwar völlig automatisch, so daß für den menschlichen Irrtum und die menschliche Willkür hier kein Platz ist.
Halte das ja recht fest, lieber James: Ein metallisches Geldwesen ist in sich so elastisch, wie man es nur verlangen kann, und bedarf keiner Elastizitätssteigerung von außen. Die beiden Elementarfaktoren der Wirtschaft „Zins“ und „Preis“ sorgen dafür, daß niemals mehr oder weniger Geld im Lande umläuft, als es dem wirtschaftlichen Bedürfnis entspricht, und alles, was der Mensch hier zu tun vermag, liegt auf negativem Gebiet: Er kann dafür sorgen, -aß Zins und Preis in ihrer geldregulierenden Funktion nicht gestört wer-en, daß also nicht infolge von Willkürmaßnahmen falsche Zins- und Preissätze entstehen und das wirtschaftliche Gesamtbild gefälscht wird. Für positive Maßnahmen besteht weder ein Bedürfnis noch eine Möglichkeit. Eine Notenbank also, der man die Aufgabe zuweist, das Geldwesen durch Zusammenziehen und Ausdehnen elastisch zu gestalten, ist von vornherein zu einer unfruchtbaren Tätigkeit verurteilt. Im besten Falle, -er aber sehr selten ist, wird eine solche Bank nicht schaden, nämlich dann, wenn ihre Leitung klug und feinfühlig genug ist, um den Anweisungen zu gehorchen, die ihr der Verkehr durch Preis und Zins erteilt, und immer gerade so viel Geld im Umlauf zu erhalten, wie umlaufen würde, wenn sie, die Bank, nicht existiere. Meist aber wird sie der Wirtschaft schaden, weil ihre Leitung geneigt sein wird, ihre eigene Auffassung vom Geldbedarf des Verkehrs zur Geltung zu bringen, also eine Politik zu befolgen, die von der automatischen Regulierung des Wirtschaftsorganismus abweicht. Man muß sonach sagen, daß eine Notenbank unter dem Gesichtspunkt der Elastizität im besten Falle überflüssig, meist aber schädlich ist.
Dieses harte Urteil muß man selbst dann fällen, wenn die Notenbank sich bei ihrer Bemühung, die Geldmenge dem Verkehrsbedarf anzupassen, von einwandfreien Grundsätzen leiten läßt. Denn auch in diesem Falle wird sie den Geldumlauf niemals besser, häufig aber schlechter regulieren, als es die Wirtschaft unter dem Einfluß ihrer Elementargesetze automatisch tut. Richtige Grundsätze bei der Beurteilung des Verkehrsbedürfnisses sind aber bei den Notenbanken eine große Seltenheit. In der Regel stehen die Banken vielmehr unter dem bestimmenden Einfluß von Theorien, die ganz und gar abwegig sind und in den Köpfen ihrer Leiter ein grundfalsches Bild von der Wirtschaft und ihrem jeweiligen Geldbedürfnis entstehen lassen. And zu diesen abwegigen Theorien gehört auch die von der signalisierenden Fähigkeit des Warenwechsels.
Ich selbst und auch Du, mein Junge, sind mit dem volkswirtschaftlichen Axiom groß geworden, daß das Geldbedürfnis des geschäftlichen Verkehrs sich nirgends besser ablesen lasse, als am Warenwechsel. Sobald Produktion und Handel an Lebhaftigkeit gewinnen und mehr Geld zu ihrer Bewältigung brauchen, äußert sich das nach der herrschenden Anschauung darin, daß die Zahl der Wechsel, mit denen der Fabrikant die Rohstoffe und der Händler die Fertigfabrikate bezahlt, stark anschwillt, stärker, als es den Geldmitteln und der Diskontbereitschaft der Bankiers entspricht. In diesem Anwachsen der Wechselmenge über den Umfang des verfügbaren Geldes hinaus erblickt die Theorie das verläßlichste Anzeichen, daß der Verkehr wieder einmal neuer Geldmengen bedarf, und die Notenbanken, die sich diese Theorie fast sämtlich zu eigen gemacht haben, sehen in der Menge der zur Entstehung gelangenden guten Kaufmannswechsel geradezu das Kriterium des Geldbedarfs. Die Summe der Warenwechsel, die der freie Verkehr nicht aufzunehmen vermag, und die daher der Notenbank direkt oder durch Vermittlung eines Bankinstituts zum Diskont angeboten werden, bestimmt die Summe des Geldes, das die Notenbank im Wege der Notenausgabe in Umlauf setzen zu müssen glaubt.
Diese Ansicht, daß der Warenwechsel der Gradmesser des legitimen Geldbedarfs und -er Index für die Elastizität der Umlaufsmittel sei, ist aber genau so falsch wie die Ansicht über das Wesen der Geldelastizität selbst; und sie wird dadurch nicht richtiger, daß auch die herrschende Lehrmeinung an unseren Universitäten und Handelshochschulen den Warenwechsel grundsätzlich als ausschlaggebend für den Umfang der Notenausgabe ansieht. Der kaufmännische Wechsel hat in Wirklichkeit mit dem legitimen Geldbedarf der Wirtschaft nicht das mindeste zu tun. Ich selbst, der ich viele Tausende von Wechseln habe entstehen sehen, erblicke in dem Auftauchen eines neuen Wechsels weiter nichts als ein Merkmal dafür, daß an einem bestimmten Produktions- oder Handels-Vorgang zwei Personen beteiligt sind anstatt einerPerson. Tausendmal habe ich beobachtet, daß immer dann, wenn der Fabrikant oder Händler über das Kapital, dessen er für ein Geschäft bedurfte, selbst verfügte – sei es als Volleigentümer, sei es als Mitbeteiligter oder Verwalter –, das betreffende Geschäft mit barem Gelde durchgeführt wurde, ohne daß ein Wechsel zur Entstehung gelangte; daß dagegen immer dann, wenn nicht der Fabrikant A oder der Händler B, sondern eine dritte Person C das erforderliche Kapital besaß, ein Wechsel ausgestellt und acceptiert wurde, der die Bestimmung hatte, das Kapital aus der Hand von E in die von A oder B zu überführen. Die „Wirtschaft“ als Ganzes hat in dem einen Falt genau so viel oder so wenig Kapital und einen genau so großen oder so kleinen Geldbedarf gehabt, wie im andern. Der Unterschied war lediglich, daß das Geld sich das eine Mal bei A oder B vorfand, die es verwenden wollten, das andere Mal dagegen bei C, der es nicht verwenden, sondern entweder ruhen lassen oder einem Dritten leihen wollte, worüber meist die Höhe des ihm angebotenen Entgelts (Zinses) entschied. And so habe ich mich denn gewöhnt, in einem starken Wechselangebot nicht das Kennzeichen eines entsprechend starken legitimen Geldbedarfs der Wirtschaft zu erblicken, sondern nur ein Kennzeichen dafür, daß nicht der Unternehmer, sondern andere Leute das Geld für bestimmte Unternehmungen, meist Wareneinkäufe, im Besitz haben; daß mit anderen Worten die Handelstätigkeit sich in starkem Mähe auf Kredit statt auf Eigenbesitz aufbaut.
In dieser Ansicht habe ich mich auch nicht durch den Umstand beirren lassen, daß es in vielen Geschäftszweigen geradezu handelsüblich geworden ist, mit Wechseln statt mit Bargeld zu zahlen. Denn auf das Motiv, das einen Wechsel entstehen läßt, kommt es nicht an, sondern nur darauf, ob der Kapitalist E in der Lage ist, die Gelder, die Fabrikant A und Händler B zum Warenkauf verwenden wollen, auf Wechsel herzugeben oder nicht. Verfügen die Leute der C-Klasse über genügend Geld, um die Ansprüche der A- und B-Klasse bezw. der Warengläubiger dieser Klassen zu befriedigen, so ist es gleichgültig, ob die Wechsel, die den Geldübergang dokumentieren, ihre Entstehung einer privaten Abmachung, oder einem Handelsbrauch, oder etwa einem Syndikatszwang verdanken. Gerade der Umstand, daß Geschäftsgepflogenheit und Handelssitte den Ausschlag geben, ob Tausende von Wechseln zur Entstehung gelangen oder nicht, beweist, wie wenig der „wirtschaftliche Geldbedarf“ mit dem jeweiligen Wechselumlauf zu tun hat. Bald nimmt der Wechselumlauf zu, weil ein paar große Kartelle den Beschluß gefaßt haben, fortan Zahlung mit Dreimonatsaccept zu verlangen; bald deshalb, weil die Händler und Fabrikanten von dem gerade am Geldmarkt herrschenden niedrigen Wechseldiskontsatz profitieren wollen, der seinerseits dartut, daß zahlreiche Kapitalisten und Banken geneigt sind, ihre ruhende Kaufkraft in tätige Kaufkraft, ihr aufgeschatztes Geld in Leihgeld umzuwandeln; bald deshalb, weil eine den Gewerbetreibenden auferlegte Steuer oder eine sonstige Ausgabe diese zwingt, zeitweilig in verstärktem Maße mit fremdem Gelds zu wirtschaften. In allen diesen Fällen beweist der höhere Wechselumlauf lediglich, daß ein Geldaustausch zwischen verschiedenen Klassen der Bevölkerung stattgefunden hat. Über die Ursachen des Geldaustauschs sagt er nichts aus.
Selbstverständlich gibt es auch Fälle, in denen eine Zunahme der Wechsel die unmittelbare Folge einer absolut gesteigerten Handelstätigkeit ist, und diese Fälle bilden sogar die Mehrzahl. Aber hier, mein Junge, hüte Dich um Himmels willen vor einem Mißverständnis: Glaube, ja nicht, daß der steigende Wechselumlauf einen Appell der Wirtschaft an. irgend eine Instanz darstellt, gewissermaßen einen Hilferuf, durch den die .Allgemeinheit aufgefordert wird, der gesteigerten Handelstätigkeit mit verstärkten Geldmitteln beizuspringen! Du würdest dem Wechselverkehr im allgemeinen und dem soliden Handelswechsel im besonderen eine ganz falsche Bedeutung beilegen, wenn Du das glauben wolltest. Bor einem solchen Irrtum schützest Du Dich am besten, indem Du Dir an einem praktischen Fall den Sinn vergegenwärtigst, den das Entstehen eines solchen „Konjunktur-Wechsels“ hat.
Wenn der Fabrikant A oder der Händler B ihr Accept auf eine Dreimonatstratte setzen, die ihr Lieferant X auf sie zieht, so geschieht das deshalb, weil der Lieferant bereit ist, ihnen die entsprechende Schuldsumme auf drei Monate zu stunden, sei es, weil er diese Summe nicht braucht und sie deshalb A und B für drei Monate überlassen kann, sei es, weil er ein Abkommen mit C, dem „Diskonteur“, getroffen hat, wonach dieser ihm den Betrag leihweise überläßt. Voraussetzung eines solchen soliden Handelswechsels ist also, daß irgend jemand einen überschüssigen Geldbetrag besitzt und hergibt. Denn sonst würde der Lieferant X keine Tratte auf A oder B ziehen, das heißt seinen Abnehmern nicht gestatten können, mit der Zahlung drei Monate im Rückstand zu bleiben. Er würde vielmehr auf sofortiger Zahlung bestehen müssen, um seinerseits seine eigenen Lieferanten, Angestellten und Arbeiter bezahlen zu können. Irgendwo in der Wirtschaft muß ein „ruhender“ Geldbetrag, vorhanden sein, der sich durch Wechseldiskontierung in „tätiges“ Geld umwandeln kann und will. Deshalb darfst Du in einer Wechselzunahme niemals einen „Hilferuf“ der geldbedürftigen Wirtschaft erblicken, sondern ganz im Gegenteil eine Bescheinigung der Wirtschaft, daß überschüssige Gelder in einem Umfange vorhanden sind, der den Fabrikanten und Händlern eine Betriebsverstärkung gestattet. Daß jedem neuentstehenden Warenwechsel ein entsprechender, verfügbarer Geldbetrag gegenübersteht, das ist ja gerade das Kennzeichen dafür, daß es sich um einen dem legitimen Verkehr entstammenden, soliden Handelswechsel, und nicht etwa um einen Reit- oder Kellerwechsel handelt.
Dieser Sinn des Wechsels wird aber in sein gerades Gegenteil verkehrt, sobald man in jedem Wechsel, der auf dem Markt auftaucht, das Sinnbild eines entsprechenden Geldmangels und die Aufforderung zur Beseitigung dieses Geldmangels erblickt; sobald also der Lieferant X, ohne eigene Reserven oder einen kreditbereiten Hintermann C zu haben, auf A oder B einen Wechsel zieht, weil er weih oder zu wissen glaubt, die öffentliche Meinung sehe in seinem Wechsel einen „legitimen Geldbedarf“ der Wirtschaft und werde daher schon dafür sorgen, daß irgend eine Instanz den Geldbedarf befriedige. In diesem Fall entsteht der Wechsel nicht deshalb, weil eine Reserve innerhalb der Wirtschaft besteht und Anlage sucht, auch nicht deshalb, weil die zunehmende Lebhaftigkeit des Geschäftsverkehrs seine Entstehung rechtfertigt – denn berechtigt ist ein Wechsel nur, wenn ein Diskonteur für ihn da ist –, sondern einfach deshalb, weil X mit A oder B im Vertrauen auf die Hilfe irgend einer Stelle außerhalb der Wirtschaft ein Geschäft abgeschlossen hat, das sonst nicht hätte abgeschlossen werden können. Der Wechsel ist also nicht mehr, wie er es seiner Natur nach sein soll, eine Bescheinigung der Wirtschaft, daß überschüssige Gelder vorhanden find, die den Fabrikanten und Händlern eine Umsatzsteigerung gestatten, sondern ganz im Gegenteil eine Bescheinigung, daß solche Gelder nicht vorhanden sind, vielmehr erst durch einen Kunstgriff herbeigezaubert werden sollen.
Die Volkswirtschaft, lieber James, kennt aber keine Zauberstäbe, die Gelder, die nicht vorhanden sind, herbeipraktizieren. Und wenn man in einem Lande eine Notenbank errichtet, die gewissermaßen die Rolle des Zauberstabs spielen und Geld über die Wirtschaft ausschütten soll, das diese zu erhalten wünscht, weil sie sonst ihren Geschäftsumfang nicht nach Belieben ausdehnen kann, so ist diese Notenbank auf einem falschen Prinzip errichtet und ein Produkt des Aberglaubens, daß eine vom Staat autorisierte Instanz außerhalb der lebendigen Wirtschaft Geld erzeugen könne. Wir wissen aber beide, daß dies nicht möglich ist, sondern daß nur der Verkehr Geld zu erzeugen vermag. Jeder Versuch einer Notenbank, durch Zetteldruck Geld herzustellen und dem Handel und der Industrie gegen Wechsel zu überlassen, die jene in Spekulation auf die gelderzeugende Kraft der Bank in Umlauf gesetzt haben, scheitert an dem Einmaleins der Wirtschaftsgesetze. Es ist nur eine Augentäuschung, wenn der Zuschauer aus dem Zauberfüllhorn der Notenbank neues Geld hervorquellen zu sehen glaubt. Denn was da hervorquillt, ist altes Geld, ist ein Teil der längst bestehenden Kaufkraft des Landes, die sich in dem Maße verdünnt, wie die Bank sie durch ihre wechselgedeckten Noten ausreckt. Die Notenbank ist, um ein anschauliches Bild zu gebrauchen, die Walzenstraße in einem Drahtwalzwerk: Links wird ihr ein dicker Eisenstab zwischen die Walzen geschoben, und rechts quillt ein dünner Eisenfaden aus ihr hervor. Mag der Eisenfaden auch noch so lang sein, niemals wird man sagen dürfen, die vorhandene Eisenmasse habe durch das Auswalzen zu Draht eine Vermehrung erfahren. Und so darf man auch vom Landesgeld nicht sagen, es sei durch die Tätigkeit der Notenpresse vermehrt worden, sondern nur, diese Tätigkeit habe es „ausgewalzt“. Das Geld, das die Notenbank den Wechseleinreichern als den Repräsentanten der angeblich geldbedürftigen Wirtschaft aushändigt, ist nichts anderes als ein Teil des Geldes dieser Wirtschaft selbst, gewonnen durch einen Verdünnungsprozeh, den die Inhaber von Geld und Geldforderungen deutlich spüren, weil sich die Kaufkraft ihres Geldes vermindert, d.h. die Warenpreise steigen.
Wenn Dich die bösen Buben mit anders lautenden Theorien locken, so folge ihnen nicht, mein Sohn. Du würdest unfehlbar in die Irre gehen.
In Liebe
Dein alter Papa.
4. Brief.
„Banking theory“ und „Currency theory“ – Zahlungsbilanz und Geldelastizität – Schatzwechsel und Privatwechsel
Berlin, den 14. Juni 1922.
So lange es Notenbanken gibt, lieber James, die nicht nur die Funktionen der Geldverteilung, Kassenführung und Nutzbarmachung verfügbarer Barbestände ausüben, sondern auch das Privileg der Geldschöpfung Lurch Notenausgabe haben, sind sie der Mittelpunkt des Streites volkswirtschaftlicher Lehrmeinungen. And zwar lassen sich seit jeher zwei Hauptrichtungen der Notenbank-Theorie unterscheiden. Die erste dieser Richtungen geht von der Beobachtung aus, daß die Wirtschaft zu Zeiten einen großen, zu anderen Zeiten wieder einen kleineren Geldbedarf hat, und weist den Notenbanken die Aufgabe zu, diesen wechselnden Bedarf durch Ausdehnung und Zusammenziehung ihres Notenumlaufs zu befriedigen. Das ist die Theorie, welche die Notenbank als Elastizitätsfaktor in die angeblich sonst zu starre Geldverfassung des Landes eingeschaltet wissen will. Die andere Richtung ist der Ansicht, daß ein gesundes Geldwesen, d.h. ein Geldwesen, das mit der Währung der anderen wichtigsten Länder eng genug verbunden ist, um bald fremdes Geld in das Land, bald Landesgeld in das Ausland fließen zu lassen, in sich elastisch sei und keiner Regulierung durch die Notenbank bedürfe; daß daher die Notenbank sorgsam darauf achten müsse, niemals mehr oder weniger Geld in Umlauf zu sehen, als in Umlauf sein würde, wenn sie selbst nicht existierte. Die Volkswirtschaftslehre pflegt diese beiden Richtungen heute noch mit den Namen zu bezeichnen, die sie vor mehr als 100 Jahren in England durch Tooke, John Lloyd und Ricardo erhalten haben, nämlich die erste als die „banking theory“, die zweite als die „currency theory“.
Du wirst nach meinem vorigen Brief keinen Moment im Zweifel sein, welche dieser beiden Theorien Du als richtig, und welche Du als falsch anzusehen hast. Die „banking theory“ ist es, die den doppelten Aberglauben in die Welt gesetzt hat, man könne erstens den „Geldbedarf“ der Wirtschaft von der Menge der soliden Handelswechsel ablesen, und könne zweitens diesen Geldbedarf durch Ausgabe „neuen“ Geldes befriedigen, wenn das „alte“ Geld hierzu nicht ausreiche. Dieser Irrtum, daß ein bankmäßiger Vorgang, nämlich das Wechseldiskontgeschäft, gewissermaßen einen Geld-Index bilde, daß ein anderer bankmäßiger Vorgang, nämlich die Notenausgabe, sich nach jenem Index zu richten habe, und daß infolgedessen der solide Handelswechsel die beste Notendeckung bilde, kurz, daß das Geldwesen ein Gegenstand der Bankpolitik sei, dieser Irrtum hat der betreffenden Richtung ihren Namen gegeben. Ebenso ist der Name der „currency theory“ von ihrem Fundamentalsatz hergeleitet, der da lautet, daß das Geld selbst – und als „Geld“ gilt dieser Schule nur das Metall bezw. das Metall-Zertifikat – über seine Menge entscheide, und daß niemals mehr oder weniger Geld im Lande umlaufe, als dem gegebenen Stande der Wirtschaft entspricht. (Wir haben gesehen, daß diese Selbstregulierung der umlaufenden Geldmenge quantitativ, durch Ab- oder Zufluß von Geld, und zirkulatorisch, durch Zu- oder Abnahme der Umlaufsgeschwindigkeit, geschieht.) Infolgedessen habe, so meint diese Lehre, die Notenbank sich rein passiv zu verhalten und weiter nichts zu tun, als Metall entgegenzunehmen, wenn man es ihr anbiete, und es wieder herzugeben, wenn man es ihr abfordere. Erfülle sie diese Grundbedingung, so sei es ihr unbenommen, zeitweilig und im Umfange, den der Verkehr dulde, Metall durch Noten zu ersetzen, die aber in diesem Falle nichts anderes darstellten, als Quittungen (Zertifikate) über deponiertes und jederzeit rückforderbares Metall.
Im Mittelpunkt dieses Kampfes zwischen den beiden Hauptrichtungen der. Geldlehre steht von jeher die Zahlungsbilanz. Die „banking theory“ macht sie zu einem Hauptpfeiler ihres Lehrgebäudes, indem sie folgendermaßen argumentiert: Jede Wirtschaft ist Zufälligkeiten ausgesetzt, die sie leicht zu starken Zahlungen an das Ausland zwingen. Eine Mißernte, die große Getreide-Importe zur Folge hat, ein Krieg, der es nötig macht, ein Heer im Auslande zu unterhalten oder einem Bundesgenossen Subsidien zu gewähren, und viele andere Möglichkeiten erzeugen eine Verschuldung an das Ausland, die zu Geldexporten führt und einen Geldmangel im Inlande verursacht. In solchen Fällen hat die Notenbank die Pflicht, den heimischen Geldmangel, der sich in Gestalt einer verstärkten Wechseleinreichung äußert, durch vermehrte Notenausgabe zu beseitigen. Der Eintritt einer stark passiven Zahlungsbilanz kann mühelos von den Wechselkursen abgelesen werden; sobald diese sich in ungewöhnlichem Maße verschlechtern, ist dies das Anzeichen eines bedeutenden Geldabflusses und somit ein Signal für die Notenbank, dem Markt vermehrte Notenmengen zur Verfügung zu stellen, denn die Wechsel, die ihr angeboten werden, sind in diesem Falle „legitimen Ursprungs“.
Dem widerspricht die „currency theory“ mit aller Energie. Sie bestreitet, und mit Recht, daß eine passive Zahlungsbilanz die Notenbanken berechtige oder gar verpflichte, ihren Notenumlauf zu erhöhen; die Banken führten dadurch die Wirtschaft nicht etwa der Gesundung entgegen, sondern verhinderten im Gegenteil die Selbstheilung, die andernfalls automatisch eintreten würde. Denn der Geldmangel, der infolge einer passiven Zahlungsbilanz und des dadurch verursachten Geldabflusses eintrete, sei nichts anderes als eine Medizin, wenngleich eine bittere, die den Wirtschaftskörper von innen heraus heile; der Geldmangel schränke die Kaufmöglichkeit im Lande ein, ermäßige so die Preise, fördere dadurch die ausländische Nachfrage und die Ausfuhr und beseitige durch diese Ausfuhr die passive Zahlungsbilanz, d.h. den Ursprung des Übels, stelle also das gestörte Gleichgewicht wieder her. Diese herbe, aber heilsame Medizin dürfe man nicht unwirksam machen, indem man das ausgeflossene Geld durch Noten ersehe; denn damit verhindere man den Preisrückgang und die Ausfuhr, so daß die passive Zahlungsbilanz nicht verschwinde, sondern sich im Gegenteil unter dem Einfluß der künstlich hoch gehaltenen Preise verschärfe. Ja, das Andauern einer passiven Zahlungsbilanz, also schlechter Wechselkurse, sei geradezu das typische Merkmal, daß die selbstheilende Kraft der Wirtschaft durch eine falsche Notenbankpolitik und eine künstlich vergrößerte Geldmenge lahmgelegt worden, und daß an die Stelle des Arztes der Kurpfuscher getreten sei.
Natürlich hat der Kampf der beiden Lehrmeinungen sich nicht ganz in der zugespitzten Form und auch nicht unter Benutzung der Gleichnisse abgespielt, die ich hier gewählt habe, um Dir den Gegensatz recht anschaulich zu machen. Die Quintessenz ist die: Die „banking theory“ glaubt, daß das Geld zu unelastisch für die Bedürfnisse der Wirtschaft ist und sozusagen einer dehnbaren Einlage bedarf; daß schlechte Zahlungsbilanzen infolge jener Unelastizität Geldmangel und Wirtschaftskrisen Hervorrufen; und daß zur Vermeidung dieser Krisen eine Gelbvermehrung mittels Notenausgabe unbedingt nötig ist. Dagegen behauptet die „currency theory“, daß das Geld an sich elastisch ist und keiner künstlichen Ergänzung bedarf; daß passive Zahlungsbilanzen sich schnell und ganz von selbst korrigieren; und daß die Verschärfung ihrer Passivität über eine gewisse Zeit hinaus von nichts anderem herrührt, als von den durch die Banken in Umlauf gesetzten Notenmengen. Noch prägnanter: Die passive Zahlungsbilanz ist nicht die Ursache, sondern die Wirkung der willkürlichen Geldvermehrung.
Vielhundertjährige Erfahrung hat der „currency theory“ Recht gegeben. Niemals hat ein Land unter einer stark oder anhaltend passiven Zahlungsbilanz, unter übermäßiger Geldausfuhr und daraus folgender Wirtschaftskrisis gelitten, wenn sein Geldwesen gesund war, das heißt, wenn niemals mehr Geld im Lande umlief, als der Verkehr selbst, ohne Bevormundung durch die Notenbank, erzeugte und festhielt. Floß Geld in das Ausland, so schadete das nichts. Denn entweder glich die Wirtschaft das Manko durch schnellere Zirkulation des Geldes aus, was gleichbedeutend mit schnellerer Produktion und größerer Leistungsfähigkeit ist; oder die verringerte Geldmenge erzeugte einen Preisdruck, der nicht zu groß, sondern nur eben groß genug war, um das Ausland zu Käufen zu reizen und die Zahlungsbilanz wieder in das Gleichgewicht zu bringen. In dem einen wie in dem andern Fall wurde die Störung durch gesteigerten Export beseitigt, bald infolge erhöhter Leistungsfähigkeit, bald infolge ermäßigter Preise. Und in beiden Fällen erwies sich das Geld als hinreichend elastisch, um die Wirtschaft vor Krisen zu bewahren, es sei denn, daß diese nicht in monetären, sondern physikalischen Ursachen Mißernte, Seuchen), oder in politischen Momenten (Krieg, Revolution), oder endlich in ökonomischer Mißwirtschaft (Kreditschwindel, Industrierittertum) wurzelten.
Umgekehrt hat noch jedes Land unter stark und anhaltend passiver Zahlungsbilanz, unter übermäßiger Geldausfuhr und unter heftigen Wirtschaftskrisen gelitten, wenn sein Geldwesen krank war, d.h., wenn erheblich mehr Geld.im Lande umlief, als der Verkehr automatisch erzeugen und festhalten konnte. Das zusätzlich ausgegebene Geld wirkte, indem es die Preise erhöhte, nicht nur Geldwert-mindernd und sozial destruktiv, sondern es verhinderte durch die Preiserhöhung auch den Ausgleich der Zahlungsbilanz im Wege der Ausfuhr. Erst wenn die Wechselkurse auf eine solche Höhe gestiegen waren, d.h. das Landesgeld sich im Ausland derartig entwertet hatte, daß selbst die verteuerten Inlandspreise dem Auslande billig erschienen und es zu Kaufen reizten, konnte die Zahlungsbilanz wieder ins Gleichgewicht kommen; nunmehr aber auf der Basis eines gewaltig verschlechterten Geldwerts, einer völlig ruinierten Währung. Das Metallgeld war infolge seines Substanzwerts, den keine noch so schlechte Notenbankpolitik ihm nehmen konnte, aus dem Verkehr, in das Ausland oder in Verstecke verschwunden. Es zirkulierten nur noch die Noten, die im Ausland vielleicht ein Spekulationsobjekt – oft auch dies nicht einmal – waren, aber kein Geld, mit dem man Zahlungsbilanzen ausgleichen konnte. Dem Geldwesen fehlte jetzt die Elastizität, d.h. die Fähigkeit, sich automatisch, je nach dem Stande der Wechselkurse, durch Zufluß und Abfluß zu vergrößern oder zu verkleinern; und auch die zirkulatorische Dehnungsfähigkeit war ihm infolge des allgemeinen Mißtrauens zur Landeswährung so gut wie ganz verloren gegangen. Die fälschlich „Elastizität“ genannte Willkür in der Notenausgabe hatte die natürliche, wirkliche Elastizität des Geldes totgeschlagen.
Gottlob sind die Fälle, in denen ein Land die Wirkungen einer nach dem „banking principle“ orientierten Politik so drastisch zu spüren bekommt, nicht allzu häufig. Europäische Kontinentalstaaten machen eine solche Periode im Durchschnitt alle 100 Jahre einmal, meist im Anschluß an Kriege oder Revolutionen, durch. Die Wirtschaft, deren „legitimen Geldanspruch“ die Notenbank alsdann zu befriedigen hat, ist nicht der Privatverkehr mit seinem Handelswechsel, sondern die staatliche Kriegswirtschaft oder die Wirtschaft der Finanz-Dilettanten, welche die Revolution an’s Ruder gebracht hat, mit ihrer öffentlichen Schuldverschreibung. Die Anhänger des Bankprinzips wollen diese Schuldverschreibung allerdings nicht in eine Linie mit dem soliden Handelswechsel gestellt wissen. Sie betrachten nur diesen als den berechtigten Vertreter eines wirtschaftlichen Geldanspruchs, den Schatzwechsel dagegen als einen Prätendenten, der sich, da ohne direkte Beziehung zur Wirtschaft, den Geldanspruch nur anmaßt. Daß eine solche Unterscheidung gemacht wird, ist leicht verständlich: Wer der Staatsgewalt, die sich hinter dem Schatzwechsel verbirgt den Zugang zum Ausgabeschalter der Notenbank freigibt, der muß wohl oder übel zugestehen, daß die Banknoten kein Geld wirtschaftlichen Ursprungs, sondern unverzinsliche Zweckschuldverschreibungen zur Defizit-Deckung im Staatshaushalt und somit Pseudogeld sind; daß sie keinen organischen Bestandteil einer gesunden Währung, sondern einen Fremdkörper in dieser Währung bilden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß sachlich kein Unterschied zwischen dem Geldanspruch in der Form des Privatwechsels und dem in der Form des Schatzwechsels besteht, und daß beide mit genau demselben Recht oder Anrecht einen Anspruch auf die Geldzeichen der Notenbank geltend machen können. Ja, man könnte sogar meinen, daß der Anspruch des Schatzwechsels der bevorrechtete wäre, wohlgemerkt, der wirtschaftlich bevorrechtete. Denn bei dem Privatwechsel kann es im gegebenen Fall sehr wohl zweifelhaft sein, ob er einen wirtschaftlich gesunden Ursprung hat und nicht nur einem zufälligen, etwa durch Spielverluste herbeigeführten Geldbedarf eines leichtfertigen Kaufmanns feine Entstehung verdankt. Selbst das Giro einer Großbank beseitigt diesen Zweifel nicht. Dagegen kann bei dem Schatzwechsel, der einer Notenbank zum Diskont eingereicht wird, kein Zweifel daran Heftchen, daß er insofern einen „berechtigten Geldanspruch der Erwerbswirtschaft“ darstellt, als der Staat, wenn er den Schatzwechsel nicht geschaffen hätte, gezwungen gewesen wäre, den entsprechenden Betrag durch Steuer oder Anleihe aufzubringen, ihn also der Wirtschaft zu entziehen und deren Kaufmöglichkeit zu schmälern. Durch die Diskontierung des Schatzwechsels bei der Notenbank wird also die Kaufkraft der Wirtschaft, wie die Anhänger des Bank-Prinzips sie verstehen, in jedem Fall gestärkt, bei der Diskontierung eines Privatwechsels nur dann, wenn er produktiven und nicht etwa spekulativen Ursprungs ist. Jede auf Grund eines Schatzwechsels ausgegebene Banknote schont die Erwerbstätigkeit im Lande und ermöglicht ihr Umsätze, die sonst nicht stattfinden könnten, so daß die scheinbar rein fiskalische Geldschöpfung in Wirklichkeit eine Geldschöpfung zum Vorteil der Wirtschaft ist, genau wie die wechselmäßig ausgegebene Banknote. And so führt die Theorie vom „berechtigten Anspruch der Erwerbswirtschaft an die geldschaffende Kraft der Notenbank“ geradenwegs zum Unfug der Geldschöpfung auf Staatsbefehl und damit sich selbst ad absurdum.
Ob die Umwandlung von Wechseln in Geld im Großen oder im Kleinen erfolgt, ob also die Möglichkeiten der Bank-Theorie konsequent bis zum äußersten ausgebeutet oder nur zaghaft benutzt werden, macht grundsätzlich keinen Unterschied. Ein falsches Prinzip bleibt auch dann noch falsch, wenn man es mit Maßen befolgt; nur daß die üblen Folgen sich in diesem Falle naturgemäß nicht so deutlich zeigen. Von üblen Folgen, ist aber, das kann gar nicht scharf genug betont werden, jede Notenausgabe begleitet, die sich nicht anders legitimieren kann, als durch die Entstehung und bankmäßige Diskontierung entsprechender Querschriften, gleichviel ob diese aus dem kaufmännischen Verkehr oder aus dem Schatzamt stammen, gleichviel, ob sie das sogenannte „legitime Geschäft“ oder ein Staatsdefizit zum Ursprung haben. Das Geld, das in Gestalt der neu ausgegebenen Noten auf den Markt tritt, ist niemals „neue Kaufkraft“, sondern stets alte, dem Verkehr auf unsichtbaren Wegen entzogene Kaufkraft, und der vergrößerte. Notenumlauf verkörpert nicht um ein Jota mehr Bezugsmöglichkeiten als vorher der kleinere Umsatz, sondern bestenfalls dieselben Bezugsmöglichkeiten zu höheren Preisen.
Bin ich deutlich genug gewesen?
Dein alter Vater.
5. Brief
Die Unbegrenztheit des „legitimen Geldbedarfs“ – Anlagekredit oder Betriebskredit? – Zwiespältige Bankpolitik
Berlin, am 19. Juni 1922.
In meinem letzten Schreiben, lieber James, habe ich beiläufig bemerkt, daß die verderblichen Folgen der nach dem „banking principle“ orientierten Notenbankpolitik sich in ihrer vollen Kraßheit nur verhältnismäßig selten, nämlich im Durchschnitt etwa alle hundert Jahre, einmal offenbaren. Diese Tatsache muß eigentlich befremden. Denn die Notenbank-Leiter pflegen seit jeher Anhänger des genannten Prinzips und mithin der Ansicht zu sein, die Notenausgabe habe sich nach dem „Bedürfnis von Handel und Industrie“ zu richten. Daraus ergibt sich logischerweise für sie die Verpflichtung, jeden Handelswechsel, der ihnen angeboten wird und nicht gerade die Merkmale des Schwindels oder Leichtsinns trägt, zu diskontieren. Der sogenannte „legitime Geldbedarf“ der Wirtschaft ist aber, wenn man ihm keine Hindernisse in den Weg legt, schlechthin unendlich, und wenn eine Stelle existiert, die bereit ist, jeden soliden Handelswechsel zu diskontieren, das heißt jedes Kreditverlangen eines ordentlichen Geschäftsmannes zu erfüllen, so sollte man meinen, daß es nicht Papier genug in der Welt gebe für die Wechsel, die auf Grund dieser Diskontbereitschaft geschaffen werden, und für die Noten, die auf Grund der so geschaffenen Wechsel zur Ausgabe kommen.
Ich habe einige Erfahrung im kaufmännischen Leben und weiß, wie grenzenlos die geschäftliche Unternehmungslust ist, wenn man ihr gestattet, die Zügel schießen zu lassen. Dennoch erschrecke ich immer wieder, wenn ich an die unabsehbare Zahl von Geschäften denke, die geplant, besprochen, vorbereitet und sorgsam kalkuliert werden, und die nur deshalb nicht zur Durchführung kommen, weil das nötige Kapital fehlt. Wohlgemerkt denke ich hier nicht an die wilde Projektenmacherei der Elemente, die gewohnheitsmäßig mit fremder Leute Geld hazardieren. Sondern ich denke mir an die sehr vernünftigen, oft sogar hervorragend klugen Geschäftsabsichten ernsthafter Männer, die, wenn sie zur Ausführung kämen, meist eine wirtschaftliche Bereicherung des Landes darstellen würden; ich denke z.B. an die Ausnutzung der vielen Tausend wertvoller Patente, die in jedem Lande – natürlich neben noch viel mehr wertlosen – erteilt werden, und die nur deshalb nie die Probe auf ihre Brauchbarkeit ablegen können, weil es nirgends auch nur entfernt so viel Kapital gibt, wie die Erfinder beanspruchen. Die ungeheure motorische Kraft von Ebbe und Flut – um ein einziges Beispiel herauszugreifen – wäre längst auf der ganzen Erde elektrotechnisch nutzbar gemacht, wenn dazu nicht mehr Kapital, d.h. die Bereitstellung von mehr Subsistenzmitteln für Millionen von Arbeitskräften, nötig wäre, als die Weltwirtschaft neben dem Bedarf für ihr laufendes Programm bereitstellen kann. Wie nun, wenn eine Instanz auftritt, die es als ihre Aufgabe betrachtet, mit Hilfe der Banknote „jeden legitimen Geldbedarf zu befriedigen“ und somit allen jenen trefflichen, bisher aber im embryonalen Entwickelungsstadium stecken gebliebenen Projekten zur Durchführung zu verhelfen? Muß nicht eine Sintflut von Kreditansprüchen auf diese Instanz niedergehen und sie zwingen, ungemessene Notenmengen auszugeben?
Du wirst mir hier vermutlich einwenden, mein Junge, daß es sich bei den geschilderten Ansprüchen der Wirtschaft um ausgesprochenen Anlagekredit handelt, der sich in Schuldverschreibungen, langfristigen Bankdarlehen und -dergl. verkörpert, und nicht um Betriebskredit, der sich in die Wechselform kleidet. Und da es zu den anerkannten Grundsätzen der Notenbanken gehört, ihre Gelder – schon aus technischen Gründen – nicht in Dauerkrediten festzulegen, sondern nur in kurzfristigen und durch die sogenannte Wechselstrenge gesicherten Akzepten, die in längstens drei Monaten fällig werden, so können jene Ansprüche den Notenbanken nicht zur Last fallen. Wenn Du diesen Einwand machst, so zeigst Du damit, daß Du in der Kredittheorie Bescheid weißt. Für die Praxis muß ich ihn aber zurückweisen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist ein sogenannter „Betriebskredit“, der nach Ablauf von drei Monaten gewohnheitsmäßig erneuert wird, indem man dem Wechselakzeptanten oder seiner Bank immer wieder die gleiche oder sogar eine ständig steigende Menge Wechsel abnimmt, gar kein Betriebskredit, sondern ein Dauerkredit, der ganz nach Belieben, eventuell auch zu Anlagen, verwendet werden kann. (Wir streifen hier das wichtige Thema des Ketten-Betriebskredits, für den man heute die treffende Bezeichnung „revolving Kredit“ hat, und des „versteinerten Wechsels“, worüber ich viel zu sagen hätte; aber alles zu seiner Zeit.) Zweitens, und das ist der Kernpunkt, darf man in der Wirtschaftspraxis überhaupt keinen Unterschied zwischen Betriebskredit und Anlagekredit machen. Die Gelder, die der Unternehmer zu ausgesprochenen Anlage zwecken braucht, und die ihm daher keine Notenbank der Welt vorstrecken würde, sind vom Standpunkt des Händlers aus, der ihm die Baumaterialien, Maschinen usw. liefert, sowie vom Standpunkt des Fabrikanten aus, der die dazu nötigen Rohstoffe kauft und verarbeitet, ebenso ausgesprochene Betriebsgelder. Wenn Händler und Fabrikant ihre Einkäufe mit Dreimonatswechseln bezahlen, so fallen diese Wechsel, obwohl die damit bezahlten Waren sich letzten Endes in feste Anlagen verwandeln, ohne weiteres unter die Kategorie „legitimer Handelswechsel“, und wenn die Notenbank sie diskontiert, dem Händler und dem Fabrikanten also die Gelder für ihre Einkäufe vorstreckt, so sind diese in der Lage, dem bestellenden Unternehmer ihrerseits Kredit zu gewähren, und zwar einen Anlagekredit. Sie können diesen Kredit auf Jahre hinaus gewähren, sie können ihn sogar in eine feste Beteiligung umwandeln, denn der Wechselkredit, den sie bei der Notenbank direkt oder durch Vermittlung ihrer Bankverbindung genießen, wird ja bei Fälligkeit der Wechsel in der Regel durch einen neuen Kredit gleicher Art erseht. Sie können mit ihm wie mit einem Teil ihres eigenen Kapitals verfahren. So verwandeln sich viele, ja die meisten Betriebskredite automatisch in Anlagekredite, und eine Notenbank braucht nur den ihr wohlbekannten soliden Händlern und Industriellen jede gewünschte Wechselmenge abzunehmen, um allen jenen Projekten, von denen ich vorhin gesprochen habe, und die sie direkt niemals finanziert haben würde, zur Durchführung zu verhelfen. Das Resultat ist dann aber eine gewaltige Notenhochflut, hervorgerufen durch nichts anderes als durch die nach der „banking theory“ statthafte und sogar pflichtmäßige Befriedigung des legitimen wechselmäßigen Kreditanspruchs der Verkehrswirtschaft.
Das Eigentümliche ist nun – damit kehre ich zum Ausgangspunkt zurück –, daß trotz dieser Zusammenhänge und trotz der weitherzigen Auffassung, die fast alle Notenbankleiter vom Umfang ihrer Kreditpflichten haben, eine Überschwemmung der Länder mit Banknoten so überaus selten ist und meist nur in Fällen nationaler Bedrängnis, also notgeboren, auftritt. Das kommt zum Teil daher, daß man in allen Ländern der Notenausgabe gesetzliche Grenzen gezogen hat, die jede Bank respektieren muß, auch wenn die Ansprüche der Wirtschaft noch so legitim sind und noch so dringlich auftreten. Denn wenn auch die verderblichen Wirkungen einer übermäßigen Notenausgabe („Inflation“) durchschnittlich nur alle hundert Jahre über ein Volk hereinzubrechen pflegen, so sind sie doch derartig schwer, ja geradezu verhängnisvoll, daß die Gesetzgeber feste Dämme gegen die Notenhochflut aufgerichtet haben. Auch da, wo die Gesetzgebung vom „banking principle“ beeinflußt ist und an die Notwendigkeit glaubt, das Geldwesen so „elastisch“ wie möglich zu machen, wirkt die Erinnerung an die letztvorhergegangene Inflationsperiode doch in der Richtung einer heilsamen Beschränkung der Notenmenge. Auf die verschiedenen Arten dieser Beschränkung werde ich noch zu sprechen kommen.
Aber die gesetzlichen Grenzen, die der Notenausgabe gezogen sind, erklären die Zurückhaltung der Notenbankleiter doch nicht ganz, ja sie scheinen nicht einmal der Hauptgrund dieser Zurückhaltung zu sein. Denn sonst müßte der Notenumlauf der Banken sich in normalen Zeiten nahe an der gesetzlichen Höchstgrenze oder doch nicht erheblich unter ihr halten, und es müßten ferner die Bankleitungen in Zeiten einer Hochkonjunktur und eines gesteigerten Kreditbedürfnisses bei ihren Negierungen wegen einer Hinaufsetzung der Höchstgrenze vorstellig werden. Aber beides ist höchst selten der Fall. Bei der Bank von England beispielsweise, die nur berechtigt ist, einen ganz kleinen Betrag nicht metallisch gedeckter Noten auszugeben, haben die Direktoren vor dem Kriege nicht nur niemals eine Erhöhung dieses Kontingents beantragt, sondern sie haben das Kontingent seit Jahrzehnten nicht einmal ausgenutzt, vielmehr grundsätzlich darauf gehalten, daß nur goldgedeckte Noten im Umlauf seien; auch heute wieder übersteigt der Goldbestand die Notenausgabe. Ebenso ist die Deutsche Reichsbank vor dem Kriege sehr zurückhaltend gewesen. Obwohl sie berechtigt war, innerhalb des sehr weiten Rahmens der Dritteldeckung, von der ich später sprechen werde, jeden beliebigen Betrag Noten auszugeben (bis zu einem bestimmten Betrage steuerfrei, darüber hinaus gegen Zahlung einer fünfprozentigen Abgabe), hat sie den Notenumlauf doch immer einzuschränken gestrebt und den Ansturm der Kreditansprüche, mit energischen Abwehrmitteln, auf die ich ebenfalls noch zu sprechen komme, bekämpft. An- ähnlich alle übrigen Notenbanken, auch die Bank von Frankreich; hier ist zwar das Notenkontingent wiederholt heraufgesetzt worden, aber der Umlauf hat bis zum Kriege den Metallvorrat doch sehr selten um mehr als 30 Prozent übertroffen, obwohl 200 Prozent statthaft waren. Man muß also konstatieren, Latz überall eine gewisse Zurückhaltung beobachtet worden ist, und daß die Banken, obwohl auf dem „banking principle“ aufgebaut und im Sinne dieses Prinzips geleitet, doch sichtlich ein Kompromiß mit dem „currency principle“ geschlossen haben.
Das wäre nun durchaus nicht verwunderlich, sondern würde nur beweisen, daß man sich im Laufe der Zeit bewußt geworden ist, wie elastisch ein Verkehr-geschaffenes Geldwesen in sich selbst ist, und wie unnötig, ja schädlich, eine künstliche Steigerung seiner Elastizität erscheint, wenn nicht die Notenbank-Leitungen aller Länder dieser Auffassung immer wieder entgegentreten würden. Tatsächlich besteht ein außerordentlicher und schwer zu erklärender Widerspruch zwischen den Worten und den Taten der Bankleitungen, zwischen Theorie und Praxis der Bankpolitik. Während die Banken in normalen Zeiten eine lobenswerte Mäßigung an den Tag legen, die Notenausgabe einschränken, so weit und so lange es geht, und die Ansprüche der Wirtschaft an ihre Leihbereitschaft mit einem ganzen Arsenal von Abwehrmitteln bekämpfen, sobald die Notenausgabe dadurch erheblich gesteigert werden würde, betonen ihre Präsidenten stets von neuem, daß jeder „berechtigte Kreditanspruch“, der in Wechselform an sie herantrete, befriedigt würde, und daß es die Aufgabe der Notenbanken sei, der Wirtschaft Geldmittel in dem Umfange zuzuführen, den die Verkehrslage erheische. Das heißt, die Bankleitungen handeln nach dem currency principle, und reden nach der banking theory. Es ist dies ein Widerspruch, der fast bei allen Banken zu beobachten ist, und er sich nicht anders erklären läßt, als daß ein gesunder Instinkt die Leitungen meist davor bewahrt, ihre höchst anfechtbare Auffassung vom Gelde in die Tat zu übersehen. Der Widerspruch ist auch keineswegs neuen Datums. Schon die Klassiker des Geld- und Bankwesens haben ihn konstatiert. So schreibt beispielsweise Bagehot in seinem berühmten Buche „Lombard Street“: „Obwohl die Direktoren der Bank von England damals (gemeint ist die Zeit um 1800 herum) in irrige Anschauungen verfallen sind, haben sie doch im Großen, und Ganzen mit eigentümlicher Besonnenheit und Mäßigung gehandelt. Als sie dann aber 1810 wegen her Gründe ihres Handelns befragt wurden, haben sie Antworten gegeben, die durch ihren Blödsinn beinahe klassisch geworden sind (that have become almost classical by their nonsense)“. Und schon lange vor Bagehot meinte Ricardo: „Man wird es nach fünfzig Jahren kaum glauben, daß die Direktoren und Beamten der Bank (von England) zu unserer Zeit im Parlament und dessen Ausschüssen ernstlich behauptet haben, die Ausgabe von Banknoten durch die Bank von England habe keinen Einfluß auf die Preise der Waren, Goldbarren oder Devisen und könne einen solchen Einfluß auch gar nicht haben.“ Dies vernichtende Urteil fällt Ricardo über das geldwirtschaftliche Verständnis derselben Bankleiter, die trotz ihrer Ansichten, denen eine uferlose Inflation entsprochen haben würde, dennoch eine verhältnismäßig besonnene Notenpolitik getrieben und dadurch erreicht haben, daß das Pfund Sterling in der schwersten Zeit, die England je durchgemacht hat, nur vorübergehend und nicht um mehr als 15 bis 25 Prozent im Werte verloren hat.
Ich möchte beinahe annehmen, daß dieser Zwiespalt zwischen Wort und Tat, der sich zu allen Zeiten und in fast allen Ländern wiederfindet, tief im Wesen der Notenbank selbst wurzelt. Das Prinzip der Elastizitätssteigerung, auf dem das Notenbankwesen in der Hauptsache beruht, ist nun einmal in sich brüchig und führt, wenn es so konsequent befolgt wird, wie die Theorie es fordert, unweigerlich zu einer Katastrophe des Geldwesens. Deshalb darf das Prinzip niemals folgerichtig angewendet, sondern muß in der Praxis so abgeschwächt werden, daß die Wirtschaft keinen allzu beträchtlichen Schaden durch den Fehler des Prinzips erleidet. Notenbankleiter müssen daher geschickte Taktiker sein, die das Prinzip soweit anwenden, wie nötig ist, um den Glauben an daßelbe aufrecht zu erhalten, aber wiederum nicht soweit, daß seine üblen Folgen dem unbewaffneten Auge bemerkbar werden. Während sie so praktisch eine Art Eiertanz um die Elastizitätstheorie herum vollführen, müssen sie die Richtigkeit dieser Theorie dennoch mit aller Entschiedenheit bejahen, denn sie ist ja die Grundlage der Notenbank, und sie bekämpfen hieße die Existenzberechtigung der Bank leugnen. Wenigstens scheinen die Bankleitungen das zu glauben oder instinktiv zu empfinden, weil ihnen die Funktionen der Geldverteilung, der Kassenführung und der Nutzbarmachung verfügbarer Barbestände, gegen die sich kein Einwand erheben läßt, für eine Notenbank nicht ausreichend dünken. Das letztere ist aber ein Irrtum. Eine Notenbank kann sich sehr wohl auf die angegebenen drei Haupt- und einige Nebenfunktionen beschränken und nichtsdestoweniger ein großes, ja mächtiges Institut sein. Beweis: Die Bank von England, deren Bedeutung gerade auf der Ausübung jener Funktionen beruht, und die als Elastizitätsfaktor so wenig eine Rolle spielt, daß man sie schon beinahe nicht mehr „Notenbank“ im gewohnten Sinne nennen kann. Denn ihre Noten sind – von der Kriegszeit abgesehen – in der Regel voll durch Metall gedeckt und im Grunde nichts anderes als Zertifikate über eine erfolgte Metall-Hinterlegung. Die Bank entspricht sonach eher dem Begriff der alten Girobank, als dem Begriff, den man mit einer Notenbank verbindet, und wird, sobald sie die Barzahlung wieder ausgenommen haben wird, am besten als „Girobank mit anhängender Konversionskasse“ zu bezeichnen sein. Solange sie aber nicht selbst den Mut findet, den Aberglauben zu zerstören, daß sie mit ihren Noten die Elastizität des Geldes zu erhöhen und jeden legitimen Kreditanspruch zu befriedigen habe, so lange werden auch ihre Direktoren den Eiertanz ihrer kontinentalen Kollegen mittanzen müssen.
Was ich Dir übrigens in diesem Briefe von Bagehot und Ricardo bezw. ihrem Urteil über die Notenbank-Direktoren geschrieben habe, brauchst Du den Herren nicht mitzuteilen, falls Du einmal einen von ihnen sprechen solltest. Sie lieben solche Reminiszenzen nicht, auch wenn sie sich nur auf ihre Vorgänger beziehen.
Es ist spät: Also Gute Nacht für heute!
Dein aller Papa.
6. Brief
Geldersatz und Geldzusatz – Kreditkrisis – Der „berechtigte“ Kreditanspruch
Berlin, am 24. Juni 1922.
Zwei Lebenswahrheiten, mein lieber James, muß ich diesem Briefe voranschicken, damit Du Dich seelisch richtig auf ihn einstellst. Erstens: Es gibt in der praktischen Wirtschaftspolitik kein Prinzip, das nicht auch einmal verletzt werden dürfte, und zwar dann, wenn seine Verletzung einen geringeren Schaden anrichtet, als er bei seiner strengen Befolgung zu befürchten steht. Der Volksmund sagt dazu etwas verallgemeinernd: Keine Regel ohne Ausnahme. Zweitens: Wenn mangelhafte Einrichtungen bestehen, die sich infolge des ökonomischen Trägheitsgesetzes nicht ohne weiteres abschaffen lassen, so soll man versuchen, diesen Einrichtungen denjenigen Nutzen abzugewinnen, der sich ihnen irgend abgewinnen läßt, auch wenn es nur mit einem Vorstoß gegen eine anerkannte Wirtschaftsregel geschehen kann. Kaum ein zweites Gebiet fordert die Anwendung dieser beiden Grundsätze in solchem Maße wie das Notenbankwesen. Man muß hier zuweilen Kompromisse schließen, oder, wie wiederum der Volksmund sagt, „mit Wasser kochen“.
Die Notenbanken, die wir heute vor uns sehen, verdanken ihre Entstehung nicht so sehr dem Wunsche, eine Einrichtung für die Geldverteilung, die Kassenführung und sonstige nützliche Funktionen zu besitzen, sondern fast ausnahmslos dem Bestreben, das Geld „elastisch“ zu machen und Verkehrsansprüche, denen im Rahmen der vorhandenen Geldmenge nicht genügt werben kann, künstlich zu befriedigen. Wir haben gesehen, daß dieses Bestreben auf einer falschen Voraussetzung beruht, weil das Geld keine Elastizitätserhöhung verträgt und jede willkürliche Vermehrung – und auch Verminderung – seiner Menge paralysiert, indem es seine Kaufkraft nach der entgegengesetzten Richtung verändert. Aber die Notenbanken sind nun einmal da, und die Völker haben sich an sie mitsamt ihren organischen Fehlern gewöhnt. Ihre Abschaffung würde mit ihren Fehlern auch ihre Vorzüge verschwinden lassen: Und so gebieten praktische Erwägungen, sich mit ihnen abzufinden, sie allmählich immer mehr von der Gelderzeugung fort und zur Zahlungsvermittlung hinzudrängen, wie es in England seit langem geschieht, und inzwischen auch aus ihren Fehlern nach Möglichkeit Nutzen zu ziehen) „to make the best of it“, sagt der Amerikaner.
Und solchen Nutzen können die Notenbanken in der Tat recht häufig leisten. Da auch außerhalb des Notenbankwesens nicht alles so ist, wie es sein sollte, vielmehr unsere ganze wirtschaftliche Organisation Mängel aufweist, so kommt es vor, daß sich Fehler mit Fehler kompensieren läßt, d.h. daß wirtschaftliche Störungen sich durch Nutzbarmachung des im Grunde falschen Elastizitätsprinzips der Notenbanken mildern lassen.
So krankt die Wirtschaft der Haupthandelsländer an dem bedenklichen Mangel, daß sie viel zu sehr auf kurzfristigem Kredit aufgebaut ist. Die Folge davon ist, daß jedesmal, wenn irgend ein Umstand Mißtrauen weckt, die Geldgeber ängstlich macht und die Kündigung zahlreicher Kredite herbeiführt, die Wirtschaft auf das schwerste geschädigt und mancher Erwerbszweig, der besonders stark mit Kredit arbeitet, geradezu ruiniert wird. Die Befürchtungen, die eine solche Krisenstimmung erzeugen, können «berechtigt oder grundlos sein, und die Krisis selbst kann je nach ihrer Ursache lange währen oder schnell vorübergehen. Da vermag die Notenbank mit ihrem Notenausgaberecht nicht selten die Situation zu retten, indem sie für die ängstlich gewordenen Kreditgeber einspringt und der Wirtschaft Ersatzkredit zur Verfügung stellt, bis die Ruhe zurückkehrt und das Kapital sich wieder anbietet. In diesem Falle wird die fehlerhafte Kreditverfassung der Wirtschaft durch die im Grunde ebenfalls fehlerhafte Kreditpolitik der Bank geheilt. Das Eisen heilt die Wunde, die das Eisen geschlagen hat.
Das Einspringen der Bank mit einem Zusatzgelde, das sie streng genommen nicht ausgeben dürste, läßt sich hier sogar geldtheoretisch bis zu einem gewissen Grade rechtfertigen. Nämlich folgendermaßen: Du weißt, daß jeder Kreditvorgang, jedes Ausleihen von Geld an einen Dritten, eine Umlaufsbeschleunigung des Geldes darstellt: Geld, das sich sonst im Zustande der Ruhe befinden würde, wird durch diesen Vorgang dem zirkulierenden Gelde beigesellt, was einer absoluten Geldvermehrung gleichkommt (und ja eines der Mittel ist, mit denen die Wirtschaft das ihr fehlende Geld selbst erzeugt). Wird nun dieser Vorgang rückgängig gemacht, zirkulierendes Geld also wieder in den Ruhestand versetzt, so laust das auf eine absolute Geldverminderung hinaus. Und wenn die Wirtschaft über ein Instrument verfügt, das, wie die Notenbank, diese Geldverminderung durch eine planmäßige Geldvermehrung ausgleichen kann, so darf man sich seiner zum Augenblicksvorteil des Verkehrslebens bedienen, ohne lange zu. fragen, ob das Prinzip, nach dem es die Vermehrung vornimmt, an sich richtig ist oder nicht.
Nur bedarf es hier großer Einsicht und Zurückhaltung, damit der Vorteil, einen Wirtschaftsfehler Lurch einen andern heilen zu können, nicht mit den Nachteilen erkauft wird, welche eine künstliche und willkürliche Geldschöpfung normalerweise zur Folge hat. Diese Nachteile treten sofort mit aller Schärfe ein, wenn die Bankleitung es verabsäumt, bei Wiederkehr der privaten Kreditwilligkeit und bei der neuerlichen „Aktivierung“ der ruhenden Geldmengen ihr Noten sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Waren ihre Noten bisher unschädlicher Ersatz, so werden sie nunmehr schädlicher Zusatz, wenn sie nicht zurückberufen werden. Altes gehört viel Scharfblick und fester Wille dazu, um diese Rückberufung im richtigen Verhältnis zum Wiederaufleben der alten Kredite, konsequent und unbeirrt durch etwaige „legitime Ansprüche“ des Verkehrs, durchzuführen.
Wo also in einem übermäßig mit Kredit arbeitenden Lande eine Notenbank existiert, da ist sie, selbst wenn sie ihre Entstehung einem falschen Prinzip verdankt, als „Krisenreserve“ willkommen zu heißen. Ihre Noten stellen dann eine Versicherung für den Notfall dar und ersparen es dem an einer Überspannung des Kreditprinzips krankenden Lande, heim Ausbruch einer Kreditkrise Verzweiflungsmittel anzuwenden und in feiner Ratlosigkeit etwa ein besonderes Notgeld zu schaffen („emergency Notes“), wie es die Amerikaner mehrfach ausgegeben haben, bevor sie ihr zentralisiertes Notenbanksystem hatten.
Aber hier liegt wieder die Gefahr nahe, daß die Notenbanken die Symptome einer solchen Kreditkrisis, bei der ihr Eingreifen statthaft ist, verkennen und sich zum Eingreifen auch dann schon für berechtigt halten, wenn von einer Kreditpanik gar keine Rede ist, sondern nur von einem Mansch -er kaufmännischen Kreise, vermehrten Kredit zu erhalten. Es ist ziemlich schwierig, zu unterscheiden, wann ein Kreditmangel seinen Ursprung in der Zurückziehung alter Darlehen, also in der Rückkehr arbeitenden Geldes in die Ruhestellung hat, und wann er auf vermehrten Ansprüchen einer unternehmungslustigen Kaufmannschaft beruht. Wo eine Wirtschaft in hohem Grade auf Kredit eingestellt ist, da bildet sich im Laufe der Zeit die Verkehrsgewohnheit heraus, die Fälligkeit der Kredite auf bestimmte Termine zu legen, und zwar meist auf die Quartalsersten. An diesen Terminen drängen sich dann die Zahlungsverpflichtungen derartig zusammen, daß leicht das äußere Bild einer Krisis entsteht, obwohl es sich in Wirklichkeit nur um Zahlungen handelt, die der Bequemlichkeit halber aus der vorhergehenden Geschäftsperiode an den Beginn der neuen Periode verlegt worden sind, und für die jeder umsichtige Kaufmann durch Rücklage eines Teils seiner Quartalseinnahme vorgesorgt haben sollte. Befolgt nun eine Notenbank die Politik, diese periodische Zahlungshäufung, die ihr krisenhaft zu sein scheint, als ein Signal zur Ausgabe großer Notenmengen zu betrachten, also dem Markt Gelder zur Verfügung zu stellen, die er bei ordnungsmäßigem Gebaren selbst mitbringen müßte, so gewöhnt sie das Unternehmertum daran, sich auf diese Quartalshilfe zu verlassen und mit dem eigenen Gelde sorglos zu wirtschaften. Die Folge ist, daß die berechtigten Ansprüche“ der Unternehmer an den Quartalsterminen die Tendenz haben, ständig zu wachsen, wie die Ansprüche eines verwöhnten Kindes, das auf die Erfüllung jedes seiner Wünsche rechnen kann. Und wenn die Notenbank dann einmal aus irgend einem Grunde nicht imstande ist, dem Markt so große Notenmengen zuzuführen, wie dieser beansprucht, so ist die Krisis da – eine Krisis, die ihren Ursprung nicht so sehr in den Marktverhältnissen, als in einer falschen Bankpolitik hat.
Tatsache ist aber, daß fast alle Notenbanken den regelmäßig wiederkehrenden, in lebhaften Zeiten stark anschwellenden Terminbegehr der Wirtschaft als den denkbar berechtigsten Anspruch betrachten und befriedigen. Nimm einmal, lieber James, die Notenausweise der großen europäischen Zentralnotenbanken zur Hand und verfolge darin die Bewegung der Notenausgabe. Überall wirst Du finden, daß – bei einigen Banken mehr, bei anderen (Bank von England) weniger stark die Notenmengen am Quartalsultimo plötzlich anschwellen, weil die Unternehmer und die ihnen nahestehenden Handelsbanken sich die Gelder für die bevorstehenden Zahlungstermine gewohnheitsmäßig durch Wechseleinreichung bei der Notenbank beschaffen. Diese gibt ihre Noten bereitwilligst her, weil sie weiß, daß nach der sog. „Überwindung des Termins“ der Kreditbegehr schwindet und die Noten zu ihr zurückströmen. Der Vorgang erscheint den Bankleitern völlig harmlos, auch denen, die sich der üblen Folgen jeder übermäßigen Notenausgabe bewußt sind: Denn die Hergabe von Noten, die mit -er Zuverlässigkeit eines Bomerang sofort wieder in ihre Hände zurückkehren, ist in ihren Augen gar keine wirkliche Notenausgabe und bleibt ihrer Ansicht nach ohne jeden Einfluß auf die Wirtschaft.
Das ist aber ein Irrtum. In Wirklichkeit wird die ganze Struktur der Wirtschaft durch die gewohnheitsmäßige Versorgung des Verkehrs mit „Terminnoten“ verändert. Würde diese Versorgung unterbleiben, so müßte jeder Geschäftsmann im Hinblick auf den kommenden Zahlungstermin Geld ansammeln, d.h. verfügbare Kaufkraft unausgenutzt lassen. Da die Notenbank ihn aber dieser Vorsorge überhebt, so kann er mit ganz erheblich größeren Summen kaufend austreten, als es seiner Geldkraft und der natürlichen Geldfülle in den Verkehrskanälen entspricht. Die Nachfrage wird also über ihr wirtschaftlich gerechtfertigtes Maß hinaus erhöht und wirkt preissteigernd, d.h. Geldwert-mindernd. Die Tatsache, daß die Ende September öder Ende Dezember ausgegebenen Banknoten bereits in den ersten Oktober- oder Januarlagen zur Ausgabestelle zurückkehren, ändert daran gar nichts. Diese Banknoten haben, obwohl sie neun Zehntel des Jahres nicht im Verkehr sind, sondern bei der Bank liegen, wirtschaftlich als im Umlauf befindlich zu gelten. Sie wirken auf den Geldwert genau so ein, als wären sie dauernd im Verkehr, als bildeten sie einen festen Bestandteil der zirkulierenden Gesamtgeldmenge, von der ja ebenfalls gewisse Teilbeträge nicht tätig sind, d.h. nicht Geschäfte-vermittelnd von Hand zu Hand gehen, sondern „ruhen“. Und ob ein bestimmter Geldbetrag in den Taschen und Geldschränken der Privatleute oder im Panzergewölbe der Notenbank ruht, ist so lange gleichgültig, wie die Möglichkeit besteht, daß er im Bedarfsfalle aus dem Zustand der Ruhe zur Tätigkeit übergeht. Pflegt sonach eine Notenbank während des größten Teils des Jahres gar keine Noten, an den Terminen aber 1 Milliarde auszugeben, so wirkt das auf das Geldwesen genau so, als hätte die Bank dauernd 1 Milliarde Noten verausgabt. Nicht der niedrigste und nicht der durchschnittliche, sondern der höchste Betrag, den die Bank gewohnheitsmäßig ausgibt, ist maßgebend für die Landeswährung.
Daher ist die Terminpolitik, welche die Notenbanken treiben und für harmlos halten, in Wirklichkeit ungleich bedenklicher als ein gelegentliches, selbst sehr weitgehendes Eingreifen in Panik- und Krisenzeiten. 3m letzteren Falle sind die Banknoten nur ein Ersatz für die plötzlich aus dem Verkehr gezogenen, nunmehr untätig daliegenden Geldmengen. Die Termin-Noten dagegen sind ein Zusatz zum natürlichen Geldumlauf und wirken dementsprechend.
Gottbefohlen!
Dein alter Vater.
7. Brief
Der dreifache Damm gegen Inflation – Diskontpolitik – Direkte oder indirekte Abwehr?
Berlin, am 30. Juni 1922.
Im Verlauf dieser brieflichen Vorlesung bist Du, lieber James, Dir wohl schon darüber klar geworben, daß die Notenbanken, soweit ihre gelbschöpferische Funktion in Betracht kommt, Kompromiß-Produkte sind: da sie weder die ihnen von der einen Theorie zugewiesene Aufgabe, das Geldwesen elastisch genug zur Befriedigung aller „legitimen“ Gelbansprüche zu machen, restlos erfüllen, noch der Forderung einer anderen Theorie, die Autonomie des Geldwesens zu respektieren, gerecht werden. Tatsächlich schwanken die Notenbanken zwischen diesen beiden Postulaten, von denen das eine immer die Erfüllung des andern unmöglich macht, hin und her, stets bestrebt, die Wirtschaft durch Geldhergabe zu fördern und dennoch die Landeswährung unangetastet zu lassen. Da diese beiden Bestrebungen sich nun aber einmal nicht mit einander in Einklang bringen lassen, so ist die Tätigkeit der Notenbanken eine fortgesetzte Verletzung bald des einen, bald des anderen Postulats. Bis eines Tages Umstände eintreten, die als höhere Gewalt erscheinen und von der Bank gebieterisch eine Geldhergabe größten Stils fordern. Worauf die Bank alle geldtheoretischen Bedenken über Bord wirft, sich vorbehaltlos zum „banking principle“ bekennt und das Landesgeld derartig „elastisch“ macht, daß dieses den größten Teil seiner Kaufkraft einbüßt und statt eines Wertbewahrers ein Spekulationsobjekt wird.
Deshalb hat man in allen Ländern Dämme aufgerichtet, die das Geldwesen davor schützen sollen, daß die Banken in der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben das Land mit Noten überschwemmen und die Währung ruinieren. Man kann auch ein anderes Bild gebrauchen und jene Schutzmaßnahmen als den „Anker“ bezeichnen, der es den Notenbanken nicht gestattet, auf die hohe See der Inflation hinauszutreiben, sondern sie im sicheren Hafen festhält, in der rechten Entfernung sowohl vom Strande wie vom offenen Meer, d.h. auf dem richtigen Kompromißpunkt zwischen den beiden grundverschiedenen Theorien, die sich in unseren heutigen Notenbanken treffen und bekämpfen. Und zwar müssen wir zwei Arten von Ankern – oder Dämmen – unterscheiden, je nachdem sie ihren Ursprung im Gesetz haben, das die Währung vor leichtfertigen oder einsichtslosen Bankdirektoren schützen soll, oder in der Bankpolitik, mit der zielbewußte Direktoren sich selbst Richtlinien für ihr praktisches Verhalten vorschreiben und gleichzeitig eine Tradition schaffen, die auch ihre Nachfolger bis zu einem gewissen Grade bindet.
Es gibt – oder gab wenigstens früher – eine radikale Richtung der „banking theory“, die jede gesetzliche Begrenzung der Notenausgabe als unvereinbar mit dem Notenprinzip und den Aufgaben der Notenbanken ablehnt. Diese Richtung ist, wenn ihre Theorie auch falsch ist, wenigstens konsequent. Denn wenn jemand einmal A gesagt und sich dem bedenklichen Elastizitätsprinzip verschrieben hat, so muß er logischerweise auch B sagen und keine andere Grenze für die Notenausgabe anerkennen, als diejenige, die das famose „Bedürfnis“ der Wirtschaft ihr seht. Man kann nicht auf der einen Seite fordern, daß das Bedürfnis der Wirtschaft voll befriedigt wird, auf der anderen Seite aber damit einverstanden sein, daß dieser Bedürfnisbefriedigung irgend welche mechanischen Hindernisse entgegengesetzt werden. In der Tat hat es einmal eine Zeit gegeben, wo das Prinzip der Notenausgabe-Freiheit herrschte. In Schottland beispielsweise stand bis tief in das vorige Jahrhundert hinein nicht nur jedermann grundsätzlich das Recht zu, Noten auszugeben, – ich komme auf den wichtigen Gegensatz Mischen dem Vielbanksystem und dem Monopol einer einzigen Notenbank später noch zurück – sondern es gab auch keine Grenze, an die die einzelne Noten-ausgebende Instanz gebunden war, wenn man von der Grenze absieht, die in dem Recht jedes Staatsbürgers besteht, eine Banknote zurückzuweisen, sofern sie nicht ausdrücklich als „gesetzliches Geld“ erklärt ist. Wer die praktische Erfahrung hat gegen diese Unbegrenztheit des Notenausgaberechts entschieden. Es hat sich überall herausgestellt, daß, wie man in England drastisch sagte, Notenbank-Freiheit identisch mit Schwindel-Freiheit ist, und daß Ricardo Recht hatte, als er meinte: „Die Erfahrung zeigt, daß weder ein Staat noch eine Bank jemals das unbeschränkte Recht der Notenausgabe gehabt hat, ohne dieses Recht zu mißbrauchen.“ Deshalb sind der Willkür in der Befriedigung der vermeintlichen Bedürfnisse der Wirtschaft heute überall gesetzliche Grenzen gesetzt.
And zwar haben wir dreierlei Art von Grenzen zu unterscheiden, gewissermaßen drei verschiedene Dämme, die das Gesetz der Notenhochflut entgegensetzt. Da besteht zunächst ein äußerer Damm, der die Banknoten hindert, über ein gewisses prozentuales Verhältnis zu dem Metallvorrat der Notenbank hinauszugehen; meist sind 300 Prozent der Metalldeckung das Maximum (Prinzip der Dritteldeckung), seltener 250 Prozent. Hier tritt der Kompromißcharakter unseres heutigen Notenbankwesens so recht klar zu Tage: Man kennt oder ahnt die Bedeutung, die das Metall für die Wertbeständigkeit des Geldes hat; aber man hat nicht den Mut, das Metall (oder die voll durch Metall gedeckte Note) zum Alleingelde zu machen, sondern hält es für unschädlich, wenn daneben noch so viel, aber nicht mehr Noten umlaufen, wie der Verkehr „freiwillig“ aufnimmt, ohne ihren Umtausch in Metall zu fordern. Und da die praktische Erfahrung lehrt, daß unter normalen Verhältnissen niemals mehr als ein Drittel aller ausgegebenen Noten zum Umtausch in Metall präsentiert wird, so hat der Gesetzgeber sich in den meisten Ländern für berechtigt gehalten, den Notenumlauf bis zu dieser äußersten Grenze für ungefährlich und statthaft zu erklären.
Aber es hat sich gezeigt, daß diese Begrenzung kein genügender Schutz war, und daß Erkrankungssymptome im Geldwesen auch dann bereits auftraten, wenn die Dritteldeckung der Noten noch völlig intakt war. Infolgedessen haben die Gesetzgeber sich veranlaßt gesehen, neben diesem äußeren Damm noch einen zweiten, inneren aufzurichten in Gestalt eines „Kontingents“, über das die Notenausgabe nicht hinausgehen sollte, auch wenn das Dritteldeckungs-Prinzip, also der äußere Damm, noch eine weitere Ausdehnung gestattete. Dieses Kontingent ist nach den verschiedenartigsten Methoden festgesetzt worden. In dem einen Lande hat man es elastisch gestaltet, so daß im Notfall seine Überschreitung möglich war und die Notenmenge bis in die Nähe des äußeren Dammes Vordringen konnte. So in Deutschland, wo vor dem Kriege eine Strafsteuer von 5 Prozent die Kontingentsgrenze zwar scharf hervortreten ließ, sie aber nicht zu einem absoluten Maximum machte. In anderen Ländern gestaltete man das Kontingent starr und unüberschreitbar, indem man entweder die Menge der metallisch nicht gedeckten Noten (wie in England und Schweden), oder die absolute Notenmenge ohne Rücksicht auf die Deckung (wie in Frankreich) maximierte. Ebenso verschieden wie die Methode der Kontingentierung – hier elastisch, dort starr, hier direkt, dort indirekt, hier relativ, dort absolut –, war auch die Begrenzung der Menge nach. Je mehr ein Land zum „currency principle“ und zum Hartgeld neigte (England), um so kleiner war das Notenkontingent, je mehr es sich zum „banking principle“ bekannte (vor dem Kriege Spanien), um so größer war das Kontingent.
Schließlich haben die Landesgesetze meist noch einen dritten Damm als Verstärkung der beiden anderen aufgeführt, indem sie den Notenbanken genau vorschrieben, gegen welche Unterlagen sie Noten ohne Metalldeckung ausgeben durften, und gegen welche nicht. Fast überall ist der Handelswechsel zur ausschlaggebenden Deckung gemacht worden, weil, man in ihm den Repräsentanten des „legitimen Geldbedarfs“ der Wirtschaft zu sehen pflegt. Meist wird auch die Zahl der Unterschriften bankgesetzlich festgelegt, die der Wechsel tragen soll, um als Notendekkung dienen zu können (in Deutschland „in der Regel“ drei, mindestens zwei). Nur in England hat man einen solchen verstärkenden Damm nicht aufgeführt, sondern der Bank von England Freiheit in der Wahl ihrer nichtmetallischen Notendeckung gelassen) eine Freiheit, von der -die Bank, aber höchst selten einmal Gebrauch macht, da sie, wie ich Dir schon früher schrieb, normalerweise nur metallgedeckte Noten im Umlauf hat.
Das sind die drei Dämme, die das Gesetz der Notenausgabe gezogen hat. Zu ihm treten die Maßregeln der Selbstbeschränkung hinzu, welche die Bankleitungen getroffen haben, und mit denen sie sich dagegen schützen, daß sie vom „Bedarf der Wirtschaft“, der ja unendlich ist, wenn man ihn mit der Wünschelrute der Banknote aufspürt, unversehens gegen die vom Gesetz aufgerichtet-en Dämme getrieben werden. Da diese Schutzmaßregeln im wesentlichen darin bestehen, Grundsätze für die Diskontierung der Handelswechsel aufzustellen, deren Menge identisch mit dem Geldanspruch der Wirtschaft ist, so nennt man sie gewöhnlich die Diskontpolitik der Banken.
Über diese Diskontpolitik ist nun, wie Dir hinreichend bekannt sein dürfte, schon unendlich viel geschrieben worden, und im wirtschaftlichen Teil der Tageszeitungen pflegt sie einen breiten Raum einzunehmen. Ihr Prinzip ist aber so überaus einfach, daß die Fülle von Literatur zu diesem Thema eigentlich nur beweist, wie sehr sich die Menschen durch unklare Vorstellungen die simpelsten Fragen zu komplizieren pflegen. Welcher Scharfsinn ist beispielsweise aufgeboten worden, um zu ermitteln, ob die Notenbanken mit ihrer Diskontpolitik, d.h. mit ihrer Zinsfestsetzung, sich dem Markte unterzuordnen hätten, oder ob sie den Zins des freien Markts durch ihre Politik beeinflussen und in eine bestimmte Richtung drängen müßten. Diese Streitfrage, ob die Notenbank den Zins nur „konstatieren“, oder ob sie ihn „diktieren“ soll, ist im Grunde lediglich der Ausfluß einer irrigen Anschauung und verliert jeden Sinn, sobald man die Dinge nimmt, wie sie sind.
Die irrige Anschauung, die ich hier im Auge habe, besteht in der weitverbreiteten Meinung, ein hoher Zins wirke abschwächend auf die Unternehmungslust der Wirtschaft, während ein niedriger Zins die Geschäfte fördere und ihren Umfang vergrößere. Infolgedessen, so wird argumentiert, brauche eine Notenbank, der die „berechtigten Ansprüche der Wirtschaft“ über den Kopf zu wachsen drohen, nur die Zinsschraube anzuziehen, also ihren Diskontsatz zu erhöhen, um die Unternehmungslust sinken und die Ansprüche an ihre Leihbereitschaft und ihren Notenvorrat zusammenschrumpfen zu lassen. Das ist das Grundsätzliche, in dem man sich im allgemeinen einig ist. Die Meinungsverschiedenheit setzt erst da ein, wo die praktische Ausführung beginnt. Der eine meint, der freie Markt zeige dem aufmerksamen Beobachter ganz genau, wann die Unternehmungslust über die Stränge schlage, da der Zins sich bei übermäßiger Kapitalnachfrage verteuere und die Verwendung von Kapital in zahlreichen Fällen unlohnend mache. Die Notenbank brauche daher nur aufzupassen und ihren Zins in Übereinstimmung mit dem Marktzinse zu erhöhen; dadurch verstärke sie die abschreckende Wirkung der Zinssteigerung und schütze sich zugleich selbst vor allzu starker Inanspruchnahme. Der andere meint dagegen, daß der freie Markt die Überspannung der Unternehmungslust immer erst zeige, wenn es zu spät sei; der Zins verteuere sich hier a posteriori, in einem weit vorgeschrittenen Stadium, und erzwinge die Liquidierung des Geschäftsübermaßes erst dann, wenn sie nicht mehr unschädlich, sondern gleichbedeutend mit einer Krisis sei. Deshalb müsse die Notenbank das Prävenire spielen. Sie dürfe dem Marktzins nicht folgen, sondern müsse ihn durch ihre eigene Zinspolitik beeinflussen und, wenn nötig, durch eine starke Diskonterhöhung versteifen, um so das Geschäft schon in einem Moment zu lähmen, wo es noch keinen über mäßigen Umfang angenommen hat.
Dieser ganze Meinungsstreit, lieber James, geht sozusagen um des Kaisers Bart, denn die Voraussetzung, in der beide Meinungsrichtungen übereinstimmen, ist ein Irrtum. Eine Zinserhöhung hat keineswegs die ihr angedichtete Wirkung, den Geschäftsumfang einschrumpfen zu lassen. Vielmehr ist es eine dem Praktiker ganz geläufige Tatsache, daß in Handel und Industrie niemals mehr verdient wird als in Zeiten des sogenannten „teuren Geldes“, und daß in solchen Zeiten der gesteigerten Verdienstmöglichkeit der Unternehmer einen hohen Zins leichter zahlen kann, als bei ruhigerer Geschäftslage einen niedrigen. Der hohe Zins ist ja gerade Las Kennzeichen dafür, daß die Kapitalverwendung in ungewöhnlichem Maße lohnend geworden ist, und daß es sich daher für den Geschäftsmann empfiehlt, jede Kreditmöglichkeil, also auch den Notenbankkredit, nach Kräften auszunutzen. Insofern aber die planmäßige Zinsverteuerung wirklich eine Wirkung ausübt, ist es eine höchst unerwünschte, unsoziale und wirtschaftlich bedenkliche: Sie erdrosselt in diesem Falle gerade die solide Unternehmung, die mit geringem Nutzen arbeitet, und läßt die unsolide, auf Konjunktur- oder Spielgewinn zugeschnittene, bei der die Spesenhöhe nebensächlich ist, unangetastet. Starke Diskonterhöhungen haben daher, gleichviel ob sie die Marktlage „konstatieren“ oder Diktieren“, weit weniger die Wirkung, die Geschäfte auf ein gesundes Maß zurückzuführen, als die Wirkung, die Spekulativität der Geschäfte zu erhöhen.
Das alles gehört eigentlich mehr in eine Abhandlung über den Zins, als in eine solche über die Notenbank. Indes konnte ich Dir den kleinen Exkurs nicht ersparen, weil Du sonst wohl kaum erkennen würdest, wie eine wirklich wirksame Diskontpolitik beschaffen sein muß. Jetzt aber darf ich wohl hoffen, daß Du in dieser Hinsicht klar siehst, ohne daß ich noch viel Worte zu machen brauche. Wirksam ist eine Diskontpolitik der Notenbank normalerweise nur dann, wenn sie diese Ansprüche an den Kredit der Bank direkt, durch glatte Kreditverweigerung, einschränkt, und nicht dann, wenn sie diese Ansprüche durch Diskonterhöhungen indirekt zu begrenzen sucht, wodurch sie gerade das legitime Geschäft erdrosselt und dem illegitimen, spekulativen nur umso mehr Spielraum schafft. Eigentlich, das muß ich Dir immer wiederholen, ist ja das Prinzip, die Kreditkraft im Lande durch eine Ausdehnung des Geldumlaufs künstlich zu stärken, von vornherein verfehlt. Aber wo dieses Prinzip nun einmal adoptiert ist, muß sich die Notenbank eines anderen Kriteriums für den Umfang und die Auswahl ihrer Kredite bedienen, als des mechanischen Zinses. Die subjektiven Momente der Geschäftsart, des sozialen und kulturellen Nutzens der Unternehmungen müssen in diesem Falle über das Ja oder Nein der Kreditgewährung entscheiden. Zumal ja die programmatische Behauptung der Notenbanken, ihre Noten ständen jedem „berechtigten Kreditanspruch“ zur Verfügung, der an sie herantrete, eine Phrase ohne Inhalt ist: Meine Bank kann über den Diskontkredit der Notenbank in jeder Höhe verfügen, auch dann, wenn sie ihn zur Finanzierung der Börsenspekulation verwendet: ein braver Tischlermeister aber, der Geld zum Holzeinkauf braucht, erhält den Diskontkredit der Notenbank nicht oder bestenfalls nur durch Vermittlung einer Kreditorganisation, d.h. erheblich verteuert.
Nur in einem einzigen Falle kann die Diskontpolitik im herkömmlichen Sinne, d.h. die Regulierung der Kreditansprüche durch den Zins, gute Dienste tun: Nämlich dann, wenn das Kreditwesen in einem Lande so subtil organisiert ist und über so viele Reserven, vor allem Reserven im Ausland, verfügt, daß jedes halbe Prozent Mehr- oder Minderzins zu einem Zufluß von Leihkapital aus jenen Reserven bezw. zu einem Abfluß in die Reserven führt. Wo diese Voraussetzung besteht, da ist die Zinspolitik meist – nicht immer – wirksam, ohne den Umfang der Unternehmertätigkeit allzu sehr zu beeinflussen. Sie hebt und senkt dann das Niveau in den Kapitalreservebecken und veranlaßt die fein verästelte Organisation, die jene Becken bedient, ihr bei ihrer Kreditpolitik zu helfen. Diese Voraussetzung scheint mir heute aber nur in einem einzigen Lande erfüllt zu sein, nämlich in England. Hier hat daher auch die Zinspolitik der Zentralnotenbank meist den gewünschten Erfolg.
Gute Nacht.
Dein alter Papa.
8. Brief
Die Dritteldeckung – Wirtschaftsgesetze, Staatsgesetz und Bankpolitik – Das „Giralgeld“
Berlin, am 4. Juli 1922.
Zwei Fragen der praktischen Notenbankpolitik, lieber James, sind es hauptsächlich, die andauernd und in allen Ländern die Bankleitungen ebenso wie die Banktheoretiker beschäftigen.
Die eine Frage betrifft das Prinzip der Dritteldeckung an sich. Man fragt sich, woher es kommt, daß Landeswährungen so häufig deutliche Merkmale der Entwertung zeigen, obwohl die ausgegebenen Noten zu einem Drittel oder mehr durch Gold gedeckt sind und jederzeit in Gold umgetauscht werden können. Da diese Umtauschmöglichkeit von Noten in Gold jeder einzelnen Note ihren vollen Goldwert sichert, ist es eigentlich ein Unding, daß der aus Noten bestehende Teil der Landeswährung niedriger bewertet wird als das Gold. Trotzdem zeigt es sich in praxi immer wieder, daß der kursmäßige Wert einer solchen Währung, die nach herrschender Anschauung doch eine „Goldwährung“ ist, unter ihr Goldäquivalent sinkt, sobald eine absolut große Menge von Noten ausgegeben worden ist,- ungeachtet der Aufrechterhaltung des Dritteldeckungs-Prinzips und des freien Austausches von Noten in Gold und von Gold in Noten. Die Entwertung der Landeswährung ist in diesem Falle zwar niemals bedeutend. Aber sie ist doch am Wechselkurs deutlich erkennbar und steigt zu Zeiten immerhin aus 1/2% oder noch etwas darüber, was in einem Goldwährungslande schon eine recht empfindliche Wertminderung bedeutet. Bor allem aber scheint es eine naturwidrige Wertminderung zu bedeuten, denn wenn ein Löffel jederzeit gegen ein Lot Silber ausgetauscht werden kann, so kann er nach Adam Riese niemals weniger wert sein als ein Lot Silber.
Dieser eigentümliche Vorgang hat natürlich seine guten Gründe, und Du erkennst die Gründe sehr leicht, wenn Du Dir dreierlei vergegenwärtigst: Erstens, wie die Notenausgabe an sich, losgelöst von der Goldeinlösungspflicht, auf die Währung wirkt. Zweitens, wie die Goldeinlösung, so wie das Gesetz sie vorschreibt, diese Wirkung korrigiert. Und drittens, wie die Notenbankpraxis, also die Anwendung des Gesetzes, diese Korrektur nochmals korrigiert.
Also erstens die Wirkung der Notenausgabe an sich. Wir wissen, daß sie in einer gewissen Preisfälschung besieht, da die Noten dem Markt eine Kaufkraft zuführen, die er sonst nicht haben würde. (Es ist klar, daß die unternehmungslustigen Geschäftsleute manchen Einkauf unterlassen müssen, wenn keine Stelle da ist, die ihre Wechsel diskontiert und ihnen Notengeld aushändigt, das nur auf Grund dieses Diskontvorganges entstanden ist.) Die eintretende Preissteigerung ist identisch mit einer entsprechenden Geldentwertung und beweist die Tatsache, auf die ich Dich immer wieder aufmerksam machen muß, daß nämlich die Kaufkraft der ausgegebenen Noten gar keine „neue“ oder „zusätzliche“ Kaufkraft ist, sondern ein Teil der längst bestehenden, Verkehr-geborenen Kaufkraft, die in dem Maße dünner wird, wie man sie in die Länge zieht. Wenn man das Landesgeld als Gummiband behandelt, das man nach Belieben ausrecken darf, so reagiert es auf diesen Willkürakt eben wie ein Gummiband. Die natürliche Wirkung der Geldvermehrung durch die Banknoten-Ausgabe ist also eine Verminderung des Geldwertes.
Nun kommen wir aber zum Punkt zwei, nämlich zu der gesetzlichen Vorschrift, daß jede ausgegebene Note auf Verlangen in Gold eingelöst „werden muß. Dadurch wird die Landeswährung zu einer Goldwährung und jeder ihrer Bestandteile goldwertig. Die natürliche Wirkung der Geldvermehrung, den Geldwert zu verringern, wird also außer Kraft gesetzt. Kann das Staatsgesetz das? Vermag ein menschliches Gesetz ein Wirtschaftsgesetz aufzuheben? Offenbar nein. Es kann immer nur die Voraussetzungen beseitigen, unter denen das Wirtschaftsgesetz wirksam wird. Und wenn wir die Vorgänge, die sich an die Notenausgabe knüpfen, hübsch der Reche nach betrachten, so erkennen wir sehr bald, daß das Staatsgesetz der Noteneinlösung in Gold das Wirtschaftsgesetz der Geldentwertung dadurch nicht wirksam werden läßt, daß es den Ursprung der Geldentwertung, die Geldvermehrung, beseitigt. Die Vorgänge reihen sich folgendermaßen an einander. Erster Akt: Notenausgabe, Auftauchen vermeintlich neuer Kaufkraft am Markt, Preissteigerung. Zweiter Akt: Verschlechterung der Zahlungsbilanz durch Minderausfuhr und Mehreinfuhr von Waren (da die Preissteigerung der Inlandsware die Auslandsware entsprechend billiger erscheinen läßt), Verschlechterung der Wechselkurse bis zur Erreichung des „Exportgoldpunkts“, bei dem die Zahlung in Gold billiger wird als die Zahlung irr Devisen, endlich Goldausfuhr. Dritter Akt: Starke Präsentation von Noten bei der Bank zur Einlösung in Gold, das zur Ausfuhr gebraucht wird. Wenn dieser dritte Akt sich abspielt, hat das Staatsgesetz der Noteneinlösung das Wirtschaftsgesetz der Geldentwertung paralysiert, indem es die Geldvermehrung rückgängig gemacht hat. Denn die ausgegebenen Noten, die zur Geldentwertung geführt haben, sind ja zur Bank, zurückgeflossen, und das dagegen hergegebene Gold ist ins Ausland gewandert. Allerdings sind nicht alle ausgegebenen Noten zur Einlösung: in Gold präsentiert und damit aus dem Verkehr gezogen worden, sondern nur soviel Noten, wie mit Nutzen in Ausfuhrgold getauscht werden konnten. Da aber der Goldtausch nur solange lohnend ist, wie die Wechselkurse auf dem Exportgoldpunkt oder darüber stehen, jede Notenverminderung aber eine Verbesserung des Geldwertes zur Folge hat und daher die Wechselkurse unter den Goldpunkt herunterdrückt, so hört die Notenpräsentation bereits auf, bevor die ganze ausgegebene Notenmenge zur Bank zurückgeflossen ist. Ein Teil der willkürlich geschaffenen Noten, bleibt also im Umlauf. Und demgemäß bleibt auch eine gewisse Verschlechterung des Geldwertes zurück. Nur daß diese Verschlechterung! jetzt nicht mehr so groß ist wie im ersten Stadium, als noch alle ausgegebenen Noten den Verkehr belasteten, sondern entsprechend kleiner. Die Wechselkurse stehen zwar schlechter, als es dem Normalstande, der Goldparität, entspricht, aber immerhin nicht so schlecht, um eine Goldausfuhr lohnend zu machen. Das Staatsgesetz hat also nur einen Teil der Voraussetzung des Wirtschaftsgesetzes beseitigt, nämlich einen Teil der Geldvermehrung, und konnte auf diese Weise naturgemäß auch nur erreichen, daß ein ansprechender Teil der Wirkung des Wirtschaftsgesetzes, nämlich der Geldwertminderung, fortfiel.
And nun kommen wir zum Punkt drei, zur Notenbankpraxis, die in mancher Hinsicht vom paraphierten Gesetzeswillen abweicht und dadurch die Sache etwas kompliziert. Fast keine einzige Notenbank kommt der gesetzlichen Vorschrift, ihre Noten zur Münzparität in Gold zu tauschen, ehrlich nach. Die Deutsche Reichsbank zum Beispiel hat vor dem Kriege, als die Einlösungspflicht für sie bestand, sehr selten 1 Kilogramm gemünztes oder ungemünztes Gold gesetzlicher Feinheit für je 2790 Mark Noten hergegeben, wie es dem Gesetzeswillen entsprochen hätte, sondern sie hat den Umtausch der Noten nach Möglichkeit zu hintertreiben gesucht, indem sie die Abhebung von Gold zu Ausfuhrzwecken als „unpatriotisch“ brandmarkte, den Bankiers und Goldarbitrageuren, die trotzdem Noten präsentierten, mit Krediterschwernis drohte und so tatsächlich oft erreichte, daß ihre Goldeinlösungspflicht auf dem Papier blieb. Zwang man sie aber zur Goldhergabe, so verabfolgte sie den Noteneinreichern nur selten die 1000 Gramm Gold gesetzlicher Feinheit, die jene für je 2790 Mark Noten zu beanspruchen hatten, sondern ein paar Gramm weniger, indem sie ihnen statt neuer, vollwertiger Goldmünzen abgegriffene Münzen gab,. die einen Teil ihres münzgesetzlichen Gewichts durch natürliche Abnutzung eingebüßt hatten. Ähnliche Praktiken waren bei fast allen Notenbanken gang und gäbe, und auch bei der Bank von England, die den Sinn der Goldwährung noch verhältnismäßig am meisten respektierte, ist es gelegentlich vorgekommen, daß man für die goldfordernden Noteneinreicher nur einen Schalter öffnete und ihnen das Gold langsam zuzählte. so daß an einem Tage immer nur ganz geringe Notenmengen eingelöst werden konnten.
Daher kommt es, mein Sohn, daß die Landeswährung sich auch in Goldwährungsländern häufig weit bedeutender entwertet hat, als es theoretisch, nach dem Münz- und Bankgesetz, möglich war. In Deutschland z.B., wo der Exportgoldpunkt ungefähr bei einem Stande des Pfund Sterling von 20,50 Mark erreicht war, hat der Londoner Scheckkurs wiederholt auf 20,60 und selbst darüber gestanden – eigentlich eine logische Unmöglichkeit, da bei einem Kurse von 20,50 eine Massenpräsentation von Noten bei der Bank hätte erfolgen, und bei etwa 20,55 der gesamte Goldbestand ihr hätte abgefordert werden müssen. Tatsächlich war eben die Goldwährung stark durchlöchert, d.h. es wurden künstlich mehr Noten im Umlauf gehalten, als der Verkehr freiwillig absorbieren wollte, und als bei genauer Befolgung des Bankgesetzes im Umlauf hätten bleiben können. Konnte schon das Bankgesetz nur einen Teil der Voraussetzungen beseitigen, unter denen das Wirtschaftsgesetz der Geldentwertung wirksam wurde, so hat die Bankpraxis dafür gesorgt, daß nicht einmal dieser Teil der Voraussetzungen beseitigt, die Notenausgabe vielmehr über dem bankgesetzlich möglichen Höchststände erhalten wurde, – mit der ganz natürlichen Folge, daß die Landeswährung sich entsprechend verschlechterte. Und so kommt es, daß wir in so vielen Ländern den scheinbaren Widersinn einer gesetzlich durch Goldeinlösung und Dritteldeckung gefestigten Goldwährung mit dennoch schwankendem und unter die Parität sinkendem Geldwert erlebt haben.
Dies ist das eine Problem, über das sich die Praktiker wie Theoretiker des Notenbankwesens andauernd den Kopf zerbrechen. Das andere Problem, von dem ich zu Eingang dieses Briefes sprach, betrifft die Depositen der Notenbanken, die man, da sie im bargeldlosen Zahlungsverkehr von Konto zu Konto überschrieben (giriert) zu werden pflegen, meist „Girogelder“ nennt. Und die Streitfrage geht dahin, ob diese Girogelder, als ein Teil des nationalen Zahlungsmittelbestandes, den Banknoten gleich zu erachten und gleichfalls prozentual mit Metall zu decken sind, oder nicht.
Wie jede Frage die Hälfte ihrer Antwort in sich selbst trägt, sobald sie richtig gestellt wird, so beantwortet auch diese Frage sich sehr leicht, wenn man sie präzis faßt. Das ist um so nötiger, als die Girogelder der Notenbanken zwei grundverschiedene Eigenschaften haben. Denn sie sind einmal Kapital, das jederzeit gekündigt werden kann, und sie sind zum zweiten Geld, das der Inhaber jederzeit in Noten verwandeln und alsdann zum Umtausch in Gold präsentieren kann.
Wenn man diese Scheidung vornimmt, erkennt man, daß man es mit einer Doppelfrage zu tun hat, die korrekt lauten muß: Wie müssen die Girogelder in ihrer Eigenschaft als Kapital, und wie müssen sie in ihrer Eigenschaft als Geld gedeckt sein? Von dieser Doppelfrage beantwortet sich der erste Teil ohne weiteres von selbst, und zwar dahin, daß die Girogelder als Kapital genau in derselben Weise gedeckt sein müssen, wie jedes andere täglich rückforderbare Depositum einer Bank. Das heißt, es muß ihnen ein bestimmter, durch Erfahrung festzustellender Prozentsatz baren Geldes als Reserve gegenüberstehen. Dieses bare Geld kann überall da, wo die Banknote ein gesetzliches Zahlungsmittel ist, aus Noten bestehen.
Nicht ganz so handgreiflich ist die Antwort auf den zweiten Teil der Frage. Die landläufige Auffassung geht hier, das dürfte Dir bekannt sein, dahin, daß die Girogelder zu einem hohen Prozentsatz in Gold gedeckt sein müßten, weil sie ja, genau wie die Banknoten, jederzeit zur Abforderung von Gold führen können. Auch die Notenbanken selbst neigen dieser Ansicht zu und beklagen es in der Mehrzahl als einen Fehler, daß die meisten Bankgesetze (nicht alle) die Girogelder nicht deckungspflichtig machen. Die Volkswirte stützen diese Ansicht mit dem Hinweis, daß die Giroguthaben bei den Notenbanken nichts anderes als ein besonders geartetes Geld („Giralgeld“) seien, das selbst kein gesetzliches Zahlungsmittel darstelle, sondern nur in ein solches umgetauscht werden könne. Deshalb müsse es durch dasjenige Geld gedeckt werden, das im Lande als definitives Zahlungsmittel gelte, in Goldwährungsländern also durch Gold.
Da stehen wir also, mein Junge, wieder einmal vor der prinzipiell so wichtigen Frage, was „Giralgeld“ ist. Ich habe schon seiner Zeit, als ich mit Dir über das Geld plauderte, allen Nachdruck auf die Feststellung gelegt, daß die Girogelder der Banken und somit auch der Notenbanken kein Geld sind, sondern nur der buchmäßige Ausdruck dafür, daß Geld die betreffende Bank passiert hat. Das Geld, das auf der Sollseite der Notenbank-Bilanz als Giroguthaben figuriert, ist damals, als es bei der Bank eingezahlt wurde, in die Bankkasse gewandert, hat irgend welche Verwendung gefunden, die aus der Aktivseite der Bankbilanz hervorgeht, und zirkuliert nunmehr wieder in der Wirtschaft. Wäre das Giroguthaben, das bei seiner Einzahlung entstanden ist, ebenfalls Geld, so würde eine und dieselbe Geldsumme sich bei ihrem Eintritt in die Notenbank in zwei gleichhohe Summen gespalten, sich also verdoppelt haben. Das ist aber, da das Geld kein Amphibium ist, das sich durch Spaltung vermehrt, ein Ding der Unmöglichkeit. In Wirklichkeit ist das „Giralgeld“ weiter nichts als eine Spur, die das Geld auf seiner Wanderung hinterlassen hat, und somit ein Ausdruck seiner Zirkulationsgeschwindigkeit. Und wenn es so scheint, als ob es in den Büchern der Bank ein selbständiges Leben führt – da man ja durch seine Überschreibung von einem Konto auf das andere vollkommen wirksam zahlen kann –, so ist das Augentäuschung. Man zahlt in Wirklichkeit nicht mit den: Giroguthaben, sondern mit dem Gelde, das man z.Zt. bei der Bank deponiert hat, und das die Bank unbedingt wieder zur Stelle schaffen muß, wenn es dem neuen Eigentümer des Giroguthabens gefällt, den Betrag bar in Empfang zu nehmen. Braucht die Bank das Geld nicht zu beschaffen, weil der neue Eigentümer es ihr nicht abfordert, so ist das kein Beweis, daß das Giroguthaben Geld, sogenanntes „Giralgeld“, geworden ist, sondern lediglich ein Beweis, daß man der Bank das Bargeld, das sie z.Zt. empfangen und auf Girokonto gutgebracht hat, bis auf weiteres beläßt.
An diesem Tatbestand ändert sich auch dann nichts, wenn das Giroguthaben scheinbar nicht durch Barzahlung, sondern durch einen Kreditvorgang entstanden ist, nämlich dadurch, daß die Bank einer Person oder einer Körperschaft einen Betrag auf Girokonto gutgebracht hat. Auch in diesem Falle kann die Bank jederzeit gezwungen werden, den gutgeschriebenen Betrag bar auszuzahlen, und es zeigt sich dann, daß sie ihn nur deshalb gutschreiben konnte, weil sie aus irgend welchen Quellen über den entsprechenden Barbetrag verfügte. Die Besonderheit des Falles liegt nur darin, daß hier nicht der erste Gutschrifts-Empfänger, sondern ein beliebiger Dritter der Bank den Barbetrag überlassen hat. Wäre das nicht so, sondern hätte die Bank tatsächlich „Geld geschaffen“, indem sie einem Kreditnehmer – etwa dem Staate – ein Giroguthaben einräumte, so würde das so geschaffene Giralgeld für uneinlösbar erklärt werden müssen.
Nur uneinlösbare Giroguthaben sind Geld. Sind die Guthaben aber einlösbar, so daß sie jederzeit in bar zur Abhebung gelangen können und die Bank Noten dafür hergeben muß, so stellt es sich bei der Abhebung heraus, daß die Bank erst jetzt, im Moment der Notenausgabe, neues Geld schafft, es also nicht schon damals geschaffen haben kann, als das Giroguthaben zur Entstehung kam. Da es aber Girogelder, bei denen die Abhebung ausgeschlossen ist, nicht gibt, so gibt es auch kein „Giralgeld“, sondern nur „überschreibbare Barguthaben auf Girokonto“.
Die Antwort auf unsere Doppelfrage ist, wie Du siehst, sehr einfach: Girogelder brauchen nicht anders gedeckt zu sein als irgend welche anderen Bankguthaben. Es genügt, wenn ihnen eine der Abhebungsgefahr entsprechende Kassenreserve gegenübersteht, die genau so zusammengesetzt ist wie jede andere Kassenreserve. Eine besondere Golddeckung ist nicht erforderlich. Sind die umlaufenden Noten der Bank voll in Gold gedeckt, so sind die Girogelder, die nur ein sichtbar gemachtes Segment aus dem Bewegungskreise des Geldes darstellen, ohne weiteres ebenfalls goldgedeckt.
In Liebe
Dein alter Vater.
9. Brief
Zentralbank oder Vielbanken – Metamorphose der Banknote – Das „Einreservesystem“
Berlin, am 10. Juli 1922.
Wie würdest Du, lieber James, die Frage beantworten, ob ein Land sich zu dem Prinzip der Einheitsbank oder zu dem der Vielbanken bekennen soll? Ist es besser, daß eine einzige, zentrale, staatliche oder Staatvertretende Notenbank existiert, die alle Aufgaben, die dem Notenbankwesen obliegen, in sich vereinigt? Oder ist eine systematische Arbeitsteilung nach geographischen bezw. funktionellen Gesichtspunkten vorzuziehen? Oder ist es endlich geraten, das Notenbankwesen sich entwickeln zu lassen, wie es will, es als ein Gewerbe wie alle andern zu betrachten und das Prinzip der Notenfreiheit zu proklamieren?
Die Frage ist praktisch längst zu Gunsten der Zentralbank entschieden, und es erscheint uns heute kaum noch faßbar, daß es Zeiten gegeben hat, in denen man die Notenbanken nach Willkür schalten ließ) in denen man es als einen Eingriff in die natürliche Freiheit empfand, wenn einem Institut wie der Bank von England das Notemnonopol verliehen wurde, obwohl das Monopol nur für einen Radius von 65 englischen Meilen galt. Unwillkürlich faßt uns, die wir gesehen haben, wohin die falsche Notenpolitik eines einzigen Instituts ein Land bringen kann, ein Schrecken, wenn wir daran denken, unser Land könne einer Vielzahl von Notenbanken ausgeliefert werden, deren Emissionsrecht womöglich nicht einmal kontingentiert wäre. Wir empfinden es heute schon als bedenklich, daß in Deutschland und in Amerika – hier allerdings nur noch auf begrenzte Zeit – Privatnotenbanken als Überbleibsel aus einer früheren Periode existieren und ihre selbständige Politik treiben, und erblicken hierin eine Durchbrechung des Prinzips der einheitlichen Währung.
Diese Anschauung hat Ihre Wurzel in der modernen Auffassung vom Notenbankwesen. Wir erblicken in der Notenbank die rechte Hand des Staats, der durch sie seine währungs- und wirtschaftspolitischen Absichten verwirklicht, also ein öffentliches Organ von höchster politischer Bedeutung, und so können wir es konsequenterweise nicht billigen, wenn eine Vielzahl von Banken Politik auf eigene Faust treibt und dabei womöglich noch rein privatwirtschaftlichen anstatt nach volkwirtschaftlichen Grundsätzen verfährt. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Notenbanken heute etwas ganz anderes sind, als sie in jenen Zeiten der Notenbankfreiheit waren, und auch ganz etwas anderes, als sie heute noch sein müßten, wenn sie ein wirklich gesundes ökonomisches Prinzip verkörperten.
Ich habe Dir in einem früheren Briefe geschildert, wie die Banknote organisch aus dem Metalldeposit der Girobank hervorgegangen ist, als eine Quittung über die erfolgte Niederlegung eines Geldbetrages. Weshalb solllte eine Bank solche Quittungen nicht ausgeben dürfen, so viel sie will, d.h. so viel den deponierten Geldsummen entspricht? Ferner ist es von alters her üblich, daß eine angesehene Bank den Kredit, dessen sie sich erfreut, durch Akzeptierung von Wechseln ausnützt, in denen sie sich verpflichtet, einen bestimmten Betrag an dem und dem Tage oder auch bei Sicht zu zahlen. Weshalb sollte eine Bank solche Akzepte nicht in runden Beträgen und in Serien ausgeben dürfen? Und was sind Banknoten im Grunde anderes als solche Akzepte auf den Inhaber, in denen die Bank verspricht, dem Einreicher Zahlung in gesetzlichem Gelde zu leisten? Es ist durchaus nicht verwunderlich, daß man es vor zweihundert und noch vor hundert Jahren als das gute Recht jeder Bank ansich, derartige Banknoten auszugeben, ja daß man sich eine Bank, die keine Noten ausgab, überhaupt nicht vorstellen konnte. Wenn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von „Bankwesen“ und „Banken“ gesprochen wurde, so verstand man darunter das, was wir heute „Notenbankwesen“ und „Notenbanken“ nennen; einfach deshalb, weil es nur wenig Banken gab, die auf das Recht verzichtet hätten, Zahlungsversprechen in Notenform auszustellen. Und so wird es auch durchaus verständlich, warum man von einem Eingriff des Staats in die natürliche Freiheit sprach, als man den Banken das Recht der Notenausgabe streitig machen wollte.
Wiederum war aber auch der Staat vollkommen in seinem Recht, wenn er um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Banknote ein Zahlungsversprechen eigener Art erblickte, dessen Ausgabe er nicht jedermann gestalten durfte, der in der Lage war, einen kaufmännischen Wechsel zu akzeptieren. Denn der Charakter der Banknote hatte sich im Laufe der Zeit gewaltig verändert. Ursprünglich war sie in der Tat eine besondere Art von Bankakzept gewesen, die sich nur äußerlich von einem auf die Bank gezogenen Scheck oder Sichtwechsel unterschied. Wer wollte, der nahm sie, wer nicht wollte, lehnte sie ab. Wenn überhaupt von einem „Umlauf“ dieser Noten gesprochen werden konnte, so fand er nur im kaufmännischen Verkehr statt, war auch nur auf den Bezirk beschränkt, in dem die Bank ihren Sitz hatte. Außerhalb des Bezirkes, in dem man die Bank genau kannte, dachte niemand daran, eine solche Note in Zahlung zu nehmen. Mit einem Wort: Die Note war mehr Kreditinstrument als Zahlungsmittel. Ihr Umlauf, soweit ein solcher stattfand, war daher ein wirtschaftlich ziemlich neutraler Vorgang, etwa wie es heule das Zirkulieren eines Schecks ist, den jeder Inhaber zur Bank geben und einkassieren kann. Mit dem Moment, wo dieses Kreditinstrument seinen Charakter änderte und zu einem ausgesprochenen Zahlungsmittel wurde, weil immer weitere Kreise des Verkehrs sich an das bequeme und leicht versendbare Papier gewöhnten, mußte notwendigerweise der Staat seine Stellung gegenüber der Banknote ändern. Denn sie war „Geld“ geworden und fiel als solches unter die staatliche Münzhoheit, auch wenn sie nur kraft Gewohnheit und nicht kraft eines Annahmezwanges zirkulierte.
Der Staat wurde hier zum Anwalt des Verkehrs. Du weißt, mein Junge, daß der Verkehr nur ein bestimmtes Quantum Geld aufnehmen kann, daß er selbst über dieses Quantum entscheidet und ein Plus, das man ihm aufdrängt, abzustoßen sucht. Die Notenausgabe der Banken und die Gewohnheit der Bevölkerung, die Noten dem Gelde gleichzusetzen, hatten denn auch die Folge, daß die Wirtschaft mit Geld übersättigt wurde und einen Teil davon an das Ausland abgab. Und zwar gab sie nicht etwa die Banknoten ab, die ja nur bezirksweise oder bestenfalls provinzweise Geltung hakten, sondern das Metallgeld. Der alte Greshamsche Satz, daß immer das schlechtere Geld das bessere zum Lande hinaustreibt, Kam also hier zur vollen Geltung. Und das durfte der Staat nicht zulassen. Er konnte nicht dulden, daß im Falle einer stark passiven Zahlungsbilanz das Land ohne eine Metallreserve dastand, die groß genug war, um die Bilanz – durch Abfließen in das Ausland und automatische Verringerung des inländischen Geldumlaufs – wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Bedauerlich ist nur, daß der Staat die Banknotenfreiheit nicht etwa deshalb beseitigt hat, weil sie ein störendes Element in das Geldwesen hineintrug, als vielmehr deshalb, weil er die Banknote seinen eigenen Zwecken dienstbar machen wollte. Sie schien ihm ein brauchbares Instrument für seine Wirtschaftspolitik zu sein, deren Bedürfnissen das Metallgeld nicht genügte, angeblich, weil es nicht „elastisch“ genug war, in Wirklichkeit, weil die Wirtschaft andere Ansichten über jene Bedürfnisse hatte als der Staat und die erforderlichen Gelder nicht hergeben wollte. So ist denn die Banknote mit der Zeit geworden, was sie heute ist: Ein Mittel zur Befriedigung wirklicher oder vermeintlicher Bedürfnisse, für die inan die natürlichen Deckungsmittel der Anleihe oder Steuer nicht anwenden will, ein Mittel vor allem, mit dem der Staat in Krisen- und Kriegszeiten jeden noch so hohen Betrag deckt, indem er der Bevölkerung Teile ihrer Kaufkraft entzieht, ohne sie zu fragen.
Für solche Zwecke ist naturgemäß das Prinzip der Einheitsbank dem der Vielbanken überlegen. Die Bank bildet hier einen Hebel in der Hand des Staats und ist im Grunde selbst nur ein staatliches Organ, auch wenn sie nach privatkapitalistischen Grundsätzen organisiert ist. Betrachtet man aber die Dinge nicht unter dem Gesichtspunkt der politischen Opportunität, sondern unter dem des wirtschaftlichen Nutzens, so erscheint es doch sehr fraglich, was besser, d.h. für die Verkehrswirtschaft heilsamer ist: eine Zentralnotenbank, die von jedem sic volo sic jubeo einer übergeordneten Instanz grenzenlos, bis zum völligen Ruin der Landeswährung, mißbraucht werden kann; oder ein Vielbanksystem alten Stils, das auf der Grundlage der Bankfreiheit und des individuellen Vertrauens zur einzelnen Bank beruht, und bei dem jeder Versuch eines Mißbrauchs sehr bald an die Grenze stößt, wo der Verkehr es ablehnt, weitere Banknotenmengen anzunehmen.
Anders stellen sich die Dinge dar, wenn man das „Elastizitätsprinzip“, dem die Notenbanken heute zum Schaden der Währung dienen müssen, bei Seite läßt und nur an die legitimen Aufgaben der Banken denkt, also an die Zahlungsvermittlung, Nutzbarmachung vorhandener Geldbestände usw. Hier ist die Zentralnotenbank einem zersplitterten Notenbankwesen unbedingt überlegen. Einrichtungen, die der Verkehrserleichterung dienen und keine Mißbrauchs-Möglichkeiten bieten, .wie das Giro und das Clearing, haben eine Zentralstelle, die als „Bank der Banken“ fungiert, geradezu zur Voraussetzung; und auch das Bestehen einer nationalen Kassenreserve, in -welche die jeweils verfügbaren Barbestände der Banken fliehen, um einen Notfonds für die Zeit einer etwaigen Kreditkrisis zu bilden, «ist von dem Vorhandensein einer großen Zentralbank abhängig. Allerdings brauchte diese Zentralbank nicht gerade eine Notenbank zu sein. Die Einrichtungen des Giro, des Clearing und der Barreserve haben mit der Banknote nichts zu tun. Da aber die Notenbanken nun einmal bestehen und voraussichtlich in den meisten Ländern auch dann noch bestehen werden, wenn man, gewitzigt durch die Erfahrungen der letzten Jahre, ihre Ingerenz auf die Landeswährung vermindern wird, so tut man gut, sie in den Dienst jener legitimen Zentralbank-Geschäfte zu stellen. Sie können sehr nützlich wirken, wenn sie die Verkehr-fördernden Einrichtungen des Zahlungsausgleichs und der Zahlungsvermittlung mit der Eigenschaft einer Barreserve und Kreditzentrale verbinden, wobei sie jedoch auf zweierlei zu achten haben:
Erstens grundsätzlich: Daß sie die Kreditgewährung, die sie zweckmäßig auf den Kreis der Banken beschränken werden, nur im Rahmen der vorhandenen, ihnen von den Handelsbanken namens der Gesamtwirtschaft überlassenen Reservegelder ausüben; weil nämlich diese Gelder, nicht aber die im Wechselangebot zum Ausdruck kommenden Kreditwünsche der Industrie, den Maßstab für den wirklich legitimen Bedarf der Wirtschaft darstellen und zugleich die Grenze zeigen, bis zu der das Kreditprinzip getrieben werden darf, ohne schädliche Rückwirkungen auf das Geldwesen auszuüben.
Zweitens geschäftspolitisch: Daß sie sich jederzeit bewußt bleiben, wie viel von ihrer Vorsicht und Dispositionsfähigkeit abhängt, weil sie die Hüter der letzten Reserve im Lande sind, einer Reserve, auf deren Leistungsfähigkeit es im Falle einer Wirtschaftskrisis überall da ankommt, wo Handel und Industrie gewohnheitsmäßig mit kurzfristigem Kredit arbeiten und die Zeiten des epidemischen Mißtrauens mit ihrem Gefolge von Kreditkündigung und Kapitalmangel fürchten müssen. Je besser die Zentralbanken aus solche Krisen vorbereitet sind, und je besser sie ihnen begegnen können, ohne zu dem letzten, immerhin bedenklichen Aushilfsmittel der „emergency notes“ greifen zu müssen, um so mehr entkleiden sie das moderne „Einreserve-System“, dessen Spitze sie darstellen, der ihm innewohnenden Gefahren. Sie werden zu diesem Zwecke gut tun, dafür zu sorgen, daß sich außer ihrer letzten Reserve noch eine Anzahl leistungsfähiger Zwischenreserven im Lande befinden, die den Stoß einer Kreditkrisis auffangen und nur in abgeschwächter Form an die Zentralreserve gelangen lassen, also als Puffer zwischen Zentralbank und Wirtschaft wirken.
Du siehst, mein lieber James, daß es bei den Zentralbanken, die wohl bis auf weiteres allenthalben Notenbanken bleiben werden, nicht nur darauf ankommt, wie ihr Geschäftskreis beschaffen ist, sondern auch darauf, in welchem Sinne und mit welchen Endzielen sie diesen Geschäftskreis in der praktischen Tagespolitik ausfüllen; und vor allem darauf, welche Stellung sie innerhalb (oder oberhalb) der Kreditorganisation einnehmen, und wie sie diese Kreditorganisation ihrerseits beeinflussen. Mir werden daher die Notenbanken wieder auf unserem Wege finden, wenn wir uns eines Tages mit der Spezialfrage des sogenannten Geldmarkts und des Bankwesens beschäftigen werden, was in nicht zu ferner Zeit geschehen soll, falls Gott mir das Leben schenkt.
Ich besiegle den letzten Brief dieser Serie mit einem väterlichen Kuß und bleibe in alter Liebe
Dein Papa.
[1] Der Leser wird gebeten, das Datum zu beachten, an dem dieser Brief geschrieben wurde.
[2] Zu beachten: Der Brief datiert vom Januar 1921.
[3] Brief vom 11. Januar 1921.